Balder Olden
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Balder Olden

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Fräulein von Bülow wollte Peters sprechen. Dr. Lange empfahl sie – ein Blaustrumpf sei sie, talentvoll sogar. Aber nicht so begabt wie ihre jüngere Schwester, die vor einem Jahr ertrunken war. Für einen Blaustrumpf gar nicht übel. Vor allem kolonialbegeistert, rassig.

Das war keine Einführung, die fiebern machte. Zumal Peters in jenem Stadium die Atmosphäre einer Menagerie dem Duft jedes Boudoirs vorgezogen hätte.

Er hatte nur mit Männern zu tun – in ewigem Gezänk, das ihm oft weibisch genug erschien. In Ausschußsitzungen und Propagandaversammlungen, im Zeitungsskandal.

Seit kurzem gab er die »Kolonial-Politische Korrespondenz« heraus, seinen besonderen Boten für hitzige Polemik, Aufrufe, Verantwortung.

Er hatte kein Verlangen nach Blaustrumpf.

Aber in der Geschichte dieser Bülow war etwas, das ihn neugierig machte.

Margarethe von Bülow, die als Romanschriftstellerin ein Talent, vielleicht ein Genie gewesen, hört beim Eislaufen auf dem Rummelsburger See Hilfe rufen. Ein Vierzehnjähriger ist eingebrochen! 217

Sie eilt hin, kein Mensch als sie stürzt dem Kind nach.

Wie ein Pfeil ins Wasser! Sie fängt den Kleinen, der sich gegen den Tod nicht mehr wehrt, hält ihn schwimmend, bis er mit Stangen gerettet wird.

Sie selbst versinkt. Die Schwester wirft sich ihr nach in die schwarze Kälte, taucht und sucht, bis sie das Bewußtsein verliert.

Sie wird gerettet. Die junge Grete ist tot.

Daß zwei Schwestern, so aus Kameradschaft heraus, das Leben wagen, spricht für die dritte!

Peters' erster Eindruck war: Gardemaß, Tituskopf, pathetisch. In keiner Richtung sein Geschmack.

Aber etwas war doch daran: sie kam ihres Bruders wegen! In dieser Gesellschaft steckt Solidarität!

Der Bruder hatte als Kadett die Kniescheibe gebrochen, war zum Leutnant befördert und entlassen worden.

»Wohin mit dem armen Jungen, Herr Doktor? Sein Vormund will ihn aufs Polytechnikum schicken. Aber er brennt nach Abenteuern. Soldat oder tot, sagt er, träumt und spricht nur von Afrika. Seine ganze Bude ist mit Afrikabildern beklebt. Ihr Bild natürlich mitten drin, Herr Doktor!

Er ist besessen, seit er Ihre Berichte aus Usambara gelesen hat.«

Das Wort »Usambara« sogar hatte sie behalten. Sie wußte fast auswendig, was er von seiner Reise geschrieben hatte.

Bald lernt er Brecht kennen, den zwanzigjährigen Bülow, der vor ihm salutiert, aber lieber seine Hand geküßt hätte. Jung, tapsig und riesenhaft, mit stumpfer Nase, die Augen fast dumm vor Gutmütigkeit.

Das war Peters' Freude an aller Arbeit: solche 218 Jungens, die sich an seinem Wort und seinen Bildern berauschten, ihm nachliefen wie die Kinder von Hameln dem Rattenfänger.

Sie schwatzten nicht viel von Patriotismus und »größerem Deutschland«. Ihre Begeisterung war viel zu sachlich.

»Dabeisein!«

Für sie hatte Peters den letzten Mohikaner abgelöst. Ja, er war mehr als Pfadfinder und Unterwerfer.

Er vergab Mandate, machte durch seinen Federstrich aus einem Leutnantchen mit achtzig Mark Zulage und achthundert Mark Schulden den Führer seiner nächsten Expedition, Landeroberer von morgen, seinen Paladin im schwarzen Walhall.

Mochten die Kassen leer werden, Bismarcks Antlitz sich verhüllen, die Presse höhnisch zur Seite treten! Auf diese Garde, die langsam wuchs, rechnete Peters.

Albrecht von Bülow fuhr sofort hinaus, das gute Herz voll Jubel und Dankbarkeit.

Er war auf dem Weg ins Innere, kaum drüben angekommen. Sein Knie, zum Parademarsch unfähig, war kein Hindernis bei der Eroberung des dunklen Weltteils.

Ein feuriger, von Kräften strotzender Bub, dem frühe Verbitterung drohte, war, auf Fürbitte seiner Schwester, dem großen, wirklichen Leben geschenkt! Das Abenteurerblut seines Stammes auszutoben, gewährte ihm Peters.

Auch Frieda von Bülow warf Tagebücher und Romanfragmente zur Seite. Die Briefe ihres Bruders entflammten. Ein Jahr lang, seit dem Tod Gretes, hatte sie umdüstert in sich gestarrt, keinen Inhalt ihres Lebens mehr gewußt. 219

Jetzt wollte sie Peters helfen!

Nicht daheim mit wollenen Bauchbinden und literarisch-weiblicher Handarbeit –. Nein, draußen, am Schaft der Fahne!

Wo Männer kämpfen, gibt es Wunden. Die Tropen sind voll Tücke: Malaria, Schwarzwasserfieber, Küstenfieber.

