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Das Jahr 1809 war gekommen, und noch immer war der von ganz Oesterreich so sehr ersehnte Krieg mit Frankreich nicht ausgebrochen, noch immer wartete das Volk, wartete die Armee vergeblich auf den Ruf seines Kriegsherrn, des Kaisers Franz des Ersten. Wohl war Vieles und Großes geschehen im Lauf des verflossenen Jahres, wohl hatte Oesterreich gerüstet, hatte die Landwehr gebildet, seine Festungen verstärkt, seine Magazine gefüllt, aber der Kaiser zögerte noch immer, den letzten entscheidenden Schritt zu thun, und nachdem er das Wort: Rüstung! ausgesprochen, auch das Wort Krieg! nachfolgen zu lassen.
Niemand erwartete dieses heiß ersehnte Wort mit größerer Ungeduld, als des Kaisers zweiter Bruder, als der junge kaum sieben und zwanzigjährige Erzherzog Johann. Er war die Seele, die Triebfeder aller der Rüstungen gewesen, die seit dem Sommer des Jahres 1808 in ganz Oesterreich geschehen, er hatte den Plan zu der Landwehr und den Reserven ersonnen, von ihm war der Aufruf vom zwölften Mai 1808, der alle streitbaren Männer Oesterreichs zu den Waffen rief. Aber damit endete auch seine Macht, er konnte wohl das Heer organisiren, aber er durfte ihm nicht zurufen: »auf zum Kampf gegen den Feind!« Nur der Kaiser durfte dieses Wort sprechen, und der Kaiser schwieg noch immer!
Und er wird schweigen, bis der günstige Moment vorüber ist, seufzte Erzherzog Johann ganz leise, als er, von einer langen Unterredung mit dem Kaiser heimkehrend, sich mit seinem Freunde, dem General Nugent, wieder allein in seinem Kabinet befand.
Er hatte diesem Vertrauten seine ganze Unterredung mit dem Kaiser wiederholt, und endete jetzt seine Erzählung mit dem Seufzer: der Kaiser wird schweigen, bis der günstige Moment vorüber ist!
Graf Nugent blickte mit einem Ausdruck inniger Theilnahme auf das traurige, schmerzzuckende Angesicht des Erzherzogs hin, er sah die Thränen, die in Johann's großen blauen Augen standen, er sah, wie er die Lippen fest zusammenpreßte, als wolle er einen Ausruf des Schmerzes oder des Zorns zurückdrängen, wie er die Hände zur Faust zusammenballte in dem Krampf seiner Verzweiflung. Voll innigen Mitgefühls näherte sich der General dem Erzherzog, der in einen Lehnstuhl niedergesunken war, und legte sanft seine Hand auf dessen Schulter.
Muth, Muth, flüsterte er, noch ist nichts verloren, und Ew. Kaiserliche Hoheit –
Ach, weshalb nennen Sie mich Kaiserliche Hoheit, rief der Erzherzog fast unwillig, sehen Sie denn nicht, Nugent, daß dies ein armer elender Titel ist, mit dem das Schicksal mich zu verhöhnen scheint, den es mir gleichsam zum Spott immer in die Ohren dröhnt, um mich immer und immer wieder zu mahnen an meine Ohnmacht, an meine Kleinheit. Ich habe von dem »Kaiserlich« nichts als das Joch der Abhängigkeit, und meine »Hoheit« darf sich doch nur dem Brosamen des Lazarus vergleichen, der von des reichen Mannes Tische fiel! Und es giebt Leute, Nugent, welche mich noch um diesen Brosamen beneiden, Leute, welche vermeinen, es wäre ein herrliches und glänzendes Glück, eine Kaiserliche Hoheit, der Bruder eines regierenden Kaisers zu sein. Ach, sie wissen nicht, daß das nur so viel heißt, als zu ewiger Abhängigkeit, zu ewigem Schweigen verdammt zu sein, daß der Kammerdiener, der Geheim-Secretair des Kaisers wichtigere und einflußreichere Leute sind, als der Erzherzog Johann, der nichts weiter thun kann, als schweigen, sich unterwerfen, die Hände in den Schooß legen!
