Balder Olden
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Balder Olden

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Zehntes Kapitel

Bei Kew Garden, auf der Themse hielt ich mir ein eigenes Boot, in welchem ich Touren bis nach Hampton Court und weiter flußabwärts unternahm. Lieblich ging mir das Leben ein in der schönen Themsestadt . . .«

Dieser reiche junge Herr, ein deutscher Gelehrter, aber zugleich ein englischer Sportsmann, war im Frühling 1883 überall zu sehn, wo das High Life Londons sich fand. Er ritt gute Pferde in gutem, englischem Trab, segelte bei Regatten, startete zu Schwimmkonkurrenzen, gab kleine Gesellschaften, die er vorzubereiten verstand. Seinem Englisch hörte man den Ausländer nicht mehr an. Sich richtig zu kleiden, hatte er längst gelernt.

Was Mr. Louistone, der wie immer mit seiner 108 Tochter im Hotel wohnte, aber im besten »set« verkehrte, wenig sprach und viel gehört wurde – was Mr. Louistone an Peters schätzte, war die Tatsache, daß er in allem Glanz der Gesellschaft nie ohne Ziel war.

In den Kreisen, die Mr. Louistone kennt, arbeitet die Jugend nicht. Sie treibt Politik und Sport, wartet auf den Ruf des Vaterlandes, eine Führerstelle anzunehmen.

In den Kreisen, die Mr. Louistone nicht kannte, hatte man weder Segelboot noch Pferde, noch Zeit für Sport und Flirt.

Das waren zwei Welten, in denen zugleich nur dieser junge Peters zu Hause war, dank einer übermenschlichen Dynamik, dank vielleicht jener deutschen Erziehung, die in England oben wie unten belächelt wurde.

»Wenn Peters will, ist er in ein paar Jahren Vizekönig von Indien!« hatte Mr. Louistone schon bei der ersten Begegnung in Boulogne gesagt, als der junge Deutsche noch ein Bücherwurm schien, der sich in ungeheurem Tempo den Lehrstuhl einer Universität erobern wollte.

Jetzt sieht er ihn an der Arbeit: wie er die zurückgelassenen Manuskripte seines Onkels – eine ihm fremde Materie – in zähester Arbeit druckfertig macht!

Der Philosoph, Geograph, Philologe trat als Herausgeber von Karl Engels »Geschichte der Familien der Geigen«, eines schweren, tiefgreifenden Fachwerkes, im Gesichtsfeld der Fachleute auf und bestand.

Er, ein Fremder, der niemals Kaufmann gewesen, schien ein gerissener Kenner des englischen Buchhandels, wußte die Werke des Verstorbenen so herauszubringen, so geschickt zu lancieren, daß ihre Wirkung – Nachruhm für den Verfasser, Gold für die Erben – nicht ausbleiben konnte. 109

Er stellte neu zusammen, katalogisierte und kommentierte, was Onkel Karl an Sammlungen hinterlassen hatte: die Ernte dieses großen Lebens voll Arbeit.

Das wäre die Aufgabe eines Musikgelehrten gewesen.

Peters leistet sie, die Hände voll anderer Geschäfte, verhandelte mit dem Kensington-Museum, erzielte den günstigsten Verkauf.

Die »Sammlung Karl Engels« bleibt, wird ein Denkmal für Karl Engel!

Schriften und Sammlungen kamen so auf den würdigsten Platz.

In der Addison-Road aber blieb nichts zurück. Möbel, Bilder, Teppiche, Bücher, Schätze und Gerümpel – es wurde alles zu Geld, kam unter den Hammer, flog in die Winde. Kalt und leer, ohne eine Spur dessen, der hier gelebt, entbehrt und gearbeitet hatte, fiel das Haus einem neuen Besitzer zu, der vom Vergangenen nichts wußte und nichts übernahm.

