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Viertes Kapitel.

Genesung und Reise zum Studieren nach Alcala de Henares.

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Wir kamen in das Haus des Don Alonso, und man legte uns mit vieler Behutsamkeit in zwei Betten, damit unsre vom großen Hunger abgenagten Knochen nicht auseinanderfielen. Man holte Ausspäher, die uns die Augen im ganzen Gesicht suchen mußten, und da meine Drangsale größer und mein Hunger kaiserlich gewesen war (denn im Grund behandelte man mich doch nur als einen Bedienten), so fand man sie bei mir eine gute Weile nicht. Es wurden Ärzte gerufen, und sie befahlen, man möchte uns mit Fuchsschwänzen den Staub vom Mund fegen wie von Gemälden; und allerdings waren wir Gemälde des Jammers. Sie verordneten, daß man uns Kraftsuppen und Fleischbrühen gäbe.

Wer könnte wohl die Freudenfeste beschreiben, die unsre Eingeweide bei der ersten Mandelmilch und dem ersten Vogel vor Wohlbehagen feierten? Alles war ihnen neu. Es befahlen die Doktoren, daß innerhalb neun Tagen niemand laut in unserm Zimmer spräche; denn da unsre Mägen so hohl waren, tönte in ihnen das Echo eines jeden Worts.

Durch diese und andere Vorkehrungen fingen wir an, uns zu erholen und einige Kräfte zu bekommen; noch konnten sich aber unsre Backen, die grau und runzlich waren, nicht auseinanderfalten, und deshalb wurde verordnet, daß man sie uns jeden Tag über eine Mörserkeule ziehn sollte. Wir standen nach vier Tagen auf, um Schrittchen machen zu lernen, und noch schienen wir Schatten andrer Menschen, und wegen unsrer Gelbheit und Abgezehrtheit Nachkommen von den Vätern der Wüste. Den ganzen Tag brachten wir damit zu, Gott zu danken, daß er uns aus der Gefangenschaft des unmenschlichen Ziege erlöst habe, und baten den Herrn, keinen Christen mehr in seine grausamen Hände fallen zu lassen. Wenn wir uns zufällig einmal bei Tisch der Mahlzeiten des argen Kostvaters erinnerten, vermehrte sich unser Hunger so sehr, daß wir an diesem Tag die Portionen vergrößerten. Wir pflegten dem Don Alonso zu erzählen, wie er, wenn wir uns zu Tisch setzten, auf die Völlerei geschmäht habe, da er sie doch in seinem ganzen Leben nicht gekannt hatte, und der lachte sehr, wenn wir ihm sagten, daß er zu dem Gebot: Du sollst nicht töten, auch Rebhühner, Kapaunen und alle die Dinge zählte, die er uns nicht geben wollte, und folglich auch den Hunger; denn es schien, daß er es für eine Sünde hielt, nicht nur ihn zu töten, sondern auch ihn zu nähren; so sehr scheute er das Essen.

So verflossen uns drei Monate, nach deren Ablauf Don Alonso damit umging, seinen Sohn nach Alcala zu schicken, damit er erlerne, was ihm noch an Sprachstudien mangelte. Er fragte mich, ob ich mitgehn wollte, und ich, der ich nichts andres wünschte, als aus dem Lande zu kommen, wo man den Namen jenes verwünschten Magenfeinds hörte, erbot mich, seinen Sohn zu seiner Zufriedenheit zu bedienen. – Und so gab er ihm noch einen Bedienten als Haushofmeister mit, der sein Hauswesen verwalten und über das Ausgabegeld Rechnung führen sollte, das er uns in Wechseln gab auf einen Mann, der sich Julian Merluza nannte. Wir luden das Gepäck auf den Wagen eines gewissen Diego Monge; es bestand aus einem Halbbettchen und einem Gurtbett mit Rädern, das unter das meinige und das des Haushofmeisters geschoben werden sollte, der Aranda hieß, nebst fünf Matratzen und acht Betttüchern, acht Kissen, vier Teppichen, einem Koffer mit weißer Wäsche und dem übrigen Hausgerät. Wir setzten uns in eine Kutsche, reisten in der Abenddämmerung eine Stunde vor Nacht ab und erreichten um Mitternacht die ewig verwünschte Schenke von Viveros. Der Wirt war ein Maure und Spitzbube, und in meinem Leben sah ich nie Hund und Katze so in Frieden beisammen, als an diesem Tag. Die Spanier nennen die Mauren perros, Hunde, und die Spitzbuben gatos, Katzen. Er erwies uns viel Höflichkeit, und da er und die Knechte des Fuhrmanns müßig standen (denn die waren schon mit dem Gepäck vorher angekommen, weil wir langsam fuhren), drängte er sich an die Kutsche heran, reichte mir die Hand, vom Auftritt herabzusteigen, und fragte mich, ob ich zum Studieren reise. Ich antwortete ja! Er führte mich hinein. Drinnen befanden sich zwei Kuppler mit einigen Weibsbildern, ein Pfarrer, der beim Speisengeruch betete, ein alter geiziger Kaufmann, bemüht, das Abendessen zu vergessen, und zwei durchtriebne Studenten, Schmarotzer, die auf Gelegenheit sannen, etwas zu schlucken.

