Balder Olden
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Balder Olden

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Der Hals mager, die Nase groß, faltig das Gesicht und bös der Mund – so hockte Peters, Reichskommissar zur Verfügung des Gouverneurs von Ostafrika, am Hang des Kilimandscharo.

Marangu hieß dies verfluchte Dorf, in dem er residierte. Über ihm, in die Wolken hinein, ragte, weiß wie der Gipfel des Kenia, das Berghaupt Kibo.

Peters, der den Kenia geliebt hatte, fluchte dem Kibo alle Tage.

Vor einem Jahr war er, Kupanda Scharo, in 297 Bagamoyo eingezogen. Mit sechsunddreißig Schwarzen, die ihm jeder einzeln ans Herz gewachsen.

Jetzt haßte er alle schwarze Haut, seine Askari, seine Boys, die jungen Weiber, die ihm der Sultan von Moschi als Morgengabe gesandt.

Da saß er wie ein kranker Geier, sah mit müden Augen in die Steppe hinaus, die tief unten wallte, atmete wie hohe See.

Es kam ihm vor, als säße er an Bord eines schäbigen Dampfers, in der Rauchkabine, unter Mitreisenden, die ihm unangenehm waren, schlechte Manieren hatten.

Aber so eine Reise zählte nach Tagen, nach Wochen höchstens.

Wieviel Monate oder Jahre sollte er hier kleben, frühmorgens in die Nebel starren, bis der Kibo sich rein gebadet hatte, abends Skat auf eine Kiste hämmern und Whisky mit lauwarmem Wasser trinken?

»Mich habt Ihr zur Strecke gebracht, Schleimschreier!«

Seine knochige, faltige Hand war gegen Berlin geballt, gegen diese feierlichen Bonzen im Kolonialamt, denen er seine Verbannung verdankte.

Ihn zu binden, hatten sie ihn hierher »ernannt«. Weil er sonst vielleicht doch wieder angefangen hätte, Deutschland zu vergrößern, irgendeinen Winkel des Globus gefunden hätte, der noch zu erobern war.

Ach, jetzt braucht er die zwanzigtausend Mark Lohn, die das Reich ihm zahlt. Zuviel von seinem Ererbten lag brach in der Ostafrikanischen Gesellschaft, fünfzigtausend Mark hatte er allein in die E. P. E. P. gesteckt, als sie in letzter Stunde gefährdet war.

Der Felsblock in der Nordsee, Helgoland, sollte ein wertvoller Schutz der Küste sein, wenn es ernst wurde? 298

Die würden grad mit England kämpfen!

Wenn aber – dann hatte er diese Festung ganz allein, mit Blut und Genie, geschaffen. Diese Festung sowohl wie das Reich am Indischen Ozean, in dem ein höflicher Herr von Soden jetzt Gouverneur war und abgöttische Ehren genoß.

Blut und Genie plus fünftausend Pfund diesem lieben, kleinen Deutschland geopfert, das ihn dafür verbannt hat wie Karthago den tapferen Hannibal!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt! –

In diesem Zustand war es Gottesgabe, wenn irgendein Häuptling in Peters' Regierungsbezirk ein schiefes Maul zog. Auf ihn zufahren, Granaten werfen, Hütten verbrennen, Vieh einziehen . . . Schöner war's gewesen, gegen die Elmoran zu kämpfen! Aber es war doch Rausch und Betäubung.

Peters durfte ja nicht mehr denken, brauchte Betäubung. Verschollen war Maud, der er Throne und Kronen versprochen hatte. Auf Briefe und Kabel blieb's stumm – sie antwortete nicht. Es war sichtbar, daß Georges nicht antworten durfte.

Einmal würde er sie dennoch wieder treffen, ein Lachen zu erleben wie in jenem Lusthain bei Hannover.

Vielleicht hatte sie irgendeinen geheiratet, einen Erstenbesten, der grad am Weg stand, von ihrer Schönheit betroffen.

Hätte er in Mauds Arm Kraft zu neuem Sturm gefunden? 299

Hier, wo Tag und Nacht frei für Grübeln und Wiederholen war, durfte er nicht denken.

Jagodja, eins dieser schwarzen Douceurs, lispelte ihr »ndio, bwana mkuba«, so demütig-falsch, wie Violet »Yes, Sir« gelispelt hatte.

