Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Von dem, was mir am Hofe zustieß, sobald ich daselbst ankam, bis es Nacht wurde.

—————

Um zehn Uhr morgens kamen wir in der Residenz an und begaben uns gemeinschaftlich nach dem Haus des Freunds, des Don Toribio, um daselbst abzusteigen. Wir näherten uns der Tür, und er klopfte an. Ein armselig gekleidetes, sehr altes Mütterchen öffnete. Er fragte nach den Freunden, und sie antwortete, sie wären ausgegangen, um zu fischen. Wir blieben allein, bis es zwölf schlug, und vertrieben uns die Zeit damit, er, daß er mich zur Wissenschaft des wohlfeilen Lebens ermunterte, und ich damit, daß ich auf alles aufmerksam war.

Um halb eins trat ein Gespenst zur Tür herein, gekleidet bis auf die Füße in Boi, der abgetragner war als seine Schamhaftigkeit. Die beiden sprachen Rotwelsch miteinander, und der Erfolg war, daß er mich umarmte und mir seine Dienste anbot. Wir plauderten eine Weile, und er zog einen Handschuh hervor mit sechzehn Realen und einen Brief (er sagte, es sei ein Erlaubnisschein für eine arme Frau zu betteln), mit dem er sie zusammengebracht hatte. Er leerte den Handschuh, zog einen andern hervor und rollte sie, nach der Ärzte Brauch, zusammen. Ich fragte ihn, warum er sie nicht anzöge, und er sagte, weil beide von einer Hand wären; dies sei ein Kunstgriff, Handschuhe zu haben. Ich bemerkte, daß er sich währenddes nicht aufdeckte, und fragte ihn, als ein Neuling, um es zu erfahren, worauf er erwiderte: »Mein Sohn, ich hab auf den Schultern ein Katzenloch und daneben einen Flicklappen von Flanell und einen Ölflecken. Dieses Stück Mantel bedeckt es und so kann man ausgehn.« – Er deckte sich auf, und ich wurde gewahr, daß er unter dem Rock einen großen Wulst hatte. Ich meinte, es wären Hosen, weil es nach Art der Hosen war; als er sich aber, um sich zum Lausen beiseite zu begeben, aufschürzte, sah ich, daß es zwei Rollen von Pappe waren, die er an den Gürtel angebunden trug und in denen die Schenkel staken, dergestalt, daß sie Figur machten unter dem Trauerkleide; denn er hatte weder Hemd noch Hosen, so daß er kaum etwas zu lausen hatte, so nackt ging er. Er trat in die Lausekammer und wandte ein Täfelchen um, wie die, die man in den Sakristein aufhängt, auf dem stand: Ein Lauser ist drin; damit kein andrer hineinginge. Großen Dank brachte ich Gott dar, da ich sah, wieviel er den Menschen verliehn, indem er ihnen Erfindsamkeit gab, wenn er ihnen auch Reichtümer versagt hat.

»Ich komme,« sagte mein guter Freund, »von der Reise mit Hosenweh, und so werde ich mich beiseite begeben müssen, sie auszubessern.« – Er fragte, ob einige Flicklappen vorrätig wären, und die Alte, die zwei Tage in der Woche Lumpen auf den Straßen auflas wie die Papiermacher, um die unheilbaren Dinge der Ritter zu heilen, sagte nein! und daß aus Mangel an Lappen Don Lorenzo Iñiguez del Pedroso seit vierzehn Tagen das Bett hüte wegen der Krankheit seines Rocks.