Jetzt verlästern Ew. Kaiserliche Hoheit Sich selbst, rief Graf Nugent lebhaft. Sie haben nicht geschwiegen, nicht die Hände in den Schooß gelegt, nicht müßig zugeschaut, sondern rastlos und unbeirrt haben Ew. Kaiserliche Hoheit gearbeitet und gehandelt zum Wohl Ihres Volkes, und Ihres Vaterlandes. Wer denn hat den ersten Entwurf zur Errichtung der Landwehr und der Reserven gemacht, wer hat ihn mit einer bewunderungswürdigen Klarheit bis in die äußersten Details ausgearbeitet? Der Erzherzog Johann hat das gethan, der Erzherzog Johann, auf den ganz Oesterreich hofft, der die letzte Zuflucht, der letzte Trost aller Patrioten ist!
Ach, wie beklagenswerth steht es dann um Euch Alle, mein Freund, wenn Ihr auf mich hofft! seufzte Johann. Was bin denn ich? Ein armes Atom, dem man gestattet, im Glanzlicht der kaiserlichen Sonne sich zu bewegen, das man aber sogleich vernichten würde, wenn es sich erlauben wollte, ein selbstständiges Licht zu sein. Ich bitte Sie, Nugent, sprechen Sie nie von einer Hoffnung, denn wenn der Kaiser das erführe, wäre nicht bloß meine Freiheit gefährdet, sondern auch die Ihre, und die aller Derjenigen, welche denken, wie Sie. Der Kaiser liebt es nicht, wenn sich die Augen seiner Unterthanen auf mich richten; jedes gute Wort, das man über mich zu ihm sagt, macht ihn verstimmt und schärft den Unmuth, den er gegen mich im Herzen trägt.
Das ist unmöglich, Hoheit, rief der Graf lebhaft. Wie sollte der gute Kaiser seinen so hochbegabten, so edlen und gelehrten, und zugleich so bescheidenen und guten Bruder nicht lieben, nicht glücklich sein, wenn ihn auch Andere lieben und erkennen?
Liebt der Kaiser etwa meinen viel edleren, viel begabteren, viel bessern Bruder Carl? fragte Johann achselzuckend; hat er ihn nicht 1805 mitten in seiner Kriegerlaufbahn gehemmt und von der Armee zurückberufen, obwohl, oder vielmehr weil er wußte, daß das Heer ihn vergötterte, daß ganz Oesterreich ihn liebte und auf ihn hoffte? Ach, glauben Sie mir, der Kaiser mißtrauet allen seinen Brüdern, und alle unsere Betheuerungen, unsere Liebesversicherungen, unsere Unterwürfigkeit rührt ihn nicht, sondern prallt machtlos ab an dem Harnisch der Eifersucht, den er gegen uns um seine Brust gelegt hat. Sie sehen, ich sage Ihnen das jetzt vollkommen ruhig und gelassen, aber ich gestehe Ihnen, es hat mich einst viele Thränen und viele Kämpfe gekostet, und es hat lange gedauert, bis mein Herz stille und resignirt geworden ist. Mein Herz hat sich lange nach Liebe, nach Vertrauen und Freundschaft gesehnt, – jetzt ist das überwunden, ich habe mich darein gefügt, einsam zu sein und einsam zu bleiben mein Lebelang. Das heißt, fuhr der Erzherzog mit einem sanften Lächeln fort, indem er dem Grafen seine Hand darreichte, das heißt, ich meine einsam ohne Schwester, ohne Bruder, einsam in meiner Familie. Aber ich habe doch gegen diese Familieneinsamkeit schönen und herzerquickenden Ersatz gefunden, denn ich nenne Sie und Hormayr meine Freunde, ich habe meine Bücher, welche immer mir Trost, Zerstreuung und Unterhaltung gewähren, ich habe endlich meine großen und leuchtenden Hoffnungen für das Vaterland! Ach, wie konnte ich sagen, daß ich arm und einsam sei, da ich so reich bin an Hoffnungen, und da ich zwei edle und treue Freunde besitze! Nicht wahr, Nugent, Sie werden mich nie verlassen, Sie werden mit mir ausharren bis an's Ende? Bis zum großen Tage des Sieges, oder bis zum Ende des Unglücks und der Schmach?
