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Einleitung.

Wenn der spanischen Dichtung und Literatur häufig der Vorwurf gemacht wird, daß sie lediglich hohlen Schein und pathetische Gespreiztheit, aber keine wahre, naturwüchsige Poesie enthalte, so ist nicht zu leugnen, daß die spanische Literatur, als Spiegelbild des spanischen Nationalcharakters, in vielen Gattungen ihres Schrifttums ein solches Urteil als nicht unberechtigt erscheinen lassen mag.

Allerdings verführt die schöne, klangvolle Sprache, zumal in der Poesie, bei der dem Spanier eigenen stolzen Grandezza die Dichter leicht dazu, zugunsten von Klang, Schönheit und Form, Inhalt und Natürlichkeit zu opfern. Selbst in den Meisterwerken eines Calderon und Lope de Vega, um von Gongora und seiner Schule zu schweigen, ist nicht nur die Form das beherrschende Element, sondern wir finden auch in dem Inhalt häufig eine Künstlichkeit, die statt des natürlichen Ausdrucks der Leidenschaft und des Gefühls sich in geistreichen, gesuchten Antithesen bewegt. Schöne und große Worte ersetzen vielfach die einfache Natürlichkeit, künstlerische Rhetorik die lyrische Tiefe, und nur zu oft zieht der spanische Dichter der inneren Wärme den äußeren Glanz vor, als ob er zwischen den beiden Wirkungen des dichterischen Feuers nicht zu unterscheiden verstände.

Gleichwohl aber hat dieser Vorwurf gegenüber der spanischen Literatur keineswegs uneingeschränkte Allgemeinberechtigung. Zur Widerlegung genügen schon einzig und allein die Namen Cervantes und Quevedo.

Cervantes hat in seinem »Don Quijote« und in seinen »Musternovellen« den Gegenbeweis geliefert, und Quevedo als Hauptvertreter des berühmten spanischen Schelmenromans in seiner autobiographischen »Geschichte des Erzschelms Don Paul«.

Wie der »Don Quijote« in seiner treuen Natürlichkeit, so bietet auch der Schelmenroman, eine der spanischen Literatur ausschließlich eigentümliche und auf spanischem Boden erwachsene Gattung der humoristisch-satirischen Erzählung, die lebensfrischeste, heiterste und launigste Darstellung aller möglichen Lebensverhältnisse in den glänzendsten Farben und einen reichen Schatz echtester Poesie.

Man sollte es kaum für möglich halten, daß diese beiden so verschiedenartigen literarischen Früchte auf einem Baum gereift sind, jene Werke des hochtönenden Formstils und diese ganze Gattung volkstümlicher Natürlichkeit.

Diese echt spanische Erscheinung des Schelmenromans steht in der Weltliteratur einzig da, und was andere Völker an ähnlichen Erzeugnissen besitzen, geht direkt auf die spanischen Vorbilder zurück, die es einfach in das jedesmalige Zeitkolorit und Landesmilieu überträgt, wenn es nicht geradezu Nachahmung oder freie Übersetzung des spanischen Vorbildes darstellt.

Die Wurzeln des spanischen Schelmenromans lassen sich bis in das graueste Altertum und bis in den fernsten Orient hinein verfolgen. Wie nahe sich geistig eigentlich die Völker stehen, wie verhältnismäßig geringen Wandel darin Jahrhunderte der Kulturentwicklung bewirken, wie gering selbst bei den verschiedensten Rassen und entferntesten Völkern die Unterschiede im Denken und Empfinden sind, das wird uns erst klar, wenn wir nach einer bestimmten Richtung hin die Volksliteraturen miteinander vergleichen.

Am verbreitetsten in der gesamten Menschheit dürfte wohl der Sinn für Humor, die volkstümliche Beliebtheit von Schwank und Witz sein. Viele von unseren bekanntesten deutschen Schwänken, z. B. der Streiche Eulenspiegels, der Schildbürger usw., die gewiß die meisten Leser für echt deutsch halten, sind durch griechische und römische Schriftsteller des Altertums oder aus dem fernen Orient zu uns gekommen. Die buddhistische Literatur ist ganz besonders reich an humoristischen Geschichten und bildet eine Fundgrube für die Urquellen von Schwänken, die seit lange Gemeingut der europäischen Literatur sind.

Hierbei können Charaktere und Umstände mehr oder minder geändert sein, entsprechend dem Lande, in dem sie Heimatsrecht erwarben, aber die Grundzüge sind überall die gleichen. Volkstümlich wird eine Erzählung erst dann, wenn sie auch dem einfachsten Verstand begreiflich gemacht ist. Das aber wird sie erst durch Einkleidung in das lokale Kostüm. So treten dann für den Pedanten des Hierocles » Hieroclis et Philagrii facetiae«, herausgegeben von Eberhard (Berlin 1888). oder den Derwisch und den Brahmanen der asiatischen Schöpfungen die deutschen Gestalten des Mönchs, des Ritters, des Narren ein.

