Balder Olden
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Balder Olden

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Einundzwanzigstes Kapitel

Elf Monate seit jener Nacht, in der Peters, laut brüllend durch die einsame Dennewitzstraße, große Taten versprochen, fünf Monate seit er Berlin verlassen hatte – es war nichts gegen das Tempo, in dem nun die Ereignisse sich überstürzten.

War Peters bisher der einzige Motor, die Feder im Uhrwerk gewesen, deren Energie mit grellem Knirschen die Räder trieb – jetzt konnte er selbst den Dingen kaum folgen. Seit die Blätter voll von seinen Plänen, tausend Hände sich ausstreckten, ihm zu helfen, um sich in dieser großen Stunde Deutschlands eines Griffes, einer Hilfe rühmen zu dürfen.

Am fünften Februar Ausschußsitzung der alten Gesellschaft für koloniale Erwerbungen.

Am achten Februar Telegramm an Jühlke »Vorwärts«.

Mit diesem einzigen Wort wird Graf Pfeil nach Westen gesandt, um bis zum Njassasee alles Land in Besitz zu nehmen.

Am vierundzwanzigsten Februar kommandiert er Premierleutnant Weiß und Gartenbauingenieur Schmidt nach Afrika. Weiß, um als Eroberer in Peters' Stil, als sein Bevollmächtigter, zum Tanganjikasee zu marschieren. Schmidt, um mit einem Versuchsgarten in Usagara die eigentliche Kolonisationsarbeit praktisch zu beginnen.

Am fünfundzwanzigsten stellt er dem Auswärtigen Amt ein Ultimatum, Macht gegen Macht.

»Falls mein Vorschlag nicht binnen drei Tagen angenommen, fahre ich nach Brüssel.«

Am achtundzwanzigsten hält er die Urkunde in 208 Händen, in der Kaiser Wilhelm, der Neunzigjährige, und Bismarck ihm, Dr. Carl Peters, und dem Kammerherrn Felix, Graf Behr-Bandelin als Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Kolonisation den Schutz des Reiches für das Erworbene wie das noch zu Erwerbende zusagen. Ihnen Befugnis zur Ausübung aller aus ihren Verträgen fließenden Rechte, einschließlich der Gerichtsbarkeit gegenüber den Eingeborenen und den im Schutzgebiet sich aufhaltenden Angehörigen des Reiches und anderer Nationen, übertragen.

Souveräne!

Zwei Tage später breitet der Kaiser auf seinem Schreibtisch die Karte von Ostafrika aus, läßt sich von Peters über Vollbrachtes und Geplantes berichten.

Prinz Wilhelm, bestimmt, in wohl nicht ferner Zeit Kaiser zu werden, schüttelt seine Hand:

»Immer höher mit der deutschen Flagge!«

Am vierten März bekommt die Gesellschaft zur deutschen ihre eigne Flagge! Weiß, mit schwarzem durchgehenden Kreuz und rotem Eckfeld, mit dem weißen Sternbild des südlichen Kreuzes.

Am zehnten März werden die Türen der Gesellschaft weit aufgerissen. Im City-Hotel zu Berlin tagt ihre erste öffentliche Versammlung, wird die Presse, wird ganz Deutschland eingeladen, zu hören, was Peters geschaffen, seit er vor fünf Monaten durch falsche Informationen, irreführende Flugblätter, falsche Telegramme ganz Deutschland und seine Presse hinters Licht geführt.

Aus den alten Organisationen entsteht am achtundzwanzigsten März die »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Carl Peters und Genossen«, mit einer Generalvollmacht für Herrn Dr. Carl Peters, die ihn zum Diktator macht. Beamte anstellen, befördern, entlassen, alle 209 administrativen Anordnungen selbständig treffen, Befehle erteilen, Disziplinarstrafen verhängen – all das steht nur ihm zu. Er, der nie ein Amt verwaltet, kommandiert in Deutschland wie in Afrika »und sonst an anderen Orten« über Zivil, Offiziere, Militärbeamte.

