Paul, Hermann
Prinzipien der Sprachgeschichte.
Paul, Hermann

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233 Zwölftes Kapitel.

Einfluss der Funktionsveränderung auf die Analogiebildung.

§ 159. Die Einordnung der einzelnen Wörter und Formen und der syntaktischen Verbindungen unter die sprachlichen Gruppen ist immer durch ihre Funktion bedingt. Eine Veränderung der Funktion kann daher Veranlassung zum Eintritt in eine andere Gruppe werden. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bedingt dann aber auch eine Teilnahme an deren schöpferischer Kraft. So entstehen analoge Neuschöpfungen, die sich in einer anderen Richtung bewegen, als der Ursprung der betreffenden Wortform oder Konstruktionsweise erwarten lässt. Die folgenden Beispiele mögen dies im einzelnen veranschaulichen.

§ 160. Verwandlung eines Appellativums in einen Eigennamen veranlasst eine entsprechende Veränderung der Deklination, vgl. die Akkusative und Dative Müllern, Schneidern, Beckern etc. Eine Folge des christlichen Monotheismus war es, dass von got im Ahd. nach Analogie der Eigennamen ein Akk. gotan gebildet wurde. Damit zu vergleichen sind die Dat.-Akkusative Vatern, Muttern, wie sie z. B. in Berlin üblich sind.

Nach Ausbildung der Familiennamen werden Vor- und Zuname als eine Einheit gefasst, und man bildet daher z. B. den Gen. Friedrich Müllers, während man, solange Müller noch als ein Beiname nach der Beschäftigung gefasst wurde, Friedrichs Müllers sagen musste. Nachdem sich das ursprünglich zur Angabe der Herkunft gebrauchte von zur Bezeichnung des Adels entwickelt hatte, wurde es gleichfalls in den Namen mit einbezogen, und man bildete z. B. den Gen. (Karl) von Rottecks (nicht mehr Karls von Rotteck). In der Schweiz, wo Familiennamen wie Von der Mühl, Auf der Mauer nicht selten sind, fällt jetzt der Hauptton auf die Präp., eine Folge davon, dass das Ganze als ein Wort gefasst wird. Entsprechend verhält es sich mit Ortsnamen wie Amsteg, Ímhof. 234

§ 161. Im Lat. war decemviri ursprünglich nichts anderes als »die zehn Männer.« Nachdem man sich aber gewöhnt hatte, den Ausdruck als Bezeichnung eines bestimmten Kollegiums zu fassen, gelangte man dazu als Amtsbezeichnung für einen einzelnen den Sg. decemvir zu bilden. Entsprechend gebildet ist der Siebenschläfer aus die sieben Schläfer (nach der Legende), mhd. der zwelfbote (Apostel) aus die zwelf boten.

Wenn ein Kompositum nicht mehr als solches empfunden wird, folgt es der Analogie der Simplizia. Vgl. die Partizipia gefressen (mhd. noch frezzen, weil das Verbum eine Zusammensetzung aus *fr- = got. fra- und ezzen ist), geblieben (mhd. beliben), gegönnt (gan »ich gönne« aus *ga-an), süd.- und ostfränk. gepalde zu palde = behalten. Entsprechend erklärt sich im Griech. ekátheudon neben katheûdon daraus, dass einfaches heúdô aus dem gewöhnlichen Gebrauche verschwunden war.

§ 162. Ein völlig substantiviertes Adj. kann der Analogie der alten Substantiva folgen. So konnten Greis und Jünger, die ursprünglich regelrecht substantivierte schwache Adjektiva waren, in die starke Deklination übertreten. Aus denselben werden die Feminina Greisin, Jüngerin abgeleitet, ebenso aus anderen Substantivierungen Fürstin, Obristin, Gesandtin (Frau des Obersten, Gesandten); auch Bekanntin, Verwandtin u. a. kommen vor statt die Bekannte, Verwandte.

Die griechischen Adverbia auf -ôs sind ursprünglich Kasus der o-Deklination. Nachdem sie sich aber einmal aus dem Flexionssysteme herausgelöst haben und -ôs als ein Wortbildungssuffix empfunden ist, hat es sich auch auf andere Stämme übertragen können, die in ihrer Flexion keinen Einfluss von den o-Stämmen her erfahren haben, vgl. hêdéôs, sôphrónôs etc. Entsprechend verhält es sich mit dem Adverbialsuffix -o im Ahd., welches gleichfalls von den o-Stämmen auf die alten i- und u-Stämme übertragen ist: kleino, harto nach liobo etc.

