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Achtes Kapitel.

Von dem Weg von Alcala nach Segovia, und was mir auf diesem Weg bis Rexas begegnete, wo ich dieselbe Nacht schlief.

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Es kam der Tag, an dem ich mich vom besten Leben, das ich je geführt zu haben glaube, trennen sollte. Gott weiß, was ich empfand, so viele Freunde und Gönner zu verlassen, die ohne Zahl waren. Ich verkaufte das Wenige, was ich hatte, im geheimen zur Reise, und mit Hilfe einiger Schelmerein brachte ich etwa sechshundert Realen zusammen. Ich mietete ein Maultier und begab mich aus der Wohnung, aus der ich nichts mehr mitzunehmen hatte, als meinen Schatten.

Wer möchte den Verdruß des Schusters wegen des mir Geborgten erzählen? die Besorgnisse der Haushälterin wegen des Lohns? das Schrein des Wirts wegen der Hausmiete? Einer sagte: »Immer hat es mir doch mein Herz gesagt!« – ein andrer: »Wohl sagte man es mir, daß er ein Erzschelm und Betrüger wäre.« – Kurz, ich schied so geliebt von den Einwohnern, daß ich durch meine Entfernung die Hälfte von ihnen weinend zurückließ, und die andre Hälfte lachend über die, die weinten.

Auf dem Weg unterhielt ich mich eben damit, diese Dinge zu betrachten, als ich hinter Torote einen Mann auf einem gesattelten Maulesel antraf, der in sehr großer Hast mit sich selbst sprach und so vertieft war, daß er mich, obgleich ich mich an seiner Seite befand, nicht sah. Ich grüßte ihn, und er grüßte mich wieder. Ich fragte ihn, wohin er ginge, und nach einigen gewechselten Fragen und Antworten fingen wir an, uns von der Landung des Türken und von der Macht des Königs zu unterhalten. Er suchte auseinanderzusetzen, auf welche Weise man das gelobte Land gewinnen könne, und wie Algier zu erobern sei: durch diese Gespräche gelangte ich dahin, zu sehn, daß er ein Politik- und Staatsnarr war. Wir fuhren fort in unsrer kurzweiligen Unterhaltung und kamen, von einem zum andern übergehend, auf Flandern. Da fing er an zu seufzen und sagte: »Mehr kosten mich diese Staaten als selbst dem König; denn vierzehn Jahre sind es, seit ich mit einem Plan umgehe, durch den, wofern er nicht unmöglich wäre, wie er es ist, schon alles beruhigt sein würde.«

Was könnte das sein, sagte ich, das, so zuträglich, doch unmöglich und nicht ausführbar wäre?

»Wer sagt Euer Edeln denn,« versetzte er schnell, »daß es nicht ausführbar wäre? Ausführbar ist es wohl; aber unmöglich ist ein andres Ding. Wenn nicht zu besorgen stände, Euer Edeln Mißvergnügen zu verursachen, so würde ich Ihnen erzählen, was es ist. Aber bald wird mans sehn; denn ich gedenk es jetzt mit andern Werkchen drucken zu lassen, unter denen ich dem König Mittel angebe, Ostende zu gewinnen, auf zwei Wegen.«

Ich bat ihn, mir sie zu sagen, und indem er eine Zeichnung aus der Tasche zog, zeigte er mir auf ihr die Festung des Feindes und die unsrige, und sagte: »Wohl sehen Euer Edeln, daß die ganze Schwierigkeit auf dieser Strecke Meeres beruht. Nun gebe ich Anweisung, sie ganz mit Schwämmen aufzusaugen und von hier wegzuschaffen.«

Ich brach über diesen Unsinn in ein lautes Gelächter aus, und er sagte, indem er mir ins Gesicht sah: »Niemandem hab ich es noch gesagt, der nicht dasselbe getan hätte, denn allen macht es großes Vergnügen.«

»Das kann nicht anders sein,« erwiderte ich ihm, »wenn man eine so neue und so gut gegründete Sache hört; aber erwägen Euer Edeln, daß, wenn Sie auch das Wasser aufsaugen, das jetzt da ist, das Meer gleich wieder mehr hineingießen wird.«

