Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Abend des achten April dämmerte herauf; die untergehende Sonne warf schon ihre letzten rothen Strahlen auf die fernen hohen Bergmassen des Jauffen und des Timbler Joches, deren blutrothe Spitzen wunderbar strahlend sich abhoben gegen den tiefblauen klaren Himmel. Aber tiefer die Berge hinunter begann es schon zu dämmern, die Tannen, die wie kühne Gemsen der Pflanzenwelt bis hoch hinauf zu den Bergen geklettert waren, hatten die grauen Schleier der Dämmerung übergeworfen, drunten aber im Passeyr-Thal herrschte schon völlige Nacht, denn die Berge hüben und drüben warfen ihre Schatten schwer über das Thal hin und nur die wilde rauschende Passer, die von der Höhe der Berge brausend durch das Thal hinschießt, erglänzte wie ein silbernes Band durch die tiefen Nachtschatten des Thals. Von den Kirchthürmen der kleinen Oertchen St. Leonhard und St. Martin, die zu beiden Seiten das Thal begrenzten, tönte das feierliche Geläute der Abendglocken, hier und da in den Bergschluchten ein leises, schläfriges Echo erweckend, und zuweilen vernahm man von irgend einer Bergspitze einen lauten freudigen Jodler, mit dem vielleicht irgend ein Tyroler Jäger seinen Lieben drunten im Thal seine baldige Heimkehr verkündete. – Immer tiefer sanken die Schatten über das enge Passeyrthal dahin, und wie Glühwürmer so hell leuchteten jetzt die Lichter in den Häusern von St. Leonhard und St. Martin durch die Dunkelheit daher.
Aber nicht blos da drunten im Thal, auch weiter aufwärts, die Bergwand hinauf, leuchteten hier und da einzelne Lichter auf, auch in dem einsam belegenen Haus dort auf der Höh', zwischen den beiden Städtchen recht in der Mitte gelegen, sah man hellen Lichterschein, und die Leute, die da unten im Thal vorübergingen, die schauten empor und sagten leise zu einander: der Andreas Hofer ist daheim und hat viele Gäste bei sich, wie's scheint, denn alle Fenster seines schmucken Hauses sind erleuchtet.
Dem Andreas Hofer gehörte also das einsame Haus auf der Höh', das »Gasthaus zum Sand«, im ganzen Tyrol berühmt und bekannt.
Und die Leute hatten recht vermuthet. Der Andreas Hofer war daheim und er hatte Gäste bei sich. Ringsum auf den Bänken der großen Wirthsstube saßen seine Gäste, schmucke Tyroler Männer mit brennenden Augen und lebhaften Gesichtern, die Alle dem Sandwirth zugewandt waren, der da drüben an dem kleineren Tische saß, und leise sich mit seinen Freunden, dem Eisenstecken und dem Sieberer unterhielt. Eine allgemeine Spannung schien in dem Kreise der Gäste zu herrschen, kein Mund öffnete sich zu fröhlichem Scherz, keins von den heitern neckischen Liedern, wie sie sonst die Tyroler so gern zu singen pflegten, ertönte, und selbst an die schmucken Töchter des Sandwirths, die mit geräuschloser Geschäftigkeit umherschlüpften, um die geleerten Bierkannen wieder zu füllen, selbst an diese wagte man kein scherzend Wort zu richten.
Es scheint, murmelte jetzt der Anton Sieberer, es scheint, sie haben's abermals in Wien verschoben und wir werden umsonst auf Botschaft warten. Es geht also wieder nit los und damit ist denn Alles aus.
Ich glaub's nicht, sagte Hofer ernst, und laut genug, um von Allen verstanden zu werden. Verzaget nur nicht, Ihr lieben Freund'! Sie werden uns in Wien schon Wort halten, denn der gute brave Erzherzog Hannes hat mir im Namen des Kaisers sein Wort geben, daß er den Tyrolern, wann sie sich zum neunten April in Bereitschaft setzen zum Ausbruch, dann helfen und beistehen und österreichische Truppen in's Land senden will. Wollet Ihr denn zweifeln, Ihr Lieben, an dem Wort des guten Kaisers und des guten Erzherzogs, der uns doch allzeit lieb gehabt hat?