Schon in ihnen tritt vielfach neben dem freiwilligen oder unfreiwilligen Witz in Rede oder Handlung, wobei in der Regel Narren und Simpel besonders beliebt sind, der schlaue Spitzbube hervor. Er erweckt zumal volkstümliches Behagen, wenn er auf geschickte Art einen sich ungemein gescheit dünkenden Simpel einer beliebigen Volksklasse prellt, vielleicht aber nicht weniger, wenn er auf einen überlegenen Geist stößt, der ihn hineinfallen läßt, oder der ihm für den erlittenen Betrug einen gehörigen Denkzettel zukommen läßt.

Besonders ist es die italienische Novellenliteratur, die schon früh an zahlreichen Beispielen ihre Freude an gelungenen Spitzbubenstreichen bekundet.

Wir finden deren bereits in dem »Novellino«, Novellino, Nov. 8, 9, 16 (erste zwei Abschnitte), 26, 47, 78, 94 usw. der ältesten italienischen Sammlung, in Boccaccios Vgl. Decamerone, Giorn. II, 1; VII, 1, 6, 10 usw. Decamerone, bei Franco Sacchetti, Vgl. Sacchetti ( Novelle Scelte, Paravia, Milano), Nov. 7, 31, 35, 64, 65 usw. dem echt florentinischen Erzähler, und vor allem bei degli Arienti Vgl. degli Arienti, Settanta Novelle: Nov. 7, 19, 42, 44, 55, 58 u. a. m. in seinen »Siebzig Novellen« und in reichster Fülle bei Bandello, Bei Bandello finden sich in jedem der neun Teile zahlreiche Beispiele, so die verschiedenen Streiche des Hofnarren Gonnella. dem Boccaccio des 16. Jahrhunderts.

Dies entsprach vollkommen der moralischen Auffassung der Italiener der Renaissance, bei denen die Schönheit, die Genialität und Eleganz der Ausführung auch die moralisch verwerflichsten Handlungen entschuldigte und bewundern ließ. Macchiavelli sieht in den Grausamkeiten eines Ferdinand von Neapel und in den hinterlistigen Schändlichkeiten eines Cäsar Borgia staatsmännische Meisterstücke: » un bellissimo inganno.«

So zahlreich aber auch in der älteren italienischen Novellistik die Gaunerschwänke vertreten sind, es sind eben nur kurze Novellen, die einen einzigen glücklichen oder unglücklichen Gaunerstreich zum Vorwurf haben.

Aus diesen Ansätzen oder Keimen bildeten die Spanier, die durch ihre Herrschaft über Neapel und Sizilien mit der italienischen Kultur und Literatur, damals der ersten der Welt, in ständiger Berührung waren, aus ihrem eigenen Volksgeiste heraus die neue Gattung des Schelmenromans.

Man könnte diese Beziehungen noch viel weiter verfolgen und ihre Verwandtschaft und ihren Ursprung im einzelnen für die verschiedenen Stoffe nachweisen.

Um jedoch unseren Raum nicht über Gebühr zu überschreiten, beschränken wir uns auf diesen Hinweis. Unsere Andeutungen über das gegenseitige Verhältnis der Volksliteraturen zueinander und die Quellen der volkstümlichen Dichtungsgattungen wollten nur in kurzen Zügen die Wurzelfäden bloßlegen, die ebenso wie Märchen, Sage, Schwank, Abenteuer, Legende, auch die » Novela picaresca«, den spanischen Spitzbubenroman, mit verwandten und wesensfremden Literaturen zeitlich und örtlich mehr oder minder entfernter Völker organisch verbinden.

Wir glauben nicht fehlzugehn, wenn wir der hochentwickelten italienischen Literatur den Haupteinfluß auf die Entwicklung der spanischen Prosadichtung zuschreiben. Spanien stand mit Italien durch Sizilien seit dem Ende des 13. Jahrhunderts, durch das Königreich Neapel seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in enger politischer Verbindung und im regsten wirtschaftlichen wie literarischen Verkehr.

In keinem Lande der Welt aber hatte die volkstümliche Prosa eine so frühe und vorzügliche Ausbildung erreicht, wie in Italien. Kein Land kann sich literarhistorisch auf dem Gebiet der Novelle mit Italien messen.

Wenn wir speziell auf die Vertreter der Novela picaresca eingehen, so war fast jeder derselben in Italien selbst, ja die meisten derselben vorübergehend oder dauernd dort in Staatsdiensten angestellt.

Der Schöpfer des spanischen Schelmenromans selbst war als Staatsmann unter Karl V. ganz hervorragend in Italien tätig. Es war dies Diego Hurtado de Mendoza, Geboren um 1503 (Granada), gestorben 1575 (Madrid). der z. B. im Jahre 1538 Karls Gesandter in Venedig, 1545 sein Vertreter auf dem Trientiner Konzil und 1547 in Rom war. Sechs Jahre lang verwaltete er sodann Toskana, bis er 1554 nach Madrid zurückberufen wurde. Er hatte also reichlich Zeit und Gelegenheit, sich mit der italienischen Literatur vertraut zu machen. Gleich nachdem er in Ungnade gefallen, ließ er im Jahre 1554 seine Novela picaresca: » La vida de Lazarillo de Tormes«, den ersten Roman dieser Gattung, erscheinen.