Es gibt im Nhd. eine beträchtliche Zahl von Adverbien, die ihrem Ursprunge nach Genitive Sg. aus Nominibus sind, wie falls, rings, rechts, stracks, blindlings. In dem s empfindet man aber schon lange nicht mehr das Genitivszeichen, es muss jetzt als ein Adverbialsuffix erscheinen. In Folge davon wird es im Neuhochdeutschen auf andere Adverbia übertragen, die ihrem Ursprunge nach gleichfalls Kasus von Nominibus oder Verbindungen einer Präposition mit einem Kasus sind, aber ebensowenig als solche empfunden werden, sondern unter die allgemeine Kategorie der Adverbien getreten sind, vgl. allerdings (aus aller Dinge Gen. Pl.), schlechterdings, jenseits, diesseits (mhd. jensît Akk. Sg.), abseits (aus ab Seite), hinterrücks, im 17. Jahrhundert auch hinterrückens (aus älterem hinterrück, hinterrücken), unterwegs, unterwegens (aus unter Wege, unter Wegen), vollends (älter vollen, vollend) etc. Die Verwandlung des s aus einem Kasussuffix in ein 235 Wortbildungselement hat es auch ermöglicht, dass dasselbe in Ableitungen hinübergenommen ist: desfallsig, allenfallsig.

Hans Sachs bildet einen Komparativ flüchser zu flugs. Es ist das eine Folge davon, dass der Substantivkasus auf eine Linie mit den adjektivischen Adverbien getreten ist, denen ursprünglich allein Komparation zukommt.

§ 163. Wenn eine syntaktische Verbindung zu einer Worteinheit verschmolzen ist, so wird diese neue Einheit nach Analogie des einfachen Wortes behandelt und dasjenige auf sie übertragen, was in Bezug auf dieses möglich ist. Es kommt in verschiedenen Sprachen vor, dass eine Partikel sich untrennbar an ein Pron. anlehnt. Die Folge davon kann sein, dass die Flexion nach dem Muster der einfachen Wörter von der Mitte an das Ende verlegt wird. Plautus gebraucht von i-pse noch den Akk. eumpse, eampse, den Abl. eopse, eapse, die später durch ipsum etc. ersetzt sind. Eine ähnliche Entwickelung, wie sich besonders an den altnordischen Runenformen nachweisen lässt, hat unser Pron. dieser durchgemacht, ein Kompositum aus dem Artikel und der Partikel se. Eine grosse Bereicherung erwächst der Sprache dadurch, dass aus solchen durch sekundäre Verschmelzung entstandenen Kompositis die nämlichen Ableitungen gebildet werden, wie aus den einfachen Wörtern, und dass sie ebenso wie diese wieder als Glied eines Kompositums dienen können; vgl. Überwinder, Überwindung, ergiebig, befahrbar, gedeihlich, Betrübnis, Gefangenschaft, Befangenheit; edelmännisch, hochmütig, jungfräulich, landesherrlich, Landsmannschaft, Grossherzogtum, Bärenhäuter, Kindergärtnerin; sofortig, bisherig, jenseitig; Rotweinflasche, Gänseleberpastete; Überhandnahme, Vorwegnahme, Zurücknahme.