»Das wird das Meer nicht tun, denn ich habe dies tief ergründet,« antwortete er mir; »außerdem habe ich auch eine Erfindung ausgesonnen, das Meer an diesem Fleck zwölf Klaftern tief zu versenken.«

Ich wagte nicht, ihm zu antworten, aus Besorgnis, er möchte mir sagen, daß er ein Mittel habe, den Himmel auf die Erde herabzuziehn. In meinem Leben sah ich keinen so großen Narren. Er versicherte mir, daß Juanelo nichts getan habe: Juanelo, ein berühmter Mathematiker und Baumeister, der die merkwürdige Wasserleitung zu Toledo gemacht hat, deren Überbleibsel man noch jetzt bewundert. er gehe jetzt damit um, alles Wasser des Tajo nach Toledo zu bringen, auf eine andre weit leichtre Art. Und als ich wissen wollte, auf welche, sagte er: »Durch Zauber. Bemerken Euer Gnaden, ob man wohl je so etwas hörte?« Zuletzt sagte er mir: »Ich gedenke es aber nicht in Ausführung zu bringen, wenn mir nicht erst der König den Auftrag gibt, den ich recht wohl besitzen kann, da ich einen sehr ehrenvollen Adelsbrief habe.«

Unter diesen Gesprächen und Albernheiten kamen wir nach Torrejon, wo er blieb, weil er eine Anverwandte zu besuchen hergekommen war. Ich reiste weiter und kam beinahe um vor Lachen über die Projekte, worauf er seine Zeit verwandte, als ich mit Gott und zur guten Stunde von ferne einen ledigen Maulesel erblickte und einen Menschen zu Fuß neben ihm, der in ein Buch sah und allerlei Linien hineinschrieb, die er mit einem Zirkel abmaß. Er machte Sprünge und Schwenkungen von einer Seite zur andern, und von Zeit zu Zeit legte er einen Finger auf den andern und machte im Springen tausenderlei Posituren. Ich gesteh es, eine lange Weile glaubte ich (denn ich hielt etwas entfernt still, ihm zuzusehn), daß er ein Zaubrer wäre und wagte beinah nicht, vorbeizureiten. Endlich entschloß ich mich, und als ich nah kam, bemerkte er mich. Er machte das Buch zu, und indem er den Fuß in den Steigbügel setzte, glitt er aus und fiel. Ich hob ihn auf, und er sagte zu mir: »Ich nahm die Mitte der Proportion wohl nicht richtig, um die Zirkumferenz zum Aufsteigen machen zu können.« – Ich verstand nicht, was er mir sagte, und fürchtete gleich, was es war; denn kein aberwitzigerer Mensch ist je von einem Weib geboren worden. Er fragte mich, ob ich nach Madrid ginge in Linea recta oder auf zirkumflexem Weg? Und ich, obschon ich ihn nicht verstand, antwortete ihm: »Auf zirkumflexem.« Er fragte mich ferner, wem der Degen gehöre, den ich an der Seite trüge? Ich erwiderte ihm: »Mir,« und indem er ihn betrachtete, sagte er: »Diese Gefäßstangen sollten länger sein, damit man die Stiche parieren kann, die sich auf das Zentrum der Stöße richten; – und fing an darüber ein so wichtiges Wort zu führen, daß er mich nötigte, ihn zu fragen, welche Wissenschaft er triebe. Er antwortete mir, er sei ein vollkommner Fechtkünstler und bereit, dies zu beweisen an jedem Ort. Dieser Episode liegt ein Erlebnis Quevedos zugrunde, das den Anlaß zu seinem Streit mit Luis Pacheco de Narvaez gab. Dieser Edle hatte auf mathematischer Grundlage eine Art Lehrbuch der Fechtkunst, betitelt: »Hundert Schlüsse« herausgegeben. Bei einer Probe seiner Methode ward er kläglich von Quevedo besiegt und war seitdem sein Feind.

