Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Von dem, was mir auf dem Wege nach Madrid mit einem Poeten begegnete.

—————

Ich nahm meinen Weg nach Madrid, und er nahm von mir Abschied, weil er einen andern Weg ging. Schon war er entfernt, als er mit großer Eile umkehrte und mich mit lauter Stimme rief; und obgleich wir im freien Felde waren, wo uns niemand hörte, sagte er mir doch ins Ohr: »Bei Euer Edeln Leben, entdecken Sie nichts von allen den tiefen Geheimnissen, die ich Ihnen mitgeteilt habe in betreff der Fechtkunst. Behalten Sie es für sich; Sie sind ja ein Mann von gutem Verstand.« – Ich versprach ihm, es zu tun. Er ging wieder von mir weg, und ich fing an zu lachen über das so lustige Geheimnis.

Damit reiste ich mehr als eine Meile weit, ohne jemand zu begegnen. Ich erwog bei mir selbst die vielen Schwierigkeiten, die ich hatte, wenn ich mich der Ehre und Tugend befleißigen wollte; denn es war nötig, zuerst die geringe meiner Eltern zu verbergen und zugleich selbst so viele zu besitzen, daß ich durch sie unkenntlich würde. Und es schienen mir diese Gedanken so ehrenwert, daß ich mir selbst dazu Glück wünschte. Ich sagte im stillen: bei weitem lobenswerter werde ich sein, da ich niemanden gehabt habe, von dem ich hatte Tugend lernen können, als der, der sie von seinen Voreltern geerbt hat.

Mit diesen Gedanken und Betrachtungen war ich eben beschäftigt, als ich auf einen sehr alten Geistlichen stieß, der auf einem Maulesel die Straße nach Madrid zog. Wir knüpften ein Gespräch an, und sogleich fragte er mich, woher ich käme? Ich sagte ihm, von Alcala. – »Gott verdamme,« rief er, »so elendes Volk, da unter so vielen nicht ein vernünftiger Mensch ist!«

Ich fragte ihn, wie oder warum er dergleichen sagen könne von einem Ort, wo sich so viele gelehrte Männer aufhielten; und er sagte sehr aufgebracht: »Gelehrte? Ich muß Euer Edeln sagen, so gelehrt, daß sie mir in vierzehn Jahren, seit ich in Majalaonda, wo ich Küster war, die Lieder zum Fronleichnamsfest und Weihnachten mache, in dem Wettstreit nicht einem einzigen meiner Liedchen den Preis zuerkannten. Und damit Euer Edeln das Unrecht sehn, das sie mir antaten, so will ich sie Ihnen vorlesen.« – Er fing folgendermaßen an:

Welch eine Lust! ihr Hirten wißt,
's ist heut der Herr Sankt Corpus-Christ!
Es ist der frohe Tag zum Tanzen,
An dem das Lämmlein nie getadelt
Sich so entadelt,
Daß es besuchet unsre Ranzen,
Und unter seligem Behagen
Eingehet in der Menschen Magen.
Posaun erschall, sein Lob zu sagen:
Heil unserm Gluck zu dieser Frist!
Welch eine Lust! ihr Hirten wißt usw.

»Was könnte selbst der Erfinder der Reimspiele mehr sagen?« fuhr er fort. »Bemerken Sie, welche Mysterien das einzige Wort Hirten in sich schließt. Es kostete mich mehr als einen Monat Nachsinnen.«

Ich konnte mich dabei des Lachens nicht enthalten, so daß mir Wasser aus Augen und Nase lief, und indem ich ein lautes Gelächter erhob, sagte ich: »Ein bewundernswertes Stück! Nur dies einzige möchte ich daran aussetzen, daß Euer Edeln Herr Sankt Corpus Christ sagen, und Corpus Christi ist doch kein Heiliger, sondern der Tag der Einsetzung des heiligsten Sakraments.«

»Das ist doch artig,« antwortete er mir spottend. »Ich will es Ihnen im Kalender zeigen, er ist kanonisiert, und ich will meinen Kopf darauf verwetten.« – Ich konnte nicht streiten, außer mir vor Lachen, diese äußerste Unwissenheit zu sehn; vielmehr sagte ich zu ihm, daß seine Lieder jedes Preises würdig wären, und daß ich so etwas Anmutiges in meinem Leben nicht gehört hätte.