Diese Selbstbiographie eines Spitzbuben der niedrigsten Sorte in klassischer Darstellung, die dessen Erlebnisse von Jugend an, in den verschiedensten Dienerstellungen bis zu seiner Ehe, ergötzlich schildert, fand allgemeinen Beifall.

Auch Cervantes, der unsterbliche Verfasser des »Don Quijote«, gehört mit zu den Hauptvertretern des » genero picaresco«. Unter seinen zwölf sevillanischen »Musternovellen« Geschrieben 1588-1599 in Sevilla. befindet sich auch eine sevillanische Gaunergeschichte, betitelt » Rinconete y Cortadillo«, welche sich, wie auch die übrigen das damalige Leben in Sevilla so trefflich charakterisierenden Novellen, nicht allein durch die hervorragende Sprachbehandlung, sondern auch durch die echt spanische Lebendigkeit der Darstellung auszeichnet und noch heute zu den Mustern der Novelle gehört.

Dem Umfang nach gehört jedoch diese Erzählung als Novelle nicht eigentlich, oder doch wenigstens nur inhaltlich, zu dem Roman der especie picaresca.

Dagegen gehört auch dem Umfang nach in das Romangebiet der fast gleichzeitig mit den » Novelas ejemplares« des Cervantes erschienene Schelmenroman des Mateo Aleman Geboren in Sevilla, gestorben 1610 in Mexiko, 1568 Sekretär der Hofstaatskasse. » Vida y hechos del picaro Guzman de Alfarache«. Madrid und Valencia 1599 und 1605, 2 Bde. Dieser Spitzbubenroman, der den ungewöhnlichsten Erfolg hatte, bewegt sich zum Teil in höherer Sphäre, aber es geht dem edlen Guzman noch schlimmer als seinem Vorgänger Lazarillo, denn er kommt schließlich auf die Galeeren. Der beste Beweis der Beliebtheit dieses Werkes ist wohl das Erscheinen eines dritten, unechten Teils. Auch dieser Roman wurde in die meisten Kultursprachen übersetzt und verdankt wohl hauptsächlich der vorzüglichen Übertragung von Lesage, dem französischen Hauptvertreter der Richtung des Schelmenromans, seine Verbreitung außerhalb Spaniens.

So war gewissermaßen der Boden nach jeder Richtung hin vorbereitet, und die Schriftsteller wie das spanische Volk brachten der neuen literarischen Gattung das lebhafteste Interesse entgegen.

Denn trotz aller Trefflichkeit, Neuheit und Lebensfrische, die die genannten Vertreter des genero picaresco auszeichnet, sind sie doch nur als die Vorläufer des Meisterwerks dieser Gattung zu betrachten.

Dieses seinem Vaterlande und der Weltliteratur zu schenken, war Quevedo beschieden, dessen originelle Dichterpersönlichkeit neben den gewohnten Größen der spanischen Literatur, unsers Erachtens, viel zu wenig gewürdigt wird.

Das Leben dieses spanischen Schriftstellers liest sich selbst wie ein spannender Roman.

Don Francisco de Quevedo y Villegas wurde am 26. September 1580 zu Madrid geboren. Er war der Sohn des Pedro Gomez de Quevedo, eines Sekretärs der Königin Doña Anna von Österreich, der vierten Gemahlin König Philipps II., und der Doña Maria Santibañez, einer Dame in Diensten der gleichen Fürstin. Noch in zartem Alter verlor er seinen Vater und wenige Jahre später auch seine Mutter und war nun ganz auf die Fürsorge seines Vormundes, des Protonotars von Aragon, Don Geronimo de Villanueva, angewiesen.

Schon überaus früh bezog er die Universität Alcala und eignete sich hier mit unermüdlichem Lerneifer die Kenntnis der griechischen, lateinischen, hebräischen, arabischen, französischen und italienischen Sprache an. Mit fünfzehn Jahren erwarb er sich den Grad des Bakkalaureus der Theologie und zeichnete sich in der Kenntnis des bürgerlichen und kanonischen Rechts aus.

In wie glänzender Weise er das Lateinische z. B. beherrschte, das geht schon aus der interessanten Korrespondenz hervor, die er, im Alter von 23 Jahren, mit Justus Lipsius Herausgegeben von Quevedos begeistertem Freunde, Vicente Mariner (Madrid 1625); in einem Antwortschreiben sagt Lipsius: » O litteras tuas, et amicas, et sensibus argutas!« usw. und anderen berühmten Humanisten seiner Zeit führte.

Wie leicht begreiflich bei einem so frühe der elterlichen Obhut entzogenen, verwaisten und ganz auf sich gestellten jungen Menschen von feuriger Sinnesart, üppiger Phantasie und geistiger Frühreife, war seine Jugend nicht frei von mancher Unordnung und Regellosigkeit, doch hielt ihn das weder von unablässigem, unermüdlichem Studium ab, noch war es derart, daß es ihm in den Augen der durch Geburt oder Rang hochgestellten Leute oder der durch ihre literarischen Leistungen in erster Linie stehenden Persönlichkeiten seines Vaterlandes, mit denen er verkehrte, geschadet hätte.

