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Dreizehntes Kapitel.

In dem der Edelmann seine Reise und das über sein Leben und seine Sitten Versprochne fortsetzt.

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Zuerst mußt du wissen, daß am Hof immer die Dümmsten, die Reichsten und Ärmsten, und das Äußerste aller Dinge anzutreffen sind; daß der Hof die Bösen verhehlt und die Guten verbirgt, und daß es an ihm gewisse Arten von Leuten gibt, wie ich, deren bewegliche und unbewegliche Habe man nicht kennt, noch sonst etwas von ihrem Herkommen weiß. Unter uns selbst unterscheiden wir uns durch verschiedne Namen: einige nennen wir gehaltlose, andre unbefruchtete, schale, abgemergelte und hundsähnliche Ritter. Unsre Schutzheilige ist die Industrie. Meistenteils haben wir leere Mägen; denn es ist eine schwere Arbeit, das Essen aus fremden Händen zu holen. Wir sind der Schrecken der Bankette, Schaben der Garküchen, und Gäste mit Gewalt. So beköstigen wir uns mit Luft und sind zufrieden. Wir sind Leute, die eine Lauchzwiebel essen und sie einen Kapaun vorstellen lassen. Kommt einer, uns zu besuchen, in unsre Häuser, so findet er unsre Zimmer voll von Hammel- und Vögelknochen und Schalen von Obst, die Tür versperrt mit Federn und Kaninchenfellen, was alles wir bei Nacht in der Stadt umher zusammenlesen, um uns bei Tage damit zu brüsten. Wir zanken, wenn ein Gast hereintritt: Ists möglich, daß ich es nicht dahin bringen kann, daß das Mädchen auskehrt? Verzeihn mir Euer Gnaden, es haben einige Freunde hier gespeist, und diese Bedienten usw. – Wer uns nicht kennt, glaubt, daß dem so sei, und es gilt für ein Gastmahl.

Aber was soll ich sagen von unsrer Art, in fremden Häusern zu speisen? Haben wir jemanden nur ein halbes Mal gesprochen, so kennen wir schon sein Haus, und immer zur Essenszeit, wenn wir wissen, daß er bei Tisch ist, sagen wir, daß uns die Zuneigung zu ihm herführe, weil es einen so verständigen Mann nicht in der Welt gäbe. Fragt man uns, ob wir schon gegessen haben, so sagen wir, wenn er selbst noch nicht angefangen hat, nein; ladet man uns ein, so warten wir nicht auf die zweite Einladung; denn aus diesem Zögern ist uns schon großes Fasten entsprungen; hat man schon angefangen, so sagen wir ja, und obwohl er den Vogel, das Brot oder Fleisch, oder was es sonst sei, sehr gut vorschneidet, so sagen wir doch, um Gelegenheit zu nehmen, einen Bissen zu schlucken: jetzt erlauben Euer Gnaden, ich will Ihnen als Vorschneider dienen! Er pflegte sich, Gott habe ihn selig! (und wir nennen einen verstorbnen Herrn, Herzog oder Grafen) mehr daran zu ergötzen, mich vorschneiden zu sehn, als zu essen. – Mit diesen Worten nehmen wir das Messer, schneiden kleine Bissen ab und fahren endlich fort: o! wie herrlich das riecht! wahrhaftig, es wäre Beleidigung für die Köchin, es nicht zu kosten. Welch eine geschickte Hand sie hat! – Indem wir so sagen und tun, geht als Probe die halbe Schüssel auf: die Rübe, weil sie Rübe, der Schinken, weil er Schinken, und alles, weil es das ist, was es ist. Wenn dies uns fehlschlägt, haben wir schon in irgend einem Kloster eine Brotsuppe in Bereitschaft. Wir nehmen sie aber nicht öffentlich, sondern im Verborgnen, indem wir die Mönche glauben machen, es geschehe mehr aus Andacht als aus Not. Der Mühe wert ist es, einen von uns in einem Spielhaus zu sehen, mit welcher Sorgfalt er aufwartet, die Lichter putzt, Nachttöpfe bringt, die Karten auflegt und die Sachen dessen, der gewinnt, lobpreist: alles, um einen armseligen Real Kartengeld.

