Balder Olden
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Balder Olden

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Peters' Popularität in der Stunde seiner Rückkehr nach Deutschland war wie Aufflammen jener Raketen, mit denen er die afrikanischen Häuptlinge manchmal erfreut und geblendet hatte.

Für Sekunden lag das Land um ihn in schimmerndem Licht. Er selbst stand unbewegt zwischen seinen Mannen, bestrahlt, und schien ein Gott, der aus Finsternissen der Nacht heraus eine Sonne zu reißen vermag.

Dann verzischte die Rakete. Das kühne Gesicht des Eroberers versank.

So war Napoleon begrüßt worden, als er auf klapprigem Boot aus Ägypten heimkam, sich durch die blockierende englische Flotte hindurchstahl, um Paris Kunde von seinem Sieg bei den Pyramiden zu bringen.

Aber welch andere Fähigkeit zum Enthusiasmus brachte Frankreich für seinen Helden aus!

Für Peters bedeutete es bald keinen Erfolg mehr, wenn die Telegramme aus Sansibar dechiffriert, neue Provinzen als Eigentum der Ostafrikanischen Gesellschaft verkündet wurden.

»Ewige Flaggenhisserei! Verdammte Überstürzungspolitik!« hieß es in Berlin. »Stänkerei mit der ganzen Welt! Die Engländer, Franzosen, die Araber – alle sehen schon rot!« 223

Immer wieder erschien Peters im Auswärtigen Amt, um den Reichsschutz für eine neue Erwerbung anzurufen. Immer tiefer drangen die Geheimräte in seine Organisation, stellten Bedingungen, nörgelten, schleppten von Ressort zu Ressort die brennenden Fragen.

Die Tatsache leugnete niemand, daß 1886 die deutsche Flagge neben dem Banner der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft über einem Gebiet wie Britisch-Indien schwebte.

Aber hatte Deutschland dies Geschenk ersehnt?

Kein Mensch als Peters.

Presse und Regierung witterten schäbigste Motive hinter jedem Schritt, den er tat.

Wollte er reich werden? Liebling des Volkes? Diktator über die Schwarzen?

Bei einem gleichgültigen Anlaß schrie ihm Graf Herbert Bismarck, den Peters sich mit grimmigem Instinkt zum Hauptfeind gemacht hatte, ins Gesicht:

»Wenn mein Vater das erfährt, wirft er Ihnen die ganze Kolonialpolitik vor die Füße!«

Das war die Auffassung! Wenn man Peters »seinen« Krempel vor die Füße schmiß, kam wieder Ruhe ins Land, und niemand hatte verloren als er. –

Geld!

Mehr und mehr wurde die ganze Geschichte Finanzproblem.

Ein Beamtenstab in Berlin, in Sansibar, auf immer mehr Punkten des erworbenen Gebietes.

Reisen und Rüstungen!

Die Pioniere fuhren nicht mehr im Zwischendeck.

Anlage von Versuchsgärten und Versuchsgütern, überall, wo man Fuß gefaßt hatte.

Denn darauf kam es an: zu beweisen, daß die neue 224 Kolonie ein wirtschaftliches Aktivum für die Heimat würde.

Peters erklärte:

»Kolonien, die nichts tragen, sind unpatriotische Gründungen.«

Beweis der Rentabilität aber ist nur zu führen, wenn man mehr und mehr Kapital investiert. Roden und Pflügen, Säen und Düngen – alles Geldfrage.

Es entstand eine rüstige Gesellschaft, von Peters selbst gegründet, die in Afrika Tabak pflanzen wollte und gegen Überlassung großer Territorien für hunderttausend Mark Anteilscheine übernahm.

Der junge Bankier von der Heydt wagte auch hunderttausend Mark, wurde Mitglied des Direktoriums und Schatzmeister.

Als Jühlke mit zwei Adjutanten auf eigenem Dampfer nach Halule fahren sollte, um die Somaliküste zu nehmen, hatte Krupp hunderttausend Mark zur Verfügung gestellt.

Tropfen auf den heißen Stein!

Mit dem Hut in der Hand hatte Peters angefangen, als er Fünftausend-Mark-Anteilscheine ausgab, die dem Inhaber dauernde Rechte verliehen.

Von Mann zu Mann überredend, prahlend und versprechend, hatte er jene fünfunddreißigmal fünftausend Mark aufgebracht, sein Stammkapital.

Diese Kapitalisierung durch Bettel hing ihm nach, verschloß ihm die Türen des Großkapitals, dem es sonst an Wagemut nicht fehlte.

Bismarck! Immer wieder Bismarck!

