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Einige Minuten später traten die beiden Erzherzöge in das Gemach des Kaisers ein, der ihnen langsam einige Schritte entgegen ging, und sie mit ernstem, kaltem Blick begrüßte.
Das ist ja halt ein seltener Anblick, sagte Franz spöttisch, die beiden Herren Brüder in so schöner Eintracht beisammen. Wahrhaftig, es fehlt nur noch, daß Sie Beide sogar Einer Meinung wären, und daß Sie gekommen, mich einzuladen, um, wie der Herr von Schiller sagt, in Ihrem Bunde der Dritte zu sein.
Ew. Majestät würden in diesem Bunde immer nur der Erste sein können, sagte Erzherzog Johann mit seiner klaren, frischen Stimme, und mein Bruder Carl würde dabei der Zweite, ich immer erst der Dritte sein können.
Ei, schauen's, der Herr Bruder sind ja heute sehr bescheiden und demüthiglich, sagte Franz lächelnd. Das bedeutet sicherlich, daß Sie gekommen sind, etwas von mir zu erbitten, und daß Sie mich halt mit Freundlichkeit und Ergebenheit locken wollen, Ihnen den Willen zu thun, wie man das Wachtelhündchen mit Näschereien und Zuckerbrod zu sich lockt, wenn man seinen Herrn bestehlen will.
Oho, Majestät, wir sind es indessen nicht, welche unsern Herrn bestehlen wollen, rief Johann lachend. Aber von Angriffen auf das Eigenthum unseres Herrn ist allerdings die Rede; nur muß man sagen, daß derjenige, von dem diese Angriffe ausgehen, nicht mit Näschereien und Zuckerbrod lockt, sondern mit erhobenem Schwert und mit grober Rede angreift.
Haben's halt recht klug gewandt, daß Sie mit Ihrer Zung' gleich dahin gelangt sind, wohin sie kommen wollten, sagte der Kaiser mit leisem Spott. Aber erst erlauben's mir, doch auch ein Wort mit meinem Bruder Carl da zu sprechen und Se. kaiserliche Hoheit, den berühmten Feldherrn, den Generalissimus unserer Armee, die Hoffnung und den Trost Oesterreichs, zu begrüßen.
Ew. Majestät wollen mich verspotten, sagte der Erzherzog Carl mit trauriger Stimme.
Ich wiederhole nur, was ich täglich in den Zeitungen und Journalen lese und was die lieben Wiener in allen Gassen singen und jubeln, rief der Kaiser. Ja, ja, mein Herr Bruder, Sie müssen es sich schon gefallen lassen, die Hoffnung und der Trost Oesterreichs zu sein und als der erhabene, unbezwingliche Held der Zukunft von ganz Oesterreich gepriesen zu werden.
Indem der Kaiser so sprach, ließ er einen langen prüfenden Blick über die Gestalt seines Bruders dahingleiten und ein seltsamer Ausdruck von Spott und Hohn flog durch seine Züge.
Und in der That, diese Epitheta, welche der Kaiser seinem Bruder gegeben, sie paßten wenig zu dem Aussehen und Erscheinen des Erzherzogs Carl. Diese klein zusammengedrückte Gestalt mit den schwächlichen verschrumpften Gliedmaßen, das war nicht die Gestalt eines Helden, dieses bleiche, abgemagerte Gesicht mit den eingefallenen Wangen, den tief liegenden matten Augen, der bewölkten Stirn, über welche das Haar in dünnen Streifen dahin fiel, das war nicht das Antlitz eines kühnen Feldherrn, der seiner Thaten und seiner Erfolge gewiß ist und den man die Hoffnung und den Trost Oesterreichs nennen konnte.
Aber die Oesterreicher nannten ihn in der That so, und der Ruhm seiner Kriegsthaten, der nicht blos Oesterreich, sondern auch ganz Deutschland erfüllte, ließ sie wirklich auf den Erzherzog Carl, trotz seiner Kränklichkeit und Schwächlichkeit, ihre Hoffnungen und Wünsche bauen. Das wußte Kaiser Franz, er wußte, daß die beiden Erzherzöge Carl und Johann bei seinem Volk seine bevorzugten Nebenbuhler waren und darum war er eifersüchtig auf sie und grollte ihnen, ja, er haßte sie fast.
Sehen übrigens heut recht bleich und kümmerlich aus, mein lieber Herr Erzherzog Carl, sagte der Kaiser nach einer Pause, in welcher er den Erzherzog prüfend betrachtet hatte.