Denn er machte von dem Vorrecht seiner Geburt, das ihm die Hofkreise öffnete, eifrig Gebrauch, war beständig in der Nähe der bedeutendsten Staatsmänner und war besonders mit dem Herzog von Osuna, mit Don Pedro Hiron, dem Grafen von Lemos und dem Herzog von Medina befreundet. Diesen hohen Beziehungen verdankte er schon in jungen Jahren manche seltene Erfahrung und Erweiterung seines Gesichtskreises.

Durch seine ungewöhnlichen sprachlichen Kenntnisse wurde er außerdem mit dem überaus gelehrten Pater Mariana vertraut, der seine Tüchtigkeit im Hebräischen so sehr schätzte und anerkannte, daß er ihm die Kritik der hebräischen Texte, deren er sich für seine Geschichte bediente, übertrug.

Unter Anleitung dieses bedeutenden Geistes machte sich Quevedo auch mit den Regierungsgeschäften vertraut. Daneben studierte er auch die heimischen großen Schriftsteller, wie die des Altertums. Er lernte von Cervantes geistreiche Ironie und aus den Dialogen des Lukian die Kunst, die Kritik der Staatsangelegenheiten in einer genialen Erfindung zu verhüllen.

Trotz aller dieser umfassenden Studien aber war Quevedo keineswegs zu einem schwächlichen Bücherwurm oder zaghaften Duckmäuser geworden. Im Gegenteil war er mit seinem eher stürmischen und kampflustigen Naturell auch im Leben ein echter, selbstbewußter und immer hochsinniger Vertreter der spanischen Ritterlichkeit seiner Zeit.

Diese Charakteranlage war die Ursache von vielen der zahlreichen Abenteuer, die sich in seinem Leben aneinanderreihn.

So zog er einst den Degen gegen einen Offizier, der ihm das Trottoir streitig gemacht hatte, doch wurden die beiden Gegner später die besten Freunde.

Viel schlimmer und gefährlicher war es, daß ihm das Unglück zustieß, in einem andern Duell einen Ritter zu töten, der einer hochgestellten Familie angehörte. Dieser hatte den ritterlichen Sinn Quevedos dadurch empört, daß er sich erfrecht hatte, in einer Kirche einer Dame eine Ohrfeige zu geben.

Vor den Verfolgungen der Familie des Getöteten flüchtete Quevedo zu seinem Freunde, dem Herzog von Osuna, nach Palermo, da derselbe damals Vizekönig von Sizilien war. Dieser, dem er schon früher seine Übersetzung des Anakreon und des Phokylides gewidmet hatte, nahm ihn um so freudiger auf, als er schon früher Quevedo den Vorschlag gemacht hatte, ihn nach Sizilien zu begleiten.

Der Dichter wurde des Herzogs Vertrauter und seine rechte Hand in den Staatsgeschäften. Als bald darauf Osuna die noch wichtigere Statthalterschaft von Neapel erhielt, nahm er auch Quevedo mit, und es begann nun für diesen, als die Hauptvertrauensperson, gewissermaßen den ersten Minister des Vizekönigs, die Epoche seiner bedeutendsten politischen Tätigkeit.

Ohne hier näher auf die Politik Osunas in Italien einzugehen, sei nur so viel bemerkt, daß sein Ziel war, die spanische Macht in Italien kräftig zusammenzufassen und den König zu einem energischen Vorgehn, zu einer kraftvollen Politik zu veranlassen.

Seine Feinde schoben ihm ganz fälschlich und in tückischer Absicht andre, persönliche Motive unter, als habe er danach gestrebt, sich unabhängig zu machen. Es glückte ihnen, das Mißtrauen des Königs, das bei den Vizekönigen in dem wichtigen Neapel von vornherein rege war, infolge einiger Mißgriffe Osunas so zu verstärken, daß dessen Sturz eintrat.

Zunächst aber war hieran kaum zu denken. Der Herzog erfreute sich der vollen Gunst des Königs, und er, wie sein vertrauter Mitarbeiter, waren in freudiger Zuversicht, ihre großen Pläne und Entwürfe zum Heile ihres Vaterlandes ausführen zu können.

Wichtige Missionen führten Quevedo im Auftrage des Vizekönigs nach Turin, Mailand und Venedig, und er führte dieselben, soweit es möglich war, mit Gewandtheit und großem persönlichen Mut aus. Der Haß der Venezianer, die in Osuna ihren gefährlichsten Feind sahen, hätte Quevedo fast das Leben gekostet.

Alsdann führte ihn das Interesse des Vizekönigs auch wieder nach Madrid. Mit größtem Erfolge war er für ihn bei dem Herzog von Lerma und dessen Sohne, dem Herzog von Uceda, und bei dem Pater Alcaga, dem Beichtvater König Philipps III., tätig. Es gelang ihm, nicht nur Osunas Wünsche durchzusetzen, sondern es wendete sich auch ihm selbst die Hofgunst wieder zu: er erhielt das Band des Ordens von St. Jakob und eine Pension von 400 Dukaten.