Immer größer wird der Kreis. Kabel fliegen hin und her zwischen Sansibar und Peters' Schreibtisch. Zu seinen Diensten drängt sich, was jung und tatenfroh in Deutschland ist.

Am dreiundzwanzigsten April trifft die Expedition des Regierungsbaumeisters Hörnecke in Sansibar ein, von zwei Offizieren begleitet, ausgerüstet mit der Sternenflagge! Peters' schriftlicher Befehl lautet, »er habe Gebiete zu erwerben durch Kontrakte mit Sultanen, wo Sultane nicht vorhanden sind, habe er Besitz zu ergreifen durch Hissen der Gesellschafts- und Reichsflagge. Auf Grund des allerhöchsten Schutzbriefes die Besitzergreifung im Namen der Gesellschaft zu proklamieren.«

Am zweiten Juli teilt Peters durch Extrablätter mit:

Graf Pfeil hat auf seinen Befehl das Land Chutu bis zum Rfidji erworben!

Monat um Monat geht es so fort: neue Expeditionen mit neuen Zielen! Entflammte Männer, die nur er geprüft, ernannt hat, durch Handschlag in Dienst genommen, ziehen ihrem Schicksal entgegen, das er bestimmt hat.

Mitten in diesen Erfolgen aber einer, der für Peters fast schwerer wiegt als Erwerb dieser oder jener Kolonie:

Fürst Bismarck muß – ja, muß! – ihn zu sich bitten! Der Sultan Said Bargasch, hinter dem England steht, an dessen Hof Sir John Kirk residiert, hat gegen den kaiserlichen Schutzbrief protestiert, in das neue 210 Schutzgebiet des Deutschen Reiches hat er Truppen entsandt, um seine Flagge zu hissen.

Er allein sei Herr von der Ostküste Afrikas bis zu den Seen!

Es ist ein weltpolitischer Moment, von Peters lang erwartet, fast erzwungen! Zum erstenmal stoßen England und Deutschland als Weltmächte gegeneinander. In dieser Stunde braucht Bismarck ihn, seine Kenntnisse, seinen Rat!

 

»Was ist richtig von den Ansprüchen des Sultans, Herr Doktor?«

Vorhin, im Stehen, war Bismarcks Gestalt für Peters erdrückend.

Jetzt sitzen zwei rauchende Herren im Klubsessel. In hundert Denkmälern schon verewigt der eine, Europas höchste politische Gestalt; ein Politiker, der weder Haß noch Liebe kennt. Der andere zwei Jahre vor dem dreißigsten Geburtstag, ein Privatmann, der England mit zurückgewiesener Liebe irrsinnig haßt.

»Englischer Bluff, Durchlaucht. Der Sultan hat wohl ein paar Handelsagenturen im Innern, Stützpunkte für seine Karawanen. Aber die Sultane, die ich unterworfen habe, nahmen bisher von diesen Karawanen Steuer.«

»Das können Sie beweisen, Herr Doktor?«

»Durch Briefe an deutsche Kaufleute, die für den Marsch zum Viktoriasee Schutz des Sultans angesucht haben. Er antwortet schematisch, daß er jenseits der Küste keinen Einfluß hat.«

Der Fürst sieht Peters an, als prüfe er nach Milligramm sein menschliches Gewicht. Berühmt der Strahl 211 dieser blauen Augen! Furchtbar zu denken, daß es vor ihnen nichts Geheimes gibt!

»Und wenn der Sultan weiter bockt? Was können wir gegen Sansibar ausrichten?«

»Den Sultanspalast zusammenschießen. Er liegt offen für jedes Kriegsschiff, das in den unbefestigten Hafen fährt.«

»Wenn's der Sultan darauf ankommen läßt?«

»Das täte kein Orientale.«

Bald darauf ging Bismarcks Antwort nach Sansibar ab, redigiert von Peters und Geheimrat von Kusserow.

Zugleich eine Erklärung nach London:

Deutschland sei gezwungen, dem Sultan mit Gewalt zu begegnen, wenn er seine Truppen nicht aus dem deutschen Gebiet zurückzieht.