Krankenpflege in Ostafrika – das war, mit Händen zu greifen, höchstes Gebot der Stunde!

Ein Jahr jünger als Peters, aber enthusiasmiert wie ein Backfisch, absolvierte die Bülow Schwesternkurse, gründete nach seinem Vorbild den »Deutschen Frauenbund zur Krankenpflege in den Kolonien«, rührte die Trommel.

Auf eigenen Füßen sollte der neue Verein stehen wie die Ostafrikanische Gesellschaft, unabhängig von der Wilhelmstraße, ganz unter Friedas Diktatur.

Als erster Pionier, Gründerin des ersten Lazaretts, wollte sie hinausfahren, wenn das bißchen schäbige Geld beisammen war.

Draußen würde sie neben Peters sein, wenn er kam, sein Reich selbst zu beherrschen.

Wenn er ins Innere marschierte, sollte ihr rotes Kreuz seinen Sternen folgen.

Wenn Not kam, das Eisen selbst seines Willens und seiner Kräfte bog, wollte sie, Arzt und Liebende, bei ihm sein.

Dies wirbelnde Vorwärts einer hübschen Frau tat Peters gut in Tagen voll Bitternis.

Bülows führten ein Haus, in dem Peters vergöttert wurde.

Man tanzte – es war lächerlich und doch zu 220 ertragen – tanzte für Ostafrika! Denn natürlich wurde der Frauenbund durch Basare und Bälle finanziert.

Sofie und Frieda von Bülow dichteten und agierten. Geschminkt, geputzt und talentlos, warben sie Menschen, sammelten Geld.

Eine Balltombola in Berlin trug, für ein Jahr zumindest, drei Betten in Sansibar.

Das gab den Kreisen, in denen man Ehe stiftet und Ehe sucht, dem ganzen Kolonialunternehmen ein Gesicht.

Die Kolonie ward gesellschaftsfähig, seit man für sie tanzen konnte.

Im lustigen Bülow-Haus, in dem von Morgen bis Abend geplant, geschafft, diskutiert wurde, bekam Peters andere Züge. Er galt als weicher Kern in rauher Schale, galt als liebenswürdig . . . . Peters, Charmeur!

»Ich setze Sie zu Brecht«, versprach er Frieda. »Ich baue euch eine schöne Stadt.«

War es möglich, daß ein Peters frühmorgens mit den Schlittschuhen am Arm anklingelte:

»Heut machen wir blau, Friederchen! Wir gehen aufs Eis.«

»Aber, Doktor Peters, mein Kopf raucht ja vor Arbeit. Leseprobe für den sechzehnten, Kostümprobe, Krankenhaus . . .«

»Heut haben Sie Urlaub. Ich bin der Chef!«

Eines Tages rief sie und fiel Peters dabei fast um den Hals:

»Die Kaiserin war im Krankenhaus! Sie interessiert sich für alles! Sie hat über die Kolonie mit mir gesprochen –, fünf–und–dreißig Minuten lang!«

Fiel sie ihm fast um den Hals? Ihre Arme waren ja immer offen, wenn er sich zeigte. Sie hatte auf ihr großes Erlebnis gelauert, war ein keusches, spätes 221 Mädchen geworden mit der Frage: »Wo sind die Guten, sie zu lieben, wo ist der Kampf, ich will ihn wagen! Gebt mir den Schmerz, ich will ihn tragen!«

Jetzt war alles da, Kampf, Schmerz, Liebe.

Jetzt erfuhr sie, »wie die Leidenschaft blind macht, einseitig und gleichgültig für alles neben dem Einen«.

Noch kannte sie Peters nur in seiner Maske. Sein Höhepunkt war das wenig von Güte und Herzlichkeit, das er sich manchmal abgewann. Aber auch um das, um das lohnte es, zu atmen.

Dann aber erlebte sie Peters wie nie ein Mensch. Er war zwei Tage verschwunden. Sie suchte ihn, drang bei ihm ein.

Da war kein Mann mehr, da war wortlose, tränenlose Verzweiflung, ein brüllendes Herz, ein Mund, der nur keuchte.

So hatte sie selbst gelitten, bei Gretes Tod.

Aber sie hatte doch weinen können!

Sie hatte damals geschrien, Haare gerauft, die Brust zerschlagen. Sie hatte laut gebetet und die Geschwister schreiend umarmt.

Dieser Verarmte hatte das alles nicht. Sein Blick in die Ecke, die Zähne aufeinander, zerdrückt vor Schmerz und so weiße Lippen!

Seinen Jühlke hatten die Somali erschlagen!

Wie lange saß er schon so, alt und erdrückt?

Gewaltig und über Menschenmaß war die Kraft dieses Einen, zu leiden!

Frieda tröstete und streichelte nicht. Sie blieb nur bei ihm, der nach langer Zeit, ganz irr geworden, von nie erlebter, grausam-blutiger Rache stöhnte. Tausend Somali, zehntausend Somali sollten sterben für Jühlke! 222

In seiner letzten Verwundbarkeit war er getroffen. Er konnte nicht lieben, keine Seele und keine Sache. Sich selbst bewunderte er, Maud war sein Durst.

Nur seinen Jühlke hatte er geliebt.

 


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