Ew. Kaiserliche Hoheit wissen wohl, daß mein Herz nimmer von Ihnen lassen wird, daß ich Sie liebe und verehre, daß Sie für mich der Inbegriff alles Schönen, Großen und Edlen sind, daß ich zu jeder Stunde freudig bereit wäre, für Sie in den Tod zu gehen, daß nichts mich von Ihnen abwenden könnte, weder das Glück, noch das Unglück. Sie sind die Hoffnung meines Herzens, Sie sind die Hoffnung meines Vaterlandes, ja die Hoffnung ganz Deutschlands. Wir Alle bedürfen Ihrer Hülfe, Ihres Herzens, Ihres Armes, denn von Ihnen erwarten wir, daß Sie uns, daß Sie Deutschland vorangehen, daß Sie unser Führer sind, um uns zum Kampf, zum Sieg zu führen!
Gott gebe, daß die Stunde des Kampfes erst gekommen sei, dann, mein Freund, werde ich beweisen, daß ich gleich Euch Allen bereit bin, mein Blut, mein Leben für das Vaterland hinzugeben, und bis zu meinem letzten Tropfen Blutes zu kämpfen für die Freiheit Oesterreichs, die Freiheit Deutschlands. Denn so wie die Sachen stehen, hängt auch das Schicksal Deutschlands jetzt von dem Erfolge unserer Waffen ab. Werden wir besiegt, müssen wir uns unterwerfen, wie es Preußen hat thun müssen, dann wird auch ganz Deutschland nur noch eine Provinz von Frankreich sein, dann ist es auf lange Jahre um die Freiheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes geschehen. Diese Schmach und diesen Jammer aber zu überleben, dazu fühle ich mich zu schwach. Fällt Oesterreich, so werde auch ich fallen, stirbt die deutsche Freiheit, so werde auch ich sterben Erzherzog Johann's eigene Worte. Siehe: Acht und vierzig Briefe des Erzherzogs von Oesterreich an Johannes von Müller. S. 90..
Die deutsche Freiheit wird nicht sterben, rief Graf Nugent begeistert, sie wird eines Tages gegen alle ihre großen und ihre kleinen Tyrannen zu Felde ziehen. Dann wird sie sich den Erzherzog Johann zu ihrem Feldherrn wählen, und er wird sie zum Siege führend
Nein, nein, mein Freund, sagte Johann traurig, das Schicksal hat es nicht gewollt, daß ich handeln und entscheidend in erster Linie stehe, und über die Weltgeschicke eine entscheidende Stimme abgebe. Ich werde immer nur in zweiter Reihe stehen, mein Wille wird ewig gelähmt, mein Arm ewig gehemmt sein. Sie wissen das! Sie wissen, wie ich ewig von geheimen Spähern und Schutzengeln umgeben bin, die all' mein Thun überwachen, und jeden meiner Schritte belauern und verdächtigen. Es ist so gewesen, so lange ich lebe, es wird so bleiben, bis ich entweder sterbe, oder bis ich ein altersschwacher Greis bin, dessen Arm nicht mehr im Stande ist, das Schwert oder auch nur die Feder zu führen. Daß ich jung bin, daß ich ein Herz habe für die Leiden meines Vaterlandes, ein Herz nicht blos für Oesterreichs, sondern auch für Deutschlands Ehre, das ist es, was sie mir zum Verbrechen anrechnen, was mich in ihren Augen verdächtigt und zum Revolutionär stempelt. Man hat mich viel dafür leiden lassen, man ist mir überall hindernd in den Weg getreten, und ich wollte doch nichts, als zum Wohl des Ganzen beitragen, ich begehrte nichts für mich, nur Alles für das Vaterland. Ihm wollte ich mein Blut, mein Leben weihen, für das Vaterland wollte ich in diesem unglücklichen Feldzug von 1805 siegen. Allein das lag nicht in dem Plan meiner Gegner, sie wollten den Krieg nicht mit Energie und Kraft zu Ende führen, sie wollten meinem Bruder Carl und mir nicht die Gelegenheit geben, uns auszuzeichnen, uns einen populairen Namen zu machen! Jedes Mal, wenn ich einen Plan zum energischen Angriff machte, versagte man mir die Erlaubniß