Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

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»Ich hab mein Wort gegeben und geschworen«

Als von ihrem ersten Lager aus Rudi und Muhmadi in stundenlanger Mühe versucht hatten, Boloti ihre Nachrichten zu geben, die Eltern zu beruhigen und um Verzeihung, um nachträgliche Billigung des Unternehmens zu bitten, lag Maduma noch immer, mit Essenzen gelabt, mit nassen Tüchern gekühlt, im Bettchen. Der hohen Mamma nicht harte, aber entschiedene Hände drückten sie nieder, wenn von innen heraus der Befehl sie durchzuckte: »Auf, zum Heliospiegel!«

Dr. Schukrin war nicht auf seiner Station, die Arbeit ruhte, in der Duka wurde nicht verkauft, auf der Schanba kein Unkraut gejätet. Als es dunkel wurde, durften Hundsaffen und Nachtaffen die junge Saat zu ihrem Spielplatz machen. 137

Was Beine hatte in Station und Dorf Boloti, Männer, Kinder, Hunde, suchte breit ausgeschwärmt das Pori nach Spuren ab.

»Ein Festgeschenk, das beste Festgeschenk aus meiner Duka dem, der mir die Jungens wiederfindet!«

Bis zum Fuß des Berges ließ die Spur sich mühselig genug feststellen. Auch am Rand eines vom Regen gebildeten Teiches noch, den die Safari Rudi wohl durchwatet hatte. Der Teich war weit gedehnt – die undressierten Schensihunde nahmen keine Spur auf, man spähte sich halbblind . . .

Tief drangen die Fährtensucher ins Pori ein, in allen Richtungen; aber das feuchte Gras hatte sich unter so leichten Füßen wie denen zwölfjähriger Knaben längst wieder aufgerichtet. Des Maultiers umwickelte Hufe gaben keine kenntliche Spur – es war, als suchte man das Weltmeer nach ein paar jungen, kühnen Schwimmern ab.

Tags darauf stand Dr. Schukrin selbst am Helio, nachts war an derselben Stelle er selbst auf Posten, die Acetylenlaterne neben sich statt des Spiegels. Er suchte durch die Steppe, die sein Kind an sich gezogen und verschlungen hatte. Aus dieser Unendlichkeit würde vielleicht ein Blitz, ein glühender Punkt, wie der Ruf seines Jungen zu ihm kommen – 138 dann konnte er vielleicht, vielleicht noch retten!

Die Steppe, das wußte er, hatte in des kleinen, in des vierjährigen Rudi Seele schon gelebt, all ihr Zauber, all ihr Geheimnis. Wie sie selbst ihn gefangen hielt, daß die Jahre in Hannover ihm Qual und Verbannung gewesen, wie sie den Schwager Gregorius ganz verzaubert hatte, daß er kein Weißer mehr sein wollte, nur noch Sohn des Pori – ganz so war Rudi ihr verfallen.

Das lag da unten, grenzenlos, ewig, voll von Duft und Abenteuer. Das lockte, sprach und sang zu ihm. Disziplin, Liebe zu den Eltern hätten Rudi sicher davor geschützt, sich diesem Ruf der Steppe hinzugeben. Er hätte es nicht gewagt, diesen Sprung in's schmeichelnde Leere zu tun, läge nicht Gregorius' Schicksal da draußen verborgen.

Zorn hatte Dr. Schukrin ja keinen Augenblick empfunden, hier stand ein zitternder Vater, kein tobender, wie Rudi fürchtete. Vielleicht hatte er zu strafen, wenn sich die Jungens müde und abgerissen zurückfanden? Aber auch das war ihm nur durch den Kopf gejagt, wie oft auch einem weisen Mann in der Katastrophe das Unsachliche, Gleichgültige zuerst einfällt. Schon als Frau Schukrin Maduma bedrohte, hatte er sich gefunden und erkannt, daß hier das Schicksal spielte, nicht freche 139 Abenteuerlust dummer Kinder die Herzen ihrer Eltern zerriß.

Was keiner getan, und was doch heilige Pflicht war: Gregorius zu suchen, ihn selbst oder sein Grab, aus Sehnsucht nach ihm, aus Treue, Madumas wegen – der Bengel Rudi hatte es gewagt!

»Laß ihn nicht zugrunde gehn, Gott!« dachte Bwana Kitabu. »Ich will mein Leben lang stolz auf ihn sein.«

Tage und Nächte lang dachte er das, malte sich gräßlich alles aus, was den Unerfahrenen, Halbwüchsigen jetzt drohen mochte, indes er für sie wachte und betete.