Doch hatte dies Glück keine lange Dauer. Die Feinde Osunas wußten dem König die Überzeugung beizubringen, daß der Vizekönig mit hochverräterischen Plänen umgehe. Diese Anklage zog seinen Sturz nach sich. Zwischen Osuna und Quevedo bestanden seit einiger Zeit Mißhelligkeiten, und vielleicht werden nicht mit Unrecht einige der verkehrten Maßnahmen des Herzogs, die den Anschuldigungen seiner Feinde zur Stütze dienten, auf die Abwesenheit seines vertrauten Ratgebers zurückgeführt.

Gleichwohl wurde auch Quevedo in Osunas Fall verwickelt. Er sah sich ohne förmlichen Prozeß in Uclès gefangen gesetzt und sodann auf seine Güter La Torre de Juan Abad verwiesen.

So unangenehm auch für eine so gesellige Natur wie Quevedo diese Verbannung sein mochte, so war doch in dichterischer und künstlerischer Beziehung diese Zurückgezogenheit für ihn ersprießlicher als die Zerstreuungen des Hofes. Eine vernichtende Satire über die Verwaltung seiner Verfolger war seine Rache; außerdem aber vollendete er mehrere ernste Werke, und die Abfassung gelungener burlesker Gedichte bildete seine Erholung.

Auch in diese Jahre fällt seine Fehde mit Montalvan, dem Sohne eines Buchhändlers, der Quevedos »Erzschelm Don Paul« widerrechtlich nachdruckte. Dieser wahrte aber seine Rechte nachdrücklich und verklagte ihn, worauf der Pirat zu Entschädigung und Strafe verurteilt wurde. Diese Feindschaft dauerte indes noch länger fort.

Wenn aber Guerra y Orbe »Leben Quevedos« in der Gesamtausgabe (Madrid 1852). behauptet, daß Montalvan, der Sohn, im Verein mit dem Pater Niseno und dem beleidigten Fechtkünstler Pacheco Narvaez, den Quevedo in einer Kampfprobe besiegt hatte, versucht habe, die Inquisition gegen seinen Gegner zu hetzen, so liegen hierfür keine Beweise vor. Manche Gelehrte bezweifeln überhaupt die Anteilnahme Montalvans, der ein nicht unbedeutender Dichter und Freund Lope de Vegas war. Die Tatsachen beschränken sich vielmehr lediglich darauf, daß Quevedo Montalvan als Autor in seiner Satire » Perinola« angegriffen hatte und daß dieser dagegen die ziemlich verfehlte Schmähschrift: »Das Tribunal der gerechten Rache« verfaßte. Auch Gongora, der Urheber der geschraubten Ausdrucksweise, des »Gongorismus«, wurde von Quevedo verschiedentlich in geistreicher Satire angegriffen.

Nach Philipps III. inzwischen erfolgtem Tode Gestorben 31. März 1621. hatte der sechzehnjährige Philipp IV. den spanischen Thron bestiegen und den Herzogen von Lerma und Uceda war der sog. Graf-Herzog von Olivarez Geboren 1587 in Rom, 1621 Minister, Sturz 1643, gestorben 1645 in der Verbannung. als Minister-Günstling gefolgt. Unter diesen Verhältnissen war es, als Quevedo wieder bei Hofe erschien.

Olivarez suchte sich mit diplomatischer Klugheit den durch seine staatsmännischen Kenntnisse doppelt gefährlichen Satiriker, vor dem er gewarnt worden war, zu verbinden und seinen Zwecken dienstbar zu machen.

Da die Maßnahmen des Ministers, zumal im Anfang seiner Laufbahn, für Spanien zum Teil sehr wohltätig waren, so wurde es ihm nicht schwer, den patriotischen Dichter zu bestimmen, gelegentlich einer Münzänderung für ihn einzutreten in der Schrift: » El Chiton de las Tarabillas.« Dadurch erwarb er sich Olivarez' ganze Gunst; er wurde Sekretär des Königs und es wurde ihm Stellung im Ministerium des Äußern, sowie die Gesandtschaft in Genua angeboten.

Die schmerzlichen Erfahrungen seiner politischen Laufbahn und die Erinnerungen an seinen Freund, den großen Vizekönig Osuna, hatten ihn von allem politischen Ehrgeiz geheilt und er lehnte diese Angebote mit größtem Dank ab.

Dagegen war er, wie andere Größen jener Zeit und auch mit diesen gemeinsam bereit, die Feste, die der Graf-Herzog dem jungen König gab, durch seine Kunst zu verschönen. Seine heute verlorenen Komödien dieser Hoffeste erfreuten sich des größten Beifalls.

Ja, eine derselben mit scharfen Ausfällen gegen die Frauen Vgl. seine geistreiche » Satira contra el matrimonio« (Musa II). soll die Ursache seiner Verheiratung geworden sein, da es den Hofdamen das Verlangen eingab, sich an ihm durch Herbeiführung seiner Verheiratung zu rächen.

In der Tat heiratete er mit 52 Jahren Doña Esperanza de Aragon y la Cabra, die mit dem höchsten Adel Aragons in verwandtschaftlicher Beziehung stand.

Diese Ehe war jedoch nur kurz und scheint auch nicht glücklich ausgefallen zu sein.