Nein, nein, wir wollen nit zweifeln, riefen die Tyroler, wie aus einem Munde.
Der Bote wird schon kommen, wartet nur, fuhr Hofer mit freundlichem Kopfnicken fort, der Tag ist ja noch nit zu End' und bis Mitternacht können wir zuvor noch viele Krüge Bier ausleeren und noch manches Pfeifel rauchen. Anna Gertrud, sorg', daß den Männern gut eingeschenkt werde.
Anna Gertrud, eine schöne stattliche Frau von sechsunddreißig Jahren, mit frischen Wangen und lebhaften braunen Augen, hatte eben vor ihren Mann einen neuen mit schäumendem Bier gefüllten Krug hingestellt und sie nickte jetzt ihrem Anderl zu, mit einem Lächeln, das zwei Reihen glänzend weißer Zähne sehen ließ.
Werd' schon mitsammts den Mädels für die Gäste sorgen, sagte sie, aber die Mannsen trinken halt nit! Die Bierkrüg' seind alle gefüllt und sie leeren sie nit aus, und – schau, wer kommt denn da an?
Andreas Hofer wandte sein Haupt nach der Thür hin, dann stieß er einen Schrei der Ueberraschung aus und sprang auf.
Halloh, rief er, ich denk', das ist halt der Bote, auf den wir warten!
Und er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf die kleine dunkle Gestalt hin, die eben in die Stube trat.
Das ist der Major Teimer, fuhr er frohlockend fort, Ihr kennt doch unsern lieben Major von 1805 wohl noch?
Hurrah, Martin Teimer ist da, riefen die Tyroler, von ihren Sitzen aufspringend und Alle nach dem neuen Ankömmling hineilend, um ihm die Hände darzureichen und ihn freudig willkommen zu heißen.
Martin Teimer dankte mit Wort und Gruß nach allen Seiten hin und ein Strahl innerer Befriedigung leuchtete aus seinen klugen blauen Augen.
Hab' mir's wohl gedacht, daß ich all' die tapfern Männer des Passeyrthales heut' Nacht beim Anderl treffen würde, sagte er, und so begrüß ich Euch denn Alle auf einmal, Ihr lieben Kriegskameraden vom Jahr 1805. Damals war's für uns ein unglücklich Jahr, aber ich denk' halt, die Neun soll besser werden als die Fünf, und was wir damals verloren, das wollen wir uns heute wieder gewinnen.
Ja, bei Gott, das wollen wir uns wieder gewinnen, riefen die Tyroler, und Andreas Hofer legte seinen Arm auf Teimer's Schulter und blickte ihm tief in die Augen.
Sag', Martin Teimer, ist's so weit? fragte er, bringst Du uns Botschaft?
Ich bring' Euch Botschaft und es ist so weit, sagte Teimer feierlich. Unser Landsmann, der Hormayr, den sie in Wien jetzt zum Hofcommissair und Intendanten der nach Tyrol bestimmten österreichischen Truppen ernannt haben, der sendet mich zu Andreas Hofer und ich soll ihm sagen, daß die österreichischen Truppen unter Anführung des Marquis von Chasteler und des Generals Hiller diese Nacht die Grenzen von Tyrol überschreiten werden.
Hurrah, Juchhe, die Oesterreicher kommen, jubelten die Tyroler, ihre spitzen Hüte hoch über ihren Häuptern emporschwenkend. Jetzt geht's los, die Oesterreicher kommen und die Baiern, die jagen wir aus dem Land. Auch das Antlitz Andreas Hofer's strahlte vor Freude, aber statt zu jodeln und zu jauchzen, ward er still und hob langsam die Blicke zum Himmel empor und faßte mit beiden Händen nach dem Crucifix, das auf seiner Brust ruhte.
Lasset uns beten, meine Freunde, sagte er laut und feierlich, lasset uns unserm lieben Herrgott und unserm heiligen Schutzpatron danken in der Stille unsers Herzens.