Auch die Börse lernt Peters kennen, der bis dahin kaum gewußt, was ein Bond, ein Stock ist. Jedes Papier mußte verkauft werden, bis aus allem Nachlaß ein einziges Paket Banknoten übrig blieb, glattes, unpersönliches, greifbares Geld, das in etliche kleinere Pakete zerlegt und den Erben zugeteilt wurde.

Reiner Tisch! Kein Abrechnen, Zinsenverteilen, keine Nachlaßgeschäfte für die Zukunft!

Carl Peters versteht auch das, folgt dem Steigen und Fallen der einzelnen Werte, bringt nichts im ungeeigneten Moment auf den Markt, verpaßte nie den geeigneten. Ohne Zwischenfälle geht das nicht ab. Es gibt Reibungen, Prozesse – ein Auktionator, der Peters für ein Grünhorn gehalten, macht den Versuch, ihn um ein paar Tausender zu prellen. 110

Peters packt ihn! Schon versteht er genug vom englischen Zivil- wie Strafrecht, sich seiner Haut zu wehren. Der Mann wurde verhaftet, überführt.

In der Gesellschaft, der er so viel seiner Zeit widmete, erwähnte Peters kaum diese aufregenden Dinge. Aber es sprach sich herum, wie »clever« er war, in allen Sätteln gerecht, unermüdlich.

Er selbst sprach lieber von seinen Studien im Britischen Museum und im Kolonial-Archiv. Er, der längst als gebildeter Engländer gelten konnte, wurde rasch ein Spezialist der englischen Kolonialgeschichte, des Kolonialrechts. Das war sein Lieblingsthema im Gespräch mit Mr. Louistone, der alle Dominions und Colonies bereist hatte. Dieser selbstsichere und undurchsichtige Mann von sechsundzwanzig Jahren, der alles wußte, besser wußte als die Fachleute, bekam heiße Augen und konnte plötzlich zuhören, wie ein College Boy, wenn er einen zum Erzählen brachte, der die Welt der Tropen wirklich kannte.

»Glauben Sie, Mr. Louistone, da draußen liegt meine Zukunft!«

»Aber Ihre Professur, Doktor?«

»Ich weiß jetzt, ich bin für die Praxis geboren.«

Man hatte den jungen Tatmenschen vor weniger als einem Jahr gesehen, tief in Bücher vergraben, hatte gehört, daß er eine Philosophie schrieb, mit der er sich neben die größten Denker aller Zeiten stellt. Prachtvoll ehrlich gab er heute zu:

»Mein Werk war ein Fehlschlag. Man spricht nicht davon. Einer von den zwei Dutzend deutscher Philosophie-Professoren kann ich vielleicht trotzdem werden. Aber kein Plato, kein Kant! Dann lieber Schweinezüchter am Michigan-See . . .« 111

»Schweinezüchter? . . .«

»Ja, Mr. Louistone. Riesiges Vermögen zu machen, ist auch ein Ziel. Viel Geld, ungeheure Macht – ich glaube, es würde nicht viel Zeit kosten. Aber vielleicht findet sich eine dritte Aufgabe. Vielleicht bin ich schon auf der Spur.«

Louistone war selbst mit viel Anstand am Leben vorbeigegangen. Dem jüngeren Sohn eines feudalen Hauses war der Platz im House of Lords nicht bestimmt, nicht die Verwaltung der Güter, Führung der Geschäfte seines Hauses. Zu einer Karriere in der Verwaltung oder in der Armee zu still, vor allem zu ehrgeizlos, hatte er seine Jugend damit verbracht, den »Horizont zu erweitern«. Erst ein paar Jahre Cambridge, dann Reisen. Erst mit einem Hofmeister, dann mit Kameraden, später am liebsten allein.

Sein Abenteuer wurde Kalifornien. Dort erlebte er eine Rasse von helleren, freieren Menschen, als er sie kannte. So selbstbewußt, reizvoll und beschwingt waren diese Frauen, daß man sein Herz nicht an eine von ihnen verlor, sondern an ihre Rasse. In diesem vulkandurchglühten Boden wuchsen Mädchen von eigenem Feuer und holderem Duft, als man an der Themse oder in Paris selbst geträumt.

