Ludwig Preller
Griechische Mythologie II - Heroen
Ludwig Preller

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b. Der Weg nach Athen und der Kampf mit den Pallantiden.

Es gab eine Zeit wo der ionische Stamm die ganze Küste von Troezen über den Isthmos bis Athen beherrschte, daher Theseus als der Reiniger dieses Wegs von allen Gefahren der Natur oder räuberischer Sitte erscheint, vermuthlich mit besonderer Beziehung auf die Heiligthümer des isthmischen Poseidon, welche in älterer Zeit ionisch waren und deshalb für eine Stiftung des Theseus galten. Seine Thaten auf dem Wege von Troezen nach Athen haben insofern große Aehnlichkeit mit denen des Herakles auf der pythischen Processionsstraße von Delphi durch Thessalien an den Olymp. Der Cyclus dieser Thaten des Theseus, deren sechs sind, ordnete sich von selbst nach einer örtlichen Folge und ist auf den Bildwerken des ausgebildeten Kunststils eben so häufig als es auf den Vasengemälden von alterthümlicher Zeichnung die Thaten des Herakles sindAußer den Bildwerken am Theseion s. Gerhard A. V. t. 159 ff., O. Jahn Einl. in die Vasenk. CCXIII, B. Stark b. Gerhard D. u. F. 1860 S. 123 ff..

1. Als er über das sehr unwegsame Grenzgebirge zwischen Troezen und Epidauros gehtCurtius Pelop. 2, 430. Epidauros selbst war in alter Zeit ionisch wie Troezen und alle diese Küstenpunkte., trifft er auf den Periphetes d. h. den Hochberühmten, einen Sohn des Hephaestos, der wie sein Vater auf schwachen Beinen lebte, aber eine eiserne Keule führte (daher Κορυνήτης), mit welcher er die Vorübergehenden tödtete. Theseus tödtete ihn und nahm seine KeuleΚορυνήτης nach Il. 7, 138, wo Areithoos σιδηρείῃ κορύνῃ ῥήγνυσκε φάλαγγας. Περιφήτης wie Περίφημος..

2. Auf dem korinthischen Isthmos trat ihm Sinis d. h. der Beschädiger, der Räuber entgegen, genannt der Fichtenbeuger (Πιτυοκάμπτης), weil er die Wanderer zwang mit ihm eine Fichte niederzubeugen, dann plötzlich losließ und die Zerschmetterten vollends tödteteΣίνις von σίνομαι, wie die Σίντιες, Σίνων u. a., vgl. das Fr. der Epigonen b. Schol. Soph. O. C. 378 Αὐτόλυκον, πολέων κτεάνων σίνιν Ἄργει κοίλω, Lykophr. 539, auch von Raubthieren und Raubvögeln, Aesch. Ag. 718, Kallim. Ap. 92. Bei Apollodor heißt er ein Sohn Πολυπήμονος καὶ Συλέας τῆς Κορινϑίας d. h. des Vielschädigers und der Berauberin. Das Niederbeugen der Fichte beschreibt Hygin f. 38 eben so, dahingegen nach Diod. 4, 59 zwei Fichten zusammengebogen, der Fremde an dieselben gebunden und von ihnen, indem Sinis sie plötzlich auseinanderfahren ließ, zerrissen wurde, vgl. die Execution des Kaisers Aurelian b. Flav. Vopisc. 7. Eine Tochter des Sinis soll vom Theseus den Melanippos geboren haben, Paus. 10, 25, 3, Plut. Thes. 9.. Theseus nahm ihm auf dieselbe 290 Weise das Leben und stiftete in derselben Gegend später die isthmischen Spiele in gelichteter Fichtenwüstung. Bis in diese Gegend reichte, so lange die Pelopiden über die Pelopsinsel herrschten, die Grenze von IonienDie Tradition von dem alten Grenzsteine mit der Aufschrift gegen Morgen τάδ' οὐχὶ Πελοπόννησος ἀλλ' Ἰωνία, gegen Abend τάδ' ἐστὶ Πελοπόννησος οὐκ Ἰωνία b. Str. 9, 392, Plut. Thes. 25., und immer behielten die Athenienser bei den Isthmien gewisse Ehrenrechte.

3. In der beengten und waldigen Gegend vom Krommyon trifft er auf eine sehr starke und wilde Sau, die man die Graue nannte (Φαιά). Auch sie fiel dem Theseus.

4. Auf dem gefährlichsten Punkte des Passes, wo schroffe Felsen und Klippen sich hoch emporthürmen, Zeus von oben Gewölk und Sturm sandte, Ino mit ihrem Melikertes in wilder Angst ins Meer gesprungen war, hatte sich der Räuber Skiron oder Skeiron eingenistet. Der zwang alle Wanderer ihm die Füße zu waschen und stieß sie, wenn sie vor ihm niederknieeten, ins Meer hinab, wo eine große Seeschildkröte geschlichen kam und die zerschellten Glieder auffraß. Theseus that ihm wie er Andern gethan hatte. Es scheint wohl daß dieser Skeiron, den Euripides durch ein Satyrdrama verherrlicht hatte, ein Bild für die heftigen Stürme ist, welche den Wanderer von den Skeironischen Felsen, so hieß dieser Paß, leicht in die See hinunterstießen, wo die Klippen seine Glieder zerschellten. Denn die Gefahr dieser Klippen am Fuße des Passes war für den Seemann keine geringere als die der abschüssigen Felsenwand oben für den WandererHesych Σκείρων ἀργέστης, δοκεῖ δὲ ἀπὸ τῶν Σκειρωνίδων πετρῶν καταπνεῖν, vgl. Str. 1, 28 u. das Epigramm des Simonides Anth. Pal. 7, 496. Ich glaubte dort von oben eine Klippe in Gestalt einer großen Schildkröte zu sehn. Der Name Σκίρων hängt wohl zusammen mit σκίρος trocken, felsig, kreidig (1, 162, [426]), so daß zuerst die Felsen und nach ihnen der Wind so genannt worden wäre..