ihn auszuführen. Jedes Mal, wo ich mit meinem Armeecorps eine Entscheidung hätte herbeiführen können, gab man mir Befehl, mit meinen Truppen mich nach irgend einer abgelegenen zwecklosen Position zu begeben, und wenn ich widersprach, nannte man mich einen Rebellen. Ach, ich habe viel gelitten in jenen Tagen, und mein Herz blutet noch davon. Ich mußte es schweigend dulden, daß dieselben Männer, welche den Krieg sehr zu unrechter Zeit angefangen, jetzt auch eben so zu unrechter Zeit den Krieg beendeten, und Frieden machten. Und in diesem Frieden verlor Oesterreich die treueste seiner Provinzen, das schöne Tyrol, eines der ältesten Erinnerungen der Habsburger, – die fruchtbarste seiner Provinzen, das Gebiet von Venedig und Dalmatien, welches für Inner-Oesterreich immer die Quelle politischer Differenzen und Zänkereien sein wird. Was mich am meisten betrübte, das war der Verlust Tyrols, und noch jetzt kann ich nicht ohne die tiefste Bewegung daran denken. Es schien, als ob das Schicksal entschlossen sei, Alles aus unserem Gedächtniß auszulöschen, das uns an unsere Vorfahren, an ihre Tugenden, ihren Patriotismus, und ihre Standhaftigkeit in den Momenten allgemeiner Bedrängniß gemahnen könnte, und daß aus diesem Grunde, da der Geist der Habsburger fast erloschen schien, wir auch Alles verlieren sollten, was sie in den Tagen ihrer Größe gewonnen hatten Johann's eigene Worte. Siehe: Acht und vierzig Briefe des Erzherzogs Johann an Johann von Müller. S. 103.. – Aber jetzt noch einmal will uns das Schicksal die Gelegenheit geben, unsere Fehler zu sühnen, uns unserer Vorfahren würdig zu zeigen. Lassen wir auch diese vorübergehen, so ist Alles verloren, nicht blos der Thron der Habsburger, sondern auch ihre Ehre!
Diese Gelegenheit wird nicht vorübergehen, rief der Graf, der Thron der Habsburger wird bestehen, denn ihn schützen die Erzherzöge Johann und Carl, ihn schützet eine tapfere, kampfesdurstige Armee, ein treues, unverzagtes Volk, das mit hingebender Liebe an seiner Herrscherfamilie hängt, und niemals einen andern Herrn anerkennen, niemals seine Habsburger aufgeben wird.
Ja, das Volk wird uns nicht aufgeben, sagte Johann, aber Schlimmeres mag geschehen, wir selber können uns aufgeben. Schauen Sie doch umher, Nugent, sehen Sie doch, wie wir auf einmal wieder lahm geworden, wie wir auf einmal wieder mitten auf dem Wege zögernden Fußes stehen geblieben sind, unschlüssig, ob es nicht besser wäre, wieder zurückzugehen, die Waffen wieder bei Seite zu legen und sich auf Gnade und Ungnade dem Kaiser von Frankreich zu ergeben.
Zum Glück ist es jetzt zu solchem Entschluß schon zu spät, denn Oesterreich ist schon so weit vorgegangen, daß selbst ein Zögern ihm jetzt nicht mehr hilft, und den Zorn des Kaisers von Frankreich nicht mehr beschwichtigen kann. Und daß dem so ist, das danken wir den rastlosen Bemühungen Eurer kaiserlichen Hoheit; das verdanken wir Ihrem Eifer, Ihrer Energie und Begeisterung für die gute Sache, welche jetzt nicht mehr blos die Sache Oesterreichs, sondern auch die Sache Deutschlands ist. Und diese Sache wird nicht unterliegen, Gott wird nicht wollen, daß ein großes, edles Volk sich verbluten soll unter den Füßen eines fremden Tyrannen, der allem Gesetz, allen Verträgen, allem Völkerrecht Hohn spricht, und alle Throne stürzen möchte, um die Reiche zu Provinzen seines Reiches zu machen, die Geschichte der Völker und der Dynastieen auszulöschen, und Alles was gewesen in den Abgrund seiner Universalmonarchie verschwinden zu machen.
