Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

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Maduma sagt »Nein«

Das alte Missionshaus war nur noch ein Steinhaufen, aber wer hätte das anders erwartet? Das Kirchlein stand noch, Unkraut wucherte aus seinen Steinen, durch leere Fensterrahmen gackelten heraus und hinein Hühner der Eingeborenen, und was von Möbeln, was von Pflügen, Eggen, Werkzeug erhalten war, stand drinnen, zerbrochen, verrostet, von Ameisen zu Mehl zerfressen. So war der Garten – ein Stück Wildnis. So waren die einstigen Felder.

Die Mutter weinte, aber Dr. Schukrin rieb sich die Hände, als machte die Zerstörung ihn glücklich. 19

»Arbeit, da gibt's Arbeit!«

Nach wochenlanger Seefahrt, einem Tag Eisenbahn, einem Marsch von vielen Stunden, warf sich der Vater am ersten Tag schon in diesen Wust, in diese Ruinen, mit wilder Lust an seinen starken Fäusten und fiebriger Freude am Zupacken.

Zwölf starke Männer hatten all sein Hab und Gut auf ihren Köpfen von Aruscha hierher geschleppt. Es waren mißvergnügte Gesellen, die ihre Kisten absetzten, ihre Rupies einstecken und davon trödeln wollten. Aber Dr. Schukrin schlug sich in die Hände, und aus diesem faltigen Gesicht im weißen Bart blitzten tüchtige Augen.

»Casi mingi sana! Viel Arbeit, Leute!«

Er wirkte ansteckend. Für drei Tage verdingten sich die Schwarzen weiter; einen Platz zu roden, junge Bäume zu fällen, Gras zu schneiden, Hütten zu bauen. Bis dahin mußten neue Arbeiter gefunden sein.

In einer Stunde war das Zelt errichtet, unter einem riesigen Baum, wie Rudi nie einen gesehen hatte. In seinem Stamm hätte man einen Raum höhlen können, viel größer als die gute Stube in Hannover. Er warf Luftwurzeln von ungeheuren Ästen in die Erde zurück, nährte so den Koloß seines Körpers aus tausend Quellen, engmaschig war das 20 Gewebe dieser Ranken, als seien rings um den Baum schon Hütten und Häuser gebaut. Lief man fort, auf die andere Seite des Stammes, dann war man weit, weit weg, hörte nur wie dumpfes Murmeln die lautesten Stimmen vom Lagerplatz.

Rudi sah in die Steppe hinaus, von der er immer geträumt hatte. Sie lag da, wie vor kurzem das Meer unter seinen Blicken gelegen, unendlich weit vom Fuß des Meruberges, an dessen Wand Boloti klebte. Riesenhaft stand die Wand des Kilimandscharo in diesem Steppenmeer, sacht ragten in der Ferne Longido und Erok wie Klippen aus der Brandung. Über der Steppe silberte es leise von brütender Hitze, aber hier oben war Kühle und Ruhe, sprach der Wind durchs Laub, und irgendetwas sprach zu Rudis Herz: du bist daheim, Junge, du bist daheim, afrikanisches Kind!

Als der Abend kam, standen im Zelt drei Betten unter durchsichtig klaren, weißen Moskitonetzen. Das Zelt war ganz voll von diesen Betten, schön grün wie Laub über dem vielen Weiß.

Hier war nichts als Friede und Müdigkeit.

»Ganz so hab ich mir's gedacht, Vater!«

Der Vater sagte nichts, er stützte plötzlich seine Fäuste in den Boden, dem Stamm des Affenbrotbaums nah, – und gleich darauf flogen seine Beine 21 in die Luft, schlugen seine Stiefel hoch oben an die Rinde des Baumes. Er war so glücklich, er mußte auf dem Kopf stehen, auf seinen riesenstarken Armen, die hier pflanzen und graben und die alte Heimat neu aufbauen wollten.

 

Eine endlose Schar von Gästen brachte der nächste Tag, als ins Dorf Boloti und in alle Nachbardörfer die Kunde gedrungen war:

»Bwana Heiliges Buch ist wieder da! Die hohe Mamma ist wieder da und unser junger Herr, der Bwana mdogo Rudi!«

Da wurden Geschenke herbei geschleppt und getrieben, Hammel und Hühner, große Bananen Trauben, Flaschen voll Honig, Körbe voll Mais und Hirse.