§ 164. Nicht selten erstarrt eine Flexionsform, indem sie auf Fälle übertragen wird, denen sie eigentlich nicht zukommt.Vgl. zum Folgenden Brugmann, Ein Problem der homerischen Textkritik, S. 119ff. Unser selber ist der Nom. Sg. M. und zugleich der Gen. und Dat. Sg. Fem. und Gen. Pl. eines älteren Adj. selb, welches als Adj. jetzt nur noch in der selbe erhalten ist. Das gleichbedeutende selbst = älterem selbes ist der Nom. und Akk. Sg. N. und zugleich Gen. Sg. M. und N. desselben Wortes. Im Mhd. wird das Adj. teils stark, teils schwach flektiert und richtet sich im Genus, Numerus und Kasus nach dem Nomen, auf das es sich bezieht, also im selben, ir selber, sîn selbes etc. Wenn nun die im Mhd. erhaltenen Formen sich an Stellen eingedrängt haben, wo andere am Platze gewesen wären, so kann das erst eine Folge davon gewesen sein, dass das Wort nicht mehr als ein Adj. empfunden wurde. Indem man in selber nur noch die Funktion einer energischen 236 Indentifizierung empfand, wendete man die Form überall an, wo eine solche Identifizierung auszusprechen war. Entsprechend verhält es sich mit dem mundartlichen halber: die Nacht ist halber hin, es ist halber eins; mit einander, statt dessen man im Ahd. regelrechte Flexion hat: ein anderan, ein andermo etc. Im Mhd. kann man noch sagen beider des vater und des sunes, wobei des vater und des sunes eigentlich in appositionellem Verhältnis zu beider steht. Gewöhnlicher aber ist beide des vater und des sunes. Es ist also die Nominativform beide erstarrt, indem der Ursprung der Konstruktion nicht mehr zum Bewusstsein kommt und die Funktion von beide - und sich unserm sowohl - als auch annähert. Im Lat. hat der Nom. quisque neben dem Reflexivpron. und dem dazu gehörigen Possessivum sein Gebiet überschritten, z. B. multis sibi quisque imperium petentibus. Bei Plautus findet sich praesente testibus statt praesentibus, bei Afranius absente nobis; daraus erkennt man, dass die betreffenden Partizipialformen sich dem Charakter von Präpositionen genähert hatten. Verbindungen wie agedum conferte, agedum creemus sind die Folge davon, dass man age nicht mehr als 2. Sg. Imp. empfunden hat, sondern nur als einen allgemeinen ermunternden Zuruf. Entsprechend steht im Griech. áge vor einem Plural, ebenso eipé, phére, idoú;Vgl. Brugmann a. a. O. S. 124. ferner im Lat. cave dirumpatis (Plaut.) u. dergl.; in unserer Umgangssprache zuweilen warte mal, auch wo die Anrede an mehrere Personen gerichtet ist oder an eine, die man sonst mit Sie anredet. Im älteren Nhd. wird siehe auch bei der Anrede an eine Mehrheit gebraucht; vollständig erstarrt sind franz. voici, voilà. Im Spätgriechischen werden ô'phelon und ô'phele ohne Rücksicht auf Person oder Numerus wie Konjunktionen gebraucht. Unser nur ist aus enwære (es wäre denn) entstanden. Dieses enwære hat sich also auch an Stelle von enwærest, enwæren, ensî, ensîn etc. eingedrängt.

Ein ähnlicher Vorgang ist es, wenn im Spätmhd. sich, abhängig von einer Präp., auch in Sätze dringt, in denen das Subj. die erste oder zweite Person ist.Vgl. Brugmann a. a. O. Es ist das die Folge davon, dass ein über sich oder unter sich nicht mehr analysiert, sondern = in die Höhe, in die Tiefe aufgefasst wird; vgl. unser jetziges vor sich gehen und an und für sich. Daher gebraucht man diese Verbindungen auch, wo sie gar nicht auf das Subjekt, sondern nur auf einen obliquen Kasus bezogen werden können; z. B. heb hinten über sich das Glas (hebe das Glas in die Höhe, Uhl. Volkslieder). Dieselbe Erstarrung findet sich bei seiner Zeit, vgl. z. B. die Jugend ist unternehmend, wir sind es seiner Zeit auch gewesen (Hackländer). Entsprechend bei lat. suo loco, sua sponte, 237 suo nomine. Bei römischen Juristen finden sich Verbindungen wie si sui juris sumus. Im Anord. hat sich mit Hilfe des Reflexivums ein Medium und Passivum herausgebildet. Dabei ist das auf sik zurückgehende -sk, jünger z, welches ursprünglich nur der dritten Person zukommen konnte, zuerst auf die zweite, dann auch auf die erste Person übertragen, z. B. lúkomz statt älterem lúkomk (= *lúko-mik); das z wurde nicht mehr in seiner ursprünglichen Bedeutung, sondern als Zeichen des Mediums oder Passivums gefasst. In sehr vielen oberund mitteldeutschen Mundarten wird sich auch als Reflexivum für die 1. Plur. gebraucht, hie und da auch für die 2. Person. Die gewöhnliche Beschränkung auf die 1. Plur. ist wohl daraus zu erklären, dass bei dieser die Übertragung durch die formelle Übereinstimmung der Verbalform mit der 3. Plur. erleichtert wurde.Die von Brugmann a. a. O. S. 123 ausgesprochene Ansicht, das dieses sich aus unsich entstanden sei, kann ich nicht teilen, weil die Form unsich bereits untergegangen ist, bevor diese Verwendung von sich auftaucht. Mit Weinhold, Bair. Gram. § 359 und Schuchardt, Slawodeutsches S. 107 slawischen Einfluss anzunehmen verbietet das Verbreitungsgebiet der Erscheinung. In bairischen Mundarten wird das Possessivpron. sein auch auf das Fem. und auf den Plur. bezogen, vgl. Schmeller S. 198.