Dies kleine, flüchtige und schwache Tierlein hatte mit seinen vierzehn Jahren etwas von jener Schwalbe, die sein Gewissen beladen. Peters schrieb – wieviel Zeit hatte Kupanda Scharo jetzt zu schreiben! Er befaßte sich mit Negerpsychologie, um seinen Haß aufs Papier zu leiten.

»Aus moralischer Feigheit und pantherartiger Tücke setzt sich die kriegerische Eigentümlichkeit binnenafrikanischer Stämme zusammen.

Dazu kommt bei ihnen allen ein unglaubliches Maß von Brutalität, Blutgier und Bestialität. Diese unbedingte Gleichgültigkeit gegen fremdes Weh ist so recht eigentlich kennzeichnend für diese Rasse.«

Waren es nicht Neger gewesen, die ihn Städtebezwinger genannt, seinen Namen zum Hymnus und zum Kriegsruf gemacht, das »Kupanda Scharo« im Sterben geflüstert hatten?

»Als rohes und dummes Vieh ist der Neger aus des Schöpfers Händen hervorgegangen.

Er ist der geborene Sklave, dem sein Despot nötig ist. Verlogen, diebisch, falsch und hinterlistig.

Der Küstenneger ist ein gemeiner Bastard, feige und falsch, völlige sittliche Gleichgültigkeit sein Vorherrschendes.«

Eines Nachts hörte der schlaflose Peters, daß in sein Magazin eingebrochen wurde. Er erwischte den Dieb nicht – von den Boys war keiner geständig.

Sie bekamen Hiebe, einer nach dem andern legte sich 300 bäuchlings auf den Boden, und ein Askari ließ den Kiboko pfeifen. So konnte der Schuldige nicht ganz entgehen.

Dann ertappte er seinen Diener Mabruk mit einer Zigarette, die zweifellos aus seinem Vorrat gestohlen war. Nochmals fünfundzwanzig und an die Kette!

Peters verbohrte sich in diese Negergeschichte, wie Schulmeister sich manchmal in die Untaten ihrer Siebenjährigen verrennen. Er hörte nicht auf zu inquirieren. Tag für Tag war Schauri.

Bis heraus kam, daß wirklich Mabruk in den Raum eingedrungen war, in dem die Mädchen schliefen.

Das aber waren Offiziersmädchen, Sultansgaben!

Schwarze Zeugen lauern nur, was der Richter hören will. Das allein sagen sie aus. Es ist deshalb gefährlich, in Afrika Recht zu sprechen.

»Jagodja, Suria! Ich gebe euch Bakschisch, fünfzig Rupie Bakschisch, wenn ihr die Wahrheit sagt!

»War Mabruk der Einbrecher?«

»Ndio, bwana mkuba.«

»Hat er einen Revolver bei sich gehabt?«

»Hat er gesagt, er erschießt euch, wenn ihr Lärm schlagt?«

»Hat er gesagt, er erschießt den großen Herrn, wenn der ihn abfaßt?«

Immer kam's prompt, im dünnen, armen Winselton:

»Ndio, bwana mkuba.«

»Ja, großer Herr!«

Maud hatte es damals gewußt, daß Peters an Leib und Seele vergiftet wurde, wenn er von Afrika nicht ließ. Schwer erträgt der Weiße Glut und Fremdheit der Tropen, Unterwürfigkeit, Macht über Tod und 301

Leben rings um sich. Peters aber trug zu allem den Haß des Besiegten.

Mabruk wurde gehängt und nahm den Tod nicht als Grausamkeit. Er hatte großes Spiel gewagt, als er die Bibis der weißen Bwanas nahm und ihre Zigaretten dampfte.

Aber Peters Wut kochte weiter trotz Mabruks Tod, trotz der Ausbrüche in schwarzer Tinte. Es war gefährlich, in seiner Nähe zu leben. »Bwana mbaya« nannten ihn flüsternd die Schwarzen, den »bösen Weißen«.

Eines Morgens waren die Mädchen davon. Sie hatten nie geklagt, immer ihr »ndio, bwana mkuba« gelispelt, »bin ich Dir süß gewesen, großer Herr?« gefragt, wenn Peters Jagodja oder Suria zu sich kommandierte.

Diese Flucht zu dulden, ging wider sein Prestige!

Offiziere und Unteroffiziere waren darin einig.

»Schließlich kann man sich nicht alles von diesen Hundsaffen bieten lassen! Die tanzen uns ja auf der Nase herum.«

Sultan Malamia von Mamba hatte die Flüchtlinge aufgenommen.