5. Bei Eleusis, nicht weit von der megarischen Grenze, erwartete ihn der Kampf mit Kerkyon, der Alle die des Weges zogen mit ihm zu ringen zwang, ein Kampf welcher in der Geschichte der attischen Palaestra nicht weniger berühmt war als der des Herakles mit Antaeos. Zugleich befreite er die von ihrem Vater Kerkyon mißhandelte Alope, welche vom Poseidon den Hippothoon geboren hatte, und gab diesem das Reich (1, 460). 291

6. Nicht weit vom Ausgange nach EleusisPlut. 11 , wo zu lesen ist ἐν Ἐρινεῶ, vgl. Paus. 1, 38, 5. Nach Diod. 4, 59 wohnte Prokrustes ἐν τῷ λεγομένῳ Κορυδαλλῷ τῆς Ἀττικῆς d. h. in der Gegend des Klosters Dafne, beim Uebergange aus der Ebene von Eleusis in die von Athen. züchtigte er den Damastes oder Polypemon d. h. den Zwinger, den Schädiger, den man gewöhnlich Prokrustes nannte, weil er die bei ihm Einkehrenden auf ein Lager zwang und wenn sie zu lang waren die überschüssigen Gliedmaaßen abhackte, wenn sie zu kurz waren die Füße länger hämmerte (προκρούειν).

Nun ist der Weg frei und er kommt ungehindert bis an den Kephissos bei Athen, wo ihn die freundlichen Phytaliden (1, 457) vom vergossenen Blute reinigten und darauf in die Stadt führten. Als er durch die Stadt zu seinem Vater geht, der zarte Jüngling mit dem schleppenden ionischen Gewande und zierlich aufgebundenem Haar, spotten die bei einem Tempelbau beschäftigten Arbeiter des schönen Mädchens, das so allein herumstreiche. Da spannt er die Stiere von einem Wagen und wirft den Wagen so hoch in die Luft, bis über die Köpfe der Arbeiter auf dem Dach, daß Alle erstauntenPaus. 1, 19, 1.. Beim Aegeus trifft er die aus Korinth geflüchtete Medea, mit welcher sich Aegeus inzwischen vermählt hatte. Sie weiß daß sie den Sohn des Hauses vor sich hat und beredet Aegeus den Unbequemen zu vergiften. Schon stand der Giftbecher bereit, da zieht Theseus sein Messer zum Mahle, der Vater erkennt ihn daran und an den Sohlen seiner Füße, stößt den Becher um und fällt in die Arme des lange entbehrten Sohnes. Medea wird verbannt und begiebt sich mit Medos, ihrem Sohne vom Aegeus, nach Medien. Man merkt an der Erzählung den Einfluß einer Tragödie des Euripides, welche Aegeus betitelt warSchol. Il. 11, 741, Plut. Thes. 12, Paus. 2, 3, 7 u. A. Den Moment der Erkennung vergegenwärtigt ein gewöhnlich durch Nestor und Machaon erklärtes, in mehreren Exemplaren vorhandenes Terracottarelief, s. O. Jahn Arch. Aufs. 185, A. Stark Arch. Stud. 93..

Schon war der alternde König durch seine anhaltende Kinderlosigkeit in große Gefahr gerathen. Sein Bruder, der rauhe Pallas, hatte funfzig riesenstarke SöhneSophokles b. Str. 9, 392 ὁ σκληρὸς οὗτος καὶ γίγαντας ἐκτρέφων Πάλλας. Vgl. Müller in den hyperb. röm. Studien 276 ff., die den Aegeus in Athen verachteten und gierig nach seinem Reiche sahen. Als die von dem verlornen Sohne aus der Fremde hörten, thaten sie 292 sich alle zusammen und zogen mit dem Vater gegen Athen. Ein Haufe rückte auf offener Straße von Sphettos her, ein anderer hatte sich heim Gargettos in einen Hinterhalt gelegt um dem Theseus wenn er mit jenem kämpfte in den Rücken zu fallen. Aber ein Herold verrieth dem Sohne des Aegeus diesen Anschlag, daher sich Theseus gleich auf jenen Hinterhalt warf und Alle umbrachte, so daß die Andern von selbst umkehrtenDie Straße von Sphettos ist die aus der Mesogaea zwischen dem Hymettos und Brilessos (Pentelikon) nach Athen führende. Gargettos lag am Fuße des Brilessos. Auch in den benachbarten Demen Hagnus und Pallene beschäftigte sich die örtliche Ueberlieferung mit diesem Kampfe, s. Plut. Thes. 13, Roß Demen v. Attika 53..


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