Daß es jedoch mit der Hofgunst, zumal für einen Satiriker, immer eine heikle Sache ist, die selten lange Bestand hat, sollte nunmehr Quevedo in verstärktem Maße erfahren. Allerdings soll er selbst hieran schuld gewesen sein, da er den Favoritminister durch eine verwegene und in ihren Folgen nicht genügend vorausbedachte Handlung sich zum unversöhnlichen Feinde machte.

Empört über die Mißbräuche der Regierung und die Leiden des spanischen Volkes soll er es gewagt haben, Olivarez in einem scharfen Gedicht anzugreifen und dasselbe unter die Serviette des Königs zu schieben.

Die Rache des ergrimmten Ministers traf ihn unverzüglich. Der Dichter wurde ohne Aufsehen im Palais Medina-Celi aufgehoben und in der kältesten Gegend Spaniens im königlichen Kloster San Marcos de Leon eingekerkert.

Was er hier zu erdulden hatte, war fürchterlich. Vier Jahre lang mußte er hier in einem engen Gelasse aushalten, das unter einem Flusse lag, dessen Feuchtigkeit durchsickerte. Er erhielt nur die kärglichste Nahrung und Kleidung, und der so gesellige Dichter hatte nicht den geringsten Umgang mit Menschen.

Aber die Mißgriffe und Gewalttätigkeiten des Graf-Herzogs mehrten sich so außerordentlich, seine politischen Mißerfolge, der Verlust von Brasilien und Portugal, die unglücklichen Kriege mit den Niederlanden und Frankreich, die Aufstände in Katalonien und in Andalusien, mußten auch seinen blindesten Anhängern die Augen öffnen: Olivarez wurde verbannt und überlebte seinen Sturz nicht lange.

Da endlich öffneten sich auch die Pforten des Kerkers für Quevedo; seine Freunde, vor allen der Präsident von Kastilien, Don Juan Chumacero de Soto mayor, wußten den König zu bestimmen, daß er, wiewohl widerwillig, am 7. Juni 1643 den Befehl gab, den großen Dichter freizulassen.

Wohl erschien dieser noch einmal, mit Teilnahme und Beifall aufgenommen, bei Hofe, aber er trug den Todeskeim in sich. Die schlechte Luft, die Feuchtigkeit und Kälte des Kerkers, sowie die ungenügende Kost hatten alte Wunden aufbrechen lassen und seine Lebenskraft vernichtet. Er zog sich alsbald nach La Torre de Juan Abad zurück, um sich zu erholen, aber sein Leiden verschlimmerte sich. Um besserer Pflege und ärztlichen Beistandes willen siedelte er schließlich nach dem benachbarten Villanueva de los Infantes über, bis zuletzt mit literarischen Plänen und Entwürfen beschäftigt. Hier starb er am 8. September 1645 und wurde in der Kapelle des Hauses Bustos in der Parochialkirche dieser Stadt beigesetzt.

Quevedo war einer der fruchtbarsten Dichter seiner Zeit und war in allen schriftstellerischen Gattungen tätig.

Don Nicolas Antonio Bibliotheca nova, Artikel Quevedo. teilt seine Werke in vier Klassen: erstens religiös-asketische Arbeiten historisch-philosophischer Richtung; zweitens profane Werke moralischer oder historisch-politischer Richtung; drittens humoristische und satirische Schriften, und viertens poetische Werke und Übersetzungen.

Von ersteren seien hervorgehoben zur Charakteristik seines tiefreliösen Sinnes: »Anleitung zum gottseligen Leben«, »Leben des Apostels Paulus«, »Leben des heiligen Thomas von Villanueva«, »Anweisung, wie man sterben soll«, »Denkschrift über das Patronat des heiligen Jakobus in Spanien« und seine »Politik Gottes und Reich Christi« in zwei Teilen.

Zu den Arbeiten der zweiten historisch-politischen Richtung gehören eine Reihe von interessanten Schriften, unter denen sein »Leben des Marcus Brutus« die bedeutendste ist. Auch sein »St. Paulus« gehört mit hierher. Diese beiden Werke hauptsächlich erweisen den Dichter als bedeutenden Historiker, dessen überzeugt katholischer Glaubenseifer besonders in seinem Paulus hervortritt. Sehr zu bedauern ist, daß das Werk: »Taten und Reden des Herzogs von Osuna in Flandern, Spanien, Neapel und Sizilien«, das nach Angabe seines frühesten Biographen Don Pablo Antonio de Tarsia, 1663, neu herausgegeben von Ibarra (1772). sich im Besitze seiner Erben befunden haben sollte, vermutlich verloren ging. Für die Biographie des Dichters selbst dürfte vielleicht gerade dies eine seiner wichtigsten Schriften gewesen sein. Besonders die Politik Osunas und Quevedos würde darin eine Aufhellung erfahren haben, die man jetzt vermißt. Das beste und richtigste darüber erscheint uns die Ausführung des Grafen Daru in seiner venezianischen Geschichte. Histoire de la république de Venise (4. Aufl., Paris 1853, 9 Bde.).