§ 165. Plautus verbindet die Wörter perire, deperire, demori im Sinne von »sterblich verliebt sein« mit dem Akk.; desgleichen Virg., Hor. und andere ardere = »in Liebe zu jemand entbrannt sein«. Offenbar ist die Konstruktion dieser Wörter durch die von amare beeinflusst, weil sie in ihrer metaphorischen Verwendung dem eigentlichen Sinne desselben nahe kommen. Es lässt sich daraus wohl der Schluss ziehen, dass sie in dieser Verwendung wenigstens in der Dichtersprache schon etwas verbraucht waren. Denn wäre ihre eigentliche Bedeutung noch voll lebendig empfunden, so würde eine solche Vertauschung der Konstruktion wohl nicht eingetreten sein. Indessen muss hier doch in Betracht gezogen werden, wie viel etwa auf Rechnung einer absichtlichen poetischen Kühnheit zu setzen ist. Anders verhält es sich in Bezug auf die gewöhnliche prosaische Rede. Auch in dieser kommt es häufig vor, dass ein Wort die ihm seiner Grundbedeutung nach zukommende Konstruktionsweise mit einer andern vertauscht, die dazu nicht passt, indem es entweder durch ein bestimmtes einzelnes Wort oder durch eine Gruppe von Wörtern beeinflusst wird, denen es sich mit der Zeit in seiner Bedeutung angenähert hat. Hier ist der Konstruktionswechsel ein untrügliches Kriterium für das Verblassen der Grundbedeutung. Namentlich bekundet sich darin häufig die Loslösung von der ursprünglich zu Grunde liegenden sinnlichen Anschauung. 238

Für diese Loslösung sind besonders instruktiv manche Komposita mit Ortsadverbien. Zu einwirken und Einwirkung gehört ursprünglich die Präp. in und diese ist im 18. Jahrhundert üblich, vgl. sobald Kunst und Wissenschaft in das Leben einwirkt (Goe.); durch die Einwirkung in gewisse Werkzeuge (Garve). Wir setzen jetzt wie beim Simplex wirken ein auf, und dies beweist, dass uns das Gefühl für die sinnliche Anschauung, auf die das ein hinweist, verloren gegangen ist. Die nämliche Vertauschung hat stattgefunden bei Einfluss, vgl. Folgen, die in ihre Glückseligkeit einen notwendigen Einfluss haben sollen (Le.), Gesundheit ist ein Gut, welches in alles Einfluss hat (Garve), und so allgemein im 18. Jahrhundert (auch bei einfliessen = »Einfluss haben« steht früher in und auf); einschränken, vgl. es hat längst aufgehört in die engen Grenzen eingeschränkt zu sein (Le.) etc.; Eindruck, vgl. die Nähe des schönen Kindes musste wohl in die Seele des jungen Mannes einen so lebhaften Eindruck machen (Goe.); welchen tiefen Eindruck er, auf mein ganzes Leben, in mein Herz gemacht hat (Miller); noch sinnlicher: um durch das Grosse dieses Todes einen unauslöschlichen Eindruck seiner selbst in das Herz seiner Spartaner zu graben (Schi.); doch erscheint es mit auf schon bei Lessing; eingehen, vgl. da ich in alles einging (auf schon im 18. Jahrh. gewöhnlich). Abgeneigt, Abneigung gegen oder, wie ältere Schriftsteller auch sagen, vor kann nicht ursprünglich sein, sondern nur von, vgl. abgeneigt von der bessren Meinung (Le.), Abneigung von den Erdentöchtern (Wieland), Abneigung von allen literarischen Händeln (Goe.). Für nachdenken über finde ich im DWb den ältesten Beleg aus Schillers Don Karlos; sonst ist im 18. Jahrhundert und selbst bis in das 19. hinein der blosse Dat. (eigentlich von nach abhängig) üblich, z. B. um ihren Briefen nachzudenken (Nicolai), ich dachte der Ursache nach (Goe.), und dachte manchen Dingen nach (Frenssen); entsprechend verhält es sich mit nachsinnen, vgl. als wenn sie einem grossen Streich nachsänne (Goe.), oft sinn' ich meinen eignen Worten nach (Grillparzer).