Gott wird es nicht wollen, aber er wird es vielleicht zulassen, wenn der Wille der Völker und der Fürsten nicht stark genug ist, um solchem Unheil ein Ziel zu setzen. Wenn das Gefühl der Unabhängigkeit, der Freiheit und Selbstständigkeit die Nationen nicht zu begeisterter Erhebung und Vertheidigung ihrer Rechte anfeuert, dann sendet Gott ihnen einen Tyrannen, auf daß er die Geißel sei, welche sie strafe und züchtige. Und dies, fürchte ich, ist unser Fall! Deutschland hat den Glauben an sich selber, an seine Ehre verloren, es legt sich ermattet zu des Tyrannen Füßen nieder, und ist bereit sich von ihm zertreten zu lassen. Schauen Sie doch um sich in unserm deutschen Vaterland! Was sehen sie da? Die souverainen Fürsten alle haben sich ihrer Unabhängigkeit begeben, und sind Vasallen Napoleon's geworden; sie gehorchen seinem Willen, sie nehmen von ihm Befehle an, und senden ihre Heere nicht gegen den Feind Deutschlands, sondern gegen die Feinde Frankreichs, gleichviel ob diese Feinde ihre deutschen Brüder sind. Die deutschen Fürsten haben sich vereinigt zu dem Rheinbund, und dieser Bund will nicht die Rheingrenze für Deutschland bewahren, sondern er will vielmehr den Rhein für Frankreich sichern. An dem Hofe Napoleon's suchen die deutschen Fürsten sich Ehre und Macht zu erbetteln, sie verschmähen es nicht, durch Verrath an Deutschland sich ihrem Herrn, dem französischen Kaiser, als getreue Vasallen zu bethätigen, sie üben hier in Wien niedrige Spiondienste, belauern alle unsere Schritte und sind schamlos genug sich für ihre Spionage vom Kaiser Napoleon mit Königstiteln belohnen zu lassen, von ihm deutsche Ländergebiete anzunehmen, die er andern deutschen Fürsten abgenommen hat. Baiern hat es nicht verschmäht sich auf unsere Kosten vergrößern zu lassen, Würtemberg nimmt ohne Erröthen Ländergebiete anderer deutscher Fürsten von Napoleon als Gnadengeschenke dafür an, daß der König von Würtemberg unablässig den Kaiser Napoleon warnt, gegen Oesterreich auf seiner Huth zu sein, und der Gesinnung des Kaisers Franz immer zu mißtrauen Schlosser, Geschichte des achtzehnten Jahrh. Theil VIIa. S. 488. Inmitten des deutschen Reiches sehen wir ein neues französisches Königreich Westphalen erstehen, das aus der an Preußen und Hannover gemachten Beute zusammengesetzt ist, und die deutschen Fürsten dulden das, und die deutschen Völker beugen schweigend ihre Häupter unter das schmachvolle fremdländische Joch! Ach, Nugent, mein Herz ist voll schmerzlichen Zorns, voll verzweiflungsvoller Bitterkeit, denn ich habe den Glauben verloren an Deutschland, und ich sehe schaudernd, daß es hinsterben und zerfallen wird, wie Polen gestorben ist, an seiner eigenen Schwäche! Ach furchtbar, furchtbar, wenn auch wir, wie der unglückliche Koscziuszko sterben müßten mit dem Schmerzensrufe: Finis Germaniae!
Nein, das wird nicht geschehen! rief Nugent, nein, niemals wird Deutschland die Schmach und Entwürdigung Polens ertragen, niemals wird es zerfallen und untergehen wie Polen. Es ist wahr, die Mehrzahl der deutschen Fürsten beugt sich vor der Macht Napoleon's, und sie darf man der Untreue, des Verraths an Deutschland anklagen, aber nicht die deutschen Völker, nicht die Unterthanen der verrätherischen deutschen Fürsten. Diese sind treu geblieben, und sie haben noch nicht den Glauben an das Vaterland verloren. Sie beißen knirschend in die Zügel, welche ihre Zwingherren ihnen angelegt, und in Schweigen, Einigkeit und Gottvertrauen bereiten sie Alles vor zu der großen Stunde der Erhebung, zu dem heiligen Tage, an welchem sie die Zügel zerreißen werden mit der Götterkraft eines einigen selbstbewußten Volkes. Ueberall glüht das Feuer unter der Asche, überall haben sich geheime Gesellschaften und Vereine gebildet, überall giebt es Verschworene, Waffendepots, Erkennungszeichen, überall harren die deutschen Völker nur noch auf den wichtigen Moment zur That, auf das Zeichen zum Aufstand. Und dieses Zeichen erhoffen sie jetzt von Oesterreich! Unsere Waffenrüstungen sind in ganz Deutschland mit freudigem Jubel begrüßt worden, überall macht man sich bereit, um gerüstet zu sein, und das Schwert zu erheben, so bald Oesterreich es erhebt. Das Beispiel Spaniens und Portugals hat die deutschen Völker begeistert zum Widerstand, das Beispiel Oesterreichs wird sie begeistern zum Kampf und Sieg!