Was unsre Kleidung betrifft, haben wir den ganzen Trödelmarkt im Gedächtnis, und wie es in andern Fällen eine bestimmte Stunde zum Beten gibt, haben wir eine, uns auszuflicken. Sehnswert ist die Mannigfaltigkeit der Dinge, die wir zustande bringen; denn da wir die Sonne für unsern erklärten Feind halten, weil sie unsre Lappen, Flicknähte und Hadern sichtbar macht, stellen wir uns, die Beine ausgespreitzt, des Morgens in ihren Schein, und beobachten im Schatten auf der Erde den, den die Lumpen und Fasern zwischen den Beinen machen, und nehmen mit einer Schere den Hosen den Bart ab; und da sie sich immer zwischen den Beinen so sehr abnutzen, ist es zu bemerken, wie wir hinten Stücke herausschneiden, um die Vorderteile damit zu besetzen. Das Hinterteil pflegt bei diesen Schnittwunden so gelassen zu bleiben, daß es sich mit dem bloßen Flanellfutter begnügt. Der Mantel allein weiß dies, und wir hüten uns vor windigen Tagen und auf helle Treppen oder zu Pferde zu steigen. Wir studieren Stellungen gegen das Licht und gehen an hellen Tagen mit enggeschlossnen Beinen und machen die Verbeugungen bloß mit den Knöcheln; denn wenn wir die Knie öffneten, würde man das Fensterwerk sehn.

Es ist kein Stück an unserm ganzen Körper, das nicht einmal etwas andres gewesen ist und nicht seine eigne Geschichte hat. Betrachten zum Beispiel Euer Edeln diese Jacke. Nun, sie war vorher eine Pluderhose und Enkelin eines Mantels und Urenkelin eines Schleppmantels, der sie anfangs war, und jetzt hofft sie noch Strumpfsohlen und viele andre Sachen zu werden. Diese Socken waren zuvor Schnupftücher, nachdem sie Handtücher und vorher Hemden gewesen waren, Töchter von Bettüchern, und zuletzt bedienen wir uns ihrer als Papier, und auf das Papier schreiben wir, und dann machen wir Pulver daraus, um die Schuhe damit aufzufrischen; denn ganz unheilbare habe ich mit dergleichen Heilmitteln wieder aufleben sehn.

Was soll ich aber sagen von der Art, wie wir uns des Nachts von den Lichtern wegwenden, damit man nicht unsre haarlosen Mäntel und unbärtigen Wämser sehe? denn nicht mehr Haare sitzen drauf als auf einem Kiesel, weil Gott es gefallen hat, sie uns am Bart zu geben und am Mantel zu nehmen. Und um nicht für den Barbier Ausgaben zu haben, kommen wir immer überein, zu warten, bis einer von uns lange Haare hat, und dann barbieren wir uns einer den andern, recht nach dem Evangelium: helft euch wie gute Brüder! Auch tragen wir Sorge, nicht in die Häuser der andern zu gehn, wenn wir wissen, daß einer bei denselben Leuten Eintritt hat, die der andre besuchen wollte. Merkwürdig ist es, wie eifersüchtig die Mägen aufeinander sind.

Wir sind verpflichtet, jeden Monat einmal, wäre es auch nur auf einem Eselsfüllen, öffentlich durch die Straßen zu reiten und einmal im Jahre in einer Kutsche zu fahren, wenn es auch nur vorn auf dem Kutschkasten oder hinten auf dem Hintergestell wäre. Wenn wir aber einmal innerhalb der Kutsche sitzen, so ist zu bemerken, daß es immer am Schlage sein muß, den ganzen Hals herausgestreckt, indem wir Verbeugungen machen, damit uns jedermann sehe, und mit unsern Freunden und Bekannten reden, obschon sie nach einer andern Seite hin sehen. Wenn uns etwas beißt in Gegenwart von Damen, haben wir artige Erfindungen, uns öffentlich zu kratzen, ohne daß man es bemerke; ist es am Schenkel, erzählen wir, wir hätten einen Soldaten an diesem Teil sehr verwundet gesehn, und zeigen mit der Hand auf die Stelle, die uns juckt, indem wir uns kratzen, statt darauf zu zeigen. Ist es in der Kirche, und es beißt uns auf der Brust, so schlagen wir uns darauf wie beim Sanktus, wenn es auch erst beim Introibo wäre; wir erheben uns, lehnen uns an eine Ecke, und unter dem Vorwand uns aufzurichten, um etwas zu sehn, kratzen wir uns.

