Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Heisuru«

Dr. Schukrin schlief wie ein Bär, den hatte sein Tag müde gemacht. An ihm vorbei in's Freie zu kommen, war leichtes Spiel.

Muhmadi war nicht gewöhnt, seinen Eltern lange Erklärungen zu geben. »Ich geh« oder »Da bin ich« – so rechtfertigte er seine Schritte.

Auch in der Nacht. Vielleicht hatte er Auftrag, in den jungen Pflanzungen von Boloti gegen Hundsaffen und Nachtaffen Wache zu halten, alle fünf Minuten einen grellen Schrei auszustoßen oder mit der alten Schrotflinte ins Dunkel zu böllern?

Vater Muhmadi und Mutter Tseffa fühlten sich alt und gänzlich überflüssig, seit ihr Pflegejunges zur Mission heimgefunden und das eigene Junge Bwana Rudis Gefolgsmann geworden. Aber Neger rechten nicht, weder mit Gott noch mit den Menschen. Sie nehmen hin, was über sie verhängt wird.

Es gibt ein großes Wort für sie, das zum Schluß 90 von jedem Geschehen gilt: »Heisuru!« – »Es ist Schicksal!«

»Heisuru« sagten Muhmadis Eltern, als ihr Junges, das nachts die Hütte verlassen hatte, am Mittag des anderen Tages noch nicht zurückgekehrt war. Als die Boten aus Boloti kamen: was sie von der Flucht wüßten? Bwana Rudi und das Maultier Pastor Schukrin seien entwichen! – »Heisuru«, sie wußten nichts.

Das schwerste hatte Maduma zu tragen. Sie mußte still und steif im Bettchen liegen, in diesem Bett, in dem sie sich nach ihrer Strohmatte auf der Kitanda aus Lederriemen sehnte, im verhaßten Nachthemd, in der leicht schnarchenden hohen Mamma nächster Nachbarschaft . . . Während es draußen »Tapp-Tapp« ging, das Maultier auf umwickelten Hufen, die Jungens auf nackten Füßen.

Der Wecker tickte, Nachtaffen bellten, ein bißchen später Regen fiel mit Säuseln, die hohe Mamma schnarchte, und Madumas Herz schlug, daß sie's in Hals und Magen spürte. Die Finger ineinander gewunden, die Beine steif, als wären sie gefesselt, lag sie da, ihr ganzes Wesen ein einziges Ohr. das nach draußen horchte2. . .

Nackt stand sie dann in der Gummiwanne, ließ sich 91 einseifen und abduschen, putzte Zähne und Nägel wie es befohlen war; zog all das verhaßte Europäerzeug an: Höschen und Strümpfe, ein albernes Kleid, qualerregende Schuhe . . . Tat gehorsam ein Morgengebet zu Vater Schukrins Gott, an den sie erst im Arm ihres Vaters glauben wollte, nicht früher!

Kam blankgeputzt und gescheitelt zum Frühstückstisch. »Komm Herr Jesu, sei unser Gast . . .« –

Der Junge war fort!

Sie trank ihre Milch und wußte von nichts, während man »Rudi, Rudi!« schrie. Jede Minute Vorsprung, den die Jungens gewannen, konnte wichtig sein. Maduma war nur Rückendeckung, aber da wollte sie ihre Pflicht tun.

Als dann Vater, Mutter, Koch und Boy durch's Lager suchten: das Maultier fort war, das kleine Zelt, Tragsattel und Buschmesser, Zeißglas und Karabiner; als jede Minute neue schreckliche Offenbarung brachte, da wurde sie in's Gebet genommen.

»Du hast gewußt, daß die Jungens davon wollten!«

»Ja, hohe Mamma!«

»Sag alles!«

Die Rute war nicht weit, aber ohne Schrecken.

»Mach dem Kind keine Angst, Mutter!« 92

»Und meine Angst, die Herzensangst, die ich leide?«

»Komm, Kind, die Mamma tut dir nichts . . .«

Bwana Heiliges Buch zog die Kleine zu sich, lehnte sie an sein Knie, legte den Arm um ihre Schulter. Seine großen, starken Hände waren sehr warm und taten wohl.

»Du bist nicht schuld, wenn die Jungens unartig sind. Aber sieh, uns frißt die Angst, willst du und nicht trösten?«

»Ja, Bwana Kitabu.«

»Wo sind sie hin?«

»Das darf ich nicht sagen, Bwana Kitabu!«

»Du bekommst kein Mittagessen . . .«

»Dein Befehl, hohe Mamma!«

»Erschrick das Kind nicht!«

»Und der Schreck, der mich . . .?«

»Sag, Maduma, werden sie lang fortbleiben?«

»Sehr lang, Bwana, aber vielleicht nur kurz.«

Plötzlich begriff Dr. Schukrin: das ABC erst, dann das eifrige Morseschreiben, die plötzliche Freundschaft. Das war ein lang vorbereiteter Plan!

»Sie werden der Sonne Briefe an dich diktieren?«

»Jawohl, Bwana Kitabu!«

»Und du wirst uns alles sagen, was sie dir erzählen?«

»Vielleicht, hohe Mamma.« 93

Dr. Schukrin verlor plötzlich die Ruhe, sprang auf und stand als ein dröhnender, bebender, furchtzerrissener Riese vor der bräunlichen, zierlichen Winzigkeit.

»Zerreiß uns das Herz nicht, Gott wird dich sonst strafen! Sie suchen deinen Vater?«

Da fiel Maduma so jählings hin, daß Vaters Riesenpranken sie gerade noch fangen konnten. Er hob sie auf, sie hatte die Pupillen verdreht und atmete schwer. Er hob sie an seine Brust, sie wog nichts, es war, als hielte er einen Vogel. Sein an diesem Tag nicht rasierter Bart stach in ihr lebloses Gesicht, seine Küsse fielen auf eine Stirn, hinter der kein Denken und Wollen mehr war.

»Liebling, treues, treues Kind . . .«

Als Maduma zu sich kam, lag sie wieder im Bettchen, ein kühles Tuch um die Stirn, in einem Duft von seltsamen Würzen, ihr Puls in Bwana Kitabus gewaltiger Hand.

»Fürchte nichts, Maduma, Liebling!«

Die hohe Mamma schluchzte irgendwo.

»Mein armer Junge! Erst Gregorius, nun er!« Dr. Schukrin, der mit seinem Latein zu Ende war, streichelte nur Maduma und zwinkerte mit den Augen, als bissen ihn Tränen: 94

»Ihr armen, dummen Kinder! Bwana Raffiki ist doch schon lange tot!«

»Nein!« sagte die Kleine, so bestimmt, wie sie am ersten Abend »Nein« gesagt hatte, als die hohe Mamma fragte: »Bist du froh. daß wir zurück sind?« Bald darauf fiel Maduma in Schlaf, und Bwana Kitabu gab viele Befehle, daß nichts sie stören konnte. 95

 


 << zurück weiter >>