Und wir zaudern und zögern noch immer, rief Johann schmerzvoll, wir haben nicht den Muth zur That! Alles ist bereit, es bedarf nur Eines Wortes, und der Kaiser spricht dieses Wort nicht.
Aber die Begeisterung seines Volkes wird ihn und seine Rathgeber bald zwingen, dieses Wort zu sprechen, sagte Nugent. Es giebt jetzt für Oesterreich kein Rückwärts mehr, sondern nur ein Vorwärts. Oesterreich muß Deutschland vorangehen in dem heiligen Kampf um die Freiheit, es kann nicht mehr zurück.
Gott gebe, daß Sie die Wahrheit sprechen, rief Johann, die von Thränen umdüsterten Blicke zum Himmel erhebend, Gott gebe, daß –
Ein leises Klopfen an der Thür, die auf den kleinen geheimen Corridor führte, ließ den Erzherzog verstummen, und seine Blicke fragend und erwartungsvoll dieser Thür zuwenden!
Das Klopfen an derselben wiederholte sich diesmal in einem eigenen raschen Rhythmus.
Das ist Hormayr, rief der Erzherzog freudig, und er eilte zu der geheimen Tapetenthür hin, um sie rasch zu öffnen.
Ein junger hochgewachsener Mann in der Uniform eines höhern österreichischen Offiziers erschien in der geöffneten Thür. Der Erzherzog reichte ihm seine beiden Hände dar, und zog ihn hastig in das Cabinet.
Hormayr, mein Freund, sagte er athemlos, Sie kommen heim aus Tyrol? Sie haben die Sendung, die ich Ihnen gab, glücklich beendet? Sie haben den Tyrolern meine Grüße gebracht? Oh, reden Sie, reden Sie, Freund! Was sagen meine armen verlassenen Tyroler?
Der Freiherr von Hormayr heftete seine dunkeln flammenden Blicke mit einem Ausdruck freudiger Zärtlichkeit auf das bewegte Antlitz des Erzherzogs.
Die Tyroler senden dem Erzherzog Johann ihre Grüße, sagte er, die Tyroler hoffen auf den Erzherzog Johann, als auf ihren Befreier aus der verhaßten, baierischen Herrschaft, die Tyroler glauben, daß die Stunde der Befreiung jetzt für sie gekommen ist, und zum Beweise deß –
Zum Beweise deß? fragte der Erzherzog athemlos, als Hormayr einen Moment inne hielt.
Zum Beweise deß, sagte Hormayr leiser, und sich dichter zu dem Fürsten hinneigend, zum Beweise deß haben mich einige der angesehensten und einflußreichsten Männer von Tyrol hieher begleitet, um Eurer kaiserlichen Hoheit ihre treue Ergebenheit zu bezeugen und ihre Verhaltungsbefehle zu empfangen.
Ist der Andreas Hofer, der Sandwirth, auch dabei? fragte der Erzherzog lebhaft.
Ja, der Andreas Hofer ist dabei, und dann der Wallner und der Speckbacher! Ich bringe Eurer kaiserlichen Hoheit die Hauptvertreter der Tyroler Bauernschaft, und frage nur, wann sie hieher kommen dürfen? Welche Stunde Sie meinen verkleideten Tyrolern zu einer geheimen Audienz bewilligen wollen?
Oh, ich will sie gleich sehen, rief Johann ungeduldig. Mein Herz sehnt sich, in die treuen schönen Tyroler Augen zu schauen, in ihren offenen Angesichtern zu lesen, ob sie mir wirklich noch ihre Treue und ihre Liebe bewahrt haben. Bringen Sie sie her, Hormayr, sogleich, – doch nein ich vergaß, daß es Tag ist, und daß meine Schutzengel Augen haben, um zu sehen, und Ohren um zu hören, und Lippen, um Alles, was hier gehört und gesehen, dem Kaiser, meinem Herrn und Bruder, als fürchterliche verdachterregende Verbrechen zu hinterbringen. Wir müssen also warten, bis meine Schutzengel die Augen geschlossen haben, bis die dunkele und verschwiegene Nacht sich herniedergesenkt hat, und – nun, Conrad, was giebt es? unterbrach sich der Erzherzog, zu seinem Kammerdiener hinblickend, der eben eilig durch die Thür des Vorsaals eintrat.
