Balder Olden
Ich bin Ich
Balder Olden

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Georges verheiratet?

Alter, unerschöpflich begeisterter Georges!

Man wußte in London nicht, wen, wohin, ob er in einer Wildnis saß oder vielleicht in San Franzisko.

»Warum nicht, mit siebenundvierzig Jahren? Seine Tochter ist erwachsen . . .«

Wahrscheinlich in Frisko. Es konnte nur eine Kalifornierin sein. Er hatte in seinem Leben nur zwei Kalifornierinnen geliebt: Mauds Mutter und – Maud.

»Georges Wallingham ist ein Prachtkerl«, behauptete unvermittelt und drohend Peters.

Maud lebte, dreiundzwanzig Jahre alt, auf einem Schloß in Schottland.

Man konnte Georges nicht schelten. Sein halbes Leben hatte er ihr gewidmet!

Maud war die größte Partie seit vielen Seasons. Sie müsse sinnlos reich sein, wurde behauptet. Von 228 zwei Seiten, wohlverstanden. Englische Herrensitze und kalifornisches Kupfer.

Ein Grund mehr für Georges. Gegen ihn, bitte, kein Wort.

»Das Kupfer allein würde genügen!«

»Die Güter in Schottland sind auch kein Stroh.«

»Und sie ist ein hübsches Mädel zu allem.«

»Hübsch? Eine Schönheit!«

»Ihre Stiefmutter ist noch schöner und drei Jahre jünger.«

»Langweilig soll sie sein, die hübsche Maud, lebt wie eine Witwe.«

»Sollte mal auf acht Wochen Stubenmädel werden, damit sie merkt, was sie eigentlich wert ist. Wahrscheinlich glaubt sie von jedem Boy, er will nur ihr Geld.«

»Armes Mädel trotz allem. Denn schließlich will wirklich jeder ihr Geld. Zu reich für ein Mädel.«

Das Gespräch wurde in Bonn geführt. Peters verhandelte mit Sir William Mackinnon, der die Interessen einer Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft vertrat.

Britisch-Ostafrikanische Gesellschaft. Das gab's plötzlich.

Nachdem England seit Jahrhunderten die Wellen beherrschte, seit langem einen Residenten in Sansibar das Sultanat kommandieren ließ, ohne an den ganzen Weltteil südlich des Sudan auch nur zu denken, hatte es plötzlich ängstliche Aspirationen auf Mombasia, den Kilimandscharo, Uganda.

Seit König Leopold und Herr Peters diesen Ländern Interesse zuwandten!

Den Griff nach dem ganzen Weltteil, in unbewachter Stunde, den hatte Bismarck versäumt! Hätte er 229 auf Peters gehört, war Deutschland allein in Ostafrika. Jetzt saßen die Engländer da und redeten mit. Stanley saß mit am Tisch, der englisch geborene Amerikaner in belgischen Diensten, der für Leopold den Kongostaat gründete. Der erste, der Afrika auf der Äquatoriallinie von Ost nach West bewältigt hatte – ein Rekordmann, dessen Rekord Peters brechen wollte.

Wie gern hätte Peters Stanley gesagt:

»Ostafrika gehört uns, Gentlemen! Wenns euch nicht paßt, führen wir Krieg.«

Aber seine Vollmacht reichte nicht so weit. Er hätte es sonst gesagt! Und England hätte keinen Krieg geführt. Damals jedenfalls nicht!

Peters war nur Vertreter einer Handelsgesellschaft, freilich den deutschen Diplomaten attachiert, und der einzige von ihnen, der, ein paar Wochen wenigstens, »unten« gewesen.

Im Grunde war's egal. Momentan war's egal.

Man zog aus der Karte, die ja nicht viel mehr als Ränder und Flußwindungen zeigte, Linien hinauf und hinunter, markierte Grenzen.

»Hier ist ein Berg, den brauchen wir zur Abrundung« sagte Sir William. »Wie heißt er? Kilima?«

Jühlkes Eroberung! Jühlkes Monument!

