Ludwig Preller
Griechische Mythologie II - Heroen
Ludwig Preller

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6. Kreta.

Diese große und fruchtbare Insel muß in einer sehr frühen Zeit einen sehr bedeutenden Einfluß auf die griechischen Inseln und Gewässer, aber auch auf verschiedene Theile des griechischen Festlandes ausgeübt haben: die natürliche Folge einer für alle Unternehmungen im mittelländischen Meere überaus günstigen Lage und einer sehr alten Cultur. Die älteste Bevölkerung scheint dieselbe gewesen zu sein wie die sonst über einen großen Theil von KleinasienNach Kleinasien weist besonders die Identität des Dienstes der Rhea und des idaeischen Zeus, Bd. 1, 102 ff. 502 ff. 515 ff., die Inseln und viele Theile von Griechenland verbreitete; ja diese Bevölkerung scheint eben in dem Minoischen Kreta den Mittelpunkt zu einer großen Machtentwicklung gefunden zu haben. Den bestimmteren Anlaß dazu gaben die Einflüsse der orientalischen Culturstaaten, namentlich der Phoeniker, auf welche viele Merkmale hinweisen. So liegt von Knosos, dem wichtigsten Orte der Minoischen Vorzeit, die bestimmte Ueberlieferung vor daß diese Stadt und der Fluß an dem sie lag früher Καίρατος geheißen habe, was auf ein weitverbreitetes Stammwort phoenikischer Städtegründung deutet und zugleich am besten den altherkömmlichen Namen der Insel Κρήτη erklärtStrabo 10, 476 ἐκαλεῖτο δὲ ἡ Κνωσὸς Καίρατος πρότερον, ὁμώνυμον τῷ παραρρέοντι ποταμῷ, Hes. Καιράτιοι οἱ Κνώσιοι ἀπὸ ποταμοῦ. Der Name des Flusses erhielt sich länger als der der Stadt, Kallim. Dian. 44, Virg. Cir. 112. Es ist dasselbe Wort קרת in der Bedeutung von Burg und Stadt, welches in den Namen Melkart, Melikertes, Karthago, Karthaea u. a. hervortritt.. Gortys, der zweite Hauptort der Minoischen Vorzeit, berühmt durch seine Sagen und seine Culte der Europa und des Zeus Asterios, hieß früher mit Beziehung auf den Dienst der Europa Hellotis, welches Wort von den Alten 115 gleichfalls aus dem Phoenikischen erklärt wirdSteph. B. v. Γόρτυν, πρότερον γὰρ ἐκαλεῖτο Ἑλλωτις· οὓτω γὰρ παρὰ Κρησὶν ἡ Ευρώπη. Etym. M. Ἑλλωτία η Εὐρώπη, ὅτι οἱ Φοίνικες τὴν παρϑένον ἑλλωτίαν καλοῦσιν. Vgl. Movers Phönizier 2, 2, 80 und über die andern Namen 258 ff. Ueber den neuerdings oft besprochenen Zusammenhang zwischen Kreta und Philistaea s. Stark Gaza 98 ff.. Eben so entschieden weist Phaestos mit seinem Talos, Leben durch seinen Namen, Itanos mit seiner ausdrücklich bezeugten Abkunft, der Fluß Iardanos bei Kydonia, der durch die Insel verbreitete Dienst der Astarte und des Baal Moloch auf eine aus jener Gegend verbreitete Cultur zurück. Erst mehrere Generationen nach der Rückkehr der HeraklidenDie Dorier auf Kreta Od. 19, 177 sind ein Anachronismus, wie deren bei Homer verschiedene vorkommen. Aus demselben ist bei einem späteren Grammatiker die Hypothese einer dorischen Colonie aus Thessalien nach Kreta entstanden., um dieselbe Zeit wo von Griechenland viele Unternehmungen zur See ausgingen, welche sich zuletzt des ganzen Archipels und eines großen Theiles von Kleinasien bemächtigt haben: erst in dieser Zeit ist Kreta hellenisirt worden und zwar durch zwei auf einander folgende Einwanderungen achaeischer und dorischer Abkunft, welche sich vorzüglich eben jener alten phoenikischen Pflanzstädte bemächtigten, also die Erben ihrer Cultur wurden. Darauf entwickelte sich eine Sagenbildung in welcher wie gewöhnlich Historisches und Mythisches gemischt ist, das letztere indessen überwiegt und zwar mit der eigenthümlichen Erscheinung daß mehr als irgendwo auf bestimmte Traditionen des Cultus, namentlich auf alte Cultusbilder phoenikischen Ursprungs Rücksicht genommen wird. Die Ueberlieferung von diesen Fabeln und überhaupt von den alten Zeiten blieb eine unvollkommene, weil die gewöhnliche griechische Sagengeschichte Kreta nur wenig berührte. Nur das attische Theater und die attischen Sagenschreiber wurden durch die Erinnerungen aus der Vorzeit ihrer eignen Heimath auf die Geschichten von dem mächtigen Seekönige Minos oft zurückgeführt.


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