Zum Lachen gereizt, sagte ich zu ihm: »Nun in Wahrheit, nach dem, was ich Euer Edeln auf dem Felde vornehmen sah, hielt ich Sie, bei Erblickung Ihrer Kreise, eher für einen Zaubrer.«

»Dies«, sagte er, »geschah, weil mir eine Finte einfiel, mittels der Viertelvolte und des großen Zirkels den Degen des Gegners zu fangen, um diesen ohne Beichte zu töten, damit er nicht sagen könne, wer es tat; und ich war eben im Begriff, es unter mathematische Regeln zu bringen.«

»Ist es möglich,« sagte ich zu ihm, »daß Mathematik dabei ist?«

Er erwiderte: »Nicht allein Mathematik, sondern auch Theologie, Philosophie, Musik und Medizin.«

»Daß die letzte dabei ist, bezweifle ich nicht; denn man handelt ja bei dieser Kunst vom Morden.«

»Spottet nicht,« entgegnete er; »denn jetzt sollt Ihr eine Parade gegen den Degen lernen, indem ich die größten Hiebe tun will, die die Spirallinien des Degens in sich fassen.«

»Ich versteh nichts von alledem, was Ihr mir sagt, weder kleines, noch großes.«

»Nun, dieses Buch sagt es,« antwortete er mir, »das betitelt ist: Größen des Degens. Quevedo bespöttelt damit einen gewissen Estrella, der eine Theorie des Fechtens, unter dem Titel: Grandezas de las armas, Größen der Waffen, schrieb. Es ist sehr gut und handelt von Wunderdingen. Und damit Ihr es glaubt, sollt Ihr mich in Rexas, wo wir diese Nacht schlafen werden, mit zwei Bratspießen Wunder tun sehn. Und zweifelt nicht, daß der, der dieses Buch liest, alle töten kann, die er töten will.«

»Entweder lehrt dies Buch den Menschen eine wahre Pest,« sagte ich, »oder irgend ein Doktor hat es verfaßt.«

»Wieso, ein Doktor?« fragte er. »Ihr habt sehr recht, er ist ein großer Gelehrter, und fast möchte ich sagen, mehr noch.«

Unter diesen Gesprächen kamen wir nach Rexas; wir stiegen in einem Wirtshaus ab, und beim Absteigen erinnerte er mich mit lauter Stimme, ich möchte einen stumpfen Winkel mit den Beinen machen, und indem ich sie wieder in Parallellinien brächte, mich perpendikulär auf die Erde niederlassen. Der Wirt sah mich lachen und lachte mit. Er fragte mich, ob der Kavalier, der auf solche Weise redete, ein Indianer wäre. Ich meinte darüber von Sinnen zu kommen.

Er lief sogleich zum Wirt und sagte zu ihm: »Señor, geben mir Euer Edeln zwei Bratspieße zu zwei bis drei Winkeln; den Augenblick werde ich sie zurückgeben.«

»Jesus!« sagte der Wirt, »geben Euer Gnaden mir nur die Winkel her, meine Frau soll sie braten; wiewohl das Vögel sind, die ich noch nicht habe nennen hören.«

»Ach, Vögel sind es nicht,« erwiderte er; und indem er sich zu mir wendete: »Bemerken Euer Edeln, was Unwissenheit ist. Geben Sie mir nur die Bratspieße, ich will sie bloß zum Fechten haben; denn vielleicht wird Ihnen das mehr wert sein, was Sie mich heute werden tun sehn, als alles, was Sie in Ihrem Leben gewonnen haben.«

Die Bratspieße wurden aber eben gebraucht, und wir mußten zwei Kochlöffel nehmen. So etwas Lächerliches hat man in der Welt noch nicht gesehn. Er tat einen Sprung und sagte: »Mit diesem Ausfall reiche ich weiter und gewinne die Grade des Profils; jetzt bediene ich mich der Seitenbewegung, um ganz naturgemäß zu töten; dies stellt einen Hieb vor und dies einen Stich.« – Er kam auf eine Meile weit nicht zu mir und lief mit dem Kochlöffel im Kreise um mich herum, und weil ich ganz still stand, schienen es Finten gegen einen Kochtopf, der am Feuer steht und überläuft. Er sagte zu mir: »Dies nur ist das Rechte und nicht die Albernheiten, die jene Schurken von Fechtmeistern lehren, die nichts verstehn als zu saufen.«

