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Neuntes Kapitel.
Altes Weh, neues Heil

Das artige Benehmen gegen Kinder bildet den Weg zu den Herzen der Eltern, vornehmlich der Mütter.

Das erfuhr auch Hilarius in Folge seiner Liebenswürdigkeiten gegen die kleine Hedwig. Alle Aufmerksamkeiten einer Hausfrau gegen ihren Gast wurden ihm von Seite der Wirtin zuteil, ein aus der Fremde nach Jahren heimgekehrter Sohn konnte nicht freudiger bedient, nicht reichlicher bewirtet werden. Wurde dem vielgekränkten Mutterherzen doch endlich die Genugtuung, ihr in der Schule und auf dem Spielplatz vielgenecktes und gekränktes Kind gütig behandelt, ja bevorzugt zu sehen! Doch ein größeres Genügen, mütterlicher Jubel gesellte sich hinzu, da Hilarius mit heiterer Energie auch die erwachsene Tochter Monika in Schutz nahm und sie alle erlittene Unbill an dem wankelmütigen Geliebten zu rächen beschloss. Denn er hatte dem kräftig aufgeblühten Naturkinde kaum in die großen, grundgütigen, braunen Augen geblickt, als er – den Namen Monika à la Hedwederl umgestaltend ausrief:

»Gold-Moneterl, ich schwör's bei allem, was in diesen Augen Gutes liegt, dass der Ungetreue mitsamt seiner Sippschaft für ihr Verschulden Leid tragen werden!«

Mutter und Tochter lächelten zwar über das heitere Pathos dieser Worte, sie nahmen aber den Schwur doch gerührten und dankbaren Herzens hin, da sie Hilarius Klugheit und Energie genug zutrauten, etwas Wirksames auszuführen …

Gegen zwei Uhr nachmittags – Hilarius hatte sich eben von der Festtafel entfernt – hatte die Wirtin das Vergnügen, Monika mit dem jungen Beschützer eine sehr vertrauliche Unterredung führen zu sehen, indem beide, unbekümmert um Mit- und Nachwelt, den innern Hofraum des Hauses fort und fort durchschritten. Monika war offenbar in vollem Zuge, die unverschuldeten Leiden ihres Herzens ausführlich zu erzählen, und Hilarius sorgte durch teilnehmende Ausrufe, dass der Faden der Erzählung nicht so bald reiße – denn er fühlte sich recht behaglich in der Gesellschaft dieses straffen, urfrischen Wesens, und eine schalkhafte Heiterkeit bezeichnete seine Selbstzufriedenheit mit dem bereits feststehenden und in Ausführung befindlichen Racheplan.

Sei es, dass Hilarius in seinem Behagen einmal sich vergaß und sein Mitgefühl in einem zu heitern Ausruf erleichterte, sie es, dass Monika über ihre Offenherzigkeit selbst erschrak – sie hielt mitten in ihrer Mitteilung inne und sagte:

»Was werden Sie denken? Was kümmert Sie alles das?«

»Moneterl, ganz recht!« erwiderte Hilarius. »Kümmern soll uns das alles nicht weiter, es ist eben vorbei, und das Bessere kommt und kommt schneller, als Du denkst! … Sieh', dort ist auch schon meine Klepperpost, der Lucian, er bringt Nachricht, wie der Tanz beginnen kann!«

Lucian blieb unter dem Torbogen stehen, winkte geheimnisvoll und, vor Ergötzen sich schüttelnd, sagte er zum näher tretenden Hilarius:

»Es ist eingefädelt! Er zappelt schon! Um acht Uhr ist die Stund'!«

Ein betäubendes Gelächter, das aus der großen Gaststube scholl, wo die Gäste sich vom Tische erhoben hatten, ließ zwar die Worte nicht vernehmen, welche Hilarius der Monika zurief; desto besser hatte die Letztere gehört und verstanden, denn sie begab sich leuchtenden Auges zur Mutter, um ihr eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen. Hilarius aber gab dem Lucian ein Stück Geld und einen neuen Auftrag und wendete sich eben nach der Treppe, um sein Zimmer aufzusuchen, als er auf der untersten Stufe derselben einen Mann erblickte, der ihn erwartete.