Die von Peters abgeschlossenen Verträge werden der englischen Regierung vorgelegt, Unterwerfungen, Erklärung Salim Bin Hamids. Sie erscheinen in einem Blaubuch der britischen Regierung ans Parlament.

Zugleich zieht sich im Indischen Ozean ein deutsches Flottengeschwader zusammen.

Am siebten August erscheint es vor Sansibar.

England, Afghanistans wegen von einem Kolonialkrieg mit Rußland bedroht, hat zur Stunde Anlaß, sich Deutschland freundlich zu stimmen.

Armer kleiner Sultan in Sansibar! Kirk diktiert ihm bald genug die Antwort.

»Wir anerkennen über besagte Länder die Schutzherrschaft Seiner Majestät, rufen unsere Soldaten zurück und machen dies unseren Beamten bekannt, die sämtliche Küstengebiete besetzt halten.«

Peters' erster Sieg über England! 212

Zum zweitenmal gerät er in das Feuer von Bismarcks Augen.

»Durchlaucht haben es heute in der Hand, das Sultanat Sansibar selbst, die ganze Küste, das ganze Hinterland bis zu den Seen zu ergreifen. Es wäre zur Stunde ein Preis, den England für unsere Neutralität gern bezahlt. Für die Ausführung stehe ich dem Reich zur Verfügung.«

»Wie sind etwa Ihre augenblicklichen Pläne?«

Eine Karte von Afrika liegt vor beiden. Peters' Handkarte, in die er täglich den Stand seiner Expeditionen einträgt.

»Diese Pfeile bedeuten die von mir ausgesandten Expeditionen. Diese blaurote Linie umgrenzt das Gebiet, das ich für meine Gesellschaft bis Ende dieses Jahres in Aussicht genommen habe.«

Seine Hand fährt über den Erdteil hin.

Bismarck lacht wohlwollend, aber wie der Erwachsene einem Kind zulacht.

»Donnerwetter!«

Er klopft Peters auf die Schulter, ganz onkelhaft.

»Wenn Sie das können, dann kommen Sie mal wieder.« Zuletzt dankt er Peters in seiner seltsam majestätischen Höflichkeit und entläßt ihn.

»Dieser Peters ist inkommensurabel«, erklärt er später.

»Ein deutsches Geschwader, drohende Noten, Kraftprobe größten Stils – um eine Handvoll Land, das ich in vier Wochen genommen!« tobt Peters daheim. »Soweit hatte ich den Fürsten – warum folgt er mir nicht weiter?«

Er fühlt sich ganz persönlich verwundet. Er flucht »Berge kreißen – eine Maus wird geboren!« 213

Endlich schickt er doch Bismarck ein Dankschreiben.

»Wir werden fortfahren an dem von Eurer Durchlaucht geschaffenen Werk der Emporrichtung Deutschlands.«

Peters, der vor England auf den Knien liegt, nur England seinen großen Weg dankt: englischer Schulung, englischem Geld, englischen Vorbildern; er weiß auch, wo dies bewunderte Vorbild schwach ist.

Diese Schwächen zugunsten Deutschlands ausnützen – das war ihm bestimmt! Eine ganz private, aber gewaltige Rechnung zu begleichen!

Und Bismarck lacht.

Tatsächlich hatte Peters ihm durchaus Kommensurables vorgelegt.

Seine Expeditionen hatten zu jener Stunde mehr erreicht, als er selbst wußte.

Das Kilimandscharogebiet, Usambara hatten Jühlke und Weiß – scharf bedrängt von englischer Konkurrenz – im Juni schon genommen!

Ins Somaliland war Hörnecke in Eilmärschen vorgestoßen, weil Italien dorthin griff.

Hörnecke kam dem italienischen Kriegsschiff zuvor!

Am sechsten September schloß er in Halule am Kap Guardafui Namens der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft den üblichen Hoheitsvertrag.

Überall war Bewegung. Immer neue Eroberer verließen Berlin.

»Freßt in Afrika um euch wie Wölfe!« gab der Chef ihnen auf den Weg. »Hier, daheim, führe ich unsere Sache.« Sie fuhren ab, er sah ihnen neidisch nach.