Bald stand und wachte neben ihm Maduma. Sie lösten sich ab, berieten wie Kameraden, waren Schicksalsgefährten, die einander immer lieber gewannen. Nur daß der Vater rückhaltlos aussprach, was an Hoffnung und Befürchtung ihm durch den Sinn ging, während das Kind jedes Wort schätzte und wog, ehe es sprach. Er konnte offen sein – sie hatte ein Geheimnis zu wahren: daß Rudis Expedition in den Longido zielte! Das war der Schwarzen und Rudis Geheimnis, beschworen und unantastbar. Erfuhren es die Großen, dann konnten sie Rudi verfolgen, einholen, sein Wagnis vereiteln. 140

Daß es um ihren Vater, um Bwana Raffiki ging, leugnete Maduma nicht. Sie wurde bedrängt:

»Hast du je eine Nachricht von ihm bekommen?«

Sie wollte nichts verraten und nicht lügen. Ganz klug glaubte sie sich, wenn sie zur Antwort gab: »Vielleicht habe ich Nachricht von ihm bekommen. Ich darf es nicht sagen.«

»Als wir ihn schon tot glaubten – da lebte er also wirklich noch?«

Zu stark war das Kind dort angepackt, wo lange schon die einzige Sehnsucht und das einzige Leid seines Herzens gespeichert waren. Es sprengte ihr die fest geschlossenen Lippen:

»Er ist nicht tot, er ist nicht tot!«

Sie warf sich weinend in's Gras:

»Die Weißen haben ihn mir genommen, aber nicht der Tod!«

Am vierten Abend seit Rudis Flucht tat plötzlich die dunkle Nacht sich auf, stürzte Maduma an die Lampe, sprach die Steppe zu Vater Schukrin.

Dann arbeiteten scharf Madumas Kinderaugen, des alten Mannes schwere, ungefüge Hände, Madumas zauberschnelle Finger und Vater Schukrins glasbewehrte Augen.

Anruf, Antwort: »Maduma?« »Hier bin ich.« 141 »Wie geht's dir?« »Ich war krank, bin wieder gesund.« »Was sagt der Vater?«

Dr. Schukrin überlegte, gab selbst – viel, viel langsamer als Maduma und mit vielen Fehlern, den Text:

»Er bittet seinen lieben Jungen: komm heim!«

Seine Handschrift war von Boloti bis zu den kahlen Vorbergen des Longido nicht zu verkennen, nicht seine Angst, nicht seine Liebe.

Auch Muhmadi wußte es gleich:

»Jetzt schreibt der alte Herr.«

»Ich habe mein Wort gegeben und geschworen. daß ich Onkel Gregorius finde, Papa.«

»Kehr um, wir suchen noch einmal zusammen. Ich versprech es dir . . .«

Nun stockte das Gespräch in Punkten und Blitzen – Rudi hatte viel zu überlegen.

Zum Besten stand es nicht um seine Expedition, oh nein, so tapfer er noch aushielt, so heilig er seinen Eid nahm.

Jener Nacht auf dem Zuckerhut, in der er keinen Schlaf fand, weil alles Raubgelichter der Steppe zu Füßen ihres Lagerplatzes tobte, waren immer bösere Stunden gefolgt.

Pastor Schukrin ging noch, trug noch, schnoberte noch. 142 Wenn Muhmadi mit einem Beutel voll Körner vor ihm herklapperte und dem Alten damit Lust auf das nächste Lager machte, wenn Rudi von hinten einen Knüppel schwang und »heia, heia« brüllte bis zur Heiserkeit – dann, zweifellos, marschierte er. Aber zweifellos nicht mehr für lang! Der »ngufu« in Pastor Schukrins Knochen, auf den alles gestellt war, der ging furchtbar zuende.

Muhmadi freilich, dem waren Augen und Ohren, Hände und Füße noch frisch. Muhmadi wußte nichts von den Kopfschmerzen, die Rudis Stirn fast sprengten. Sein Magen war kerngesund, während in Rudis Bauch der Satan tobte, durch seine Därme Messer schnitten!

Muhmadi marschierte wie am ersten Tag, obwohl täglich Sandflöhe sich in seine Zehen bohrten, Eier darin zu legen, Nester zu graben; denen ging er mit einer ausgeglühten Nähnadel kaltblütig zuleibe.

Rudi aber wanderte in blutigen, verkrusteten Strümpfen. Er humpelte noch mit, aber das wußte er: warf er die Stiefel einmal ab, dann brachte er sie im Leben nicht wieder an diese von allem Jammer gepeinigten Füße.

»Morgen gebe ich Nachricht«, funkte Rudi endlich zurück – kein Ja und kein Nein. 143

In diesem Felsnest ohne Wasser zu bleiben, bis Hilfe kam, das war unmöglich. Aber gerade so unmöglich, Boloti ohne Hilfe zu erreichen.

Der Longido. das alte Lager von seines Vaters Kompagnie, mußte erkämpft werden, sei's nur, um dort oben die Waffen zu strecken. Dort, dort, dort aber mußte Onkel Gregorius sein!

Dann hatte Rudi gesiegt! Traf er ihn nicht, dann durfte er kapitulieren – Eid und Ehrenwort selbst konnten nur bis zum Rest aller Kräfte gelten.

 

Im Longidolager war eine Höhle, die leicht zu finden war, ein Schloß von Höhle – sicher vor Nashörnern und Elefanten, sicher vor Löwe und Jaguar.

Im Longido war ein rauschendes Bad und Kühle, stand Wild, floß Wasser, wuchs Holz. Dort gab es kräftiges Berggras für Pastor Schukrin, dessen Körnervorrat zuende war. Dort war der beste Telegraphenposten nach Norden und Süden – er mußte erreicht werden!

»Ich muß mein Wort halten, Vater! Gute Nacht, Vater und Mutter, gute Nacht, Maduma.«

Die Glühwürmer beide verloschen. 144

 


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