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IV.
Der Abschied.

Nun flog sie, wie eine Gazelle so leicht und rasch, den Corridor hinunter. Auf dem großen Flur, auf welchen er ausmündete, stand Elza, in der Mitte von mehr als zwanzig Tyrolerschützen, mit denen sie laut und lebhaft sich besprach. Ihre Wangen waren farblos, ihre Lippen zitterten, aber in ihren Augen war ein muthiges Blitzen, und so bleich auch ihr Antlitz war, verrieth es doch nicht die mindeste Besorgniß und Angst.

Habt Ihr's Euch wohl überlegt, Ihr Männer vom Pusterthal? fragte sie mit klarer, voller Stimme. Wißt Ihr, daß Ihr im Begriff seid zu rebelliren gegen Eure Obrigkeit und Euern König, und daß man die Rebellen richten wird nach der Strenge des Gesetzes?

Aber die Baiern werden uns nit richten, denn wir werden sie zum Land 'naus jagen, schrieen die Tyroler. Wir wollen keinen König und keine bairische Obrigkeit, wir wollen unsern Kaiser Franzel wieder haben und unsere Landesverfassung.

Aber Ihr werdet's nicht durchsetzen können, sagte Elza, Ihr seid zu schwach gegen sie. Sie sind ihrer Viele und Ihr seid Eurer wenig, sie haben Kanonen und Ihr habt nichts als Euern Stutzen, und Viele sind unter Euch, die auch den nit haben.

Aber wir haben unsern Gott und unsern Kaiser, und die Zwei werden uns helfen. Die Oesterreicher sind im Land, der Andreas Hofer hat's uns wissen lassen und alle Männer von Tyrol stehen auf, um die Franzosen und die Baiern aus'm Land zu jagen.

Es ist so, Elza, sagte Elise, ihren Arm um den Nacken der Freundin schlingend. Ich kenn' Dich, ich weiß, Du bist ein treu' Tyrolerkind und Du wirst Dich halt auch freuen, wenn's liebe Tyrol wieder frei ist und wieder dem guten Kaiser Franzel gehört.

Aber, Liesel, denk' an meinen armen Vetter Ulrich, raunte Elza ihr zu. Er wird sich wehren bis zu seinem letzten Blutstropfen.

Er wird's nit können, flüsterte Liesel mit einem glücklichen Lächeln. Hab' ihn eingeschlossen im großen Saal, hier im Mieder steckt der Schlüssel, der Ulrich kann also nit heraus, und wenn er auch wüthig ist und grimmig, muß doch drin bleiben wie das Mäuslein in der Falle.

Dann bin ich beruhigt, sagte Elza lächelnd, und auch meinen Vater begreif' ich jetzt. Er ahnte wohl, was hier geschehen würde und hat sich der Verantwortung entzogen, mir die freie Wahl lassend zwischen dem bairischen Anverwandten und den Tyroler Landsleuten. Er kennt mich und weiß, was ich thun werde, er vertraut mir und meiner Vaterlandsliebe. So wähle ich denn Euch, meine Tyroler Landsleute. Hier meine Hand, Anton Wallner, ich bin ein treu' Tyrolerkind, und mit Euch rufe auch ich: »es lebe unser Kaiser Franz!«

Hurrah, es lebe unser Kaiser Franz! riefen die Tyroler. Es lebe unser Fräulein Elza, das treue Tyrolerkind.

Dank Euch, sagte Elza lächelnd. Ich denk', ich werd' mich bewähren, wenn Noth und Kriegsgefahr kommt. Werd' hier im Schloß ein Lazareth anlegen für unsere Verwundeten, und die Frauen von Windisch-Matrey werden mir beistehen und Charpie zupfen und die Verwundeten verbinden und pflegen. Denn ohne Wunden und ohne Blutvergießen wird's nicht abgehen und die Baiern werden sich nicht gutwillig und ohne heftigen Widerstand zum Land hinaustreiben lassen. Habt Ihr Euch das auch überlegt, Ihr Männer?