»Nicht?« sagte er in demselben Augenblick; »nun so hören jetzt Euer Edeln ein Stück von einem Werkchen, das ich auf die elftausend Jungfraun gemacht habe, worin ich auf eine jede fünfzig Oktaven dichtete; ein kostbares Werk!« – Um mich vom Anhören so vieler Millionen Oktaven loszumachen, bat ich ihn, mir nichts von geistlichen Sachen zu sagen; und nun fing er an, mir eine Komödie vorzutragen, die mehr Stationen hatte, als der Weg nach Jerusalem. Jornada bedeutet zugleich eine Tagereise oder Station und einen Akt im Schauspiel. Er sagte zu mir: »Ich machte sie in zwei Tagen, und dies ist das Konzept.« – Es mochten ungefähr fünf Buch Papier sein, und der Titel war: Die Arche Noäh. Sie spielte einzig unter Hähnen, Ratten, Eseln, Füchsen und Ebern wie Äsops Fabeln. Ich lobte Plan und Erfindung, worauf er mir antwortete: »Es ist mein Werk. Freilich hat man noch nichts dergleichen in der Welt gemacht, und die Neuheit geht über alles, und wenn ich es dahin bringe, sie aufführen zu lassen, so wird es ein berühmtes Stück werden.«

»Wie wird man sie aber aufführen können,« entgegnete ich ihm, »da selbst Tiere auftreten sollen, und diese doch nicht sprechen?«

»Das ist eben die Schwierigkeit, denn wenn diese nicht wäre, würde es wohl etwas Erhabners geben? Aber ich hab daran gedacht, sie ganz durch Papageie, Stare und Elstern darstellen zu lassen, die sprechen, und zum Zwischenspiele Affen zu gebrauchen.«

»Gewiß, es ist ein erhabnes Werk.«

»Andre erhabnere hab ich gemacht,« sagte er, »für ein Frauenzimmer, das ich liebe; und sehn Sie hier neunhundert und ein Sonett und zwölf Redondillas (es schien, als ob er Scudos nach Maravedis zählte), gedichtet auf die Füße meiner Dame.« – Ich fragte ihn, ob er sie gesehn habe, und er antwortete mir, daß er sie nicht gesehn habe, wegen des Ordens, in dem er stehe, aber seine Vorstellungen davon wären wahre Prophezeiungen.

Ich gesteh es, obgleich es mich ergötzte, ihn zu hören, so fürchtete ich doch so viele schlechte Verse, und deshalb fing ich an, das Gespräch auf andre Dinge zu lenken. Ich sagte zu ihm, dort sähe ich einen Hasen; und er antwortete: »Nun, so will ich mit einem anfangen, worin ich sie mit diesem Tier vergleiche;« – und er fing sogleich an. Um ihn davon abzubringen, sagte ich zu ihm: »Bemerken Euer Edeln diesen Stern, den man bei Tag sieht?« – worauf er versetzte: »Wenn ich mit diesem zu Ende bin, werde ich Ihnen das dreißigste Sonett hersagen, in dem ich sie einen Stern nenne; denn es scheint nicht anders, als daß Sie den Inhalt meiner sämtlichen Sonette kennen.«

Ich war so verdrießlich, zu sehn, wie man keine Sache nennen konnte, auf die er nicht irgend eine Albernheit gemacht hätte, daß ich mich vor Vergnügen kaum zu lassen wußte, als ich bemerkte, daß wir nach Madrid kamen, in der Meinung, er werde nun aus Scham schweigen. Aber es erfolgte grade das Gegenteil; denn um zu zeigen, wer er wäre, erhob er seine Stimme, als wir in die Straßen kamen. Ich bat ihn inständig, es doch zu unterlassen, indem ich ihm vorstellte, wenn die Jungen einen Poeten witterten, würde kein Kohlstrunk mehr übrig bleiben, der nicht hinter uns hergeflogen käme, weil die Poeten für Narren erklärt wären in einer Verordnung, die gegen sie erschienen wäre von einem, der es selbst gewesen ist, sich aber jetzt zu einem vernünftigen Leben zurückgezogen hätte. Er bat mich sehr ängstlich, sie ihm vorzulesen, wenn ich sie hätte. Ich versprach, es im Gasthof zu tun. Wir begaben uns in einen, wo er abzusteigen pflegte, und fanden an der Tür mehr als zwölf Blinde. Einige erkannten ihn am Geruch, andre an der Stimme, und riefen ihm ein verworrnes Willkommen entgegen. Er umarmte sie alle, und sogleich begannen einige, ihn um ein Gebet an den gerechten Richter zu bitten, in feierlichen und spruchreichen Versen, so daß es zu Gebärden Anlaß gäbe, andre verlangten eins für die abgeschiednen Seelen. Sie kamen auf der Stelle überein, und er empfing acht Realen Aufgeld von einem jeden. Er entließ sie und sagte zu mir: »Diese Blinden müssen mir mehr einbringen als dreihundert Realen; also will ich, mit Euer Edeln Erlaubnis, jetzt ein wenig beiseite gehn, um eins davon zu machen, und nach dem Essen wollen wir die Verordnung hören.«

O armseliges Leben! aber keins ist es mehr als das der Narren, die ihren Unterhalt verdienen von denen, die es ebenfalls sind!


 << zurück weiter >>