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Siebentes Kapitel.
Gast Numero 7

Dem »Goldenen Schwan« in Thalbrücken war die Ehre, eine hochgestellte Person zu beherbergen, noch selten zuteilgeworden; umso größeren Wert legte man daher auf den gegenwärtigen Besuch einer Exzellenz, die, wie es schien, sich selber große Bedeutung beilegte und allem Anscheine nach auch geneigt war, während ihres Aufenthaltes einen gewissen Aufwand zu machen.

Der Kellner, welcher die Ehre hatte, Seine Exzellenz persönlich zu bedienen, musste seinen schwarzen Anzug hervorholen und in tadelloser weißer Wäsche erscheinen; er zog mit einiger Bestürzung sogar sein Gedächtnis zu Rate über die Reste seines Französischen, das er Seine Exzellenz bei der Ankunft in dieser Sprache hatte parlieren hören.

Seine Exzellenz war Staatsminister eines kleineren Staates, als sorgsamer, vorsichtiger Diplomat während einer längeren Friedensperiode öfter genannt, als Vermittler bei wichtigeren Differenzen zwischen zwei Mittelstaaten gern und erfolgreich verwendet, in seinem Leben und Wirken unendlich bedachtsam, säuberlich und eitel, in seiner äußeren Erscheinung peinlich bemüht, seine Würde vor Menschen, auch in der gewöhnlichen Lage, im Auge zu behalten.

So sehen wir ihn denn: eine mittelgroße, mehr schmächtige Gestalt mit hübsch geformtem Kopf, geistigem Ausdruck im ernsten, hageren Gesicht – ein üblich wohlwollendes Lächeln um den Mund – seinen aus dem Klosterhofe eben zurückkehrenden Geheimsekretär, wie bei feierlicher Audienz, im schwarzen Anzug, ein Ordensband im Knopfloch, mitten im Zimmer stehend, empfangen.

»Was haben Sie gefunden?« fragte der Minister.

»Es sind Gäste im Klosterhof angekommen«, erwiderte der Geheimsekretär, in bescheidener Ferne bleibend und sich leicht verneigend.

»Wer sind diese Gäste? Wie präsentieren sie sich? Was spricht man von ihnen?«

»Ich hörte von einem Oberschulrat aus der Hauptstadt. Aber von ihm ist weniger die Rede als von seiner Begleitung: zwei Töchtern von außerordentlicher Schönheit. Alles im Klosterhof ist Erstaunen und Bewunderung, selbst die Diener gebärden sich wie Verrückte!«

»Hm«, bemerkte Seine Exzellenz, die rechte Hand aus der Brust ziehend und auf den nebenstehenden Tisch stützend.

»Ein Gast, der wahrscheinlich außerordentlich reich ist, hat vorläufig seine Dienerschaft mit den feinsten Weinen und Mundvorräten vorausgeschickt zur Verfügung der Erwarteten.«

»Ei, ei«, lächelte der Minister, »das lautete ja gar nicht übel!«

»Der alte Klosterhof«, fuhr der Geheimsekretär fort, »sieht wunderlich aus: mit einem vornehm kostümierten, riesigen Portier und dem in Hof und Küche herum hantierenden weißmützigen Koch!«

»Hm – Koch? Koch und Portier?« sagte Seine Exzellenz mit sichtlich erwachender Neugierde.

»Mit denen auch noch mehrere wohldressierte Herrschaftsdiener angekommen sind«, ergänzte der Geheimsekretär.

»Wer von den Studiengenossen mag dieses äußere Glück gemacht haben? Haben Sie den Namen der Herrschaft nicht erfahren?«

Der Geheimsekretär nannte einen Namen, den der Minister nachdenklich wiederholte, worauf er mi einiger Lebhaftigkeit sagte:

»Sieh' da! Wie die Verhältnisse es zu fügen wissen! Den witzigen, lebenslustigen Schwärmer! Ist er später so praktisch geworden? … Ein hübscher Einfall, für unsere Bewirtung zu sorgen … Es konnt ihm schon aus den Zeitungen gekannt geworden sein, welche Karriere mancher seiner Kollegen gemacht hat … Und nun? Wer hat sich sonst im Klosterhofe eingefunden?«

»Ein Theaterdirektor und zwei Schauspieler – Letztere offenbar nur Unterhaltungsgarde des Ersteren.«