»Den Kilimandscharo haben wir!« sagte Peters. »Der bleibt deutsch!«

Es wurden Grenzen gezogen, eine Grenzregulierungskommission vereinbart.

Der Kilimandscharo blieb deutsch. Sir William verzog das Gesicht nicht, wenn Peters Festigkeit zeigte. Man vermutete dann, soweit sei Bismarck entschlossen.

»Und diese Dame Maud, von der Sie erzählt haben, Sir William?« 230

»In fünf Wochen, Doktor, haben wir einen Stapellauf in der Irischen See. Die ›Jumna‹, fünfzehnhundert Tonnen. Lady Maud ist dabei.

Kommen Sie auf ein paar Wochen zu mir, mein Gast!

Sie auch, Stanley! Eine lustige Zeit zusammen haben! Das ganze high life von Schottland macht mit bei der Probefahrt. Kommt, Jungens, wir schießen Fasanen!«

Stanley war gleich dabei.

»Ab und zu sprechen wir eine Stunde vom Geschäft, von Afrika. Machen Sie mit, Peters! Nicht silly sein! Be a good boy!«

 

Diese schöne Frau war nun dreiundzwanzig Jahre alt, im Alter nahe der Venus, der Juno, der Medicäischen.

Sie saßen sich gegenüber wie im Imperial-Hotel in Hannover, wenn Mrs. Toxend auf Minuten das Zimmer verlassen hatte.

Nur daß Peters schon müde war, bald dreißig Jahre alt. Der Scheitel gelichtet! Seine Stirn reichte bis zur Höhe des Schädels. An den Schläfen schimmerte es wie Alter.

Er saß steif, sah aus wie ein Legationsrat. Augen und Mund zeigten, daß er gelernt hatte, sich zu beherrschen. Seine starken, breiten Hände eines hannoverschen Dorfjungen, mit Ringen, Schwimmen, Fechten trainiert, hielten einander, wenn er sich erregte. Als hindere so eine Hand die andere, Gewalt zu ergreifen.

»Maud?«

Auch über den Glanz ihrer Augen hatte das Leben hingewischt, vom Mund den schönen Übermut ihrer 231 Mädchentage gepflückt, und ihre Wangen verrieten, daß sie viel geweint hatte.

»Ich mußte Sie sprechen, Charles.«

Sie saßen sich gegenüber, sahen sich an wie Diplomaten.

Dann schürzten sich Mauds Lippen bitter, doch zärtlich. Dann legte sie die noch blühende Hand vor Stirn und Augen, rang um tausendmal bereitete Worte.

Er saß und wartete, begehrend wie immer; bis sie endlich, tastend, das zarte Gesicht ins Leere, sprach, so leise, daß manches Wort ihm entging.

»Sie haben mein Leben genommen, Charles, als ich fast noch ein Kind war.

Ich weiß nicht, warum Sie es getan haben!«

Er antwortete nicht, fühlte ein Wunder kommen, während sie ihr Tuch zerknüllte und Worte suchte. Es war so schwer.

»Immer war Ihr Druck über mir. Hab' ich mich denn gewehrt? Seit Bombay kein Wort für mich . . . Charles! Warum denn? Durften Sie Ihre Macht so mißbrauchen?«

Wäre in diesem Augenblick Mrs. Toxend ins Zimmer getreten – aber sie lebte nicht mehr – dann hätte sie Peters in überkorrekter Haltung und höflich auf Mauds Worte lauschen gesehn; hätte vielleicht gefühlt, daß eine Erregung durch den Raum zitterte, aber keinen Grund gewußt, durch ihr Bleiben die Unterhaltung zu ändern.

»Sie wissen, daß Ihr Wille noch über mir lastet. Auf allen Wegen! Überall! Ich hab' Deutsch gelernt, um Ihre Bücher zu lesen!«

Peters wußte, was er in Boulogne-sur-Mer geschrieben hatte! 232

»Ich weiß alles von Ihnen, Charles . . .«

Und sprach doch, in diesem Ton, zu ihm?