Wir haben's uns überlegt und sind gefaßt auf Alles, sagte Anton Wallner freudig, wir wollen lieber in den Tod gehen, als unsern Kaiser und unser liebes Tyrolerland aufgeben. Wir wollen keine Südbaiern werden, sondern Tyroler bleiben, und unsere Verfassung und unsere Freiheit bis zu unserm letzten Tropfen Blut vertheidigen! Ist's nit so, Ihr Männer?

Ja, es ist so, riefen die Männer mit jubelndem Ton.

Und was die Baiern anbetrifft, die fürchten wir nit, sagte Wallner frohmüthig. Die Herren Beamten, die sind schon allmitsammen zu Kreuz gekrochen und ganz klein worden vor dem freien Tyrolersmann. Haben sich mit Weib und Kind uns ergeben, haben uns, wie wir's verlangten, ihre Kassen ausgeliefert und werden in ihren Amtswohnungen von den Unsrigen bewacht. Und was die bairischen Soldaten hier auf dem Schloß anbelangt, so haben wir sie auch nit zu fürchten, denn wir haben sie eingesperrt, wie den Dachs in seinem Bau, und sie können nit zur Thür hinaus.

Aber wenn sie nicht zur Thür hinaus können, so werden sie durch die Fenster hinausspringen, sagte Elza, und werden Euch Widerstand leisten.

Wir werden's sehen, ob sie das können, rief Wallner energisch. Wir müssen's gleich zu End' mit ihnen bringen. Kommt hinab, Ihr Männer, wir müssen die Boafoks zur Ruh' bringen.

Und Anton Wallner eilte, gefolgt von seinen Schützen, hinunter auf den Schloßhof. Dort hatten sich indessen ganze Schaaren bewaffneter Männer zusammengefunden, selbst Frauen und Mädchen, hingerissen von der allgemeinen Begeisterung und Kampflust, hatten sich bewaffnet und kamen, thätigen Antheil zu nehmen an dem Kampf für das Vaterland und den Kaiser. Alles schrie und jubelte durcheinander, Alles schwur: dem Vaterland und dem Kaiser treu zu bleiben bis zum letzten Athemzug. Die Soldaten aber schauten verwundert darein, und in athemloser Unentschlossenheit blickten sie aus den Fenstern umher nach ihrem Anführer, ihrem Hauptmann.

In diesem Moment stellte sich Anton Wallner mit einer Schaar muthiger Schützen den Fenstern gegenüber auf.

Soldaten, rief er mit donnernder Stimme, ergebt Euch, Ihr seid unsere Kriegsgefangenen. Ergebt Euch, werft Eure Gewehre und Waffen zu den Fenstern hinaus und wir wollen Euch die Thür Eures Gefängnisses öffnen und Euch freien Abzug bewilligen.

Die Soldaten gaben keine Antwort, sondern lehnten sich weit aus den Fenstern und riefen: Herr Hauptmann! Wo ist unser Hauptmann?

Hier bin ich, rief eine mächtige Stimme über den Häuptern der Tyroler, und wie sie erstaunt emporblickten, sahen sie da oben auf dem Balcon den jungen Hauptmann Ulrich von Hohenberg mit bleichem Angesicht, mit vor Wuth und Schmerz entstellten Zügen, den rechten Arm mit dem entblößten Degen drohend gegen die Tyroler ausstreckend.

Mein Herr und Gott, murmelte Elise, sich angstvoll an Elza's Arm anklammernd, wenn er sich zur Wehr setzt, ist er verloren.

Hier bin ich, meine braven Soldaten, rief Ulrich von Hohenberg zum zweiten Mal. Kommt zu mir, meine Tapfern. Man hat mich hier oben eingeschlossen, ich kann nicht hinab zu Euch. Kommt also zu mir, schlagt die Thüren ein, befreit Euren Hauptmann.