Es war der Wirt vom »goldenen Löwen« aus Alt-Breisheim.

Hilarius begrüßte ihn rasch mit einer Handbewegung und winkte ihm, zu folgen, um wo möglich von niemand gesehen zu werden.

Inzwischen rüsteten die Gäste allgemein zum Aufbruch und entfernten sich einzeln und in Gruppen aus dem Klosterhof. Meinböck, der sich als Wirt nach Aufwartung und Stimmung tapfer gehalten, suchte endlich auch sein Zimmer auf, da er merkte, dass man in guter Laune und Gesellschaft des Guten leicht zu viel tun könne. Leider fand er auf seinem Zimmer die Ruhe und Behaglichkeit nicht, welche er erwartet hatte, denn kaum in seinem alten Lederlehnstuhle sitzend, gewahrte er auf dem Tische vor sich ein amtsmäßig versiegeltes Paket, welches er öffnete und las, worauf der Ausdruck seines Gesichtes sich augenblicklich verdüsterte; seine gute, fast gehobene Stimmung war mit einem Male dahin. Und dies war im Grunde nicht zu verwundern, da er unglücklicher Weise gerade jetzt wieder eine Zuschrift des Advokaten mit einer Expensnote erhalten hatte. Die Note musste unverweilt bezahlt werden, wenn der Anwalt in der Vertretung seiner Partei nicht lass werden und dem Gegner zu guter Letzt das Feld räumen sollte.

Expensnote! Jetzt! Welche Ironie nach dem wohlgenährten Jubel sie zwei Stunden! Diese Note war eine bittere Pille auf das Zweckessen und eine peinliche Ernüchterung aus den rasch aufschießenden Siegeshoffnungen.

Der Klosterwirt rieb sich kopfschüttelnd die Stirne, als wolle er sich besinnen, wieso es denn möglich gewesen, in solche Illusionen hineinzugeraten. Er war sehr geneigt, den leicht zu betörenden »Weibern« im Hause die Schuld zuzuschreiben, da eben sie ihn so angelegentlich auf den jungen – allerdings seltenen und unterhaltenden – Fremden aufmerksam gemacht, ihn förmlich als Retter aufgedrungen hatten.

»Man war ja seines Lebens kaum sicher, wenn man Einwendungen machen, das Rettungswerk nicht begreifen wollte!« murrte er, indem er die Schrift auf das Knie sinken ließ und mit der rechten Hand ärgerlich darauf schlug.

»Da haben wir's nun«, fuhr er fort, »hier die Expensnote – und binnen kurzer Zeit ein Hagel von Spott über Siegesrausch und Tafelfreuden … Und was tut der Fremde jetzt? Womit entschuldigen die Weiber ihre Narrheit? Sie stecken die Köpfe zusammen und überlassen dem Zufall, was werden soll!«

Meinböck warf das Aktenstück zornig auf den Tisch und stieß es weiter von sich – als sich ein leises, schüchternes Klopfen an der Türe hören ließ.

»Herein!« rief Meinböck verdrossen.

Die Türe ging auf, und herein trag der Wirt vom »goldenen Löwen« in Alt-Breisheim.

»Der kommt mir gerade recht«, dachte Meinböck und meinte nicht anders, als das der Wirt wieder einen Versuch machen wolle, einen Beitrag zu den gehabten Auslagen für Verpflegung des Prozessgauls zu erhalten.

»Guten Tag«, sagte der Löwenwirt, »ist's erlaubt? Darf einem wieder Nachfrag' gehalten werden nach Ihrem Befinden?«

»Wenn' s weiter nichts ist – das Fragen darf man einem alten Freund schon erlauben«, erwiderte Meinböck störrig. »Ist's gefällig, Platz zu nehmen? Was haben wir weiter?«

»Nicht viel – aber einmal auch was Gutes«, sagte der Löwenwirt lächelnd.

»Euch passiert so was noch, dafür seid Ihr eben eine Ausnahm'«, warf Meinböck hin.