»Ich weiß, man kann's nicht Liebe nennen, dies Fürchten vor Ihnen . . .

Aber daß ich nie frei bin, immer zittern muß, es spricht jemand den Namen Peters aus!«

Jetzt weinte sie. Ihr Weinen – fernes Orgelspiel!

»Daß ich ganz an Sie gekettet bin!«

Ein Atemzug, als sei er am Ersticken gewesen, riß Peters auf.

Er mußte die Arme breiten, um so viel Luft aufzunehmen. Dann suchte er ihre Hand.

Aber Maud, die so aus dem Innersten heraus ablehnen konnte, wehrte sich, wie sanft!, gegen seine Hände.

»Sie müssen mich aussprechen lassen, Charles. Ich muß weinen und sprechen dürfen.

Oft hör' ich Häßliches. Wenn Sie Ihre Haltung verlieren, Zusammenstöße haben . . . Man erzählt und druckt alles, was Sie tun.«

»Ich dachte, Sie hören nichts von mir, weil Sie mich vergessen wollen.«

Das arme Kind Maud – jetzt weinte es stärker und brauchte lang, sich zu fassen.

»Man sagt, Sie machen einen Krieg gegen uns. Sie zwingen Ihr Land zu allem, was Sie wollen. Sie sind ein Dämon, sagt man.«

»Meine Pläne sind viel bescheidener, Maud.«

»Oh, dies Afrika!« klagte sie.

»Ich glaube nicht, was man sagt. Aber Sie sind ein Gelehrter, ein Dichter. Warum? Warum Weltgeschichte machen?«

Das verstand Peters! So hatte sein eigenes Herz oft gesprochen: 233

Warum dichtest du in Ländern und Bastionen, Poet?

»Ihr Freund hat für Sie sterben müssen . . .«

Dann stand sie plötzlich auf, flüsterte bittend »Warten!« und lief davon.

Peters lag, fremd sich selbst, hager und klein in den tiefen Stuhl gesunken.

Es war schön zu warten, die Nacht zog auf.

Sie hat sich immer belogen, dachte er. Wenn ich das gewußt hätte! Wie vieles wäre nicht geschehn!

Ich hätte es wissen können. Nie hab' ich Augen für sie gehabt.

Für den einzigen Menschen auf Erden kein Auge gehabt! Jetzt kommt das Neue!

Und eine Ahnung von Zärtlichkeit ging über ihn hin. Augen zu küssen!

Das kannte er nicht. Nie in seinem Leben war er zärtlich gewesen.

Dann kam Maud zurück, war tapfer und nicht mehr verweint.

Nur rasch zu Ende, was sie sagen mußte!

»Lesen Sie, Charles!«

Es war ein Zeitungsartikel »Dr. Peters«. Erst nahm er nur, überfliegend, Satzfetzen heraus.

». . . er hält das für Heldentum . . . vier Wochen Safari durch Afrika, ohne Kampf, Geschäftemachen mit schwarzen Kindern im Sultansornat . . . Seine Leistung dort war, ein bißchen Malaria zu tragen . . . Er weiß nicht, daß er seine Siege nur in Deutschland erkämpft, den weisen Bismarck hinters Licht führt, ihm Politik gegen England aufzwingt, die sich an Deutschland rächen wird . . . Aber das ist die ungeheure Leistung! Das und sein visionärer politischer Blick! Diesen ungewöhnlichen Kopf hat England sich entgehen 234 lassen. Ein historischer Bock. Vielleicht aber noch Zeit? . . . England könnte ihn brauchen. Er verdirbt Deutschland, Deutschland ihn . . .«

Seltsam, daß dieser Artikel, fast ein Jahr alt, ihm entgangen war!

Ein Peitschenhieb, unter dem er bäumte: daß er draußen noch gar nichts geleistet hatte!

Etwas betäubend Schönes, dieser Ruf nach England!