Die Männer verstummten und gleich Andreas Hofer falteten sie ihre Hände und gleich ihm neigten sie ihre Häupter auf ihre Brust und bewegten ihre Lippen in leisem, inbrünstigem Gebet.
Dann nach einer langen Pause richtete Hofer sein Antlitz wieder empor. Und nun, Ihr Mannsen, hört, was ich Euch zu sagen hab', rief er frohmüthig, ich hab' Euch Alle zu mir geladen, weil Ihr die ersten und angesehensten Männer aus der Gegend seid und weil's Vaterland Euch braucht und auf Euch wie auf mich rechnen kann. Die Schützen von Passeyr haben gesagt, daß, wenn's los geht, ich der Anführer sein müßt und ich hab's angenommen, weil ich denk', daß Jeder sein' Haut und sein Leben für's Vaterland wagen muß und sich auf die Stell' stellen muß, wo er was nützen kann. Aber wenn ich der Anführer sein soll, so müßt Ihr Alle mit mir anführen und mit mir dasselbe wollen und Alle müssen wir einig sein in unserm Gewissen, und nichts Anderes wollen: als das Vaterland befreien und zu dem guten Kaiser wieder zurückkehren!
Wir wollen auch nichts Anderes, riefen die Männer Alle.
Ich weiß es wohl, sagte Andreas Hofer treuherzig. So wollen wir denn nun an's Werk gehen und die Botschaft durch ganz Tyrol schicken, daß die Oesterreicher kommen und daß es Zeit ist! Sag' Teimer, hast nichts Schriftliches bei Dir?
Hier ist ein Brief von Hormayr, sagte Martin Teimer, ein großes versiegeltes Papier hervorziehend.
Andreas nahm ihn und entfaltete ihn rasch. Aber während er las, zog ein leiser Schatten über sein Antlitz hin und einen Moment warf er einen schnellen, forschenden Blick hinüber auf das kluge Antlitz Martin Teimer's; als er aber dem lauernden, forschenden Blick desselben begegnete, wandte er rasch wieder die Augen dem Papier zu.
Nun, sagte er dann, mit der rechten Hand auf das Papier schlagend, es stehet Alles da d'rin geschrieben, wie wir's wünschen. Losbrechen sollen wir, denn morgen rücken die Oesterreicher über die Grenzen. Der General von Chasteler kommt aus Kärnthen in's Pusterthal, der General Hiller rückt von Salzburg her nach Unterinnthal; der Erstere gedenkt in vier Tagen in Brixen zu sein, der Letztere will in eben so vieler Zeit in Innsbruck anlangen. Ich und der Martin Teimer hier, der jetzt nit mehr der Oeconom und Tabakverleger von Klagenfurth ist, sondern der Major Teimer, wie er es im Krieg vor vier Jahren war, wir Beid' sollen hier im Tyrol Alles leiten und anordnen, und auf uns ist die Verantwortung gelegt, zu sorgen, daß der Aufstand jetzt schnell von einem End' des Tyrolerlandes bis zum andern hell aufflammt, und daß es ein Feuer ist, an dem alle Baiern und Franzosen sich verbrennen, oder vor ihm Reißaus nehmen. So helfet uns Beiden denn, Ihr Männer, daß die Botschaft schnell über Berg und Thal dahin fliegt, und alle Herzen sich erheben, und alle Arme sich rühren zum großen Werk der Befreiung. Die Mannsen, die sollen den Stutzen nehmen, die Weiber und Mägde, die sollen auf die Berg' hinauf-, und in die Thäler hinabsteigen, und sollen 'ne geschriebene Botschaft durch's ganze Land hintragen, wie wir's in den Versammlungen verabredet haben, daß es sein soll. Und jetzt will ich, wie ich's mit dem Hormayr in Wien verabredet hab', ein Rundschreiben erlassen an alle Freund', damit sie wissen, was sie zu thun haben. Ist Jemand unter Euch, der richtig und gut zu schreiben weiß, und dem ich dictiren kann? Denn mein' eigen Handschrift ist nit die schönste, und was i' schreib' ist wohl richtig gedacht, aber nit richtig buchstabirt für die gelehrten Leut'. Kann's also Einer richtig und fein aufschreiben, was ich zu sagen hab', der meld' sich!