Zuerst laßt sie sich selber befreien, Herr, rief Wallner hinauf, dann wandte er sich wieder den Soldaten zu. Hört Ihr da, was ich Euch sagen will im Namen meiner Landsleut', im Namen von ganz Tyrol, rief er. Ihr habt uns gedrückt und geschunden vier Jahr' lang, habt uns beleidigt, gedemüthigt und gekränkt alle Tag', aber wir sind Christen und wir wollen uns nit rächen, wir wollen blos unser Recht, unsere Freiheit und unsern Kaiser. Darum, wenn Ihr Euch gutwillig fügt und das hinnehmt, was Ihr doch nit ändern könnt, so wollen wir Euch ungestraft und unbeschädigt von dannen und in Euer sackrisches Baiern nach Haus' gehen lassen. Aber zweierlei fordern wir vorher von Euch! Zum Ersten: daß Ihr allmitsammt Eure Gewehr' zum Fenster 'nausschmeißt; zum Zweiten: daß Ihr mit einem heil'gen Eid schwört, keine Waffen mehr gegen die Tyroler zu tragen!

Nimmermehr dürft Ihr das schwören, Soldaten, rief Ulrich von Hohenberg von seinem Balcon herab. Ihr werdet die Treue halten, die Ihr Eurem König und Kriegsherrn gelobt habt. Ihr werdet nicht den Schimpf auf Euch laden, Euch einem Haufen rebellirender Bauern ergeben zu haben.

Nein, nein, das werden wir nicht, schrieen die Soldaten zum Fenster hinaus, und jetzt verschwanden sie aus dem obern Stockwerk, um bald wieder in dichtgedrängten Haufen an den Fenstern des untern Geschosses zu erscheinen. Hier waren die Fenster nur fünf Fuß von dem Erdboden entfernt, und es war daher möglich, aus denselben hinunter zu springen.

Den Ersten, der da aus dem Fenster 'naussteigt, den schießt Ihr nieder, befahl Anton Wallner seinen Schützen.

Die Soldaten hörten nicht darauf; in jedem der Fenster erschien jetzt ein Soldat und schickte sich an, den Sprung hinaus zu wagen. Einer von ihnen, rascher und beherzter als die Andern, kam ihnen zuvor und sprang hinab. Aber kaum hatten seine Füße den Boden berührt, als ein Knall ertönte und eine weiße Rauchwolke einen Moment Alles in Nebelschleier ein hüllte. Als diese sich verzog, sah man den bairischen Soldaten, der aus dem Fenster hinabgesprungen, in den letzten Todeszuckungen sich am Boden winden, während einer von den Tyroler Schützen ruhig seinen Stutzen wieder in Ordnung brachte.

Aber jetzt, zum zweiten Mal, knallte ein Schuß und der Tyroler Schütze, mitten in der Brust getroffen, taumelte mit einem letzten Todesächzen zurück in die Arme seiner Freunde.

Soldaten! rief Ulrich von Hohenberg, sein abgeschossenes Gewehr triumphirend in die Höhe hebend, Soldaten, ich habe den Tod Eures Kameraden gerächt. Jetzt vorwärts, springt hinunter! Vorwärts für Eure Ehre und für Euren König!

Ja, vorwärts für unsere Ehre und für unsern König! riefen die Soldaten, und aus jedem Fenster sprang einer hinunter.

Aber von da oben knallte ein zweiter Schuß, und abermals traf er sicher einen der Tyroler Schützen.

Ein wildes Wuthgeschrei erfüllte den Hofraum, Aller Augen richteten sich drohend zu dem Balcon empor. Aber Ulrich von Hohenberg war in den Saal zurückgetreten und Niemand sah, wie er sein Jagdgewehr, das sich mit seiner Jagdtasche voll Munition im Saal befunden, abermals mit tödtlicher Ladung versah.

Ich werde mich vertheidigen, bis meine Soldaten kommen, mich zu befreien, sagte er mit tapferm Muth zu sich selber, dann schob er den großen Tisch aus dem Saal auf den Balcon hinaus, stellte ihn auf seine Kante und lehnte ihn an die Ecke des Balcongitters, lehnte an die andere Seite die auf die Kante gestellte Bank, die auf dem Balcon gestanden, und hinter dieser dreieckigen Barrikade gegen die Schüsse der Tyroler geschützt, schob er sein Gewehr zwischen die Spalte der Bank und des Tisches und schoß abermals.