Kaiserliche Hoheit verzeihen, sagte Conrad, der Laufer Ihrer Majestät der Kaiserin ist da, und hat von Ihrer Majestät Befehl, seine Bestellung unmittelbar an den Herrn Erzherzog selber auszurichten.
Laß ihn eintreten, befahl der Erzherzog, und sofort öffnete Conrad die Thür, und der kaiserliche Laufer erschien auf der Schwelle.
Ihre Majestät die Kaiserin Ludovica lassen dem Herrn Erzherzog ihren Gruß vermelden, sagte der Laufer, sich ehrerbietig dem Erzherzog nähernd. Ihre Majestät danken Sr. kaiserlichen Hoheit für das Buch, welches der Herr Erzherzog ihr geliehen, und senden es mit bestem Dank zurück.
Ein Ausdruck des Erstaunens flog über das Angesicht Johann's, aber er verschwand schnell wieder, und mit ruhigem Lächeln nahm der Erzherzog das kleine versiegelte Packet entgegen, das der Laufer ihm darreichte.
Es ist gut, sagte er ruhig, meinen ergebensten Dank an Ihre Majestät.
Der Laufer trat in den Vorsaal zurück, und Conrad schloß hinter ihm die Thür.
Stellen Sie Sich vor die Thür, Nugent, daß Niemand durch das Schlüsselloch sehen kann, flüsterte Johann, denn Sie wissen wohl, ich traue dem Conrad nicht. Und Sie, Hormayr, bewachen Sie die Tapetenthür.
Die beiden Herren eilten geräuschlos und hastig auf die ihnen angewiesenen Posten. Der Erzherzog aber ließ einen langen, forschenden Blick an den Wänden umhergleiten, als fürchte er, selbst diese seidene Tapete könne irgendwo einem Späherauge sich öffnen, oder einem Dyonisosohr zur Hülle dienen.
Es muß etwas Wichtiges geschehen sein, flüsterte Johann, sonst würde die Kaiserin nicht so offen zu Werke gehen und mir eine Botschaft senden. Ich habe ihr kein Buch geliehen, und Sie wissen, daß wir mit den Damen unserer Partei verabredet haben, nur in den dringendsten Fällen uns direct Nachrichten mitzutheilen. Sehen wir also, was es giebt!
Er zerriß hastig das versiegelte Papier, und zog aus demselben, ein kleines in schwarzen Sammet gebundenes Gebetbuch hervor. Wie er lächelnd in demselben blätterte, flatterte ein kleines Streifchen Papier zwischen den goldgeränderten Blättern hervor und fiel zur Erde.
Das also ist des Pudels Kern, sagte Johann lächelnd, indem er das Papier aufhob, und seine Blicke auf dasselbe richtete. Leer! rief er dann, das Papier auf beiden Seiten betrachtend, nicht ein Wort steht darauf. Es ist nur ein eingelegtes Buchzeichen, weiter nichts. Aber vielleicht steht etwas in dem Buch geschrieben, oder es ist da noch ein anderes Papier –
Nein, kaiserliche Hoheit, flüsterte Nugent einige Schritte von der Thür zurücktretend. Die Fürstin Lichtenstein flüsterte mir gestern im Hofconcert zu, daß sie sich ein vortreffliches Mittel verschafft habe, um nöthigenfalls eine schriftliche Botschaft an ihre Freunde und Verbündeten gelangen zu lassen, und daß, wenn wir von den Damen unserer Partei irgend ein Blättchen weißes Papier erhielten, wir es aufbewahren, und gelegentlich am Kaminfeuer betrachten möchten.
Ach, sympathetische Dinte, rief Johann, nun wir wollen sehen!
Er näherte sich hastig dem Kamin, in welchem ein helles Feuer loderte, und hielt den Streifen Papier dicht an die Flammen. Sofort begannen auf dem weißen Grunde sich einzelne schwarze Punkte und Striche hervorzuheben, die nach und nach immer mächtiger hervortraten, und sich zu zierlichen Schriftzügen gestalteten.