Ich fühle mich auch sehr leidend und angegriffen, Majestät, seufzte Carl, und würde nicht gewagt haben, heute Morgen hieher zu kommen, wenn es nicht auf den ausdrücklichen Wunsch meines Herrn Bruders, des Erzherzogs Johann, geschehen wäre. Indeß ich fürchte, daß ich wenig seinen Wünschen entsprechen kann und daß mein Bruder Johann leider sehr bald wünschen wird, er habe mich nicht aufgefordert, ihn zu Ew. Majestät zu begleiten.
Ah, also Sie sind halt doch nit so einträchtiglich, wie ich dachte, als ich Sie Beide mitsammen hier eintreten sah, rief der Kaiser lachend. Es giebt also noch immer verschiedene Meinungen zwischen den beiden Hauptstützen meines Throns, und wenn ich mich halt auf den einen lehnen wollt', so würde die andere Seit' wackeln und Rumor machen. Nun, was ist's denn wieder? Was führt meine Herren Brüder denn eigentlich hieher?
Majestät, nur der sehnsuchtsvolle Wunsch, Oesterreich und unserm Kaiser unsere Dienste zu weihen, rief Johann begeistert, und nur deshalb wollten wir Ew. Majestät beschwören, endlich das Wort der Erlösung für Oesterreich, für ganz Deutschland zu sprechen. Majestät, dieses Zaudern und Schweigen drückt wie ein Alp auf jedem Herzen und auf jeder Brust; Aller Augen sind hoffend auf Ew. Majestät gerichtet. Oh, mein Kaiser und mein Herr, ein Wort von Ihren Lippen, und dieser Alp verschwindet und alle Herzen jauchzen auf vor Wonne und jede Brust erweitert sich und athmet froher auf, wenn Ew. Majestät dies eine Wort sprechen, dies Wort Krieg! Krieg! – Wir halten das Schwert in unsern Händen, möge der Wille meines erhabenen Kaisers uns das Recht geben, das Schwert jetzt zu erheben und es gegen den zu wenden, der seit Jahren wie ein verheerender Sturmwind durch ganz Deutschland, ganz Europa dahin braust, und allen Fürsten und allen Völkern, aller Freiheit und allem Recht Hohn spricht! Majestät! im Namen Ihres Volkes, im Namen aller deutschen Patrioten beuge ich hier vor meinem Herrn und Kaiser meine Kniee, und so knieend und voll Ehrfurcht beschwöre ich Ew. Majestät, lassen Sie uns endlich die Stunde der Erlösung schlagen, lassen Sie uns den Feind, der so lange schon voll frechen Uebermuthes unsere Grenzen bedroht, mit freudigem Muth verjagen, lassen Sie uns dem trotzigen Usurpator entgegenziehen, um ihm endlich die Lorbeeren zu entreißen, welche er uns einst bei Austerlitz abgewonnen und auf die er so stolz ist! Majestät, Ihr Volk glüht vor Kampfeslust, Ihre treuen Tyroler erwarten nur ein Zeichen, um die Fesseln abzuwerfen und sich zu erheben für ihren angestammten Kaiser, Ihre italienischen Provinzen ersehnen den Tag des Kampfes, um sich an dem Tyrannen zu rächen, der ihnen die Freiheit verheißen und ihnen nur die Knechtschaft gebracht. Die Stunde der Vergeltung ist für Napoleon angebrochen, erlösen uns Ew. Majestät von allem Uebel, indem Sie sagen, daß wir diese Stunde benutzen wollen, daß der Krieg, der entscheidende Krieg jetzt gegen Napoleon beginnen soll.
Und fortwährend seine Kniee vor dem Kaiser beugend, sah Johann mit flehenden Blicken zu dem Kaiser empor.
Franz schaute mit düsterm Ausdruck zu ihm nieder und das edle, von Begeisterung erglühte Angesicht seines um mehr als zehn Jahre jüngern und viel kräftigern und schöneren Bruders machte ihn mißmuthig.
Stehen's auf, Herr Bruder, sagte er kalt, Ihre Kniee müssen Ihnen ja weh thun und ich meines Theils liebe solche Theaterscenen gar nicht, und schöne Redensarten machen auf mein kaltes prosaisches Herz gar wenig Eindruck. Bin gewohnt, halt immer nur meiner Ueberzeugung zu folgen und wenn ich einen Schritt vorwärts thue, so muß ich gewiß sein, daß ich da nicht in einen Abgrund falle, den mir irgend ein poetischer Held etwa blos mit seinen blumichten Redensarten zugedeckt hat. Daß ich die Gefahr, die uns von Frankreich her droht, kenne, habe ich bewiesen, indem ich Alles in Kriegsbereitschaft setzen ließ, Ihnen, Herr Erzherzog Johann, die Einberufung der Landwehr und Reserven nach dem von Ihnen ausgearbeiteten Plan übertrug und Sie zum Chef aller Berathungen über die National-Bewaffnungen machte, Sie, Herr Erzherzog Carl, wieder an die Spitze meiner Armee berief und Sie zum Generalissimus ernannte.
