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In der großen Aula der Wiener Universität sollte sich heut' ein Fest begeben. Alle Componisten, alle ausübenden Musiker, alle Dilettanten und Musikliebhaber hatten sich zu demselben vereinigt. Die höchsten Namen der Aristokratie und der Kunstwelt standen an der Spitze des Comite's, das zu den Festveranstaltungen zusammengetreten war. Da sah man die Namen der Fürsten Lichnowsky und Liechtenstein, die Gräfinnen Kaunitz und Spielmann, die Namen von Beethoven und Salieri, von Kreutzer und Clementi, und endlich auch die Namen der Dichter Collin und Carpani.
Jeder wollte seinen Theil haben an diesem Fest, denn es galt heute dem Altmeister der deutschen Musik, dem großen Joseph Haydn, eine Huldigung darzubringen, und diese Huldigung fand ihren Vorwand darin, daß man heute in Wien zum fünf und zwanzigsten Mal des Meisters großes Werk: Die Schöpfung, zur Aufführung bringen wollte. Zehn Jahre waren seit der ersten Aufführung und dem ersten Erscheinen des Werks vergangen, und bereits hatte es seinen feierlichen Triumphzug durch ganz Europa gemacht, war es mit einem ungeheuren Erfolg in London und Paris, in Amsterdam und Petersburg, in Wien und Berlin, in allen größern und kleinern Städten Deutschlands zur Aufführung gebracht worden. Ueberall hatte es Entzücken und Bewunderung erregt, überall waren die Herzen erglüht für diese herrliche Musik voll heiliger Begeisterung und kindlicher Jugendfrische, für dieses große Werk des deutschen Componisten Joseph Haydn.
Und heute nun wollte man die Schöpfung in Wien zum fünf und zwanzigsten Mal zur Aufführung bringen, und Joseph Haydn selbst sollte bei dieser Aufführung gegenwärtig sein. Das Fest-Comité hatte ihn zu derselben eingeladen, und Joseph Haydn hatte die Einladung angenommen. Obwohl seine sieben und siebenzig Jahre schwer auf seinem Haupte lasteten, obwohl Alter und Krankheit seinen Rücken gebeugt und seine Kraft gelähmt hatten, mochte er doch der ehrenden Bitte seiner Freunde und Anhänger nicht widerstehen, und dem Fest-Comité, dessen Abgeordnete ihn einzuladen kamen, hatte er mit einem rührenden Lächeln geantwortet: ich werde kommen, um mit der Schöpfung von der Welt Abschied zu nehmen, um meinen theuren Wienern ein letztes Lebewohl zu sagen. Ihr werdet meine Schöpfung noch oftmals singen, aber ich werde sie zum letzten Mal hören!
Zum letzten Mal! Das war das Wort, welches alle Freunde und Verehrer Haydns durchbebte, was Alle mit dem Wunsch erfüllte, den Meister noch Einmal zu begrüßen, ihm eine letzte Huldigung darzubringen. Denn Jeder fühlte, und wußte, daß Haydn die Wahrheit gesprochen, daß sein Ende nahe sei und deshalb wollte Jeder Theil haben an diesem letzten Triumph des Componisten der Schöpfung, den der Tod schon mit seinem unerbittlichen Finger berührt hatte.
Es war daher vor dem Universitätsgebäude ein ungeheures Wogen und Drängen, in einer unabsehbaren Reihe hielten die Equipagen des hohen Adels die Straße entlang; wie ein schwarzer, wogender Strom, mit jedem Moment höher anschwellend, bewegte sich das zu Fuß kommende Publikum an den Häusern und zwischen der doppelten Reihe der Equipagen hindurch dem Eingang des Hauses zu.
Tausende hatten vergeblich an der Kasse noch ein Billet zu kaufen begehrt; nur fünfzehnhundert Zuhörer konnten Raum finden in der Aula und ihren Nebensälen, und vielleicht ebenso viele Tausende waren gekommen, dem Concert beizuwohnen.