Reichtümer wurden unter dieser immer strahlenden Sonne gehäuft, fröhlich genossen, leicht vertan und wiedergewonnen, ach, so anders als drüben im konservativen britischen Nebel-Reich. Da gabs ein Mousseux ins Blut, ein Federn in die Schritte, eine herrliche Fähigkeit zum Lachen, die den Engländern abging.

An einem Paar Märchenaugen blieb der junge Genießer hängen. Er heiratete in den Palast eines Kupfermagnaten, wurde feuriger Diener seiner schönen, 112 verwöhnten Frau, heiter, geistreich, gastlich – und genügte damit allen Ansprüchen, die San Franzisko, das goldene Frisco, an ihn stellte.

Als die immer strahlende, junge Maud ihm starb, plötzlich heraus aus ihrer lustigen, dankbaren Verliebtheit, war schon der Anschluß ans praktische Leben verpaßt. Ihr Reichtum, der nun der kleinen Maud und ihm allein gehörte, drückte ihn nicht – aber er entzog ihn vollends dem Streben nach Geld, Macht, Tätigkeit. Wer sechs Jahre lang, verträumt und müd, einen Beruf daraus gemacht, Gatte und Liebender zu sein, muß hart erwachen, um plötzlich ein Strebender zu werden.

Georges Louistone war nicht zu Fall gekommen, noch war er der Mann, aus eigenem sein Leben umzustellen. Er litt unter dem Verlust dieser Frau, die bis zur Todesstunde von der Lieblichkeit, dem Reiz, der Sonne kalifornischer Jugend nichts verloren hatte. Er entbehrte ihre Zärtlichkeit, fand nicht wieder hinein in dies kalifornische Lachen, seit Mauds Lachen ihm fehlte.

Reisen! Der Schwiegervater selbst bot dem Trauernden nicht einen Stuhl im Direktorium seines Hauses an, sondern die Luxuskabine eines Dampfers nach Japan. Alle, die es gut mit dem jungen Witwer meinten, drängten ihn hinaus. So begann das Globetrotten aufs neue, mit dem sein Leben angefangen.

Es gab keinen Hafen und keine Residenz auf diesem Globus, in dem ein junger Louistone, Sohn des Baronets, nicht seinen Kreis, seine Klubs, seine Jagden und Gardenparties gefunden hätte.

Überall gab es jüngere Brüder, die Gouverneure oder Globetrotter waren, überall stockenglische Familien, zu denen er gehörte, sobald sie seinen Namen wußten. 113

Die bereisten Länder selbst, Japan, China, Indien, Nord- und Südafrika waren nicht viel mehr als Staffage. Im Palast eines Radschah sogar wurde geplaudert, gekocht, gespielt wie an der Themse. So schoß man vom Elefanten herunter Tiger oder vom Pferd Springböcke, ging durch die Klimata, wurde Rekordmann in Seemeilen und Landmeilen, ohne je einsam zu sein, je zu tieferem Nachdenken gezwungen.

Mauds braunes Gesicht mit den Augen voll Wärme wurde nicht blaß über all den Reisen. Wenn man in Frisco erwartete, Georges Louistone würde eines Tages aus Tokio, Kalkutta oder Kapstadt die Nachricht von einem neuen Bündnis schicken, wurde man dies einzige Mal enttäuscht. Keine andere Frau, soweit sich die Welt ihm erschloß, verdrängte Maud, kam in Georges Leben zu dauernder Geltung. Er war ein Flirtmann, wurde oft geliebt und ging wieder an Bord, wenn die Stunde gekommen war.

Des alten Fergusson Tod brachte ihn nach Frisco zurück. Tiefer vielleicht als der Augenblick seiner Begegnung mit Maud Fergusson, war der des Wiedersehens mit ihrem Kind.