»Ei, ei, Meinböck, ich hab' Euch lustiger zu finden vermeint, man redet jetzt so viel Erfreuliches über Euch und Euer Haus!«

»Redet man? Was redet man nicht?« warf Meinböck stirnrunzelnd hin. »Kommt Ihr in einem Auftrag oder habt ihr ein Begehr?«

»Eine Meldung habe ich zu machen … den Roland …«

Meinböck fuhr bei diesem Namen empor und starrte den Sprecher an, der sich aber nicht irre machen ließ und fortfuhr:

»Der Roland, Euer Widerpart, hat mir sagen lassen, dass er gesonnen sei, mir meine Auslagen für den Prozessgaul zu vergüten. Ich bin bei ihm gewesen und habe den Betrag auch wirklich erhalten; das zu melden, bin ich da!«

Meinböck schaute den Sprecher noch erstaunter an, und suchte sich zu fassen, dann sagte er:

»Was hab' ich mit dieser Meldung zu schaffen?«

Eine eigentümliche Bewegung bemächtigte sich seiner, und er fügte nach einer Pause hinzu:

»Nun, wer zur Einsicht kommt, tut immer recht, das Verschulden wieder gut zu machen; es war Rolands Sache …«

»Recht, ganz recht«, fiel der Löwenwirt lächelnd ein, »aber eine Erkenntnis kommt selten allein …«

»Sind dem Roland noch andere gute Gedanken gekommen?« fragte der Meinböck scheinbar unwirsch, innerlich aber gespannt aufhorchend.

»Eben das – Gedanken – die man aber nicht gern ins Blaue hinein spazieren gehen lässt, wenn man nicht weiß, dass sie am rechten Ort ein angemessenes Gehör finden.«

»Verständlicher!« rief Meinböck aufstehend und seine Überraschung immer weniger verbergend. »Habt Ihr mir was auszurichten? Macht keine Umstände! Ihr wisst, mir steigt's zu Kopf, wenn ich gewisse Leute nur nennen, von gewissen Dingen nur reden höre!«

»Auch nach dem, was ich gesagt habe? … Dann tut's mir leid – dann will ich lieber unverrichteter Sache fort«, sagte der pfiffige Löwenwirt und erhob sich vom Stuhle.

»Tollheit!« rief Meinböck und ging mit großen Schritten hin und wider. »Nun Ihr einmal da seid – und die Sache mit den Fingerspitzen angerührt ist …«

»Nun so will ich mit Verlaub noch andeuten, dass der Roland im Sinne hat, heute, wenn es dunkel wird, an Euern Mühlbach zum großen Stein herabzukommen und nachzusehen, ob jemand – dem die ganze Prozesssache nahe liegt – es der Mühe wert findet – auch dahin zu kommen und Aug' in Auge, wie immer etwas am besten geordnet wird, vielen Sorgen, vielen Kümmernissen ein Ende zu machen …«

Der Löwenwirt hielt inne und folgte dem auf- und abschreitenden Meinböck unverwandt mit den Augen.

Erst nach langer Pause sagte der Letztere, ohne in seiner Wanderung inne zu halten:

»Ob jemand, dem die Prozesssache nahe liegt, es der Mühe wert findet, langen Kümmernissen und Sorgen ein Ende zu machen? … hm … Ich sollte beim Stein am Bache nicht vergebens warten dürfen … Ist sonst noch etwas, das Ihr zu melden habt?«

»Roland hat mir nichts weiter aufgetragen – doch hab' ich vieles in seinen Augen lesen können, das den Wirt zum Klosterhof anging; auch glaube ich vernommen zu haben, wie er stille für sich sagte: ›Ich hätte an dem Freund nicht irre werden sollen!‹«

Meinböck stand stille, sah den Unterhändler prüfend an, dann sagte er, halb abgewendet und in Gedanken:

»Wenn's dunkel wird, zündet man Lichter an – warum soll's beim Stein am Bache nicht licht werden, wenn der Abend kommt? Einer, der Buße tut, ist dem Himmel lieber als neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen … Löwenwirt, ich will beim Stein am Bach meinen Abendgang machen!«

Er reichte dem Löwenwirt die Hand, bot ihm eine Erfrischung an, die dieser ablehnte, und als er wieder allein im Zimmer war, fuhr er mit großer Lebhaftigkeit heraus:

»Geschehen Zeichen und Wunder? Roland tut den ersten Schritt zum Ausgleich? … Was hat da geholfen? Ich kann es nicht fassen, kaum glauben!«


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