Mein Herr nun, als Neuling in Wirtshäusern und als junger Mensch, sagte: »Herr Wirt, gebt her was zu haben ist, für mich und zwei Diener.« – »Wir alle sind Euer Gnaden Diener,« sagten sogleich die Kuppler, »und wir werden Sie bedienen. Holla, Herr Wirt! bedenkt, daß dieser Kavalier erkenntlich sein wird für das, was Ihr tut; leert die Vorratskammer!« – Daraufhin kam der eine herzu, nahm ihm den Mantel ab mit den Worten: »Machen es Euer Gnaden sich bequem, gnädiger Herr!« – und legte ihn auf eine Bank. Ich wurde darüber ganz übermütig und betrachtete mich als Herrn der Schenke. Es sagte eine der Nymphen: »Welch ein schöner Kavalierwuchs! Und er geht zum Studieren? Euer Gnaden sind wohl sein Bedienter?« – Ich antwortete, ich meine, daß es so sei, wie sie sagten, wir wären es, ich und der andre. Sie fragten mich nach seinem Namen, und kaum hatte ich ihn gesagt, als einer der Studenten halb weinend auf ihn zulief, ihn fest umarmte und rief: »Ach, Señor Don Diego! wer hätte mir es vor zehn Jahren gesagt, daß ich Euer Gnaden sehn sollte auf diese Weise? Ich Unglücklicher, der ich in einem Zustand bin, daß mich Euer Gnaden nicht kennen werden!«

Mein Herr war erstaunt und ich ebenfalls: denn wir schworen beide, ihn in unserm Leben nicht gesehn zu haben. Der andre Gesell schaute dem Don Diego ins Gesicht und sagte zu seinem Freund: »Ist dies der Herr, von dessen Vater Ihr mir so vieles erzählt habt? Groß ist unser Glück, ihn getroffen und erkannt zu haben, da er so groß geworden ist, Gott behüte ihn!« – und fing an, sich zu kreuzen. (Wer hätte nicht glauben sollen, sie wären mit uns auferzogen worden?) Don Diego bot ihm seine Dienste an, und indem er ihn nach seinem Namen fragte, trat der Wirt herein, deckte das Tischtuch auf, und da er die Schelmerei roch, sagte er: »Laßt das! nach dem Essen kann man davon sprechen, sonst wird es kalt!« – Es trat ein Kuppler herzu, setzte Stühle für alle und einen Sessel für Don Diego, und der andre trug eine Schüssel auf. Die Studenten sagten: »Speisen Euer Gnaden; während man für uns anrichtet, werden wir Ihnen bei Tisch aufwarten.« – »Jesus!« sagte Don Diego, »setzen sich doch Euer Gnaden, wenn es Ihnen gefällig ist.« – Darauf antworteten die Kuppler, mit denen gar nicht gesprochen wurde: »Gleich Señor! denn noch ist nicht alles in Ordnung.«