Wenn man jetzt sagt sei mir willkommen in meinem Hause, so ist klar, dass der zweite Bestandteil des Wortes nicht mehr als Part. von kommen gefasst wird. So lange das geschah, verstand sich auch die Angabe einer Richtung, z. B. willekomen her in Guntheres lant (Nibelungenlied).

Die Konstruktion vergnügt über etwas steht in Analogie zu froh über etwas u. dergl.; sie zeigt, dass vergnügt nicht mehr als Part. des Verb. vergnügen »zufrieden stellen« empfunden ist, an welches das Mittel durch mit anzuknüpfen wäre und so lange angeknüpft wurde, als vergnügt die Bedeutung von »zufrieden« hatte; vgl. noch den Wechsel bei Wieland: Tag meines Lebens hab ich niemand über das Werk eines 239 andern so vergnügt gesehen, als er es mit dem Oberon war. Ähnlich ist neben sich bekümmern, bekümmert jetzt um das allein Gebräuchliche, während im 16. und 17. Jahrh. daneben noch mit üblich war, vgl. aus dem Simplizissimus: mit Schulpossen sich nicht viel zu bekümmern; weil Mercurius mit allerhand Staatsgeschäften bekümmert war. Murner sagt noch vnd hindern jn von synem glück der sinnlichen Grundbedeutung von hindern »nach hinten drängen« entsprechend, während die Verbindung mit an ein Zeichen für das Eintreten des abstrakten Sinnes ist. Eine radikalere Umgestaltung hat die Konstruktion von verehren erfahren; man sagt ursprünglich der Grundbedeutung gemäss einen womit verehren; nachdem dies aber den Sinn »beschenken« angenommen hatte, machte sich der Einfluss von schenken u. dergl. geltend.

Ein quin conscendimus equos ist eigentlich »warum besteigen wir nicht die Pferde«, dem Sinne nach aber = »lasst uns die Pferde besteigen«; daher kann man nun auch nach quin einen Imp. oder adhortativen Konj. setzen, z. B. quin age istud, quin experiamur. Entsprechend ist mhd. wan fürchtent si den stap eigentlich »warum fürchten sie nicht den Stab«, nähert sich aber dem Sinne »mögen sie den Stab fürchten«; in Folge davon wird nach wan auch der in Wunschsätzen ohne einleitende Konjunktion übliche Konj. Prät. gesetzt, z. B. wan hæte ich iuwer kunst. Auf die nämliche Weise erklärt sich wahrscheinlich im Afranz. die Verbindung von car (= quare) mit dem Konditionel und dem Imp. (vgl. Diez III, 214).

Griech. oukoûn ist ursprünglich = »also nicht« und dient zur Einleitung einer Frage, auf die man eine bejahende Antwort erwartet. Die mit oukoûn eingeleiteten Sätze sind aber allmählich als direkte positive Behauptungen aufgefasst. Daher ist der Partikel nur die Funktion des Folgerns verblieben und sie wird in Sätzen verwendet, die gar nicht mehr als Fragesätze aufgefasst werden können, z. B. neben dem Imperativ, vgl. o 'koûn apágagé me aûthis es tòn bíon (Lucian).Vgl. Kühner, Griech. Gram. II, 1, S. 717. Ganz die gleiche Entwickelung zeigt im Sanskrit na-nu.Auf diesen Parallelismus hat mich Brugmann aufmerksam gemacht. Es dient zunächst wie nonne zur Einleitung von Fragesätzen, dann aber, indem solche Fragesätze zu Behauptungssätzen umgedeutet sind, lässt es sich durch »doch wohl« übersetzen, und kommt dann auch in Aufforderungssätzen vor, vgl. nanu ucyatâm = es soll doch gesagt werden.