Ich meld' mich, sagte ein junger Mann, aus der Reihe der Anderen hervortretend.
Des Seewirths Johann Ennemoser sein Sohn, der Joseph Ennemoser, sagte Andreas Hofer lächelnd. Glaub's halt' schon, daß Du's Schreiben verstehst, bist ja ein vornehmer Herr worden, der sich auf die Gelahrtheit legt, und in Innsbruck auf der Hochschule sich zum Doctor studirt.
Aber bin doch ein gut Tyroler Bergkind geblieben, und die Gelahrtheit häng' ich an den Nagel, so lang' bis Ihr nachher den Stutzen könnt' wieder d'ran hängen. Behalt' blos meine Feder jetzt, und bin des Andreas Hofer gehorsamster Schreiber. Joseph Ennemoser, gebürtig aus Tyrol, der Sohn des Schneiders Ennemoser, des Seewirths aus dem Passeyrthal. Als Knabe war er Viehhirt, sein Vater gab ihn auf das Gymnasium nach Innsbruck, dann bezog er die dortige Hochschule als Student der Medizin, war 1809 Andreas Hofer's Schreiber und später berühmter Professor der Medizin an der Universität in München.
So setz' Dich denn, mein Buebli, und schreib. Findest dort im Tischschub' Alles bereit, Feder und Papier. Nimm's und i' will Dir dictiren!
Und unter dem andächtigen Schweigen der Männer, langsam auf- und abgehend, und sich mit der Rechten den langen, lockigen Bart streichend, begann Andreas Hofer seine »Offene Ordre« zu dictiren, die also begann:
»Am neunten April früh Morgens marschiren Herr General Hiller aus Salzburg nach Unterinnthal und Herr General Chasteler aus Kärnthen nach Pusterthal in Eilmärschen. Am elften oder zwölften April wird ersterer in Innsbruck, und letzterer in Brixen eintreffen; – die Mühlbacher Klause wird auf Befehl des Erzherzogs Johann Königliche Hoheit von Pusterthaler Bauern, der Kuntersweg von Rittnern, doch so besetzt, daß Alles, was aus Botzen nach Brixen marschirt, passiren gelassen, und erst dann die allerstrengste und wirksamste Sperre angelegt werde, sobald man bemerkt, daß sich das bairische Civil oder Militair aus Brixen nach Botzen flüchten will. Aber es darf dann gar nichts mehr vorbei gelassen werden!«
Während Andreas Hofer mit fester Stimme und ernstem, nachdenklichem Gesicht seine offene Ordre dictirte, standen die Bauern staunend vor Bewunderung, mit fast scheuer Ehrfurcht ihn anstarrend, und seiner Umsicht und Gelehrtheit sich freuend. Daß Hofer zuweilen einen langen, forschenden Blick auf den Brief von Hormayr heftete, den er noch immer in der Hand hielt, das störte sie gar nicht in der Bewunderung ihres Erwählten, und lange noch, als er geendet, schwiegen sie, und starrten ihn an.