Da sie nicht mehr in den Saal Eingang finden konnten, blieben sie auf der Straße stehen; da sie Haydns Musik nicht hören konnten, wollten sie mindestens sein Antlitz sehen, und ihm ihren Willkommengruß entgegen jauchzen.
Ein unendliches Wogen und Drängen aber war auch in den festlich geschmückten Räumen des großen Universitätssaals, Jeder war im festlichen Gewand gekommen, und Freude und Rührung strahlte von allen Gesichtern. Die Freunde reichten einander die Hände und begrüßten sich mit strahlenden Augen, und selbst diejenigen, welche sich nicht kannten, hatten, indem sie ihre Plätze nebeneinander fanden, heute für einander einen freundlichen Gruß, ein wohlwollendes Lächeln, und sahen sich an wie Brüder und Freunde, nicht wie Fremde und Unbekannte.
Denn Jeder fühlte die hohe unausgesprochene Bedeutung dieser Stunde, Jeder fühlte sich heute als ein Deutscher, indem er den deutschen Meister, die deutsche Musik feierte, und Jeder war sich bewußt, daß dies Gefühl des Deutschthums, zu dem sich alle vereinten, jenseits des Rheins als eine gehässige Demonstration würde betrachtet werden, als eine Demonstration der deutschen Herzen gegen den französischen Geist und die französische Anmaßung. Man wollte Frankreich zeigen, daß, wenn Deutschland auch zerstückelt und zerrissen sei, doch die deutschen Herzen noch für Deutschland und für deutsche Kunst schlügen, man wollte in Wien beweisen, daß man von dem großprahlerischen Kriegesgeschrei des Kaisers der Franzosen sich nicht im Mindesten beunruhigt fühle, sondern mit voller Heiterkeit sich dem Genuß der Kunst, der deutschen Kunst noch hinzugeben vermöge. Während von Paris herüber die Drohworte des Kaisers Napoleon als schmetternde Kriegsfanfaren ertönten, wollte man von Wien aus ihm antworten mit den lieblichen Klängen der Musik, und unbekümmert um das Grollen des Löwen jenseits des Rheins, wollte man sich berauschen an dem Jubelgesang der neuen Welt und der neuen Schöpfung.
Alle Vorbereitungen waren jetzt beendet, der Saal prangte im Glanz der Lichter, die von drei riesengroßen Kronleuchtern niederstrahlten, und ihre Reflexe in den großen Spiegeln fanden, welche die Wände bedeckten. Die kaiserliche Loge da drüben war herrlich geschmückt mit Blumenkränzen, den seltensten Topfgewächsen, mit Teppichen und vergoldeten Kandelabern, deren ungeheure Wachskerzen das Innere dieser großen Loge zur Tageshelle erleuchteten.
Der kaiserlichen Loge gegenüber an der andern Seite des Saals erhob sich die ungeheuere Tribüne für die ausübenden Musici, für die achtzig Personen, welche das Orchester, für die hundert Personen, welche das Sängerchor bildeten. Auch diese Alle fühlten sich heute freudig bewegt, auch diese Alle durchglühte heute nicht Künstlerneid und Künstlereifersucht, sondern nur der eine große Wunsch, zur Verherrlichung deutscher Kunst ihren Theil beizutragen. Nicht Sich selber mit und ihre Kunstfertigkeit wollten sie heute hören lassen, sondern die Musik des Meisters und die deutsche Kunst allein wollte man feiern.
Und jetzt war die Stunde gekommen, wo das Werk beginnen sollte. Das Publikum hatte seine Plätze eingenommen, das Orchester hörte auf zu stimmen und einzelne Töne anzuschlagen, die Sängerinnen und Sänger standen bereit, und das Fest-Comité hatte sich hinunter begeben vor die Thür des Hauses, um Meister Haydns Ankunft entgegen zu harren.