Der Acc. c. Inf. konnte ursprünglich jedenfalls nur neben einem transitiven Verbum stehen, so lange der Subjektsakk. noch als direkt von dem Verb. fin. abhängig empfunden wurde, vgl. darüber Kap. 16. Nachdem aber die Auffassung sich so verschoben hatte, dass der Acc. 240 c. Inf. als ein abhängiger Satz und der Akk. als Subj. desselben gefasst wurde, war es möglich, die Konstruktion weit über ihre ursprünglichen Grenzen auszudehnen. So werden im Lat. auch Verba mit dem Acc. c. Inf. konstruiert, die keinen Objektsakk. bei sich haben können, wie gaudere, dolere, ferner Verbindungen wie magna in spe sum, spem habeo etc. In sehr vielen Fällen wird dann der Acc. c. Inf. als Subjekt verwendet, so nach licet, accidit, constat etc., nach fas, jus est etc., bei Passiven neben dem Nom. c. Inf., vgl. non mihi videtur ad beate vivendum satis posse virtutem (Cic.); Volcos et Aequos extra fines exisse affertur (Liv.). Weiterhin dringt dann der Acc. c. Inf. auch in Sätze ein, die von einem andern Acc. c. Inf. abhängen. So zunächst in lose angeknüpfte Relativsätze, z. B. mundum censent regi numine deorum, ex quo illud natura consequi (Cic.), vgl. Draeger § 447, 1. Ferner in Vergleichungssätze, z. B. ut feras quasdam nulla mitescere arte, sic immitem ejus viri animum esse (Liv.); addit etiam se prius occisum iri ab eo quam me violatum iri (Cic.), vgl. ib. 448, 1. 453, 2. In die indirekte Frage, z. B. quid sese inter pacatos facere, cur in Italiam non revehi (Liv.), vgl. ib. 450. Sogar in Temporal- und Kausalsätze, z. B. crimina vitanda esse, quia vitari metus non posse (Seneca), vgl. ib. 448, 2. 3. Die entsprechende Ausdehnung findet sich im Griechischen. Die Gewohnheit, das Subj. zum Inf. in der Form des Akk. zu haben, führt hier auch zur Verwendung dieses Kasus neben dem durch den Art. substantivierten Inf., in welchem Kasus derselbe auch stehen mag, vgl. aítios toû nikêthê^nai toùs Lakedaimoníous, dià tò tê`n pólin hêrê^sthai hupèr toû taûta mê` gígnesthai.

§ 166. Wenn zwei Konstruktionsweisen sich in ihrer Funktion teilweise decken, so kann bei manchen überlieferten syntaktischen Verbindungen eine Unsicherheit darüber entstehen, welche von den beiden zu Grunde liegt. So entsteht eine Umdeutung der Verbindung, und diese Umdeutung lenkt die Wirksamkeit der Analogie in eine neue Bahn.

Der von einem Subst. abhängige Gen. hat eine ähnliche Funktion wie das attributive Adj. In Verbindungen nun wie Hamburger Rauchfleisch, Kieler Sprotten liegt als erstes Glied der Gen. der Einwohnerbezeichnung zu Grunde, dem Sprachgefühl aber liegt es näher dasselbe als ein aus dem Ortsnamen abgeleitetes Adj. zu fassen; jedenfalls beziehen wir es direkt auf den Ort, und nicht auf die Einwohner. Zwar lehrt noch die Flexionslosigkeit, dass kein wirkliches Adj. vorliegt. Anderseits aber zeigt die Art, wie der Artikel bei der Verbindung verwendet wird (das Hamburger Rauchfleisch), dass der Gen. nicht mehr als solcher empfunden wird; denn die Stellung des Gen. zwischen Art. und Subst. ist jetzt unmöglich geworden. Dem Ahd. ging 241 ein Possessivpron. zu dem Fem. und dem Plur. sie ab. Man verwendete statt dessen den Gen. dieses Pron. ira, iro. Auch im Mhd. bleibt der Gen. ir, aber sporadisch fängt man an denselben als Adj. zu fassen und adjektivisch zu deklinieren. Dieser Gebrauch ist im Nhd. allgemein geworden, und so ist unser Possessivpron. ihr entstanden. Die Berührung des Genitivs mit dem attributiven Adj. ist wahrscheinlich auch die Veranlassung gewesen, ihn nach den Muster des Adj. prädikativ zu verwenden, vgl. er ist des Todes, reines Herzens, so sind wir des Herrn (Lu.) etc. Diese Verwendung gehört allerdings wohl schon der indogermanischen Grundsprache an.


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