Was soll ich sagen vom Lügen? Niemals findet sich Wahrheit in unserm Munde. Herzöge und Grafen flechten wir in unser Gespräch ein, einige als Freunde, andre als Verwandte; aber wir sehen uns vor, daß solche Herrn entweder gestorben, oder weit entfernt sind. Und was auch noch zu bemerken ist, niemals verlieben wir uns, als de pane lucrando; denn unser Orden verbietet uns die Gemeinschaft mit begehrlichen Frauenzimmern, so anmutig sie auch sein mögen. Und so machen wir immer unsre Liebesanträge einer Garköchin, des Essens wegen, einer Gastwirtin, um der Wohnung, einer Halskrausenwäscherin, um deswillen, was ein Mann an Wäsche braucht. Und obgleich man bei so wenigem Essen und schlechtem Trinken mit so vielen, nach der Reihe, nicht fertig werden kann, sind doch alle zufrieden.

Wer diese meine Stiefeln sieht, wird der wohl glauben, daß sie auf den bloßen Beinen reiten, ohne Strumpf, noch sonst etwas? Und wer diese Halskrause sähe, warum sollte der wohl glauben, daß ich kein Hemd habe? Alles dieses nun kann einem Kavaliere fehlen, Herr Lizentiat; aber eine offne und steifgestärkte Halskrause nicht. Einesteils, weil es eine große Zierde der Person ist, und sodann, wenn man sie von einer Seite zur andern herumdreht, dient sie auch zum Unterhalt; denn ein Mann nährt sich von der Stärke, wenn er sie geschickt aussaugt. Kurz, Herr Lizentiat, ein Kavalier von unserm Schlag kann mehr Bedürfnisse haben als eine Schwangre von neun Monaten, und bei alledem lebt er am Hof. Bald sieht er sich im Wohlstande und bei Geld, bald im Hospital; aber am Ende lebt man doch, und der, der sich zu helfen weiß, ist ein König, so wenig er auch besitzen mag.

Ich ergötzte mich so sehr an der seltsamen Lebensart des Edelmanns und vertiefte mich so sehr darein, daß ich damit und mit andern Dingen beschäftigt, zu Fuß bis nach Las Rozas ging, wo wir diese Nacht blieben. Der besagte Kavalier speiste mit mir zu Abend, denn er hatte keine Blanke, und ich hielt mich seinem Unterricht verpflichtet, weil ich dadurch über viele Dinge die Augen geöffnet bekam und zur Gaunerschaft Neigung gewann. Ich entdeckte ihm meine Wünsche, eh wir uns schlafen legten. Er umarmte mich tausendmal und sagte, immer habe er gehofft, seine Worte würden auf einen Mann von so gutem Verstand Eindruck machen. Er bot mir seinen Beistand an, mich am Hof bei den übrigen Ordensbrüdern der Glücksritterschaft einzuführen wie auch eine Wohnung in Gesellschaft aller. Ich nahm es an, entdeckte ihm aber nicht das Geld, das ich bei mir hatte, außer bloß hundert Realen, die nebst dem Liebeswerk, das ich an ihm getan hatte und tat, hinreichend waren, ihn mir als Freund zu verbinden. Ich kaufte ihm vom Wirt drei Nesteln, er heftete sie an, wir schliefen diese Nacht, standen früh auf und begaben uns zusammen nach Madrid.


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