Oben öffnete sich eben die Thür der kaiserlichen Loge und die Kaiserin und der Kaiser traten ein, gefolgt von den Erzherzögen und ihrem Hofstaat. Heute zum ersten Mal achtete das Publikum nicht darauf, erhob es sich nicht, um das kaiserliche Paar, um die Erzherzöge zu begrüßen. Niemand hatte heute ihr Eintreten bemerkt, denn Aller Augen waren unverwandt auf die große Flügelthür da drüben gerichtet, durch welche Joseph Haydn eintreten mußte.
Er kam noch immer nicht und bang und ängstlich begann man untereinander zu flüstern, sich leise zu fragen: wird er am Ende doch ausbleiben? Wird sein Arzt ihm nicht erlauben, der Aufführung beizuwohnen, weil die Aufregung ihm vielleicht schaden könnte?
Aber auf einmal ward die Stille durch ein Geräusch unterbrochen, das wie das Brüllen und Brausen der Meereswogen von der Straße herauf rauschte, immer höher anschwoll und mit seinen machtvollen Orgeltönen die Fenster des Saals klirren machte.
Und das Publikum athmete freudig auf, alle Gesichter lächelten, Aller Blicke wandten sich der Thür zu.
Jetzt öffnete sich diese Thür und in derselben erschien eine schöne seltsame Gruppe. In der Mitte auf den Schultern von acht jungen starken Männern erhob sich ein Lehnstuhl, geschmückt mit Blumenguirlanden und Kränzen, und in diesem Lehnsessel saß die kleine zusammengekrümmte Gestalt eines Greises. Sein Antlitz war verfallen und bleich, und über seiner Stirn hatten die sieben und siebenzig Jahre, welche er gelebt, ihre Furchen gezogen, aber aus seinen großen blauen Augen strahlte ein unvergängliches Jugendfeuer, und das Lächeln seines Mundes hatte etwas Kindliches und Rührendes zugleich. Zur Rechten seines Lehnstuhles sah man eine stattliche Mannsgestalt, einfach und schmuckhaft gekleidet, aber mit einem Haupt voll Würde und Majestät, das Antlitz düster und wild, die hohe Stirn umwallt von einem Wust dichter, wild emporgesträubter Haare, die Augen flammend in düsterm Feuer, und dann wieder milden Blickes um sich schauend. Das war Ludwig van Beethoven, den Haydn gern seinen Schüler zu nennen pflegte, und dessen Ruhm schon damals weit über die Grenzen Oesterreichs gedrungen war. –
Zur Linken des Lehnstuhls sah man das schöne scharf markirte ausdrucksvolle Gesicht Salieris, der sich selber gern den Schüler Glucks zu nennen pflegte, und neben diesen Beiden gingen Kreutzer und Clementi, und die übrigen Theilnehmer des Fest-Comités.
Ein unermeßlicher Jubel begrüßte die Nahenden, das ganze Publikum erhob sich von seinen Sitzen, selbst die Kaiserin Ludovica richtete sich rasch von ihrem vergoldeten Fauteuil empor, und neigte sich lächelnd und grüßend hernieder, und Erzherzog Johann trat dicht bis an die Brüstung der Loge vor, um Joseph Haydn, der hoch über den Häuptern der Menge auf seinem Lehnsessel dahin schwebte, wieder und immer wieder mit freundlichem Kopfneigen und lebhaftem Winken der Hand grüßen zu können. Kaiser Franz aber, neben seiner Gemahlin stehend, schauete mit einem leisen Ausdruck von Spott auf das frohe Menschengewühl nieder, und sich dann seiner Gemahlin zuneigend, sagte er: am End' halten meine guten Wiener den Haydn auf seinem Thronsessel da für ihren Kaiser, und ich selber kann halt nach Haus gehen und abdanken. Uns haben's heut gar nicht angesehen, und um den da machen's eine Wirthschaft, als wenn der liebe Herrgott selber in den Saal 'nein käm'.
In der That, der Jubel des Publikums steigerte sich bei jedem Schritt, den der Zug vorwärts that, und eine nicht endende Salve des Beifalls begleitete den Componisten bis zu seinem Platz, den man unmittelbar vor dem Orchester auf einer Estrade bereitet hatte.