So, sagte Andreas jetzt, nun wollen wir Beid', der Martin Teimer und ich, unsere Namen unter diese offene Ordre setzen, dann wird der Ennemoser sie rasch ein halb Dutzend Mal abschreiben, und sechs von Euch Männern nehmen die Abschriften und tragen sie zu den Vertrauten, die schon darauf warten, um wieder ihren Vertrauten weiter unten im Land das Zeichen zu geben. Du, Jörg Lanthaler, Du trägst die Ordre zum Joseph Speckbacher am Kufstein hin, Du, Joseph Guster, bringst sie dem Schildhofbauer, Du, Jörg Steinhauferle, gehst nach Windisch-Matrey zu Anton Wallner, dem Aichberger hin. – Schnell, schnell, Ihr Lieben, es ist kein' Zeit zu verlieren, Nacht und Tag müßt Ihr marschiren, nit ruhen dürft Ihr, und nit rasten, denn das Werk muß gethan werden, und es muß halt' einschlagen auf die Baiern rasch wie der Blitz und auf einmal im ganzen Land! –
Und auch ich will mich jetzt wieder aufmachen, Botschaft zu tragen durch's Tyroler Land, sagte Martin Teimer. Bin seit zwei Wochen umher gegangen durch ganz Tyrol, und hab' überall geworben für unsere Sach', und hab' Alles vorbereitet, und weiß jetzt, daß wir uns auf alle Tyroler verlassen können. Sie warten nur auf's Zeichen, und das müssen wir ihnen bringen. Hier, da habt Ihr ein Packet; da d'rin sind lauter Zettel, und auf jedem steht geschrieben: 's ist an der Zeit! – Nun nehmt Euch jeder eine Hand voll von den Zetteln und tragt sie zu Euren Weibern und Kindern, und heißt sie damit umhergehen in der Gegend, und sie überall vertheilen. Auch der Speckbacher und der Wallner haben ein solch Packet Zettel, und sobald unsere getreuen Boten ihnen unsere »offene Ordre« gebracht, werden sie auch ihre Weiber und Kinder umhersenden, und in Berg und Thal wird's dann heißen: 's ist an der Zeit! Wir müssen die Baiern verjagen! Ich geh' jetzt fort, denn ich muß Mannschaft sammeln, um sie den Baiern an der Laditzer Brücke entgegen zu stellen. Lebet also Alle wohl, und der liebe Gott gebe, daß wir uns All' mitsammen bald froh und frei in Innsbruck wiedersehn.
Auch wir müssen jetzt fort, riefen die Tyroler, als Martin Teimer rasch, wie er gekommen, wieder von dannen gegangen war. Müssen hinaus in die Berg', und es den Unsern sagen: 's ist an der Zeit.
Geht aber durch die Küche, meine lieben Boten, sagte Andreas, da steht für jeden von Euch ein Säckel voll Mehl, den ladet auf den Rücken und wenn Ihr auf Eurem Marsch an einem Bach und einem Bergstrom vorüber kommt, da werft Ihr das Mehl hinein und wo Ihr auf der Höhe trockene Reiser findet und gefällte Holzscheit, da packt Ihr's auf einander und zündet es an, damit die hellen Feuer es weit hinausleuchten: 's ist an der Zeit! –
Eine halbe Stunde später war die große Gaststube leer und tiefes Schweigen herrschte jetzt in dem Hause zum Sand. Die Knechte und Mägde und die Kinder des Sandwirths waren zu Bett gegangen, nur er selber war noch auf und wach und mit ihm sein getreues Weib, die Anna Gertrud.
Sie hatten sich Beide in das kleine hintere Wohnzimmer zurückgezogen. Andreas ging, die Hände auf dem Rücken gefaltet, schweigend und gedankenvoll in demselben auf und ab, Gertrud saß in dem lederbezogenen Lehnstuhl am Ofen und blickte, die Hände im Schooß gehalten, auf ihren Gatten hin. Still war es ringsumher, nur das langsame regelmäßige Pickern der Wanduhr unterbrach das tiefe Schweigen und von außen her vernahm man das wilde Gebrause der Passer, die nahe am Hause vorüber ihre wilden Schaumwellen über das Steingeröll stürzte.
Endlich, nach einer langen Pause blieb Andreas vor seiner Frau stehen und sah sie mit einem langen, zugleich forschenden und liebevollen Blick an. Gertrud, wie von diesem Blick emporgezogen, richtete sich auf, warf mit einer raschen Bewegung ihre beiden Arme um seinen Hals und schaute ihm mit einem Ausdruck banger, schreckensvoller Furcht in's Angesicht.
Anderl, rief sie traurig, mein herzliebes Anderl, i hab' Furcht um Dich!