Als Peters sie zurückfordern ließ, erlaubte Malamia sich »höhnische Redensarten«. Er versammelte seine Krieger, ließ die Trommel zu Kriegstänzen schlagen.

Mamba war der Nachbarort von Marangu.

Da war Gefahr, da war Meuterei und Verschwörung! Krieg, Bwana Malamia!

Als ein paar Dutzend Patronen verknallt, ein paar Hütten verbrannt waren, bat der Sultan um Frieden.

Gern schickte er die Mädchen zurück, zitternde Mädchen in ihren bunten Lappalapps.

Auf Fünfundzwanzig war jede gefaßt. 302

Als der Askari mit seinem Kiboko antrat, legten sie sich in den Staub wie Lämmer. Baten nur, daß Leute ihres Stammes, Wadschagga, sie an Händen und Füßen hielten. Dann wollten sie ihre Fünfundzwanzig hinnehmen, still und ohne Abwehr.

Aber es gab mehr als diese Ration, in Afrika üblich. Peters saß auf der Veranda und hörte das Schreien.

»O Bwana mkuba! Hab' Gnade, großer Herr!«

»O Mama! Mamawäh!«

Auch Peters hatte sich, im Privatverkehr sogar, eine gewisse Gleichgültigkeit gegen fremdes Weh zu eigen gemacht. Er saß im Segeltuchstuhl und befahl nicht Halt, ehe das Heulen aufhörte, nur noch Stöhnen und Ächzen kam.

Jagodja kam darnach an die Kette. Aber sie bekam immer weiter Hiebe, zweimal die Woche, bis sie abermals floh, abermals gefangen wurde.

Diesmal wurde Jagodja gehängt.

Drei Weiße bestätigten als Beisitzer dies Urteil. Sie mußten es tun, obwohl sie empört waren.

Jeder Kettengefangene weiß, daß auf Flucht der Tod steht.

Es war zudem – lehrte der Reichskommissar – die Sicherheit aller Weißen, der man Mabruk und Jagodja geopfert hatte.

Eine deutsche Truppe war gerade in Uhehe – weit fort, aber die Hundsaffen am Kilimandscharo wußtens schon –, überfallen und vernichtet worden.

Man kann nicht über Hunderttausende herrschen, ein Gewehr gegen Hunderttausende von Speeren, wenn man nicht furchtbar ist. Herrscht man, dann darf man nie Schwäche zeigen, nie Mitleid, nie Angst. Es kommt keineswegs auf Menschenleben an, wenn man Völker 303 unterwirft. Nur auf Mythos, in den man sich hüllt, Furcht, die man ausstrahlt, Furchtbarkeit, die man genießt wie Götter den Opferrauch.

Nur so, nur so läßt sich eine Welt unterjochter Feinde beherrschen.

»Aber Weiber, arme, kleine Negerweiber durchwichsen, bis sie nicht mehr schreien können?«

»Blutig gepeitschte dumme Kinder hängen?«

»Das ist doch unter dem Niveau jeder Diskussion! Meinetwegen war's falsch, vielleicht nicht nötig. Dann hat man eben einen Fehler gemacht. Sprechen wir von ernsteren Dingen.«

»Ernstere Dinge?«

»Ernsteres als diese Gefolterten, Mabruk und Jagodja, am Strick?«

Peters wußte ernstere Dinge.

»Schopenhauers Negativität der Lustempfindung?«

»Meine ganz privaten Besitztümer am Tana, die Insel Rari-Ro-Randa, für die das Deutsche Reich mir Schutz verweigert?«

»Emin Paschas Rückkehr an den See, als deutscher Reichskommissar, der Schwarz-Weiß-Rot am Bukoba gehißt?«

Gab es wirklich nichts Wichtigeres zu besprechen als dies bißchen schwarzes Fleisch?

Mabruk und Jagodja kamen bald in Vergessenheit.

Bald darnach aber brüllte Deutschland über vier wundgeklopfte schwarze Popos. Bald wußte Deutschland nichts von Deutschost und Helgoland, nichts vom Tana, Peters' Sieg über die Massai, alle Taten eines wütig mit Energie geladenen Lebens – als diese Tracht Prügel und zwei Meter Hanf, die verbraucht waren, 304 um einen Dieb und eine kleine, verräterische Sklavin zu hängen.

Peters begriff nicht.

Das kam wie eine Lawine heran.