Eine Ehre, Majestät, die ich mit ehrerbietigem Dank entgegen genommen habe, die mich aber jetzt fast erdrückt, sagte Erzherzog Carl seufzend. Majestät mögen auch mir jetzt gestatten, vor Ihnen mein Herz zu enthüllen und Ihnen meine innersten Gedanken zu Füßen zu legen. Um dies zu thun, habe ich meinen Bruder Johann hieher begleitet, er sagte mir, daß er Ew. Majestät noch einmal beschwören wolle, nicht länger mit der Kriegserklärung zu zaudern, sondern endlich das entscheidende Wort jetzt zu sprechen. Ich beschwor ihn dies nicht zu thun, nicht vor der Zeit uns zum Kriege zu drängen, der dann für uns nur verderblich ausschlagen könne. Aber mein vielgeliebter Bruder wollte nicht auf meine Vorstellungen, meine Bitten hören, er grollte mit mir, er nannte mich einen heimlichen Freund und Bewunderer Napoleons, er verlangte, daß ich mich wenigstens im Beisein Eurer Majestät frei und offen aussprechen sollte, ihn widerlegen, wenn ich könnte, oder ihm nachgeben, wenn meine Gründe als zu schwach sich ausweisen sollten. Majestät, ich habe also dem Willen meines Bruders, des Erzherzogs Johann, nachgegeben, ich bin hieher gekommen, aber ich bin gekommen, um zu meinem Herrn und Kaiser zu sagen: Majestät, ich beschwöre Sie, im Namen Ihres Volkes und Ihres Thrones, lassen Sie das Schwert noch ruhen, erheben Sie es nicht zum Kampf. Warten Sie, bis unser Heer kampfbereit, unsere Rüstungen vollendet sind. Uebereilen Sie nicht den Krieg, damit uns nicht der Sieg entgehe. Es bleibt uns noch Vieles zu thun, noch Vieles zu ordnen und vorzubereiten, ehe denn wir sagen können, daß unsere Rüstungen vollendet sind, und nur vollständig kampfbereit dürfen wir es wagen, dem Kaiser Napoleon und seinem sieggewohnten Heer die Spitze bieten zu wollen.
Ah, hören Sie da den Fabius Cunctator, mein Herr Johann Löwenherz, rief der Kaiser höhnisch. Wer hat nun Recht von Ihnen Beiden und wessen weisen Rath soll ich armer gebrechlicher Kaiser, der nicht die Kraft hat, sich selber zu rathen und ohne seine Brüder einen Schritt vorwärts zu gehen, nun befolgen? Johann, der gelehrte Kriegsmann, beschwört mich den Krieg zu beginnen und Carl, der tapfere Held, beschwört mich den Krieg zu verschieben? Was soll ich armer vielberathener, rathloser Kaiser nun beginnen! Wessen Willen soll ich mich unterwerfen?
Majestät, rief Johann entsetzt, wir sind es, die uns zu unterwerfen haben, Ihr Wille ist es, von dem allein die Entscheidung abhängt. Ich flehte zu Eurer Majestät um Krieg, weil ich ihn für nothwendig halte, aber ich werde mich schweigend und gehorsam unterwerfen, wenn Ew. Majestät anders beschließt.
Und ich, sagte Carl, ich bat den Krieg noch zu verschieben, weil ich leider noch eine Frist für nothwendig halte, aber, gleich meinem Bruder, werde ich mich schweigend unterwerfen, wenn Ew. Majestät anders beschließt.
Wirklich, werden Sie das, meine Herren Erzherzöge? fragte der Kaiser mit höhnischem Ton. Werden Sie Ihrer Unterthanenpflichten eingedenk sein und, statt mir ferner unnöthigen Rath zu ertheilen, mir schweigend gehorchen?
Die beiden Erzherzöge verneigten sich zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit. Der Kaiser trat einige Schritte vor und sein Haupt stolz erhebend, schaute er mit strengen, gebieterischen Blicken auf seine beiden Brüder hin.
So will ich Ihnen denn sagen, meine Herren Erzherzöge, was ich, Ihr Herr und Kaiser, beschlossen habe, sagte Franz strenge. Ich habe den Krieg beschlossen.
Zwei laute Ausrufe ertönten auf einmal, ein Ausruf der Freude von den Lippen Johanns, ein Ausruf des Entsetzens von den Lippen Carls. Bleich, schwankend wie ein Trunkener, näherte sich der Generalissimus dem Kaiser und fast bittend streckte er ihm seine Hände entgegen.