I dacht's mir, sagte er seufzend, und es that mir halt leid um Dich, mein Weibel. Sprach eben mit dem lieben Gott und meinem Gewissen, und fragt' sie recht inbrünstiglich, ob ich auch kein Unrecht gethan, daß ich nit zuerst und vor allen Dingen an mein Weib und meine lieben Kinder gedacht hätt' und blos für sie leben und sterben und nit das Leben ihres Vaters und Ernährers in Gefahr bringen wollt? Denn ich sag's Dir, und ich weiß es, was ich vorhab', ist gefährlich, und leicht kann's mir das Leben kosten. Hab' meine Augen nit dagegen verblendet und mir kein Schattenspiel vorgemacht. Ja, es kann mir das Leben auf zweierlei Art kosten. Es kann mich eine Kugel treffen im Kampf, und – wenn ich davon komme, aber's Werk mißlingt und wir siegen halt nit, so bin ich bei den Baiern ein Landesverräther, und dann wird mich auch eine Kugel treffen, denn sie werden mich erschießen.
O, Jesus Maria, mein Anderl, schrie Gertrud, ihre beiden Hände gegen Hofer's Kopf legend, als wolle sie ihn schützen gegen die mörderischen Kugeln.
Ich sag' nit, daß es so kommt, ich sag' nur, daß es so kommen kann, sagte Andreas mit einem sanften Lächeln. Wollt' Dir nur sagen, daß ich genau weiß, was das für Gefahren sind, die mir entgegenschauen, wenn ich halt morgen früh aus meiner Hausthür hinaustret' und das werd', was sie sagen, daß ich werden soll, der Commandant der Passeyr und des ganzen Aufstand's hier in der ganzen Gegend. Und deshalb hab' ich Gott und mein Gewissen gefragt, ob ich recht thu', so viel Verantwortung auf mich zu nehmen, Weib und Kind vielleicht der Noth und dem Herzeleid dahin zu geben. Aber weißt, was sie mir Beid' geantwortet haben? Sie haben gesagt: es ist recht, sein Weib und seine Kinder lieben, aber man muß auch sein Vaterland lieben und seinen Kaiser, und wenn die Zwei den Mann rufen und sagen: »komm' her zu mir, ich brauch' Deinen Arm und Deine Hülf',« so muß ein braver Mann gehorsam sein und hingehen zu ihnen und muß Weib und Kind verlassen, denn sein Vaterland lieben ist des Mannes höchste Ehr', und seinem Kaiser treu sein und ihm anhangen, muß jedes Tyrolers erste Liebespflicht sein. – So haben Gott und mein Gewissen da drin in meiner Brust zu mir gesprochen, und jetzt frag' ich auch Dich noch, mein Weibel, frag' Dich in Gegenwart von Gott und Deinem Gewissen: möchtest denn Du, daß Dein Mann nit hört' auf den Ruf des Kaisers, daß er daheim blieb, während seine tapfern Brüder und Freund' ausziehen, das Vaterland zu vertheidigen und es den Baiern abzujagen?
Nein, bei Gott, Anderl, das möcht' ich nit! rief Gertrud ganz erschrocken. Würd' nimmer wagen, die Augen aufzuschlagen vor d' Leut', würd' nit einmal 's Herz haben zu beten zur heiligen Jungfrau und zu Gott, denn wie sie Beid' den eingebornen Sohn haben hingeben, so muß auch ein rechtschaffen Weib den eignen Mann hingeben für die große und gute Sach' des Vaterlandes!
Andreas legte wie segnend seine Hand auf seines Weibes Haupt. Du hast es gesagt, Gertrud, und es ist halt auch so, sagte er feierlich. Für Vaterland und Kaiser mußt Du Deinen Mann, müssen Deine Kinder ihren Vater hingeben, und wir dürfen uns nit die Ohren verstopfen, um's nit zu hören, daß das liebe Tyrol und der gute Franzel mich gerufen hat. Ich hab' den Ruf gehört, und so muß ich ihm folgen. Ich thu's halt freudig und gern, und doch thut mir's Herz weh, und 's ist etwas da drin in meiner Brust, was mir sagt, daß es vorbei ist mit unserm Glück und daß unsere Sonne jetzt untergegangen ist, und – Gertrud, ich schäm' mich nit, ich wein'!