Erst Abberufung, weil ein englischer Missionar über »Greuel« am Kilimandscharo berichtet hatte.

Dann »Schwamm drüber«. Ein Orden. Audienz beim Kaiser, neues Kommando als Gouverneur am Tanganjikasee.

Peters nahm diesmal nicht an, hatte genug vom Reichsdienst.

»Hängepeters! Hängepeters!«

Deutschland heulte ihn an. Drei Tage lang sprach der Reichstag, der über seine Taten selten gesprochen, über seine Untaten.

Er gab sich zu, daß er damals am Kilimandscharo nervös gewesen. Sein Distanzgefühl hatte nicht funktioniert.

Aber was hatte das mit dem Werk seines Lebens zu tun?

Kannte man seine Verdienste nicht?

Geht in die Dorfschule, ihr Buben und Minister, laßt euch vom Schulmeister sagen, was ihr von mir zu wissen habt!

»Hängepeters! Hängepeters!«

Ganz so wars in Massailand gewesen, wo man sich zu Gruß und Abschied bespie.

»Hängepeters! Hängepeters!«

So hatte nicht die Wut der Elmoran gedröhnt.

Wenn seine Bravour nicht galt, sollte ihn der Pöbel als großen Zyniker bewundern.

»Ich bin ein stiller, ernster Pfarrerssohn aus 305 Neuhaus an der Elbe. Aber die Bettschwägerschaft mit diesen schwarzen Schweinen paßt mir nicht.«

Er schmiß das Wort hin und wollte höhnisch lachend weitergehen.

»Kupanda Scharo« oder »Hängepeters«?

Ganz anders lag ihm die Frage.

Konnte man eins sein, ohne beides zu sein?

Wer sich als Wolf durch Afrika gefressen, wird nicht im Reichsdienst Lamm, Kommissar, Ministerialratsanwärter.

Aber nun stand dies schmutzige Wort auf und gab ihm den Rest. Deutschland schüttelte sich in Ekel und Wut gegen diesen Deutschen.

. . . ohne Pension aus dem Dienst entlassen . . .

Durch jede Pfütze Druckerschwärze gezogen . . .

An jeden Pranger des Reichs zugleich gestellt . . .

Wieder ging's über den Kanal. Blind wie schon einmal – Peters begriff ja diese Wut nicht und diese Empörung. Hatte man je einem Eroberer die Toten – hatte man ihm selbst die Peitschenhiebe und Leichen der Emin Pascha-Expedition nachgerechnet?

England nahm den Erstaunten, Erschöpften auf.

Aber durch viele Jahre noch zog sich lähmend der Hader mit Deutschland in Prozessen, Fehdeschriften, wütender Abwehr.

Während Helgoland zur unangreifbaren Seefeste wuchs, versandete Peters' Leben, mit dem es bezahlt war.

 

Deutsch-Ostafrika war aus der Steppe zum Garten gewachsen, Stolz seiner Gärtner.

Fünfundzwanzig Jahre im Besitz Deutschlands, sollte es der Welt in großer Beleuchtung gezeigt werden. 306

Seine Häfen und Eisenbahnen, die Dampfschiff-Flotten auf den großen Seen.

Seine schönen Städte, aus denen Malaria und Fieber vertrieben waren, die sich ausdehnten, Industrien bauten.

Seine Kulturen von allem Tropenwuchs.

Bergwerke, Versuchsgärten, Spitäler, Laboratorien.

Schulen, Druckereien, Banken, Handelshäuser.

Sein in afrikanischen Boden verpflanztes Deutschtum.

Seine Neger, die Arbeiter und Steuerzahler geworden.

Damals, 1914, besann man sich auf Peters, den Sechzigjährigen, der lange schon tot schien.

Ein Denkmal für Peters!

Eine Denkmalsenthüllung, der er beiwohnen mußte.

Wie hätten die Reden geklungen, ins Gesicht hinein dem Gründer und dienstentlassenen Beamten dieses Landes?

Der Krieg vereitelte die große Feier.

Der Küste Ostafrikas nah, wurde das Dampfboot, das Peters' Monument an Bord trug, Kriegsbeute der Engländer.

Seinem steinernen Bild glückte es nicht, was ihm einmal gelungen war, durch die Blockade zu brechen.

Vielleicht gehörte auch dies notwendig zu seinem Schicksal, das er selbst für vorgezeichnet hielt bis zur Todesstunde. 307

 


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