Er nannte die drei Namen und erregte die Heiterkeit Seiner Exzellenz, welche nach einer Pause bemerkte:

»Also werden wir auch diese Sorte vertreten sehen – die leider jetzt überall zu finden ist … Indessen – wenn man von dieser Seite bedenken wird, dass das Leben sowie die Kunst eine wohlgezogene Grenze des Anstandes hat, werde ich meinem Studienfreunde ** mit Vergnügen wieder einmal begegnen. Ob er wohl noch mit den Beinen mauschelt?«

»Er ist eine noble Erscheinung und wird gewiss nicht aus der Rolle fallen, wenn sein sprudelnder Humor nicht herausgefordert wird – wie durch die fremde Dame im Klosterhof – die gleichzeitig mit ihm angekommen ist«, sagte der Geheimsekretär lächelnd.

»Welche Dame?« fragte der Minister mit steigendem Interesse.

»Gehirnpumperer …«, sagte der Sekretär lächelnd für sich; »es war gar zu drollig mit den drei Herren!«

Er berichtete nun über den Vorfall nicht ohne Humor und launige Zutaten, wobei des unter dem Pantoffel stehenden Gatten – eines Justizrats – nicht des Ehrerbietigsten gedacht wurde.

»Der Name dieses Paares?« fragte Seine Exzellenz.

»War vorläufig nicht zu eruieren. Ein neuer Gast, der ankam, hat zu sehr alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen.«

»Und wer war dies?«

»Ein Kapuzinermönch von imponierender Erscheinung. Wenn dieser zu den Erwarteten zählt und dem neuen Geiste des Römertums huldigt, dürfte es mit den Studiengenossen anderer Richtung nicht ohne schwere Differenzen abgehen!«

»Hm, hm, immer bunter; wobei wir es als ein Glück bezeichnen dürfen, dass das Wiedersehen in der Stille gefeiert wird und nicht zu besorgen steht, dass die öffentlichen Blätter davon Wind bekommen!«

»Nach diesen Beobachtungen«, fuhr der Geheimsekretär fort, »war ich so frei, bloß en Empfangszimmer nebst Kabinett reservieren zu lassen, da ich es immer noch nicht rätlich fand, dass Ihre Exzellenz im Klosterhof förmlich absteigen, wo ein, wenn auch nur zwei Tage dauernder Aufenthalt doch mancherlei Berührungen herbeiführen müsste, die Ihnen mit Rücksicht auf Ihre Stellung nicht genehm sein könnten.«

»Sie haben wohlgetan. Ich bleibe hier im Schwan. Sie sorgen dafür, dass im Klosterhof mein Wegbleiben bis zum Versammlungstage plausibel erscheine; insbesondere besuchen Sie zu diesem Behufe morgen den im Klosterhof jedenfalls schon anwesenden Präsidenten der Versammlung, Sektionschef von Altringer. – Ich werde später flüchtig vorfahren, mich einmal zeigen, dann mit dem Versprechen, am bestimmten Tage und zur rechten Stunde wiederzukommen, eine Interimsfahrt nach dem nahen Badeorte machen.«

»Sehr wohl, Exzellenz. Doch erlaube ich mir zu erinnern, dass von dem Herrn Kanzler noch keine Nachricht angekommen ist … Was soll für alle Fälle veranlasst werden?«

»Ich kann nicht glauben, dass es dem Kanzler eines so großen Staates Ernst ist hierher zu kommen. Zwar sein lebhaftes, geistig reges, humorvolles Temperament reißt ihn oft genug zu augenblicklichen Manifestationen hin, die ihm schwer und lange nachgetragen werden – wie damals, da er bei einer großen Haussoirée, an der die vornehmste Geburts- und Geldaristokratie, die höchste dipomatische Welt – selbst Mitglieder der herrschenden Familie teilnahmen – an einem Tische, den Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Schauspielerinnen besetzt hatten, einen Toast ausbrachte und eine humoristische Ministerliste aus den Anwesenden zusammensetzte! Und dies in einer Zeit, wo eine eben begonnene Systemänderung das Reich in seinen Grundvesten zu erschüttern drohte! … Wie dem auch sei: erscheint der Kanzler nicht, so wird er die Gelegenheit nicht ohne Manifestation vorübergehen lassen. Ohne seinen ausdrücklichen Wunsch wäre ich jedenfalls nicht hierhergekommen … Melden Sie mir sogleich, was vom Staatskanzler einläuft …«


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