Maud hatte ihn beobachtet, solang er las und jedes Wort wieder las, immer wieder. Bis endlich seine Augen Maud fragten:

»Nun?«

Maud, den Kopf gesenkt, nicht mehr nach Worten suchend:

»Es ist wahr, Charles. Ich kann das beurteilen. Ich kenne Sie besser als alle Menschen!«

»Mein Weg fängt erst an, Maud.«

»Ja!« schrie sie »Ja!«.

Jetzt verstand er nicht.

»Hören Sie auf mich, Charles! Sonst fängt wirklich Ihr Weg erst an, Ihr Weg ins Bittere! Bleiben Sie hier. Machen Sie etwas Schönes aus Ihrem Leben! Wenn man aufhört, Sie zu fürchten, könnte man . . .

Verlassen – Sie mich nicht – ganz! Werfen Sie nicht fort, was Sie an sich gerissen haben. Sie wollen Eroberer sein und Zerstörer. Warum . . .«

Als Peters schwieg, weil Ströme von Gedanken mit der ersten Hingabe seines Lebens rangen, bat sie:

»Nicht jetzt. Morgen die Antwort!«

Er hätte sie gleich geben sollen.

So viel Tote schon an seinem Weg, so viel Zorn gegen ihn gesammelt, überall, so viel Schuld auf ihn 235 gebürdet . . . Jeder Schritt, den er gegangen, brannte an seinen Sohlen.

»Nicht jetzt!«

Maud war sein, wenn er wollte. Ein Leben in ihrem Glanz, Ruhe . . .

»Nicht jetzt!«

Die Antwort wäre »Ja« gewesen.

Er steht auf, wie sie es erwartet, allein zu sein.

Er küßt sie, wie sie's erwartet.

Dann geht er.

Sie waren tapfer. Jetzt muß er denken.

Vielleicht sah Maud, durch den Garten hin, in der Nacht, immer wieder ein Licht aufflammen, einen glühenden Punkt wandern.

Vielleicht hörte sie sogar herein, wie Peters dachte. – Denn in großen Stunden dachte er laut, stand vor einer Versammlung und verteidigte sich.

Dies aber ist die Stunde, in der er seine Jugend verteidigen muß.

Da sind so viele, denen er Rechenschaft schuldet.

Vom Vater an, von den Lehrern in Ilfeld, die er mit seiner Drohung, der große Mann seiner Zeit zu werden, in Angst und Gehorsam gejagt.

Jühlke, Jühlke – durfte er von ihm, heute schon, Urlaub erbitten?

Jühlke, Kindergesicht im Vollbart, Augen voll Licht, die nun in seinem Dienst gebrochen. Der auf seinen Befehl den Kilimandscharo für Deutschland genommen hatte!

Nackt und blutig im Somaliland eingescharrt, der Tapfere, der nie an ihm gezweifelt, seit Ilfeld!

Peters hatte gedichtet »dann will ich gern zugrunde gehen – mit allen, die mir treu«. 236

Und sollte Jühlke ungerächt lassen?

Einen Freund wie den hat keiner besessen.

Der Zukunft, Heimat und alle Sicherheit aufgab, um ihm die Treue zu halten! Ohne Überlegung, immer auf den vordersten Posten drängte, den Tod im Dienst – im Dienste Peters'! – suchte, fand.

Rache den Somali, die ihn geschlachtet und vernichtet haben! . . .

Vom Traume dieser Rache Abschied nehmen? –

In tiefer Nacht kam Peters auf seinem Zimmer an. Es wehte zu kalt in dieser Sommernacht. Er mußte sich bergen, um unberührt von jedem Außen Gericht zu halten. Wie Jühlke seinem Ehrgeiz und seiner Leidenschaft geopfert war – so Karl Engel!

Dem hatte er geschworen, durch große Taten an der Menschheit gutzumachen, was er gefehlt.

Eine Wildnis zu erschließen, der Menschheit neue Gebiete zu schenken, darauf sie ackern und säen und diese Schöpfung belauschen durften, – war das Tat?