Sie wurde sofort – wenn man unter Leidenschaft etwas Sublimeres begreifen will als das Aneinanderwünschen küssender Lippen, brunstschlagender Herzen, elementarer Sehnsüchte – die große Leidenschaft seines Lebens. Was ihn an kalifornischen Frauen, an Maud entzückt hatte, war in diesem Kind noch verfeinert und ihm innig verwandt. Als hätte er nach eigenstem Verlangen alle Buketts, alle Farben der Welt gesammelt, so viel Freimut, so viel Grazie und Würde, wie ihm irgendwo in allen Ländern als das Höchste erschienen, – so wirkte dies Kind. Wie die Mutter gewesen, aber 114 mit noch feineren Gelenken, noch weicher die Wangen, noch graziöser die Fröhlichkeit. Selbstbeherrscht, Distance gebietend, wie einst seine eigene Mutter, wie die großen toten Frauen seiner Familie auf Bildern, aber ohne jene englische Herbheit, ganz ohne Lüge war dieser Stolz. Da war eine Zehnjährige, vollendet als Frau, als Rasse, als Dame.

Die kleine Maud zu erobern, wurde eine schwerere Aufgabe, als es einst war, das Herz ihrer Mutter zu gewinnen.

Sie lebte in einem freien Märchenland, in das der wirkliche Tag selten sich drängte, in dem ein Vater – auch ein so ritterlich dienender wie Georges, – nicht vonnöten war. Diese Kinderphantasie, die sich Wälder und Welten schuf, bevölkerte, beherrschte, mit jedem Eindruck, jedem Buch weitete, galt mehr als das bißchen Luxus an Pferden, Wiesen und Strand. Mit einem Naturgott von Jüngling, der in diesem Land atmete, einem Pan, aus dessen Fingern Sonne kam, konnte auch dieser braune und junge Papa nicht verglichen werden. Keine gewesene Mama, gestorben, ehe man sie erfaßt, bestand neben der singenden Herrlichkeit selbstgedichteter Dryaden.

Von außen war für die wohlgefügte Selbstherrlichkeit dieses Kindes keine Gefahr. Georges fühlte, daß seine junge Tochter ihn und ihre Umgebung Erwachsener besser durchschaute, als sie selbst sich kannten. Sie sprach nie weise, war zu vornehm, für die Angelegenheiten Erwachsener Interesse zu zeigen, als hätte sie es nicht ertragen können, für altklug zu gelten. Aber es stand in ihren Augen und erwies sich Jahre später, daß sie mehr verschwieg als aussprach. Die Ehen ihrer Tanten, die Probleme der Großeltern, die arme, nur 115 äußerlich gestützte Sicherheit des neu erstandenen Papas – alles lag vor ihr wie Glas, so ohne Interesse wie Geheimnis.

 

In dem Bewußtsein, daß an seinem Töchterchen nichts zu erziehn und nichts zu verderben war, solange der Selbstverständlichkeit ihres Wesens mit Achtung begegnet wurde, nahm Georges das alte Reiseleben wieder auf. Ihr konnte es nicht schaden, ihm war es Bedürfnis. Die vornehme Nurse, eine Dame, reich genug an Bildung, um auch in kommenden Jahren der kleinen Herrlichkeit als Lehrerin oder Gesellschafterin zu genügen, war freudig bereit, sie zu begleiten. Sie und die Zehnjährige hießen nie anders als »the ladies«. Eine Kammerzofe bediente sie, die sich wieder von Georges Valet bedienen ließ. Der Kammerdiener seinerseits kommandierte Stewards oder farbige Boys.

Mauds wie Mrs. Toxends Gesundheit widerstanden mühelos dem steten Wechsel des Klimas und der Umgebung, da sie überall die gleiche Lebensform, gleiche Küche, gleiche Hygiene fanden. In dieser englisch gestempelten Welt, die bis Hannover reichte und in Paris ihre Insel besaß wie in Peking, findet ein englisches Kind sich stets zurecht.

Maud lernte spielend die Sprachen der »dienenden« Völker, wurde nicht seekrank, auf dem Schiff so wenig wie zwischen den Höckern eines Kamels, erkannte nur eine Autorität an: den jeweiligen, landeskundigen englischen Arzt.