Er neigte sein Haupt auf seines Weibes Schulter, und sie fest und innig an seine Brust drückend, weinte er laut.
Aber dies dauerte nur kurze Zeit, dann richtete er sich wieder empor und fuhr mit dem Rücken seiner Hand rasch über seine Augen hin.
So, sagte er, jetzt ist's abgethan und vorbei. Hab' geweint, wie's einem Christenmenschen wohl erlaubt ist, wenn er Abschied nimmt von Weib und Kind und sie als Opfer hingiebt auf den Altar für's Vaterland. Hat nit Abraham auch geweint und zu Gott gebetet um Erbarmen, als er seinen Sohn sollt' dem lieben Herr Gott zum Opfer darbringen? Aber 's Opfer hat er doch gebracht! Und so wie Abraham hab' auch ich jetzt geweint und geklagt, aber 's Opfer bring' ich. Da bin ich, mein Gott und Herr, fuhr er fort, Blicke und Arme himmelwärts richtend, da bin ich, denn Du hast mich gerufen! Thu' mit mir nach Deinem Wohlgefallen. Ich bin halt nichts als Dein getreuer Knecht, aber wenn Du mich brauchen willst zu Deinem Werk, so thu's, ich geb' Dir mein' Arme, ich geb' Dir mein' Leib und mein Leben! Nimm's hin!
Aber Du heil'ge Jungfrau, murmelte Gertrud, und Du unser Schutzpatron, heil'ger Georg, strecket Eure Arme gnädiglich über ihn und beschützet mir meinen Anderl! Bedenket, daß er das Liebste ist, was ich auf Erden hab'! Schützet mir meinen lieben Mann und meinen Kindern ihren lieben Vater!
Amen! rief Andreas laut. Und jetzt, mein Weibel, komm' her und gieb mir einen Kuß, einen Abschiedskuß!
Du willst doch nit fort in dieser Nacht schon, Ander!? fragte Gertrud ängstlich.
Nein, Gertrud, aber es ist doch ein Abschiedskuß. Denn von Stund' an muß ich mich verwandeln und ein harter Mann werden, der nit mehr an Weib und Kind denkt, sondern blos an's Vaterland und den Kaiser. Geflennt hab' ich vorher wie ein rechtschaffener Hausvater, anjetzt aber muß ich hart werden, wie'n rechtschaffener Soldat. Bis der Baier aus dem Land ist, kenn' ich Dich nimmer, und auch die Kinder nimmer, bin ich nix als meines Herrn und Kaisers unverzagter, tapferer Soldat und meiner Passeyr Commandant. Küß mich also zum letzten Mal, Anna Gertrud! So! Noch einen Kuß! Wer weiß, lieb' Gertrudel, ob's nit der letzte ist für's ganze Leben! Und da, noch einen Kuß für unsere Mädels! Nun ist's genug! – Jetzt, Gertrudel, geh' schlafen und bet' für mich!
Du gehst nit schlafen, Anderl? fragte Gertrud bang.
Nein, ich geh' nit schlafen, Anna Gertrud. Hab' außen zu thun mit dem Sepperl, unserm Knecht. Wollen noch die scheckigte Kuh schlachten.
Was? In dieser Nacht noch?