Ein Wort von ihm, ein begeisterndes Wort in die Massen geworfen, hätte Ströme von Gold entfesselt. 225

Mehr und mehr neigte er ja, trotz allen Widerstrebens in den Ressorts, sein Ohr den Kolonien.

Oft hätte Peters Gelegenheit gehabt, seine Verzweiflung und seine Sorgen vor ihm hinzubreiten. Öfter, als er nachsuchte.

Es war unheimlich, wie Bismarck ihn zu jeder Stunde zu finden wußte.

Müde und hungrig saß Peters in irgendeinem schäbigen Bierhaus, ließ sich zum Essen die Bosheiten servieren, mit denen jedes Morgen- und Abendblatt ihn bedachte. Schüttete vielleicht einem Vertrauten seinen Unmut aus. Vor zwei Stunden hatte er selbst noch nicht gewußt, daß er gerade hier ein zähes Beefsteak und einen höhnischen Leitartikel mit Bier herunterspülen würde.

Ganz plötzlich trat ein Fremder an seinen Tisch, Typ Feldwebel in Zivil, nahm militärische Haltung an:

»Seine Durchlaucht, der Herr Reichskanzler, läßt Herrn Dr. Peters sofort bitten.«

Sein Wagen vor der Tür! Tag und Nacht, in ganz Berlin, wußte der Reichskanzler Peters zu finden.

Aber stand er dann vor dem höflichen Riesen, auf jede Frage gerüstet, die sein Werk betraf, schlagfertig, des Zieles bewußt . . . Dann ging es ihm dennoch im Feuer dieser Augen, wie es Sultanen und Häuptlingen vor ihm ergangen.

Er kam nicht über prompte, fast militärische Antwort auf präzise Fragen hinaus. Seine Beredsamkeit, die alles erreicht hatte – vor Bismarck versagte sie.

Einen Schrei hätte er ausstoßen müssen! Einen Notschrei, der plötzlich den Menschen Bismarck zwang, auf den Menschen Peters zu hören, Klatsch und Tuscheln zwischen ihnen zerriß. 226

Helfen Sie mir, Fürst! Ich bin eine gehetzte Kreatur – lassen Sie sich nicht täuschen durch meine Sicherheit, die nur gespielt ist! Ich lebe und sterbe mit einem Plan, der für Deutschland Großes bedeutet. Vergessen Sie, Weiser, daß ich wie jeder Mensch eigenes will und einer Leidenschaft diene. Nein, mehr – vergessen Sie's nicht! Verstehen Sie einen, der auf glühendem Rost der Leidenschaft liegt! Ich verdurste nach Macht und Geltung!

In stillen Augenblicken schien es Peters, dieser Schrei könne nicht ungehört bleiben. Gerade das Dunkel seiner Motive erregte Mißtrauen. Wenn er ihn, den Weisen seines Volkes, in die Zwiespältigkeit hineinblicken ließ? Wenn er sich auftat wie ein Gläubiger in der Beichte, mußte er gehört werden.

»Dazu fehlte mir der Schwung der Seele.«

Sein Glaube an sich selbst hatte schmählich gelitten, seit das Symbol seiner Ziele fehlte, seit er Maud besudelt hatte.

Irgendeinem Staatsmann, wie sie früher regiert hatten, später kommen sollten, hätte Peters die Faust unter die Nase gehalten. Der Raufer Peters hätte sich vor keinem Amt oder Titel geduckt.

Dieser aber war nicht nur Nationalheiliger, war sein eigenster, privatester Kindheitsheiliger. In Andacht vor ihm war er aufgewachsen. Sein Leben war so arm an Gottheiten, litt an Heiligenschwund. Bismarck zu entgöttern, das glückte nicht.

Und dieser Erhabene war undurchdringlich, blieb es vor Peters' Aufstieg, blieb es bei seinem Sturz. Unter gütigem Lächeln dunkle, furchtbare Würde . . .

Sah er in Peters eine große Gefahr für sein Werk: Deutsches Reich? 227

Eine neue Epoche mit neuen Problemen, für die er zu alt war?

Die Zeit verrauschte, brachte keine Antwort.

Zwei Menschen hatten aneinander vorbeigelebt.

Viel später einmal zeigte Bismarck ein gnädiges Lächeln. Empfahl dem Kaiser, einen Beitrag von fünfhunderttausend Mark zu leisten.

Im Augenblick standen die großen Bankherren bereit.

Aber da waren Peters die Zügel schon halb entwunden, rechts und links Kompromisse geschlossen, die seinen Genius bändigten.

 


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