Immerhin waren die Bilder der Erdteile, so flüchtig sie an dem wohlgefügten Kern ihres Daseins vorbeiglitzerten, stark genug, das Märchenreich der Kinderjahre zu verdrängen. Was überall ihre Begleitung war, 116 das Beständige auf dem Meer, in Städten, in den Strandbädern jeder Zone, ergriff sie mit dem Herzen und machte daraus ihre Welt.

So kam Georges zu dem ersehnten Ziel, ihr bester, hochgeachteter Freund zu sein. Sicher brauchte sie nicht vierzehn Jahre alt zu werden, um zu begreifen, wer er war: ein Berufloser, Heimat- und Ruheloser, dem das Beste im Leben des Mannes fehlt. Um ihn mitleidig zu lieben und zu wissen, daß es allein auf sie ankam, dies arme Leben erträglich zu machen. Er war ihr Georges, war nie »Papa« für sie gewesen.

Als Peters im farblosen Hannover dies Zauberwerk von Mädchen kennenlernte, das Duft und Farbe aller Himmelsstriche an sich trug, waren die Rollen zwischen Vater und Tochter längst bestimmt. Georges Louistone war der Liebende seiner Tochter, hingebender noch und andächtiger, als er der seiner Frau gewesen. Maud, die ihn als zart und weltfremd kannte, lebte dafür, ihn mit der Welt in Verbindung zu halten, Freunde an ihn zu fesseln, seine Melancholien nicht groß werden zu lassen. Sie war ihm zuliebe eine Virtuosin in der schwierigsten aller Künste: Reichsein, Nichtstun. Für ihn beherrschte sie die Technik des Lebens.

So war es natürlich, daß sie Georges jenes einzige Grauen ihres Lebens – die erste Begegnung mit Peters – verschwieg. So gab es sich notwendig, daß sie die Annäherung zwischen beiden sogar unterstützte und Peters' – dieses menschlichen Unikums – Vorzüge zu erfassen strebte.

Denn auf Georges Louistone hatte Peters von ihrer ersten Begegnung an so gewirkt, wie auf seine Lehrer in Ilfeld, seine Kameraden, Kommilitonen, auf Jühlke, auf Karl Engel. 117

Mehr noch vielleicht auf Georges Louistone als auf alle anderen, weil dieser jüngere Sohn eines Baronets und verwitwete Gatte einer Multimillionärin in absoluter Passivität zu fünfzig Jahren und grauem Haar gekommen.

Ein Menschentyp eigentlich war es, dem Georges in allen Völkern und Erdteilen nicht begegnet war, und dem die einzige Sehnsucht seines nicht mehr begierigen Herzens galt: der große Mann, der Schöpferische!

Er kannte Regenten und Gouverneure, die ihr Handwerk so routiniert betrieben wie die Schiffskapitäne, mit denen er gefahren, die Elefanten-Dompteure, Industrie-Magnaten oder Köche. Was war mit den Dichtern, Malern, Wissenschaftlern? Sie hielten Kulissen um ihre Werkstatt und empfingen einen Laien von Stand, der schüchtern angepilgert kam, mit schlecht gespielter Herablassung; oft mit gespielter Grobheit, um ihn zu belehren, daß Geld und Rang nichts galt neben ihrer Begnadung.

Aber sah man hinein, kratzte man an der Politur – und dazu hatte Georges die Instrumente, dank seiner Art Leben, geschärft – dann sah er immer wieder einen ängstlichen Handwerker, der im reifenden Alter kaum so sicher Verse schmiedet, Töne dichtet, Theorien baut, wie ein Tischlerlehrling Leisten hobelt.