Ein Anfang! Seit Bagamoyo wußte er, daß Karl Engel nicht mehr drohend seinen Schritten folgte.

Aber war dies Werk vollendet? Nur das gäbe Ruhe des Herzens.

War schon genug getan? Wenn er heute nicht den Abschied nahm, sondern starb, an einem Zufall: weil ein Tropfen Blutgerinnsel sich in die Blutbahn mischt und ins Herz dringt . . . Weil er vielleicht nicht weiter leben will, den Schritt tut, den er sich hundertmal vorgestellt in diesen Jahren der Enttäuschung?

Da waren seine Adjutanten, Schüler, Anhänger. Diese Prachtgesellen – der Stürmer Hörnecke, der emsige Schmidt, Lucas, Anderten und Carnap, die 237 Tapferen, mit unbeugbarem Nacken! Frieda von Bülow! Brecht Bülow, der goldene Bursche!

Die würden sein Werk vollenden. Er war heute nur noch einer im Glied. Vielleicht sogar ein Störender?

Vielleicht, wenn er heute verschwand, fielen Haß und Mißtrauen, dagegen er kämpfte? Es war dann leichteres Spiel für all die reinen, tätigen Hände?

Peters rang mit sich und wühlte sein Leben durch.

Wenn er hier blieb, im Parkfrieden, im reichen Glanz dieser einzigen Frau?

Scheu und erbärmlich war er ihr gegenübergetreten, die ihn zweimal, furchtbarer noch das zweitemal, zunichte gemacht. Heut kam ihm dies Herz entgegen!

Um sie war der Kampf gegangen, acht Jahre hindurch. Heut gewonnen! Sieg, gegen alle Mächte, die widerstanden. Maud war sein, wenn er sie in die Arme schloß!

Für ihre Zärtlichkeit dankte er, nicht für Treue über den Abgrund seiner Roheit hin, nicht für ihr inniges Wissen von ihm.

Aber daß sie ihn zärtlich fühlen machte! Daß sein Herz einmal offen war und das Glück jedes commis voyageur erleben durfte, sanft zu geben! Das war, was sie für ihn getan.

Es sollte ja kein Greisenleben sein, neben ihr. Wirksamkeit gabs – überall. Auf ihren Gütern oder im englischen Dienst. Kein Erobern, aber weise verwalten!

Wieviel hatte er der Welt zu sagen, mit seinem Wissen, seiner Erfahrung! Das Leben vor sich, dreißig Jahre alt!

Da waren bessere Schätze als in den Bergen Afrikas! Bücher würden entstehen, blitzende Ketten seiner 238 Gedanken, die er in diesem eifervollen Jagen nur unterdrückt hatte.

Noch wußte er nichts von sich, als daß er gejagter Jäger war, ein Tat-Mensch aus Haß und Angst vor sich selbst.

Wie würden die Luft anders schmecken und das Meer, Stimme der Menschen, Stimme der Tiere! Wenn er nicht mehr von Feinden umlauert war, nicht mehr lauerte, seine Feinde zu treffen!

Reich an Arbeit und Ruhe, Gelehrter, Dichter, Verwalter und Organisator, dem für keinen seiner großen Zwecke die Mittel fehlten. – – –

Maud würde Kinder haben, die ihre Schönheit erbten. Auch von ihm war so manches zu erben! Unbedrückt, Armut und Wut nicht kennend, würden sie heranwachsen, voll ihrer Milde, seines Wahns!

Maud war die Frau, von der er Kinder wollte. Sie schlief – nein, wachte und dachte wie er, – in diesem Haus, ein Stockwerk unter ihm.

Galt es daneben viel, an den Somali keine Rache zu nehmen? An fernen schwarzen Wilden, die wie Tiere nach einem geschnappt hatten, der sie greifen wollte?

War solche Rache würdig des Philosophen, der einmal aus Kant und Schopenhauer in sich die große Vollendung gehofft?

