Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Von meiner Flucht und den Vorfällen auf der Flucht, bis an den Hof.

Es reiste diesen Morgen aus dem Wirtshause ein Fuhrmann mit Gepäck an den Hof ab. Er hatte einen Esel bei sich, vermietete mir ihn, und ich ging, ihn zu erwarten, vor das Stadttor. Er kam, ich setzte mich auf und begann meine Reise. Im Reiten sagte ich bei mir selbst: hier magst du bleiben, du Schurke, du Schänder ehrlicher Leute, du Nackenreiter! – Ich überlegte, daß ich an den Hof ging, wo mich niemand kannte, was mich am meisten tröstete, und daß ich mir forthelfen müsse durch meine Erfindsamkeit und mein Geschick. Da nahm ich mir vor, bei meiner Ankunft meine Kleider abzulegen und einen kurzen Rock nach der Mode zu tragen.

Aber kommen wir zurück auf das, was mein genannter Oheim tat, beleidigt durch den Brief, der in dieser Form lautete:

Brief:

Herr Alonso Ramplon! Nachdem mir Gott so ausgezeichnete Gnade erwiesen hat, als da ist, mir meinen guten Vater hienieden wegzunehmen und meine Mutter in Toledo zu verwahren, wo sie zum wenigsten, wie ich weiß, in Rauch aufgehn wird: so fehlt mir nichts, als das an Euer Edeln geschehn zu sehn, was Sie an andern tun. Ich trachte danach, der Einzige meiner Familie zu sein, denn zwei ist unmöglich, wenn ich nicht etwa in Ihre Hände falle und Sie mich zerstücken, wie Sie andern tun. Forschen Sie nicht nach mir; denn es liegt mir daran, unsre Verwandtschaft zu verleugnen. Dienen Sie dem König, und Gott befohlen!

Es ist unnötig, die Verwünschungen und Schimpfwörter zu beschreiben, die er gegen mich ausgestoßen haben mag; kommen wir wieder auf meine Reise.

Ich ritt auf dem Grauschimmel von la Mancha, voll Verlangen, niemandem zu begegnen, als ich von weitem einen Edelmann mit schnellen Schritten kommen sah, mit umgeschlagnem Mantel, umgürtetem Degen, angenestelten langen Hosen und Stiefeln und dem Ansehn nach gut ausstaffiert; die Halskrause offen, den Hut auf der Seite. Ich vermutete, daß es irgend ein Kavalier sei, der seine Kutsche zurückgelassen haben mochte, und so grüßte ich ihn, als er mich einholte. Er betrachtete mich und sagte: »Euer Edeln, Herr Lizentiat, werden auf diesem Esel mit weit mehr Bequemlichkeit reisen, als ich mit aller meiner Zurüstung.« – Da ich glaubte, er sagte dies in Beziehung auf Kutsche und Bedienten, die er zurückgelassen hatte, antwortete ich: »In Wahrheit, Señor, ich halte es für ein weit bequemres Reisen als das in einer Kutsche; denn obwohl Euer Gnaden in der fahren mögen, die Sie langsam hinterher kommen lassen, so werden doch die Stöße, die sie gibt, beschwerlich.«

»Was für eine Kutsche hinterher?« – fragte er sehr betroffen; und indem er sich umdrehte und sich Gewalt antat, fielen ihm die Hosen herunter, weil der einzige Nestel riß, der sie hielt. Ich starb beinah vor Lachen, ihn so zu sehn, und er bat mich, ihm einen zu leihen. Als ich bemerkte, daß man von seinem Hemd nichts erblickte als ein schmales Streifchen und daß er das Steißbein nur zum halben Aug verhüllt hatte, Besondre Art der Frauenzimmer in Toledo, sich zu verschleiern, indem der Schleier nur das eine Auge bedeckt, das andre aber frei läßt. sagte ich zu ihm: »Bei Gott, Señor, wenn Euer Gnaden nicht auf Ihre Bedienten warten, ich kann Ihnen nicht helfen; denn ich hab ebenfalls nur einen einzigen Nestel.«