Verglich man ihre Biographien und ihre Werke, ihren Ruf und den Klatsch, der ihr Leben umgab, dann fand man ihre seltsam schwachen Krücken. Sie nahmen, was Gott ihnen vorgesetzt, meist recht genügsam. Und dichteten diesen Wein, diese Äpfel und olympischen Käse an. Im Grund waren sie alle Haustiere – sie fraßen Heu und gaben Milch, ein bißchen mehr, solange sie jung, ein bißchen würziger, wenn sie alt waren. 118

Am wenigsten Respekt hatten die Geldverdiener ihm eingeflößt. Besitz, den er selbst geerbt, erheiratet und abermals geerbt hatte, schien ihm selbstverständliche Eigenschaft einer bestimmten Menschenschicht, horizontal durch alle Welt gelagert. Ob es die Besten, die Stärksten waren, die zu dieser Schicht gehörten? Wohl kaum. Aber sicher die einzigen, deren Sprache man verstand, und deren Hand man drücken konnte. Reichtum war nichts. Gute Seife und saubere Wäsche – da war die Barriere!

Schwang sich einer mit schmutzigen Pfoten über diese soziale Reling, dann sah man wohl das Kunststück mit Interesse. Aber es war nichts zum Bewundern, eigentlich nur ein Beweis, daß dieser Edison, Vanderbilt oder Morgan immer herauf gehörte, gewissermaßen irrtümlich in der Masse geboren war.

Peters war keiner, der so von unten herauf kam wie diese plötzlichen Eroberer. Aber er schien – obwohl ein geistiger Mensch und ein Gelehrter – voll von ihrem Elan, ihrer Fähigkeit, das Wesentliche zu sehn und mit Fäusten zu packen.

»Der erste große Mann in meinem Leben« sagte Louistone von ihm. Bald nannte er ihn nur »mein Bonaparte«. Sie machten zusammen kleine Reisen, trafen sich in Paris, an den englischen Seeplätzen. Überall wurde Peters mit Georges Louistone und der jungen Maud gesehn. Maud zeichnete ihn keineswegs aus, aber sie lernte, sich an ihn gewöhnen. An seine Art, die ihr peinlich und manchmal schrecklich war, – sein lautes Geschnarre, sein Alles-Wissen, Alles-Können, das Unheimliche in seinem gar nicht mehr jungen, von Arbeit schon zerkneteten Gesicht. Sie spürte Untiefen und brüchige Stellen seines innersten Wesens, das den 119 Vater bezwungen hatte. Vielleicht getäuscht? Aber wunderbar, wie dieser Vater, Freund, Verehrer plötzlich aufhörte, zu altern, neugierig den kommenden Tag erwartete, wie er zum erstenmal in diesen Jahren steten Beisammenseins aus sich herauskam. Zärtlicher noch und bewegter, seit er zum erstenmal einen Freund hatte.

Maud nahm sich vor, Peters auf Proben zu stellen. Tat ihr Mißtrauen diesem Menschen unrecht? Daß er sie einmal, ein junger deutscher Bär, täppisch und allzu siegesgewohnt, verletzt hatte, konnte schließlich nicht ewig gelten. Trotz allen Grauens auch bei ihr nicht! Jetzt hatte er seine Erziehung vollendet, benahm sich wie jeder andere Gentleman. Vielleicht beherrschter als irgendein anderer! Kein Wort, kein Blick hatte je wieder verraten, daß er um sie warb. Sie wußte es trotzdem. Aber selbst »Tante Heddy«, die doch, eifersüchtig und angstvoll, stets auf der Lauer war, ahnte nichts von diesem Werben. »Er war mir nicht sympathisch in Hannover« sagte Mrs. Toxend. »Aber er hat sich selbst zum Gentleman gemacht.«

In jenen Sommertagen bezwang Captain Webb den Kanal zwischen Dover und Calais, ein riesenstarker Mann, dem seit Jahren das Schwimmen eine Art Beruf war. Diese Leistung, seit Jahrzehnten immer wieder versucht, nie geglückt, wurde als die Tat eines nationalen Helden gepriesen. An der See gab es kein anderes Thema. Spaltenlang waren die Zeitungen voll seines Ruhms.