Er hatte dies kaum ausgesprochen, als aus einem Zimmer ein stämmiger Mulatte trat, der seine Zähne zeigte, mit einem zum Sonnenschirm heruntergeschlagnen Hut und einem Reitkoller von Büffelleder unter einer offenstehenden mit Schnüren besetzten Jacke. Er war krummbeinig, wie der Reichsadler, hatte ein Gesicht mit einem per signum crucis de inimicis suis, Das ist ein Gesicht, das durch kreuzweise Schmarren entstellt ist. einen gekrümmten Bart mit einem Paar Knebeln, gleich Bügeln am Degen, und einen Dolch mit mehr Gitterwerk am Gefäße, als ein Sprechzimmer der Nonnen. Er blickte auf den Boden, und sagte: »Ich bin examiniert und habe ein Diplom. Bei der Sonne, die die Saaten erwärmt, ich haue den zu Kochstücken, der übel spricht von einem ehrlichen Kerl, der die Fechtkunst treibt!« – Da ich die vom Zaun gebrochne Gelegenheit merkte, legte ich mich dazwischen und sagte, daß er mit ihm nicht spräche und daß er also auch keine Ursache habe, sich zu erzürnen.

»Er lege Hand an die Plempe, wenn er eine habe, und wir wollen untersuchen, was wahre Fechtkunst ist, und die Kochlöffel tue er bei Seite.«

Mein armer Gefährte schlug das Buch auf, und rief mit lauter Stimme: »Dieses Buch sagt es. Es ist mit Bewilligung des Königs gedruckt, und ich werde behaupten, daß es Wahrheit ist, was es sagt, mit und ohne Kochlöffel, hier und an jedem andern Orte; und wo nicht, so laßt es uns ausmessen!« – Er zog den Zirkel hervor und hub wieder an: »Dieser Winkel ist stumpf.« – Jetzt faßte der Fechtmeister den Dolch und sagte: »Ich weiß nicht, was Winkel und was stumpf ist und habe in meinem Leben solche Namen nicht nennen hören; aber mit diesem in der Hand will ich ihn in Stücken zerreißen.« – Er stürzte auf den armen Teufel los, der anfing zu fliehen und Sprünge durch das Haus zu machen, indem er rief: »Er kann mich nicht verwunden, denn ich habe ihm die Grade des Profils abgewonnen!«

Wir stifteten Frieden zwischen ihnen, der Wirt, ich und andre Leute, die zugegen waren, wiewohl ich mich vor Lachen nicht rühren konnte. Man brachte den guten Menschen in sein Zimmer und mich mit ihm. Wir speisten zu Abend, und legten uns alle im Hause schlafen. Um zwei Uhr des Morgens stand er im Hemd auf und fing an, im Dunkeln im Zimmer auf und ab zu gehn, indem er Sprünge machte und in mathematischer Sprache tausend Albernheiten sagte. Er weckte mich, und damit nicht zufrieden, ging er hinunter zum Wirt, damit er ihm Licht gebe, indem er sagte, er habe das fixe Objekt für den Stoß, die Chorde des Segments, erfunden. Der Wirt wünschte ihn zu allen Teufeln, weil er ihn aufgeweckt hatte, er plagte ihn aber so lange, bis er ihn einen Narren nannte. Damit kam er wieder herauf und sagte zu mir, wenn ich aufstehn wollte, sollte ich die so berühmte Finte sehn, die er wider den Türken und seine Säbel erfunden habe. Er fügte hinzu, er werde gleich gehn, sie dem König zu lehren, da sie der ganzen katholischen Christenheit zur Wohlfahrt gereiche.

Indessen tagte es; wir kleideten uns alle an und bezahlten die Zeche. Wir stifteten Freundschaft zwischen ihm und dem Fechtmeister, der beim Weggehn sagte, daß das, was mein Reisegefährte vorbrächte, gut wäre; es mache aber mehr närrisch als gescheit, weil die meisten das wenigste davon verständen.


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