Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

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Ein weißes Lager mit Moskitonetz

»Verträgst du ein wenig Galopp, Rudi?«

»Ja, Onkel.«

Rudi war gesund, das Fieber überwunden, frei von Schmerzen. Aber müd, so müd, daß er im Gehen und Stehen, beim Reiten und Essen schlief.

Halb im Schlaf auch hatte er den fremden Mann warm und zärtlich aber schweigend begrüßt, die Hände um seinen Hals gelegt, mit scheuen Fingern geprüft, ob das wirklich Gregorius, ob er Fleisch und Blut war, kein Traum.

Seltsam: einen verwitterten Mann der Wildnis hatte er sich vorgestellt, mit langem Haar und 168 bartumstandenem Gesicht, schwarz von Sonne, wie ein Neger gekleidet. Einen, der rohes Fleisch mit den Händen aß.

Aber das war sein Onkel Gregorius, ganz wie auf den Bildern im Familienalbum: die lieben Augen, das feste, breite Kinn, immer noch das junge Gesicht, stark und gepflegt.

»Du bist ja rasiert, Onkel Gregorius.«

Das war seine große Überraschung und sein einziges Wort. Danach schlief er weiter.

Bwana Raffiki ließ Jussuf für die kleinen, kräftigen Pferde sorgen, seinen Boy Bakari den Tisch bestellen.

Er ging mit Muhmadi an den Heliospiegel, seine Ankunft zu melden.

»Bin mit den Kindern, Jussuf und einem Boy unterwegs. Eintreffen morgen spät abends.«

»Willkommen« funkte es zurück, mehr nicht. Das klang hüben und drüben, als kehrte Gregorius von einer Landpartie nach Boloti heim; vielleicht deshalb, weil es Gregorius nach soviel Jahren schwer fiel, deutsch zu sprechen, vielleicht, weil die höchsten Augenblicke unseres Lebens immer ganz anders und viel stiller verlaufen, als man erwartet. Aus vollem Herzen kommen wenig Worte, die großen Freuden ersticken sie wie die großen Schrecken. 169

Jetzt saß Rudi im Sattel, an Onkel Gregorius' Brust gelehnt, sehr weich und sehr zufrieden.

Galoppierende Hufe, eine wegkundige Hand, die den Zügel führte – es war gar nicht so unendlich weit von Longido nachhaus! So oft Rudi die Augen auftat, war der Meru rätselhaft viel näher gekommen; unendlich sicher schlief man dann im von Männerhänden aufgeworfenen Dornkraal, von zwei tüchtigen Hunden bewacht, im Schutze tüchtiger Gewehre.

Schmerzlich nur für Rudi, daß sein Karabiner jetzt handgerecht neben Muhmadi lag, nicht neben ihm. Aber Rudi war ja so müd und so lächerlich schwach. Er begriff gar nicht, daß ein Mensch ohne Zwang, nur zum Vergnügen, um's Lager herum gehen konnte, ein Mensch, der einen langen Ritt hinter sich hatte, viel Arbeit, eine kleine Pürsch auf wilde Hühner. Rudi fühlte seine Beine an – die waren wie leere Säcke, nur ein Knochen steckte in der Haut. War er wirklich so krank gewesen?

Und war Muhmadi wirklich so winzig klein? Wenn der neben Jussuf am Feuer hockte, sah er aus wie ein Äffchen. Diese Tage hindurch, während Muhmadi sein Engel war, allein für ihn sorgte, war er ihm ganz erhaben vorgekommen. 170

In einer Fiebernacht besonders, das war ihm bewußt geblieben, hatte Muhmadi als Krieger in schimmernder Rüstung an seinem Lager gewacht, herrlich und gewaltig. Jetzt war der wieder eine Funza, eine Fliege von Negerbübchen! Seltsam!

Sollte auch er selbst, der wie Stanley und Emin Pascha seine Safari durch wilde Steppen geführt, mit seinem Akili, mit seiner Entschlossenheit – sollte auch er selbst wieder ein Schuljunge sein? Auch das war merkwürdig, aber so würde es kommen. Jetzt schon fielen ihm wieder lateinische Verben ein, und vor seinen Augen tanzten manchmal die Quadrate um des Pythagoras verhaßtes Dreieck.

 

Oft hatte Rudi sich früher ausgemalt, wie er von dieser Reise an der Spitze eines gewaltigen Zuges heimkehren würde, hoch zu Roß zwischen Onkel Gregorius und Muhmadi, einen Troß von Männern hinter sich, die Elfenbein und kostbare Dinge trugen, Geschenke von Sultanen, mit denen er Freundschaft geschlossen. So hätte er vor dem Grashaus in Boloti Halt gemacht, alles hätte sich geneigt, die Boloti-Leute hätten gejubelt, der Vater, die Mütter hätten . . . . . .

Statt dessen glitt ein kleiner, erschöpfter Junge aus dem Sattel, seinem Vater in die Arme. Die 171 waren nun doch so stark, daß man erst in ihnen ganz empfand: daheim!

»Rasch in's Bett« hörte er die Mutter sagen, ehe sie noch Gregorius umarmt hatte. Dann brach sie am Hals ihres Bruders in lautes Weinen aus.

Ganz schattenhaft sah er Maduma im Hintergrund, in der dunklen Veranda des Grashauses stehn, zu den Erwachsenen hinäugen, den Mund komisch offen, als wäre er bei einem Schrei erstarrt.

»Jambo, Rudi« machte sie nebenhin, als er an ihr vorüber getragen wurde. Dann hielt sie beide Hände vor's Gesicht.

»Und die Heuschrecken, Papa?«

»Gegen die haben wir eine Mauer aus Feuer und Rauch gebaut. Teufel, war das eine Arbeit!«

Ein weißes Bett mit Moskitonetz, ein weißer, weicher Schlafanzug, den Geruch von guter Seife an Gesicht und Händen, überall so frisch und sauber, so satt, so angenehm satt!

Mutters Gutenachtkuß:

»Du bist ein tüchtiger Junge!«

Das war Boloti . . . Da wird man freilich schnell gesund! 172

 


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