Damit waren wir beschäftigt, als einer ankam in Reisestiefeln, einem grauen Rock und einem Hut, mit auf beiden Seiten aufgeschlagnen Krempen. Er erfuhr meine Ankunft von den übrigen und redete mich mit vieler Freundlichkeit an. Er legte den Mantel ab und trug darunter (bedenken Euer Gnaden, wer auf so etwas fallen würde!) ein Wamms, dessen Vorderteil von grauem Tuch war und das Hinterteil von weißer Leinwand und einem Futter von Schweiß. Ich konnte das Lachen nicht unterdrücken, und er sagte mit verstellter Gravität: »Er wird sich schon an den Dienst gewöhnen und nicht mehr lachen. Ich wollte wetten, daß er nicht weiß, warum ich diesen Hut mit in die Höhe geschlagner Krempe trage.« – Ich sagte: »Aus Galantrie, und um den Blick frei zu haben.« – »Im Gegenteil, um ihn abzuhalten,« antwortete er. »Wißt, es geschieht, weil er keinen Deckel hat, damit man es nicht so sehe.« – Und mit diesen Worten zog er mehr als zwanzig Briefe hervor und ebensoviele Realen und sagte, er hätte sie nicht abgeben können; ein jeder brächte einen Real Porto ein, und sie wären von ihm selbst geschrieben; er setze irgend eine Unterschrift darunter, wie es ihm eben einfiele, schriebe Neuigkeiten, die er erfände, an die angesehensten Personen, gäbe sie in diesem Anzug ab und zöge das Porto ein, und dies tue er jeden Monat. Es setzte mich in Erstaunen, die Neuheit dieser Lebensart zu sehn.

Bald darauf traten zwei andre herein, der eine in einer Jacke von Tuch, die die halben Beinkleider verdeckte, und einem Mantel eben davon, die Halskrause in die Höhe stehend, damit man die grobe Sackleinwand nicht sähe, die zerrissen war. Die Hosen waren von Kamelot, aber nicht weiter als sie sichtbar waren, das übrige war von farbigem Flanell. Dieser trat herein zankend mit dem andern, der einen breiten Hemdkragen trug, weil er keine Halskrause hatte, und ein paar umgehängte Pulverflaschen, weil ihm ein Mantel fehlte, nebst einer Krücke, das eine Bein umwickelt mit Lappen und Fellen, weil er nicht mehr als einen Strumpf hatte. Er gab sich für einen Soldaten aus, und er war es auch gewesen, wiewohl ein schlechter und nur an friedlichen Orten. Er erzählte seine außerordentlichen Taten, und unter dem Ehrennamen eines Soldaten drängte er sich allenthalben ein. Der in der Jacke und den halben Hosen sagte: »Die Hälfte seid Ihr mir schuldig, oder zum wenigstens einen großen Teil; wenn du ihn mir nicht gibst, so schwöre ich bei Gott …« »Schwört nicht bei Gott,« sprach der andre; »denn wenn ich nach Haus komme, bin ich nicht lahm, und ich werde Euch mit dieser Krücke tausend Prügel geben.« – »Schlag nur her, so schlag ich hin.« – Und indem einer den andern Lügen strafte, stürzten sie übereinander her, und als sie sich anpackten, blieben ihnen die Fetzen der Kleider in den Händen, gleich beim ersten Ruck. Wir brachten sie zur Ruhe und fragten nach der Ursache des Streits. Der Soldat sagte: »Mit mir spaßen? Du sollst nicht ein halbes haben. – Euer Gnaden müssen wissen, daß, als ich eben zu St. Salvador war, ein Kind zu diesem Schuft kam und ihn fragte, ob ich der Fähnrich Juan de Lorenzana wäre; er antwortete ja, da er bemerkte, daß es, ich weiß nicht was, in den Händen trug. Er brachte es zu mir und sagte, indem er mich Fähnrich nannte: sehn doch Euer Gnaden, was dieses Kind von Ihnen will. – Da ich ihn verstand, so sagte ich, daß ich es wäre, nahm die Botschaft an, und mit ihr ein Dutzend Schnupftücher, und antwortete seiner Mutter, die sie einem dieses Namens schickte. Jetzt fordert er von mir die Hälfte; aber eher will ich mich in Stücke reißen lassen, als ich sie ihm gebe; alle sollen meine Nase zerreißen.« – Der Streit wurde zu seinen Gunsten entschieden, nur widersprach man ihm, daß er sich hineinschneuzen wolle, und man gebot ihm, sie der Alten zu übergeben, um die Genossenschaft damit zu ehren, indem sie Halbärmel daraus mache, die man sehn könne und die Hemden vorstellten; denn das Schneuzen sei ja verboten.

Es wurde nacht, und wir legten uns nieder, so nah aneinander geschmiegt, daß wir Instrumenten in einem Etui glichen. Die Abendmahlzeit wurde übergangen. Die meisten kleideten sich nicht aus; denn da sie sich niederlegten, wie sie bei Tag gingen, so erfüllten sie das Gebot, nackt zu schlafen.


 << zurück weiter >>