»Letztes Jahr hatten Sie auch den Kanal vor«, warf Maud einmal Peters spöttisch hin, als Georges Captain Webbs Leistung mit eingehender Sachkenntnis wertete, kritisierte, an geschichtlichen Leistungen maß.

Ganz plötzlich war Peters verstimmt. In seinem 120 hellen Strandanzug, peinlich gebügelt, lauter scharfe Kanten, scharfe Ecken am Leib, saß er in seinem bequemen Stuhl, undurchsichtig hinter Schnurrbart, Zwickergläsern, der strengen Maske, mit der er sein Gesicht verkleiden konnte. Mr. Louistone lachte.

»Das ist kein Ziel mehr für den großen Mann. Jetzt machen wir andere Pläne!«

Er pflegte, mehr und mehr zu erzählen, was er auf seinen Reisen wie durch halb geschlossene Augen gesehen hatte. Es war ihm ein Genuß, wie der junge Peters sich plötzlich entzünden konnte, wenn ihm neu aufging, daß die Erde noch kaum durchforscht war, voll von unberührten, ungehobenen Schätzen.

Da gab es südlich des Sambesi, weitab von der Küste, ein großes Land, Maschona, schwer zugänglich, wenig gastlich. Dorthin hatte Louistone einmal, von Beira aus, eine Jagdexpedition mit frischen Kameraden geführt. Er hatte sich nicht lange aufgehalten, wußte nur, daß ein paar versprengte Weiße und Bastards dort Gold schürften. Es war Eingeborenenland, eigentlich ohne Herrn. Von den europäischen Mächten wenigstens hatte noch keine sich um Maschona gekümmert.

»Wenn man das Gold systematisch abbauen würde . . .« meinte Louistone.

»Viel Arbeit, viel Kapital nötig. Aber ich glaube, man könnte den Markt bald so mit Gold überschwemmen, daß die Welt aus den Fugen käme. Dicke Adern hab' ich gesehn, ganz an der Oberfläche. Berge, Flüsse, – alles voll Gold.«

Seit ein paar Tagen spielten beide mit dieser Bergwerk-Idee.

»Das sollten wir zusammen anpacken, Mr. 121 Louistone! Eine Sharing-company, wir beide als erste Zeichner, ausführendes Direktorium. Eine Probefahrt, Sie sind der Führer!«

»Ich alter Herr, ich bleib' bei meinem Kind.«

»Sie alter Herr? In Ihren Jahren fängt die zweite, die wirkliche Jugend an, Mr. Louistone! Sie sollen jetzt ausnützen, was Sie gelernt und gesehen haben. Für die Menschheit, für die Nachwelt meinetwegen. Aber vor allem für sich selbst!«

Louistone dachte kaum daran, Gold zu suchen und Einöden zu durchforschen, sein Leben in Abenteuer zu stürzen. Aber dies Vertrauen des jungen Peters weckte einen vergessenen Jugendtraum. Peters' Feuer sprang über! Dies Pläneschmieden gaukelte Zukunft vor.

Die Auseinandersetzung begann immer:

»Wenn ich Narr genug wäre, lieber Bonaparte . . .«

Aber über diese Voraussetzung hinweg gruben sie sich tiefer und tiefer in Landkarten, Zeitberechnungen, Kalkulationen. Sie spielten »Maschona«, Tag um Tag eifriger. Es war ein Spiel, das den Ergrauenden wärmer machte als Tennis und Tanzen.

Bis zur Minute, da Maud den großen Mann an seinen Kanalplan erinnerte! Das hakte sich fest, das brannte in ihm. Ungeheuer war in jenen Tagen der Ruhm Captain Webbs. Ungeheuer würde der Eindruck sein, wenn gleich nach ihm ein Deutscher die Leistung nachmachte. Vielleicht in noch besserer Zeit!

»Ein deutscher Doktor schlägt den Rekord Captain Webbs!«

Ei, würde Maud das Zeitungsblatt aus der Hand fallen, wenn sie las, daß dieser deutsche Doktor Peters hieß! 122

 


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