Hier traten ihm zwei schöne Damen der höhern Gesellschaft entgegen und überreichten ihm auf goldgesticktem Sammetkissen auf seidenen Bändern gedruckte Gedichte, die von Collin und Carpani verfaßt waren. Zu gleicher Zeit flatterten diese Gedichte in vielen hundert Exemplaren über den Saal hin, und Alles rief und jubelte: es lebe Joseph Haydn, der deutsche Meister!
Und das Orchester schmetterte einen jubelnden Tusch dazu, und lauter und stürmischer wiederholte das Publikum seinen Liebesgruß.
Joseph Haydn, überwältigt, mit Thränen in den Augen, ließ sein Haupt an die Lehne des Sessels zurücksinken. Eine Todesblässe bedeckte seine Wangen und seine Hände zitterten, wie im Fieberfrost.
Meister, lieber, theurer Meister, fragte die Fürstin Esterhazy, sich zärtlich über ihn neigend, fehlt Ihnen etwas? Sie zittern und sind bleich. Ist Ihnen unwohl?
Nein, o nein, sagte Haydn mit einem sanften Lächeln, der Geist ist selig und freut sich dieser Stunde, welche ein köstlicher Lohn ist für ein langes Leben voll Arbeit und Müh'! Der Geist ist selig, aber er wohnt in einer so schwachen jämmerlichen Hülle, und weil der Geist glüht im Feuer der Wonne, hat sich all' die Gluth und Wärme zu ihm hingezogen, und die arme sterbliche Hülle friert und zittert.
Die Fürstin Esterhazy riß mit einer ungestümen Bewegung den kostbaren türkischen Shawl, der ihre Gestalt umhüllte, von ihren Schultern, und breitete ihn vor Haydn aus, und hüllte sorgsam seine Füße in denselben ein.
Sofort folgten die Fürstinnen Liechtenstein und Kinsky, die Gräfinnen Kaunitz und Spielmann ihrem Beispiel. Sie nahmen ihre schönen Zobelpelze, ihre türkischen und persischen Shawls ab, und hüllten damit den Greis ein, und machten daraus Kissen, mit denen sie sein Haupt, seine Arme stützten, oder die sie als Decke über ihn ausbreiteten. Siehe: Zeitgenossen. Dritte Reihe. Band IV. S. 32.
Haydn ließ es lächelnd geschehen, und dankte nur den schönen Damen, die mit geschäftiger Zärtlichkeit um ihn sich mühten, mit Blicken voll Rührung und Freude.
Warum sterb' ich nicht jetzt? sagte er leise vor sich hin, warum küßt nicht der Tod meine Lippen in dieser Stunde des seligen Triumphes meiner Kunst? Oh komme doch Tod, führe mich auf seligen Schwingen in die andere Welt, denn hier in dieser Welt bin ich nichts mehr nütze, meine Kraft ist hin, mein Kopf hat keine Gedanken mehr. Ich lebe nur noch von der Vergangenheit.
Und doch leben Sie für alle Zukunft, Meister, sagte Fürstin Esterhazy glühend, und so lange man deutsche Kunst und deutsche Musik ehrt und liebt, wird Joseph Haydn nimmer sterben und nimmer vergessen werden.
Aber jetzt auf einmal trat eine tiefe Stille ein. Salieri hatte seinen Platz als dirigirender Kapellmeister eingenommen, und gab jetzt dem Orchester das Zeichen des Beginnens.
In athemlosem Schweigen horchte das Publikum auf dieses Gewirre von Tönen, welche in meisterhafter Tonmalerei das Ringen der Dunkelheit und des Lichts, das Chaos der Elemente bezeichnet.