»Jambo, Bwana Heiliges Buch!«

Als erster kam der Jumbe, der Dorfschulze, – vor dreißig Jahren war er Abc-Schüler und Täufling bei Missionar Schukrin gewesen. Bis zum Schreiber im Amtshaus zu Aruscha hatte er's dank dieser Schule gebracht, war in einem weißen Tropenanzug auf der Straße gegangen wie ein Europäer! Der Bezirkshauptmann Kämpfe hatte ihn einmal »Raffiki mzee« genannt – »alter Freund«. 22

»Salaam, sei gegrüßt, Bwana Kitabu! Du hast mich groß gemacht unter deinem Volk!«

Erst schüttelten die alten Männer ihren Heimkehrern die Hand, nach ihnen die jungen, dann drängten sich die Bibis, dann kamen scheu die Kinder, es blökte, meckerte und gackerte, es lachte, plapperte und klatschte Hände in Hände, schneeweiße Zähne blitzten aus schwarzen Gesichtern. Schukrins Heimkehr war ein großes, großes Fest.

»Weißt du noch, Bwana Kitabu? Weißt du noch große Mamma?«

Für alle diese Menschen war Rudis Mutter »Mamma«, die »große Mamma«.

Wie sie zusammen gelebt hatten, einander geholfen in der bösen Zeit, wie Mutter Schukrin Schule gehalten und Krankheiten geheilt, Wunden gepflegt . . .

»Ich will wieder dein Boy sein, Bwana Kitabu«. Das war der tapfere Sefu, der mit seinem Herrn ins Feld gezogen war, ihm mitten in den Kugelregen den Tropenhelm nachgetragen hatte. »Weißt du noch, in der Schlacht am Longido, wo dein Freund gefallen ist und du verwundet warst?«

»Dein Maultier hab ich aufbewahrt, Bwana, es ist alt, aber es kann dir noch dienen!«

»Was für ein Maultier?« 23

»Den Pastor Schukrin . . . Es war krank, vor vielen Sommern, der Bwana Tierarzt wollte es erschießen. Aber wir haben es wieder gesund gepflegt!«

»Bakari, bring den Pastor Schukrin!« brüllte er über die Köpfe des drängenden, staunenden Volkes hin.

Ganz alt war der Pastor Schukrin, hatte quittengelbe Zähne, die nicht mehr viele Sommer lang Korn mahlen würden, und viele graue Haare, ganze Flecken Grau im dunklen Pelz.

Es ließ sich von Bakari, dem Sohn Sefus, feierlich heranführen, mit einem dumm-stolzen, verwunderten Blick ging es durch die Gasse lebendiger Menschen. Ein Veteran aus vielen Scharmützeln, einst Kriegsbeute, zweimal verwundet . . . Kamerad wie Sefu – Dr. Schukrins guter, alter Kamerad! . . .

Der Vater umarmte ihn, der Maulbock Pastor Schukrin beschnüffelte mit halb erblindeten, müden Augen den Bwana Heiliges Buch. Vielleicht weinten sie beide.

»Aber Gregoria? Wo bleibt Gregoria?« fragte immer ängstlicher Frau Schukrin. Es wußte niemand etwas von Gregoria.

»Unser Kind, Bwana Raffikis Kind?«

»Da ist es ja, Mamma wä!« 24

Unter den kleinen Mädchen, die nackt durcheinander krabbelten, sich balgten, am Brunnen wuschen, wie Vögel zwitscherten und lachten, war eins, das sich ganz ruhig hielt, in dieser Schar versteckt sein wollte. Es war wie all die andern, aber lichtbraun von Haut, und seltsam leuchtete blondes Haar um das stille, schöne Gesicht.

»Gregoria!«

»Sie heißt jetzt Maduma, Bibi!«

Mutter Schukrin öffnete die Arme, fiel in die Knie, um das Kind ihres Bruders zu umarmen.

Langsam, stolz und fremd legte Maduma sich an ihr Herz.

»Bist du froh, daß wir wieder beisammen sind? Hast du mich noch lieb, Gregoria? Wollen wir immer, immer beisammen bleiben?«

Das Kind zögerte nicht, zu antworten:

»Nein!« 25

 


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