Da ich die einen eingeladen und die andern sich selbst einladen sah, wurde ich ganz betrübt und fürchtete das, was auch erfolgte. Die Studenten nahmen nämlich den Salat, der auf einer ziemlich großen Schüssel war, und sagten, indem sie meinen Herrn dazu ansahn: »Es ist nicht billig, daß da, wo ein so vornehmer Kavalier sich befindet, diese Damen aufs Essen warten sollen. Befehlen Euer Gnaden, daß sie einen Bissen zulangen.« – Er, den Höflichen spielend, lud sie ein. – Sie setzten sich und ebenso die Studenten, und sie ließen auf vier Bissen nichts übrig als ein Salatherz, das Don Diego aß, und als es ihm jener verwünschte Student darreichte, sagte er: »Einen Großvater hatten Euer Gnaden, einen Onkel meines Vaters, der, wenn er Salat sah, ohnmächtig wurde; das war ein tüchtiger Mann!« – Und dies sagend, steckte er ein Brötchen ein und der andre ein zweites. Auch die Nymphen hatten schon ein Brot in Sicherheit gebracht, und wer am meisten aß, war der Pfarrer, doch bloß mit den Augen.

Die Kuppler setzten sich zu einem halben gebratnen Zicklein, zwei Stücken Speck und einem Paar gekochten Tauben und sagten: »Nun, Pater, bleibt Ihr denn dort? kommt und langt zu; denn unser Herr Don Diego erweist uns allen Höflichkeit.« – Kaum hatten sie dies gesagt, als er sich setzte. Da mein Herr nun sah, daß alle sich eingedrängt hatten, fing er an mißmutig zu werden. Sie teilten alles aus, und Don Diego gaben sie, ich weiß nicht was für Knochen und Flügel; das übrige verschlangen der Pfarrer und die andern. Die Kuppler sagten: »Eßt nicht zuviel, Señor, es möchte Euch nicht bekommen;« – und der verwünschte Student setzte hinzu: »Um so mehr, da es nötig ist, sich zu gewöhnen, wenig zu essen, wegen des Lebens in Alcala.

Ich und der andre Bediente baten Gott, er möchte ihnen ins Herz geben, etwas übrig zu lassen. Und als sie schon alles aufgegessen hatten und der Pfarrer die Knochen der andern noch einmal durcharbeitete, wendete sich der eine Kuppler um und sagte: »So wahr ich ein Sünder bin! wir haben den Bedienten nichts übrig gelassen. Kommt her, Ihr Herrn! He, Herr Wirt! gebt ihnen alles, was Ihr habt; hier ist eine Dublone!« – Schnell sprang der vermaledeite Vetter meines Herrn auf (ich meine den Studenten) und sagte: »Euer Gnaden verzeihn mir, mein Herr, Sie müssen wenig Lebensart verstehn. Kennen Sie etwa meinen Herrn Vetter? Er wird schon seinen Bedienten geben und auch den unsrigen, wenn wir welche hätten, wie er uns gegeben hat.« – Werden Euer Gnaden nicht unwillig, ich kannte ihn nicht. – Verwünschungen stieß ich gegen ihn aus, als ich so große Heuchelei sah, und meinte zu vergehn. Man deckte ab, und alle sagten zu Don Diego, er möchte sich niederlegen. Er wollte die Abendmahlzeit bezahlen, und sie erwiderten ihm, daß es morgen noch Zeit sei. Man unterhielt sich noch eine Weile, und er fragte den Studenten nach seinem Namen; der sagte, er heiße Don Carlos Coronel. In der tiefsten Hölle brenne der Betrüger, wo sie auch sei!

Er sah, daß der Geizhals schlief und sagte: »Haben Euer Gnaden Lust zu lachen? so spielen wir diesem Alten einen Possen; denn er hat auf dem ganzen Weg nichts gegessen als eine Birne und ist doch sehr reich.« – Die Kuppler sagten: »Immerhin, Herr Lizentiat! tut es, es ist recht!« – Damit näherte er sich ihm und zog dem armen Alten, der schlief, einen Quersack unter den Füßen vor, und als er ihn öffnete, fand er eine Schachtel und rief, gleich als wäre es Kriegsbeute, die andern herbei. Alle kamen herzu, und nachdem er sie aufgemacht hatte, sah er, daß sie voll Zuckerwerk war. Er nahm alles, was sie enthielt, heraus, und tat an dessen Stelle Steine, Holz und was er fand, hinein; dann entleerte er sich auf das Gemengsel und legte auf den Unrat ungefähr ein Dutzend Kalkstückchen, machte die Schachtel zu und sagte: »Das ist aber noch nicht genug, er hat auch einen Weinschlauch.« – Er goß den Wein heraus und füllte ihn, nachdem er zu unterst ein wenig Wein hineingeschüttet hatte, mit Wolle und Werg, das er aus einem unsrer Kutschkissen herausnahm, und machte ihn wieder zu. Darauf gingen alle sich eine Stunde oder eine halbe, die noch übrig war, niederzulegen; der Student steckte alles in den Quersack, und in die Kappe des Mantels tat er einen großen Stein und ging ebenfalls schlafen.