Immer gewaltiger wühlen diese Elemente durcheinander, immer machtvoller brausen und toben die ungeschiedenen Mächte des Chaos in düsterer grollender Gewalt durcheinander, plötzlich ist es, als ob der Horizont sich kläre, als ob die Wolken zerreißen, als ob die dissonirenden Stimmen sich einen zu edler Harmonie, und in glühendem Freudenstrahl tönt es jauchzend und wonnig, durch die ringende Welt das große, erlösende Wort: »es werde Licht«! Und jubelnd fallen alle Stimmen ein, und brausen es in seligen Jubel-Accorden nach: es werde Licht!
Das Publikum, hingerissen von der Größe, der tiefsinnigen Gewalt dieser Töne, brach aus in langanhaltenden lauten Beifall.
Haydn achtete nicht darauf, er hörte nur seine Musik, er hörte sie mit seiner Seele, seinem ganzen Empfinden; sein Antlitz strahlte wie in einer Verzückung und seine beiden Arme gen Himmel erhebend, sagte er fromm und bescheiden zugleich: »Das kommt von dort. Zeitgenossen S. 32.«
Das Publikum hatte dies laute begeisterte Wort vernommen, es applaudirte nicht mehr, aber es blickte mit andächtigem Schweigen auf den Greis hin, der inmitten seines höchsten Triumphes Gott allein die Ehre gab, und sich fromm und demüthig neigte vor dem Werk seines eigenen Genie's.
Die Musik rauschte weiter. Aber Joseph Haydn hörte sie kaum noch. Sein Haupt lag zurückgelehnt auf dem Sessel, sein Antlitz, das ein seliges Lächeln verklärte, war todesbleich, seine Augen starrten mit glühenden Dankesblicken zum Himmel empor, und schienen in seligem Schauen alle Himmel offen zu sehen.
Meister, sagte die Fürstin Esterhazy, als der erste Theil beendet war, Meister, Sie dürfen nicht länger unter uns weilen, Sie müssen wieder heimkehren in Ihr stilles Haus.
Ja, in das stille Haus, welche uns Alle erwartet, dahin werde ich heimkehren, sagte Haydn sanft, und ich fühl' es wohl, ich werde nicht länger unter den Menschen weilen. Es kommt über mich wie ein süßer Traum. Läßt den zweiten Theil beginnen, und auf den Flügeln meiner Musik wird mein Geist sich zum Himmel aufschwingen.
Aber die Fürstin Esterhazy winkte den Freunden. Führt ihn hinweg, die Aufregung wird ihn tödten, wenn er länger bleibt.
Sie näherten sich seinem Stuhl und baten ihn, zu gestatten, daß man ihn nach Hause geleite. Haydn nickte stumm und lächelnd Gewährung, und sein Auge glitt mit träumerischem Blick durch den Saal hin.
Plötzlich durchzuckte es wie ein jäher Schreck seine ganze Gestalt, er richtete sich ungestüm empor, daß die Zobelpelze und die türkischen Shawls von ihm abfielen und zur Erde niederrauschten. Sein Antlitz röthete sich, wie im Glanz der Abendsonne, seine Augen blickten strahlend empor, dorthin nach der Loge, dorthin nach seinem Kaiser, seinem Herrn, den er so lange geliebt, so lange in seinem Herzen gefeiert, um den er geweint in den schlimmen Tagen, für den er gebetet und gesungen alle Zeit. Jetzt sah er ihn, ihn, der für ihn das Vaterland, die Heimath, die irdische Gerechtigkeit repräsentirte, ihn den Kaiser, und er fühlte, daß es zum letzten Mal sei, und Abschied wollt' er nehmen in dieser Stunde von der Welt, von dem Vaterland und von seinem Kaiser!
