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Erstes Kapitel.

In dem erzählt wird, wer er ist und woher.

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Ich, Señor, bin aus Segovia. Mein Vater nannte sich Clemens Paul, gebürtig aus demselben Orte. Gott hab ihn selig! Er war, wie alle sagen, seines Handwerks ein Barbier, wiewohl seine Gedanken so hoch strebten, daß er sich schämte, wenn man ihn so nannte, indem er sagte, er sei ein Wangenscherer und Bartschneider. Man sagt, daß er der Sprößling einer sehr edeln Stammrebe war, und nach seinem Trinken war die Sache zu glauben. Verheiratet war er mit Aldonza Saturno de Rebollo, Tochter des Octavio de Rebollo Codillo, und Enkelin des Lepido Ziuraconte.

Man hegte Verdacht im Ort, sie wäre keine Altchristin, obgleich sie durch die Namen ihrer Vorfahren erhärtete, daß sie vom römischen Triumvirat abstamme. Octavius und Lepidus waren, wie bekannt, römische Triumviri. Sie hatte ein hübsches Ansehn und war so gefeiert, daß bei ihren Lebzeiten alle Reimschmiede Spaniens Lieder auf sie machten. Kaum verheiratet, erlitt sie große Drangsale, und auch nachher; denn böse Zungen bemühten sich zu verbreiten, mein Vater wechsele für Geld Hörner ein. Wörtlich: er spiele die Zwei von Bastos aus, um damit das As von Oros zu gewinnen. Die spanischen Karten heißen nach ihren Farben: oros, bastos, espadas und copas. Bastos sind kreuzweis übereinandergelegte Stöcke oder Knüttel, und oros stellen Goldmünzen vor. Da nun besonders die Zwei der ersten Hörnern sehr ähnlich ist, so erklärt sich die Anspielung leicht. Man bewies ihm, daß allen, denen er mit dem Schermesser den Bart putzte, während er sie einseifte und das Gesicht zum Becken erhob, mein siebenjähriger Bruder mit aller Bequemlichkeit das Mark aus den Taschen holte. Das Engelchen starb an einigen Peitschenhieben, die man ihm im Gefängnis gab. Darüber betrübte sich mein Vater sehr, weil es ein Kind war, das allen die Herzen stahl.

Wegen dieser und andrer Kleinigkeiten wurde er gefänglich eingezogen, wiewohl er, wie man mir erzählt hat, hernach aus dem Gefängnis kam mit so viel Ehre, daß ihn zweihundert Kardinäle begleiteten, nur daß keiner Eminenz tituliert wurde. Cardenales heißen im Spanischen sowohl Kardinäle, als auch blaue Flecken oder Striemen von empfangenen Schlägen. Die Damen, sagt man, liefen, ihn zu sehn, an die Fenster; denn immer hatte mein Vater ein stattliches Ansehn, zu Fuß und zu Pferde. Ich sage dies nicht aus eitler Ruhmsucht, da alle wohl wissen, wie entfernt ich davon bin.

Meine Mutter hatte weiter keine Verdrießlichkeiten. Eines Tags lobte sie mir ein altes Weib, das mich erzog, und sagte, ihre Reize wären so groß, daß sie alle bezaubre, die mit ihr umgingen. Nur erwähnte sie, daß sie ihr, ich weiß nicht was, von einem Ziegenbocke gesagt habe, das sie nahe daran gebracht, daß man sie mit Federn geschmückt und so ins Publikum gebracht hätte. Eine Strafe für Hexen war in Spanien, sie mit Teer oder Honig zu bestreichen, dann mit Federn zu bestreuen, und sie so befiedert auf einem Esel zur Schau durch die Straßen zu führen. Sie stand in dem Ruf, Jungfern aufzustutzen, Haare wieder herzustellen und Glatzen zu bedecken. Einige nannten sie Flickerin der Lüste, andre Einrichterin verrenkter Neigungen, und mit einem Ekelnamen, Kupplerin und Geldfluß aller. Und zu sehn, wie sie mit lächelndem Gesicht dies von allen anhörte, trug nur noch mehr dazu bei, ihr aller Zuneigung zu gewinnen.