Alle diese asketischen, philosophischen und historischen Werke tragen mehr oder minder, wie alles, was er geschrieben, das Gepräge seiner Zeit. Gleichwohl sind sie durchweg mehr als Denkmäler seltener Gelehrsamkeit und bedeutenden Scharfsinnes, denn als vollgültige Zeugnisse seines eigentlichen Genius aufzufassen. Auch sind sie keineswegs frei von Pedanterie und dem Hauptfehler seines Zeitalters, der übertriebenen und gezierten Schreibweise, die alle Schriftsteller dieser Epoche beeinträchtigt.

Zuweilen aber verraten auch diese Arbeiten Quevedos, wie Ticknor History of Spanish literature (1. Aufl., 1849, 3 Bde.) bemerkt, den Geist und die Schreibart, die seine ersten Dichtungen auszeichnen.

Diejenigen Werke aber, in denen die Hauptbedeutung Quevedos zutage tritt, sind diejenigen der dritten Kategorie, seine satirischen und humoristisch-satirischen Schöpfungen. In ihnen erscheint er in seiner ganzen Größe und Eigenheit und allen bisher genannten Arbeiten weitaus überlegen.

Wir heben aus der Fülle der satirischen und oft burlesken Erzeugnisse folgende hervor: »Der Traum der Totenköpfe«, »Der dämonische Alguacil«, »Die Ställe des Pluto«, »Die Kulissen der Welt«, »Das letzte Gericht« u. a., die die sogenannten Visionen Quevedos bilden; »Die Briefe des Ritters von Spanien«, ein anziehendes Werk, das er in seiner Jugend schrieb, eine Erinnerung an sein Studentenleben.

Vor allem aber nimmt hier die hervorragendste Stellung ein sein humoristisch-satirischer Roman: »Der große Tacaño, oder Geschichte des Don Pablo von Segovia, benannt der Abenteurer Buscon«, ein Roman im gusto picaresco. Quevedos »Erzschelm Don Paul« ist einer der gelungensten der berühmten spanischen Schelmenromane.

Seine Entstehungszeit S. Baumstark. Don Francisco Quevedo. S. 29. ist mit Sicherheit in die jüngeren Jahre des Dichters, um 1610, zu setzen; gedruckt wurde er erstmals im Jahre 1826.

Der Roman ist aus dem Leben seiner Zeit gegriffen und viele eigene Erlebnisse aus Quevedos Jugend, Studienzeit und Hofleben sind hinein verwoben, wie beispielsweise der Wettkampf mit Narvaez. Vgl. Anm. Roman, Kap. 8, S. 78.

Das nicht übermäßig lange und meisterhaft geschriebene Buch fand in Spanien eine glänzende Aufnahme. Es erlebte zahlreiche Auflagen und wurde in die verschiedensten europäischen Sprachen übersetzt.

Als Poet und Prosaist in gleichem Grade hervorragend (wie er sich denn besonders als Satiriker vielfach der dichterischen Form bediente), ist er ganz wesentlich original – sui generis! Keiner vielleicht hat den Reichtum der spanischen Sprache so zu handhaben gewußt, keiner sie so vollkommen und mit solcher Leichtigkeit und Natürlichkeit beherrscht. Keiner hat, so wie er, alle ihre Abtönungen vom Einfachen und Gewöhnlichen bis zum Erhabenen besessen, keiner ihr mehr Farbe, Kraft und Ausdruck zu verleihen verstanden.

Was den gedanklichen Ausdruck anbetrifft, sagt Ochoa, Don Eugenio de Ochoa, Obras escogidas de D. F. de Quevedo etc. (Paris 1842), Einleitung S. VIII. so ist Quevedo überall einer der ausgezeichneten Meister. Seine Fähigkeit ist so lebendig und eindringend, daß er die innersten Beziehungen der Dinge bloßzulegen vermag. Hätte er nicht manchmal diese Gabe mißbraucht und sich zu übertriebenen Haarspaltereien und nicht immer glücklichen Zweideutigkeiten verirrt, so würde niemand besser geeignet sein, in der Kunst der Erzählung als Vorbild zu dienen und die Tiefe des Ausdrucks und die Kraft der Ideen zu erweisen. Ebenso im gehobenen, wie im humoristischen Stil ist der Ausdruck Quevedos immer so lebendig, so farbenfrisch, daß er nicht allein den materiellen Gegenständen, sondern auch den rein geistigen Abstraktionen Farbe und Leben gibt, indem er mit bewundernswerter Wirkung im Geiste des Lesers die gleiche Lebendigkeit der Anschauung erzeugt, mit der in seinem eigenen die Gedanken entstanden.

Kein Schriftsteller hat in seinen geistvollen Ausfällen, in seinen pikanten Anspielungen, in seinen glücklichen Metaphern und lebendigen Bildern mehr eigene Originalausdrücke geprägt und die spanische Sprache mit einer größeren Menge sprichwörtlicher Redensarten und bekannter und beliebter Idiotismen bereichert als Quevedo. Außer vielleicht in seiner Biographie des Marcus Brutus, in der er mit seltenem Glück und wahrscheinlich mit großer Sorgfalt, in der spanischen Sprache die energische Gedrungenheit des Tacitus nachbildet, hat er niemals irgendwelchen Stil eines andern Schriftstellers oder Dichters nachgeahmt.