Die Stunde zum Aufbrechen kam; es erwachten alle, und nur der Alte schlief noch. Man rief ihn, und beim Aufstehn konnte er die Kappe des Mantels nicht in die Höh bringen. Er sah nach, was es war, und der Wirt zankte ihn verstellterweise aus und sagte: »Zum Henker, fandet Ihr nichts anders einzustecken, Vater, als diesen Stein? Was dünkt Euer Gnaden, wenn ich es nicht gesehn hätte? Eine Sache, die ich höher schätze als hundert Dukaten; denn er ist gut für Magenweh.« – Jener schwor und vermaß sich, und versicherte, daß er dergleichen nicht in die Kappe gelegt habe.

Die Kuppler machten die Rechnung, und sie stieg auf sechzig Realen, eine Summe, die Juan de Leganos selbst nicht herausgebracht hätte. Juan de Leganos, ein berühmter spanischer Rechenmeister. Die Studenten sagten: »Wir dürfen doch Euer Gnaden in Alcala aufwarten? – Wir waren ins reine mit der Rechnung, frühstückten einen Bissen, und der Alte nahm seinen Quersack; damit wir aber nicht sähen, was er herausnähme, und um mit niemandem teilen zu müssen, band er ihn im Dunkeln unter dem Mantel auf, ergriff ein besalbtes Kalkstück, steckte es in den Mund, biß mit einem und einem halben Backenzahn, den er noch hatte, darauf, und hätte sie beinahe ausgebissen. Er fing an auszuspucken und Geberden des Ekels und Schmerzes zu machen. Wir liefen alle zu ihm, der Pfarrer zuerst, und fragten ihn, was er hätte. Er fing an sich allen Teufeln zu übergeben und ließ den Quersack fallen. Der Student näherte sich ihm und sagte: »Weiche zurück, Satan! sieh das Kreuz!« – Der andere schlug ein Brevier auf, und sie machten ihn glauben, daß er besessen sei, bis er selbst sagte, was es wäre, und bat, sie möchten ihn lassen den Mund ausspülen mit ein wenig Wein, den er im Schlauch habe. Sie ließen ihn, er zog ihn hervor, öffnete ihn, und als er ein wenig davon in ein Glas gegossen hatte, kam ein von Wolle und Werg verwilderter Wein heraus, so bärtig und haarig, daß man ihn weder trinken, noch durchseihen konnte. Jetzt verlor der Alte vollends die Geduld; aber da er das unmäßige Gelächter sah, hielt er es für gut, zu schweigen und in den Wagen zu steigen mit den Kupplern und Dirnen. Die Studenten und der Pfarrer bestiegen einen Esel, und wir setzten uns in die Kutsche. Noch war sie aber nicht im Gang, als die einen und die andern anfingen uns auszuspotten, indem sie den Possen erklärten. Der Wirt sagte: »Herr Neuling, mit noch einigem Handgeld wie dieses werdet Ihr klug werden!« – Der Pfarrer sagte: »Ein Priester bin ich; jenseit werde ich Messe dafür lesen!« – Und der verwünschte Student rief: »Herr Vetter, ein andermal kratzt Euch, wenn es Euch beißt, und nicht hinterher!« – Der andre sagte: »Die Krätze wünsche ich Euer Gnaden, Herr Don Diego.« – Wir taten, als ob es uns nichts anginge; aber Gott weiß, wie beschämt wir waren.

Unter diesen und andern Zufällen kamen wir in die Stadt. Wir stiegen in einem Gasthofe ab, und den ganzen Tag (wir kamen um neun Uhr an) brachten wir zu, die letzte Abendmahlzeit zu berechnen; aber wir konnten mit der Berechnung durchaus nicht ins reine kommen.


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