Mit kräftiger Hand wehrte er die Freunde zurück, die ihn halten, die ihn wieder in den Sessel zurückdrängen wollten. Er war jetzt nicht der schwache hinfällige Greis, er fühlte sich kräftig und stark, und mit raschen Schritten eilte er vorwärts, gerad' hindurch durch das Orchester, gerad' hin zu den Platz des Dirigenten, zu dem Clavier, das dort aufgestellt war. Nun legte er seine Hände, die nicht mehr zitterten, fest auf die Tasten, und schlug einen vollen Accord an. Sein Antlitz war fest und unverwandt nach der kaiserlichen Loge hingerichtet, seine Augen strahlten vor Liebe und Entzücken, und mit begeisterter Kraft begann er jetzt sein Lieblingslied zu spielen, dieses Lied, das er vor zehn Jahren in den Tagen der Bedrängniß Oesterreichs componirt, und das er seitdem jeden Tag gesungen, dieses Lied: Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz! Und das Publikum erhob sich von seinen Plätzen, und blickte tiefbewegt auf das strahlende verklärte Antlitz Joseph Haydn's hin, und dann hinüber zu dem Kaiser, der lächelnd in seiner Loge stand, zu der Kaiserin, über deren durchsichtig blasse Wangen zwei große Thränen niederrollten, und wie aus Einem Munde begannen jetzt diese Hunderte und Hunderte mit lauter Stimme zu singen:
Gott erhalte Franz den Kaiser
Unsern guten Kaiser Franz,
Lange lebe Franz der Kaiser
In des Glückes hellem Kranz.
Ihm erblühen Lorbeerreiser,
Wo er geht, zum Ehrenkranz
Gott erhalte –
Joseph Haydn's Hände sanken kraftlos herunter von den Tasten, seine Gestalt schwankte hin und her, und halb ohnmächtig sank er in die Arme Salieri's und Kreuzer's zurück.
Der Gesang des Publikums verstummte, man vergaß das Kaiserlied und hatte nur noch Aug' und Sinn für den alten ehrwürdigen Meister, der jetzt von Salieri und Kreuzer sanft in den herbeigebrachten Lehnstuhl niedergelassen ward.
Bringt mich nach Hause, Ihr Lieben, sagte er matt, singt Euch meine Schöpfung weiter, mein Geist weilt unter Euch, aber mein Körper kann es nicht mehr! Die Jahre haben ihn gebrochen! Lebt wohl! Lebt Alle wohl! Mein Geist wird immer unter Euch sein, wenn Ihr meine Musik singt, der Körper schwindet, aber der Geist bleibt. Lebt wohl!
Und die Jünger der Kunst, welche ihn hergeleitet, hoben den Greis in seinem Lehnstuhl wieder auf ihre Schultern, und langsam trugen sie ihn durch den Saal der Ausgangsthür zu.
In schweigender Ehrfurcht stand das Publikum und schaute empor zu der vorüberschwebenden Gestalt Haydn's, und wagte nicht, durch einen Laut die tiefe, ehrfurchtsvolle Stille zu unterbrechen. Nur mit Seufzen, mit leisem Neigen des Hauptes, mit Thränen der Rührung nahm man Abschied von dem allgeliebten und verehrten Greise, Abschied für immerdar!
Jetzt war der feierliche Zug bis zu der Thür gelangt. Joseph Haydn richtete noch einmal das müde Haupt empor, der Geist flammte noch einmal in seinen Augen auf, ein Ausdruck unaussprechlicher Liebe strahlte von seinem milden Angesicht, er streckte beide Arme wie segnend gegen das Orchester aus und grüßte es mit seinem Lächeln, mit dem Nicken seines Hauptes, mit den Thränen, die in seinen Augen standen. Siehe: Zeitgenossen. Dritte Folge. Bd. IV. S. 33.
Durch den Saal ging es wie ein leises Rauschen und Schluchzen, Niemand hatte den Muth in die Hände zu klatschen, jedes Herz war bewegt, jedes Auge von Thränen umdüstert.
Aber jetzt war er fort, jetzt schloß sich die Thür hinter Joseph Haydn. Der deutsche Meister hatte heute inmitten des begeisterten Wiener Publikums seine Apotheose gefeiert. Das Leben hatte ihm den Lorbeerkranz geweiht, welchen den Dichtern und Künstlern gemeinhin der Tod erst zu bewilligen pflegt.