Die Küstenlinie um Ostafrika, ein halbes Dutzend guter Häfen, Mangrovenwälder und Dattelhaine, Grashütten und Lehmdörfer – was ging's ihn an neben dem einzigen, das ihm Leben war?

Dann saß Peters vor dem Kamin, schlug Feuer an. Ihn schüttelten Erregung und Kälte.

Er sah das Rote der Flammen und die gelben Ränder, nahm dies Knistern auf, die plötzlichen Knalle im 239 trockenen Buchenholz, Prasseln wie von fernen Gewehren.

Er litt an seinem Entschluß.

Seine Jungens da draußen, seine Anhänger in Deutschland, Kapitalgeber, Vertrauensgeber, seine Beamten und Offiziere! Keiner unter ihnen war ja Führer.

In ein paar Monaten konnte und mußte die Ernte hereingebracht sein. Said Bargasch war eine reife Frucht. Der Vertrag um die Küste konnte morgen geschlossen werden, wenn er selbst unterhandelte. Er allein besaß diese Gabe, zu überzeugen.

Zog er sich heute zurück, dann war es nichts mit der Küste. Ohne Häfen, ohne Weg zur Welt, blieb das Land, das er erworben, Wildnis.

Ein kurzes, riesiges Lachen ging über halb Europa, wenn heute der Motor dieser Bewegung stillstand, der Führer seine Soldaten verließ, kein Horn mehr dröhnte.

»Dr. Peters hat sich in England verheiratet und der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft seine Ämter zur Verfügung gestellt. Wie verlautet, gehört die künftige Frau Peters zu den reichsten Erbinnen zugleich Englands und Amerikas. So hat er bei seinem ›Kolonialfeldzug‹ doch ein praktisches Ziel erreicht.«

Hohn, der sich tragen ließe.

Aber seine Jungens, von ihm in die Wildnis geschickt? Offiziere, die auf sein Drängen, ohne Urlaub, hinausgeflohn, die nur er vor härtesten Strafen schützte?

Dieser kleine Trupp von Gläubigen, die ihm folgten – wie Jühlke einst?

Frieda von Bülow, die an ihn glaubte? Ihr reiches Leben, seinem Dienst gewidmet?

Konnte er sich diese Gesichter vorstellen – blaß vor Entsetzen, blaß vor Scham, ihn nicht durchschaut zu haben? 240

Für Maud hatte er gebaut und gerauft, acht Jahre lang. Aber was er in diesen acht Jahren errauft und erbaut hatte, war jetzt lebendig, ein atmendes Wesen, abhängig von ihm. Es war heut stärker als er!

Der starre, stolze Egoismus war nicht tot. Seine Devise »Ich bin Ich« geblieben.

Aber das Werk hing jetzt an diesem Ich und war nicht abzustoßen.

Als die lauten, hellen Vogelstimmen des Nordens wach wurden, hatte Peters die Schlacht geschlagen.

Vieles lag hinter ihm an Nächten ohne Schlaf, Reue und Niederbrüchen.

Diese Nacht war schrecklich gewesen wie die Nächte im Totenhaus. Seine Augen brannten wie nach endlosem Weinen.

Maud hörte alles an, die stundenlange Beichte, den grausamen Entschluß: noch ein Jahr Afrika!

Sie saß am Fenster, schaute hinaus, an ihm vorbei, die Augen traurig und der arme Mund, alles an ihr bewußt und zerstört.

»Ich warte«, versprach sie, als er ehrfürchtig ihre Lippen küßte. »Weil ich Ihnen gehöre. Aber ich werde immer warten müssen.«

Als es zum Abschied kam, schrie sie doch:

»Sophisterei! Laß alles, bleib! Spar dir diese Enttäuschung!«

Sie weinte an seinem Hals.

»Ich hab' dich gehaßt! Damals, als du im Kanal warst, hab' ich um deinen Tod gebetet, mit aller Kraft!

Ich kann dich nicht mehr hassen! Bleib!«

Aber Peters mußte fort; das Ziel verlassen, um des Weges willen, der hinter ihm lag. 241

 


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