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Zweites Kapitel.
Der zweite Gast

Der nächste Gast folgte auf dem Fuße. Er war mit dem Postwagen bis Thalbrücken gefahren, ging von der zu Fuß nach derm Klosterhofe, wohin er sich sein Gepäck, einen einfachen Reisesack, nachtragen ließ.

Er war ein Mann von hoher, ansehnlicher Statur, in einen langen, dunkelbraunen Rock gekleidet, der trotz der herrschenden Wärme bis an den Hals zugeknöpft war. Das männlich-ernste Gesicht zählte zu jenen langen, hageren Bildungen, die in melancholischen Bureaux gebosselt werden unter Mitwirkung langjähriger unerquicklicher Arbeit und angehender Leberleiden. Die Haut, von fahlgelber Farbe, war schlaff und lederartig, an Stelle der Wangenfülle hatten sich regelrechte Falten von den Backenknochen gegen das Kinn herab gebildet. Melancholie und Kränklichkeit, gepaart mit einer gewissen Rüstigkeit, ja Würde in der Haltung, ließen in dem Ankommenden den Beamten eines wichtigeren Büros erraten, dessen Aufträge und Arbeiten jedenfalls bedeutender waren als der ihm zustehende systemisierte Gehalt …

Als der Ankommende unter das Tor tret, blieb der Portier ruhig in seiner Torstube sitzen, und der Diener, zu dessen Funktionen der Empfang der Gäste gehörte, überließ ihn nach einem flüchtig zugeworfenen Blick seinem Schicksal. Dies war selbst der gewöhnlichen Dienerschaft des Klosterhofs zu arg, und sie erlaubte sich, da sie durch das vorwitzige Auftreten der »Galonierten« eingeschüchtert und durch Weisungen Meinböcks anderen Aufgaben zugeteilt war, auf den neuen Gast aufmerksam zu machen; allein der »Verstauchte« schien zu viel mit sich und seiner Herzenstündung zu schaffen zu haben, er rief nur zornig und wegwerfend über die Schulter:

»Schmeißt ihn hinein wo!«

Dies hörte der »Obere« und, die ganze Größe des Moments erfassend, gab er seinem Bequartierungs-Subkomitee-Mitgliede im Vorübergehen nur ein Tadelsignal mit dem Ellbogen, empfing den Fremden mit größter Zuvorkommenheit persönlich, wies ihm ein Zimmer neben den »himmlischen Schwestern« an, damit, wie er lächelnd dachte, kein interessanterer Nachbar als sein Herr in deren Nähe komme; dann aber kam er zurück und hielt dem taktlosen »Verstauchten« eine Strafpredigt, welche deutlich genug erkennen ließ, dass er trotz seiner Liebesbedrängnis den Kopf sich frei hielt für seinen schweren und delikaten Dienst.

Damit aber das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden werde, kündigte der »Obere« dem schmerzlich Erstarrenden an, dass er ihn kraft seiner Vollmacht für immer vom Dienste der schönen Schwestern entbinde und lieber – selbst seine Dienste und Sorgen denselben widmen wolle.


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