Ja, in dieser Nacht muß es geschehen! Wir brauchen das Blut und das Fleisch. Das Blut gießen wir hinunter in die Passer, und daß wir's Fleisch brauchen, das wirst Du morgen schon sehen, denn ich denk halt', wir werden viel Gäste haben am morgigen Tag! –
Andreas Hofer hatte richtig prophezeit. Schon in der Frühe des nächsten Morgens ward es lebendig vor dem Gasthaus zum Sand. Das waren die Schützen des Passeyr Thales, die aus allen Ortschaften herbeiströmten, um beim lieben Commandanten von Passeyr sich zu melden. Sie kamen von den Bergen herab und von den Thälern empor. Ihren Sonntagsstaat hatten sie angelegt, die gelben Sonntagshüte geschmückt mit Rosmarinsträußen und bunten Bändern auf den Köpfen. Heiter und guter Dinge waren sie, als ob es zum Tanz ginge, nur statt des rothwangigen Mädels hielten sie die gut gezogenen Kugelbüchsen im Arm. Aber doch schnalzten sie mit der Zunge und jubelten vor Lust, und machten Luftsprünge und jauchzten wie Lerchen so hell: 's ist an der Zeit! Der Boar (Baier) muß aus dem Land! Und 's lebe der Kaiser, und 's lebe der Hannes!
Da drüben vom Berg tönt's jetzt, wie als ob das Echo die Antwort gäbe, und rief's nach: »der Boar muß aus dem Land!« – Aber es waren doch frohe Menschenstimmen, die es gerufen hatten, und ein bunter, lustiger Zug kam jetzt den Bergsteig daher. Es waren die Schützen und Männer von Meran und Allgund, welche jetzt in ihrer schönen, kleidsamen Etschthaler Tracht daher kamen.
Hei, wie blitzten ihre Augen und die Kugelbüchsen in ihrem Arm! Und mit welchen mächtigen Jodlern empfingen die Passeyrer die lieben Freunde von Allgund und Meran.
Auf einmal aber ward's still, denn da in der Thür des Sandhauses, da stand der Sandwirth, und prächtig war er anzusehen in seinem schönen Sonntagskleid, wie ein König stand er da unter der Thür seines Hauses, und so strahlend war sein treuherziges, biederes Angesicht, und so hell und klar, so mild und doch gebieterisch zugleich war der Blick seiner Augen. Von stiller Würde umflossen war sein ganzes Wesen, und den Passeyern schien's, als ob die Morgensonne, die ihm ins Angesicht strahlte, eine goldene Glorie um sein Haupt schimmern ließ. Ehrfürchtig und scheu traten sie zur Seite. Der Hofer schritt vorwärts bis mitten hinein in den Kreis, den die Passeyer und Meraner und Allgunder jetzt um ihn schlossen. Dann schaute er sich ringsum und grüßte die Männer nach allen Seiten mit einem Lächeln, einem vertraulichen Zunicken, einem Wink seiner Hand.
Ihr Männer, rief er dann mit lauter Stimme, der Tag ist kommen, wo wir die Baiern vertreiben müssen und wo die Oesterreicher wieder in's Land kommen müssen; 's ist an der Zeit! Der Baier hat's um uns verdient, denn er hat uns schwer geplagt. Wenn Ihr ein hölzern Heiligenbild fertig hattet, konntet Ihr's denn nach Wien tragen und verkaufen? – Heißt das frei sein? – Tyroler seid Ihr; zum Wenigsten nannten sich Eure Väter so; nun sollt Ihr Euch Baiern nennen; – und dazu ist unser altes Schloß Tyrol geschleift worden! Seid Ihr damit zufrieden? Erntet Ihr drei Aehren Mais, so fordert man Euch zwei davon ab; heißt das Glück? – Aber es giebt eine Vorsehung und Engel, und mir wurde offenbart, wenn wir daran dächten, uns zu rächen, so würde uns geholfen werden, und Gott und der heilige Georg, unser Schutzpatron, würden uns beistehen! Auf denn gegen die Baiern! Zerreißt die Schurken mit den Zähnen, so lange sie stehen, aber wenn sie auf die Kniee fallen und beten, so gebt ihnen Pardon! Auf gegen die Baiern! 's ist an der Zeit!
Auf gegen die Baiern! 's ist an der Zeit! jubelte und jauchzte die ganze muthige Schaar, und in den Bergen hallte es wieder: Auf gegen die Baiern! 's ist an der Zeit!
Und die Passer trug mit ihren blutrothen Wellen die Kunde hinunter in das Thal: Auf gegen die Baiern! 's ist an der Zeit!