Was kannte er von diesem göttlichen Afrika, dessen Schöpfer und Herr er war?

Ein paar Tage Hafenstadt, eine Safari von vier 214 Wochen. Und jetzt hockte er hier, im widrigen Berlin, ein Wachtmeister, dessen Schwadron im Feuer steht.

Da zogen sie hinaus, die blanken Jungens, von ihm equipiert wie reisende Prinzen.

Allen Tropenluxus, von dem er bei der Rückkehr aus Usagara erst gehört, er hatte ihn um sie gebreitet. Zelte, Moskitonetze, Apotheken, Waffen, Blechkoffer mit auserwählter Kleidung, Aluminiumküchen, Uniformen für Boys und Askari, Vollmachten.

Seine Fahne gab er ihnen mit, die heilige Fahne des Propheten.

Indessen er sich im Auswärtigen Amt mit Geheimräten plagte, denen alles bekannt war, jeder Paragraph irgendeines Gesetzes, der für die ganz neue Situation Ostafrika keine Bedeutung hatte; jeder Handelsvertrag; jedes psychologische Moment in London und Sansibar; das Stirnrunzeln des Fürsten Bismarck.

Nur daß keiner von ihnen, je im Leben, einen Neger gesehn. Daß sie von der Kolonialgeschichte Englands, Hollands, Spaniens, Portugals keinen Dunst hatten. Daß sie einem titelverachtenden, eigene Ziele verfolgenden Mann nie begegnet waren!

Gerade die eigenen Ziele, statt sie geschickt in den Dienst des Reiches zu stellen, machten sie ihm ja zum Vorwurf. Bliesen den Redaktionen zu, man solle die Kolonialbegeisterung dämpfen, die nur Peters Begeisterung sei.

»Meine Gesellschaft . . .« sagte Peters, und die Antwort lautete:

»Wir wissen ja, daß es sich um Ihr Privatunternehmen handelt, Herr Doktor.«

Während Peters in Afrika wie ein Wolf um sich fraß, verlor er in Berlin täglich an Boden. Bewaffnete 215 Männer wuchsen gegen ihn aus der Erde – ganze Parteien, gewaltige Cliquen.

Wenn Peters irgend etwas noch besser verstand, als Kolonien zu nehmen, Männer zu befehligen, ein Werk zu organisieren, dann war es die Kunst, sich Feinde zu machen.

Viele, die den Geruch seines anmaßenden, seit Bombay aber brüchigen Wesens in die Nase bekamen, haßten ihn instinktiv.

»Unreifer Stürmer« oder »grauer Theoretiker« – es kam auf eins heraus.

»Kolonien bedingen eine Kriegsflotte. Das wissen wir seit der Demonstration vor Sansibar. Eine Flotte kostet Geld, das uns nicht zur Verfügung steht, wenn wir Europas stärkste Landmacht bleiben. Der Versuch schon, sie zu bauen, macht uns England zum Feind. Dieser Bursche verwickelt uns in Krieg und Katastrophen.«

Das war etwa Bebel, der so dachte, Führer der noch schwachen Arbeiterpartei, ein Panzerturm an persönlicher Geltung. Auch bei der Regierung, der er Opposition machte.

Peters, das Herz voll Wut gegen England, rief gerade zu dieser Flotte auf. Sein Programm war das ja: Deutschlands kleinen Finger, von dem er auf der Fahrt nach Bombay geträumt, hielt er in der Hand, seit der Schutzbrief ausgestellt und bekräftigt war! Nun ging's um die Hand.

England durfte man brüskieren! Im Gefühl seiner Macht auf allen Kontinenten nahm es vieles hin und zitterte nicht um ein bißchen Prestige. England dachte kaufmännisch – es würde einen kräftig auftretenden Rivalen lieber zum Verbündeten machen, als ihn zerschlagen. 216

»Ist Deutschland ein Badeort?« war Peters einmal in London gefragt worden.

Es schadete nichts, wenn man erfuhr, daß Deutschland kein Badeort war. Sondern eine Weltmacht, Heimat des Afrikabezwingers Carl Peters.

 


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