Ich will mich nicht aufhalten, die strenge Buße zu erzählen, die sie tat. Sie hatte ihre Kammer, in die nur allein sie ging (und auch manchmal ich; denn als kleines Kind durfte ich es), ringsherum ausgeschmückt mit Totenschädeln, wie sie sagte, zur Ermahnung und Erinnerung an den Tod; andre, um sie zu schmähn, meinten, aus Lust am Leben. Ihr Bett war auf Stricken von Gehenkten gemacht, und sie sagte zu mir: »Glaub es nur, mit der Erinnerung daran gebe ich denen, die ich liebe, den Rat, daß sie, um jenen zu entgehn, immer auf ihrer Hut sind; dergestalt, daß sie sich auch nicht durch die geringsten Anzeigen dessen, was sie etwa nicht tun möchten, verraten.«

Es gab großen Streit unter meinen Eltern darüber, wessen Handwerk ich ergreifen sollte; aber ich, der ich von Kindheit an immer Kavaliersgedanken hatte, widmete mich niemals weder dem einen noch dem andern. Mein Vater sagte zu mir: »Sohn, die Diebshantierung ist kein Handwerk, sondern eine freie Kunst.« – Und nach einer Pause und einem Seufzer fuhr er fort: »Auf mein Wort, wer nicht stiehlt in der Welt, lebt nicht. Warum meinst du wohl, daß die Häscher und Amtleute uns so sehr hassen? Einmal schaffen sie uns über die Grenze, ein andres Mal stäupen sie uns, und noch ein andres Mal binden sie uns an, wenn auch der Tag unsers Heiligen noch nicht gekommen ist. Ich kann es nicht ohne Tränen sagen (wie ein Kind weinte der Alte, sich erinnernd, wie oft sie ihm die Rippen durchwalkt hatten); denn sie wollen nicht, daß es da, wo sie sind, noch andre Spitzbuben gebe, außer ihnen und ihren Dienern. Aber von allem befreit uns gut angewandte List. In meiner Jugend ging ich immer in den Kirchen umher (und wahrhaftig nicht bloß als ein guter Christ); oftmals würden sie mich als Eselsritter herumgeführt haben, wenn ich auf der Folter gesungen hätte. Aber niemals beichtete ich, als wo es die heilige Mutter Kirche befiehlt; und so habe ich damit und mit meiner Kunst deine Mutter erhalten, so ehrenvoll als ich gekonnt.«

»Wie, mich habt Ihr erhalten?« sagte sie mit großem Zorn (es verdroß sie nämlich, daß ich mich nicht auf die Hexerei legte). »Ich hab Euch erhalten, und Euch aus den Gefängnissen geholt durch Kunst und Euch darin erhalten durch Geld. Wenn Ihr nicht bekanntet, geschah es denn durch Euern Mut oder durch die Tränke, die ich Euch gab? Dank meinen Flaschen! Und wenn ich nicht fürchtete, man möchte mich auf der Straße hören, ich würde Euch sagen, wie ich durch den Schornstein hineinkam und Euch durch das Dach hinausführte.«

Sie hätte noch mehr gesagt, so war sie ergrimmt, wenn sie nicht durch die Bewegungen, die sie machte, einen Rosenkranz aus Zähnen von Toten, die sie zur Ruhe gebracht, abgereiht hätte.

Ich sagte ihnen, daß ich durchaus Tugend erlernen und meinen guten Neigungen folgen wollte; und deshalb möchten sie mich in die Schule schicken, da ohne Lesen und Schreiben nichts zu machen wäre. Das, was ich sagte, dünkte ihnen gut, wiewohl sie noch eine Zeit lang untereinander brummten. Meine Mutter fing an, sich mit dem Anreihen der Zähne zu beschäftigen, und mein Vater ging, einen zu putzen (so sagte er), ich weiß nicht, ob, den Bart oder den Beutel. Ich blieb allein, Gott dankend, daß er mich zum Sohn so geschickter und für mein Wohl besorgter Eltern gemacht hatte.


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