»Wenn Euer Edeln Spott treiben wollen,« erwiderte er, mit den Hosen in der Hand, »immerhin! denn ich versteh das nicht mit den Bedienten.« – Und er entdeckte sich mir so weit, in Rücksicht der Armut, daß er mir auf einer halben Meile Wegs, die wir zusammenreisten, gestand, wenn ich ihm nicht die Gefälligkeit erzeigte, ihn eine Weile auf meinen Esel steigen zu lassen, wäre es ihm nicht möglich, die Residenz zu erreichen, weil er vom Gehn mit den Hosen in der Hand ermüdet sei. Zum Mitleid bewegt stieg ich ab, und da er die Hosen nicht loslassen konnte, so half ich ihm aufsteigen, und entsetzte mich über das, was ich beim Anfassen entdeckte; denn am Hinterteil, das der Mantel bedeckte, hatten die Hosenschlitze den bloßen Hinterbacken zum Unterfutter. Da er merkte, was ich gesehn hatte, kam er mir, als ein verständiger Mann, zuvor und sagte: »Herr Lizentiat, nicht alles ist Gold, was glänzt. Es mußte Euer Edeln scheinen, als Sie meine offne Halskrause und meinen Anstand sahn, daß ich ein Graf von Irlos wäre. Wie viele bedecken in der Welt das, was Euer Edeln berührt haben mit ähnlichen Lumpen.« – Ich sagte zu ihm, ich könne ihm versichern, mir ganz andre Dinge eingebildet zu haben, als ich gesehn hatte. – »Nun denn,« erwiderte er, »noch nichts haben Euer Edeln gesehn; denn alles, was ich habe, ist an mir zu sehn, weil ich nichts verberge. Euer Edeln sehen hier in mir einen Edelmann, echt und gerecht, von Familie und Stamm aus dem Gebirge; und wenn mein Adel mich so erhielte, als ich ihn erhalte, so hätte ich nichts mehr zu wünschen. Aber, Herr Lizentiat, ohne Brot und Fleisch erhält sich kein gutes Geblüt, und durch die Barmherzigkeit Gottes haben es alle rot, und der kann kein Edelmann sein, der keins hat. Schon habe ich einsehn gelernt, was Adelsbriefe wert sind, seitdem man mir eines Tags, als ich nüchtern war, in einer Garküche nicht zwei Bissen darauf geben wollte. Wollte man etwa sagen: Haben Sie denn keine goldnen Buchstaben? aber mehr würde das Gold wert sein an Pillen als an den Buchstaben und von mehr Nutzen. Und bei alledem, so gibt es doch nur sehr wenig Buchstaben mit Gold. Ich habe sogar meinen Begräbnisplatz losgeschlagen, um nicht einmal so viel zu haben, worauf ich tot niederfallen kann; denn das Vermögen meines Vaters Toribio Rodriguez Vallejo Gomez de Ampuero (alle diese Namen hatte er) ging durch eine Bürgschaft verloren. Nur das Don ist mir noch zu verkaufen geblieben, und ich bin so unglücklich, niemanden zu finden, der es benötigte; denn wer es vorn nicht hat, hat es hinten, wie der Schuhflicker, Totengräber, Fahnenträger, Glöckner, Pilger und noch andere mehr.« Im Spanischen endigen alle diese Worte mit don: remendon, azadon, pondon, baldon, bordon.

Ich gestehe, weil die Unglücksfälle des genannten Edelmanns mit Lächerlichem vermischt waren, unterhielten sie mich. Ich fragte ihn, wie er sich nenne, wohin er reise, und in welcher Absicht. Er nannte alle Namen seines Vaters: Don Toribio Rodriguez Vallejo Gomez de Ampuero y Jordan. Niemals hörte man einen so hochtönenden Namen; denn er endigte mit dan und fing an mit don, wie Glockenklang. Darauf sagte er, er gehe an den Hof; denn ein abgetragner Erstgeborner, wie er, röche in einem kleinen Ort in zwei Tagen übel und könne sich nicht erhalten. Deshalb gehe er in das gemeinsame Vaterland, wo alle Aufnahme finden und wo es Freitische gibt für abenteuernde Mägen. »Und niemals, wenn ich da einziehe, fehlen mir hundert Realen im Beutel, ein Bett, zu essen, und auch Vergnügungen von der verbotnen Art; denn die Industrie am Hof ist der Stein der Weisen, der alles in Gold verwandelt, was er berührt.«

Ich sah den Himmel offen, und unter dem Vorwand der Unterhaltung auf dem Weg, bat ich ihn, mir zu erzählen, wie und mit wem am Hofe die lebten, die nichts hätten, wie er; denn es schien mir schwierig, nicht allein, daß ein jeder ausreiche mit seinem eignen Vermögen, sondern auch, daß man sich auch noch fremdes verschaffen könne.

»Viele gibt es von diesen, mein Sohn, und viele von jenen. Die Schmeichelei ist der Hauptschlüssel, der an solchen Orten alle Herzen öffnet: und damit dir das, was ich dir sage, nicht unbegreiflich scheine, so höre meine Begebenheiten und meine Anschläge, und sie werden dir diesen Zweifel lösen.«


 << zurück weiter >>