Ein wüthendes Geschrei erfüllte wieder den Hofraum, denn wieder hatte der Schuß des Hauptmanns einen Tyroler niedergestreckt. Die Weiber jammerten und klagten, die Männer stießen wilde Verwünschungen aus und hoben ihre Fäuste drohend zu dem Balcon empor. Die Soldaten hatten sich von den Fenstern zurückgezogen und beriethen untereinander und mit ihren Officieren, was sie thun sollten. Eine Vertheidigung war kaum möglich, denn sie hatten wohl ihre Seitengewehre und ihre Carabiner, aber mit den Seitengewehren konnten sie nichts beginnen, bevor sie nicht auf dem Hof und im Handgemenge mit den Bauern waren, und die Carabiner waren nutzlos, da man ihnen nicht Munition ausgetheilt hatte, diese vielmehr sich im großen Schloß im Verwahrsam des Hauptmanns befand.

Zehn von Euch hinauf in das Schloß, commandirte jetzt Anton Wallner. Ihr macht den Hauptmann zu Eurem Gefangenen, und wenn er sich nicht gutwillig ergeben will, schießt Ihr ihn nieder, wie er drei unserer Brüder erschossen hat.

Zehn der muthigsten Schützen traten aus den Reihen der Uebrigen und rannten mit wilden Sprüngen in das Schloß.

Er ist verloren, murmelte Elise Wallner mit bleichen Lippen und sie glitt neben ihrer Freundin Elza auf die Kniee nieder.

Jetzt hörte man aus dem Schloß die mächtigen Kolbenschläge, mit welchen die Tyroler die Thür des Saals erschütterten, in welchem sich Ulrich von Hohenberg befand.

Die Thür ist alt und morsch, sie wird nachgeben, seufzte Elza, und sie eilte entschlossen vorwärts, gerade zu Anton Wallner hin, der eben mit kaltblütiger Ruhe die Soldaten abermals aufforderte, sich zu ergeben.

Anton Wallner, sagte sie mit sanfter, bittender Stimme, Ihr werdet Eure heilige und schöne Sache nicht durch einen Mord beflecken wollen. Ihr werdet auch nimmermehr daran denken wollen, in dem eigenen Hause meines Vaters ihm seinen Verwandten, seinen Gastfreund zu tödten.

Mag er sich ergeben, so werden wir ihm nichts anhaben, rief Anton Wallner mit rauher, strenger Stimme. Er hat das Blut der Unsern vergossen, und wenn er getödtet wird, so geschieht's im ehrlichen Kampf. Lasset uns jetzt, Fräulein, der Kampf hat begonnen zwischen den Tyrolern und den Boafoks, da schaut auf die Leichen und sagt selbst, ob noch ein Rückschritt möglich ist, und ob –

Aus dem Schlosse vernahm man jetzt ein lautes, dröhnendes Krachen, dem ein lautes Triumphgeschrei folgte.

Sie haben die Thür eingerannt, murmelte Elise, immer noch auf ihren Knieen liegend. Heilige Jungfrau, beschütze Du ihn, oder er ist verloren!

Aber im Saal fiel ein schmetternder Schuß und eine weiße Rauchwolke flatterte zu den offenen Balconthüren hinaus, dann hörte man einen lauten Schrei, wilde Flüche und Verwünschungen.

Er hat wieder einen von den Unsern erschossen, Ihr sollt's sehen, schrie Wallner, beide Fäuste drohend gegen den Balcon erhebend.

Das Geschrei kam immer näher und näher, und jetzt sprang der Hauptmann Ulrich von Hohenberg mit bleichen, wuthentstellten Zügen auf den Balcon hinab.

Ergebt Euch! schrieen die Tyroler ihm nachstürzend.

Nimmermehr, rief er, lieber sterben, als Euch Bauerngesindel mich ergeben.

Und in der Verzweiflung seiner Wuth und seines Schmerzes jede Rücksicht und jede Gefahr vergessend, nur bedacht, seinen Verfolgern zu entgehen, sprang der Hauptmann vorwärts, schwang sich auf das Gitter des Balcons und sprang hinab, mitten in das Gewühl der Menge.


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