Der Erzherzog folgte mit gespannter Aufmerksamkeit jeder Linie, jedem Buchstaben, der allmälig auf dem weißen Grunde sich abzeichnete und nun las er: »Der französische Gesandte hat für heute Morgen um elf Uhr eine Audienz beim Kaiser erbeten. Ein Courier von Metternich aus Paris ist angelangt, und bringt, wie ich glaube, wichtige Nachrichten. Die Stunde der Entscheidung ist gekommen. Eilen Sie zum Kaiser, bieten Sie Alles auf, ihn zu einem letzten Entschluß zu drängen. Senden Sie zum Erzherzog Carl, fordern Sie auch ihn auf, sich zum Kaiser zu begeben, und eine letzte Entscheidung zu begehren. Ich habe Ihnen vorgearbeitet; ich hoffe, daß der französische Gesandte wider seinen Willen unser Verbündeter sein wird, und durch seinen Trotz und seine Anmaßung vielleicht das erreichen wird, was wir mit unserer Ueberredung und unsern Vernunftgründen bis jetzt nicht erreichen konnten. Eilen Sie! Dies Papier verbrennen Sie!«
Der Erzherzog rief mit einem stummen Wink seiner Hand seine beiden Vertrauten zu sich, und deutete auf das Papier hin. Dann, als sie mit hastigen Blicken die Zeilen gelesen, warf er es in die lodernden Flammen, und wandte sich nach den beiden Herren um, die hinter ihm standen.
Nun, was sagen Sie? fragte er. Soll ich thun, was diese geheimnißvollen Schriftzüge von mir begehren? Soll ich unaufgefordert zum Kaiser gehen?
Die Kaiserin fordert es, und sie ist ebenso besonnen, als sie energisch ist, sagte Graf Nugent.
Ich sage, gleich der Kaiserin, die Stunde der Entscheidung ist gekommen, rief Herr von Hormayr. Eilen Sie zum Kaiser, versuchen Sie es noch einmal ihm das Schwert in die Hand zu drängen, und endlich das langersehnte Wort: »Krieg gegen Frankreich!« seinen widerstrebenden Lippen zu entreißen. Die Männer von Tyrol warten nur auf dieses Wort, um sich zu erheben für ihren Kaiser, und wieder Sein zu werden in Liebe und Treue. Ganz Oesterreich, ja ganz Deutschland hofft auf dieses Wort, welches das Wort der Erlösung sein soll von dem französischen Joch. Oh, mein Herr und mein Fürst, eilen Sie zu dem Kaiser, sprechen Sie zu ihm mit der flammenden Beredsamkeit der Cherubim, lösen Sie den Bann, der auf Tyrol, auf Oesterreich drückt, und es zu Boden hält!
Eben begann die große Pendeluhr, die auf dem Marmorgesims stand, die Stunde anzuschlagen.
Elf Uhr, sagte der Erzherzog, die Stunde also, in welcher der französische Gesandte Audienz beim Kaiser hat. Es ist also die höchste Zeit. Nugent, eilen Sie zu meinem Bruder, beschwören Sie ihn sich sofort zum Kaiser zu begeben, um dieses Eine Mal wenigstens gemeinschaftlich mit mir zu handeln. Sagen Sie ihm, daß Alles auf dem Spiel stände, daß wir Alles wagen müßten, um Alles zu gewinnen! Sie aber, Hormayr, gehen Sie zu meinen lieben Tyrolern, sagen Sie ihnen, daß ich sie heute Nacht um zwölf Uhr hier erwarte, und kommen Sie dann mit ihnen hieher, mein Freund. Wir wollen dann Kriegsrath halten.
Und Ew. Kaiserliche Hoheit vergessen nicht, daß Sie versprochen haben, heute Abend in dem Concert zu erscheinen? fragte Nugent. Ew. Hoheit wissen, unsere Freunde wollen heute Abend nicht blos dem deutschen Altvater der Kunst, Joseph Haydn, einen Triumph bereiten, sondern sie wollen auch die deutsche Musik benutzen, um eine politische Demonstration daraus zu machen, und sie hoffen auf die Gegenwart des kaiserlichen Hofes, um den Kaiser und seine Brüder zu Zeugen der patriotischen Begeisterung Wiens zu machen.
Ich werde sicherlich dabei sein, sagte der Erzherzog lebhaft, und hoffentlich gelingt es den Bemühungen der Kaiserin, auch den Kaiser zu bewegen, daß er das Concert besucht. Nun denn, meine Freunde, ans Werk. Und möge Gott unsern Bemühungen endlich den Sieg verleihen!