Alle diese Vorzüge kommen hauptsächlich in den satirischen und humoristisch-satirischen Werken Quevedos zur Geltung, und in diesen Werken muß man das eigentliche Genie dieses eigenartigen Schriftstellers suchen.

Das Hauptwerk dieser Gattung ist entschieden sein satirisch-humoristischer Roman: »Der Erzspitzbube Don Paul von Segovia.«

Der Spiegel, den er seinen stolzen Landsleuten darin vorhält, zeigt ihnen fürwahr kein geschmeicheltes Bild. Auch sind es nicht die Adels- und Hofkreise, aus denen Quevedo seinen Helden wählt. Er steigt hinab in das wirkliche Volksleben und bietet uns ein Kulturbild von solcher Mannigfaltigkeit, Lebendigkeit und Farbenfrische, daß wir mitten unter diesen Angehörigen des spanischen Volkes uns zu bewegen glauben. In der ungeschminkten Autobiographie eines Erzhalunken gewöhnlichster Sorte wird uns jene Zeit mit allen ihren Fehlern und Verkehrtheiten lebendig, die gewissermaßen den Abschluß der großen Epoche der Entdeckungen bildet. Hierin liegt die große kulturhistorische Bedeutung des Romans von Quevedo. Dies ist das Resultat, das ist aus unserm Volke durch die Entdeckung der Neuen Welt und ihre Beförderung des Abenteurertums durch das Streben nach müheloser Bereicherung geworden! Solche Leute, wie dieser mit bitterer Ironie »Don« Pablo genannte Erzgauner, der am Schluß seines Ichromans seine Absicht, nach Amerika zu gehen, ausspricht, sind es, die in den neuen Ländern ihr Wesen treiben!

Und so ist dies in allen Zügen, in jeder Kleinigkeit, im Denken und Fühlen der damaligen Volkskreise auf scharfer Beobachtung, auf eigenen Erlebnissen beruhende, nach der Natur gezeichnete Kulturbild von bleibendem Wert.

Neben den Novellen Cervantes' ist der »Erzschelm« für die Kultur des spanischen Volkslebens um 1600 genau so maßgebend, wie z. B. für die italienische Kultur des 14. Jahrhunderts Boccaccio und Sacchetti, für die des 15. degli Arienti, für die Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts Bandello, wie für das Deutschland des Dreißigjährigen Krieges Grimmelshausens »Simplizissimus«, wie für das Frankreich um 1700 der kulturhistorisch so bedeutsame »Gil Blas« des Lesage, 1713-1735, 4 Bde. der nichts weiter als eine gelungene Übertragung von Quevedos »Erzspitzbuben« auf die Verhältnisse des Frankreich der Zeit des Lesage darstellt.

So wirkte die Bedeutung Quevedos noch lange nach und beeinflußte noch lange die Schriftsteller verschiedener Länder, besonders Frankreichs. Selbst Pigault-Lebruns » Folie Espagnole« Erschienen 1799. ist ein in seiner Bedeutung mißverstandener und verzerrter Schelmenroman. Es fehlt eben diesem Opus die Hauptsache: der Boden der Wirklichkeit; es ist lediglich eine unter Anlehnung an spanische Vorbilder zu bloßer Unterhaltung ausgedachte tolle Geschichte.

Dies ist bei Quevedo (wie auch bei Lesage) ganz anders. Der köstliche, unfreiwillige Humor, der die Bekenntnisse dieser naiven Verdorbenheit, der so gut wie jedes Gefühl für Recht und Sittlichkeit abhanden gekommen ist, durchdringt, ist mit schärfster Satire gesättigt. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird unter der humoristischen, ja burlesken Oberfläche den tiefsten Ernst finden, der Quevedo trieb, seinen Zeitgenossen diesen so grell beleuchteten Spiegel vorzuhalten. Man sollte meinen, schon aus dieser ungeschminkten Charakteristik des spanischen Volkslebens um 1600 hätte jeder Zeitgenosse Quevedos den bevorstehenden politischen Niedergang Spaniens vorausahnen müssen.

Auch stilistisch, was Kürze, Knappheit und Raschheit der Erzählung anlangt, in der vielleicht, wie Baumstark a. a. O. sehr richtig anmerkt, kein überflüssiges Wort vorhanden ist, ist dieser Roman Quevedos Meisterwerk. Von den glänzenden sprachlichen Vorzügen des spanischen Originals kann natürlich auch die trefflichste Übersetzung keine Vorstellung geben.

Jedenfalls konnte die Verlagshandlung keine bessere Wahl treffen, als Quevedos kulturhistorisch für immer bedeutsamen und hervorragenden, selbst für unsre Zeit und unsre Schriftsteller ein in Idee und Ausführung vorbildliches Muster darstellenden Roman: » Der Spitzbube von Segovia« durch eine neue Ausgabe einem weiteren Publikum bekanntzumachen. Quevedo verdient es, auch in unserm Vaterlande viel allgemeiner bekannt zu werden.

»Kein spanischer Schriftsteller,« sagt Ticknor, Spanische Literatur s. o. »wird den auf seine Erklärung verwendeten Fleiß besser belohnen als Quevedo!«

Stuttgart, im Oktober 1904.

Dr. Karl Biesendahl.


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