Das Publikum war noch still in sich versunken, als auf einmal eine laute mächtige Stimme rief: Laßt uns den zweiten Vers aus Haydn's Lieblingslied singen, den zweiten Vers von: Gott erhalte Franz den Kaiser!
Ja, ja, rief und jauchzte Alles, den zweiten Vers! den zweiten Vers!
Hundert und hundert Stimmen riefen es bittend, tobend, gebieterisch dem Orchester zu und jetzt begann dieses in schmetternden Tönen die Melodie anzustimmen.
Das Publikum dankte mit einer Beifallssalve und sang dann stehend diesen zweiten Vers:
Laß von Seiner Fahne Spitzen,
Strahlen Sieg und Furchtbarkeit!
Laß in Seinem Rathe sitzen
Weisheit, Klugheit, Redlichkeit,
Und mit Seiner Hoheit Blitzen
Schalten nur Gerechtigkeit,
Gott erhalte Franz den Kaiser
Unsern guten Kaiser Franz.
Der Kaiser neigte sich dankend hinunter nach dem Publikum hin, das Orchester begann die Melodie aufs Neue anzustimmen und aufs Neue sang das Publikum:
Laß von Seiner Fahne Spitzen
Strahlen Sieg und Furchtbarkeit!
Und flehend hoben sich hier und dort Arme und Hände zu dem Kaiser empor, – vergebens wollte das Orchester die Melodie weiter fortführen, das Publikum begann in seltener Einmüthigkeit, von Einem Gefühl, Einem Wunsch beseelt, immer und immer wieder zu fingen:
Laß von Seiner Fahne Spitzen
Strahlen Sieg und Furchtbarkeit!
Und Krieg, Krieg! tönte es jetzt laut, flehend, zürnend und muthig zugleich durch den Saal. Krieg! Krieg! Laß von Seiner Fahne Spitzen, Strahlen Sieg und Furchtbarkeit!
Immer gewaltiger, immer kühner ward die allgemeine Erregung. Das Publikum drängte sich von seinen Plätzen der kaiserlichen Loge zu und hob die gefallenen Hände zu dem Kaiser empor und wiederholte immer und immer wieder dieselben Worte: Laß von Seiner Fahne Spitzen, Strahlen Sieg und Furchtbarkeit!
Der Kaiser zog sich verwirrt in den Hintergrund der Loge zurück und sprach dann rasch einige Worte zu dem Erzherzog Johann.
Dieser schritt rasch an die Brüstung der Loge vor und winkte Ruhe gebietend mit der Hand hinunter. Sofort verstummte der Gesang und inmitten der athemlosen Stille, die jetzt eintrat, rief jetzt Erzherzog Johann mit lauter, mächtiger Stimme: Der Kaiser läßt seinen vielgeliebten Wienern vermelden, daß er entschlossen ist, den Uebermuth Frankreichs nicht länger zu dulden, und daß der Krieg jetzt eine beschlossene, unumstößliche Sache ist!
Ein einiger Schrei des Entzückens tönte von Aller Lippen, Alles jauchzte und jubelte: Krieg! Krieg! Wir werden dem Uebermuth des französischen Kaisers endlich Trotz bieten! Wir werden Krieg haben mit Frankreich, wir werden die Unbill rächen, die wir so lange erduldet und dem Uebermuth Frankreichs eine Grenze setzen.
Und mit strahlenden Augen, mit glühenden Wangen begrüßten sich die Freunde und Bekannte, reichte der Nachbar seinem unbekannten Nachbar die Hände und lächelte ihm zu: endlich, jetzt wird der Krieg beginnen! Endlich werden wir unsere deutsche Ehre frei machen und rein waschen von den Flecken, die Frankreich uns angeheftet. Endlich beginnt der Krieg und Gott wird ihn segnen, Gott –
Die schmetternden Klänge des Orchesters machten das freudig aufgeregte Publikum verstummen. Salieri hatte wieder seinen Platz eingenommen, er hob den Taktirstock und der zweite Theil der Schöpfung begann.