Majestät, sagte er, Sie haben den Krieg beschlossen, aber Sie wollen doch damit nicht sagen, daß er gleich, daß er schon jetzt beginnen soll?
Ja, das will ich damit sagen, rief der Kaiser spöttisch.
Erzherzog Carl erbleichte noch mehr, ein seltsames Zucken flog durch seinen Körper hin, sein Haupt sank kraftlos auf seine Brust und ein tiefer Klageton rang sich aus seiner Brust hervor.
Erzherzog Johann, beim Anblick des tiefen Kummers seines Bruders jeden Groll vergessend, eilte zu ihm hin und faßte zärtlich seine beiden Hände.
Mein Bruder, fragte er ängstlich, fehlt Ihnen etwas? Ist Ihnen nicht wohl?
Nein, sagte Carl, mit der Hand nach seiner Stirn fahrend, von welcher der Schweiß in großen Tropfen niederrann, nein, mir ist nicht wohl, aber ich muß dem Kaiser noch einige Worte sagen. Ich muß ihm ein trauriges Geheimniß enthüllen, das ich heute, vor einer Stunde erfahren habe. Majestät, ich beschwöre Sie noch einmal: verzögern Sie den Krieg, schieben Sie ihn so lange hinaus, als Sie können, denn – hören Sie jetzt mein unseliges Geheimniß: Wir sind schmachvoll betrogen und der, welcher uns betrog, war der General-Commissarius von Faßbender.
Ihr theurer Freund und Vertrauter? warf der Kaiser mit höhnischem Lachen dazwischen.
Ja, mein Freund, mein Vertrauter, rief der Erzherzog mit lauter, schneidender Stimme, und er betrog mich, er hinterging mich. Er hatte sämmtliche Lieferungen für die Armeen zu besorgen und er sagte mir, daß jetzt alle Lieferungen vollendet seien. Ich glaubte ihm, und nun zu spät, ach, leider zu spät, erfahre ich, daß er mich, daß er seinen Kaiser schmachvoll betrogen hat. Alle Rechnungen über die gelieferten Vorräthe sind in meinen Händen, aber die Lieferungen haben nicht stattgefunden. Nur verdorbenes Mehl und Brod, unbrauchbare Leinewand und zerfressenes Uniformtuch hat der Verräther den Regimentern geschickt und die ungeheuren Summen für die Lieferungen hat er sich dennoch auszahlen lassen.
Wir werden den Dieb wohl zwingen, seine Beute wieder heraus zu geben, rief der Kaiser.
Nein, Majestät, sagte Carl mühsam; und sich fester auf den Arm seines Bruders lehnend, um nicht umzusinken, fuhr er fort: Nein Majestät, Sie haben keine Gewalt mehr über diesen Verbrecher. Er hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, er hat sich vor einer Stunde selbst entleibt. Der Verbrecher ist seinem Richter entflohen, aber seine Verbrechen sind geblieben und unsere Armee leidet unter ihnen. Jetzt wissen Ew. Majestät Alles und jetzt werden Sie Ihr Wort zurücknehmen, jetzt werden Sie nicht mehr sagen, daß der Krieg sofort beginnen soll. Sie werden mir gnädigst Zeit gönnen, um das Verbrechen des General-Commissärs wieder gut zu machen und das Heer mit Allem dem zu versehen, was ihm jetzt leider noch fehlt.
Nein, rief der Kaiser heftig, ich werde das nicht thun. Ich werde das Wort, das ich gesprochen, nicht wieder zurücknehmen, und schon bevor meine Herren Brüder hier eintraten, um mich großmüthig mit ihrer Weisheit zu unterstützen, hatte ich meinen Entschluß gefaßt. Der Krieg beginnt. Er ist unwiderruflich. Bereits habe ich den französischen Gesandten davon in Kenntniß gesetzt und ihm befohlen, heute noch Wien zu verlassen. Ihre Warnungen kommen eben so gut zu spät, wie die Beschwörungen Johanns. Ich that, was ich wollte. Und ich wollte jetzt, den Anmaßungen Bonaparte's gegenüber, den Krieg. Alles ist beschlossen und abgemacht: Der Krieg beginnt. Und Sie, Herr Erzherzog Carl, Sie sind der Generalissimus meiner Armee!
Erzherzog Carl antwortete nicht, er stieß ein dumpfes Aechzen aus und glitt an der Seite Johanns zur Erde nieder. Alle seine Glieder zuckten und bebten, sein bleiches Gesicht verzerrte sich, seine Hände schlossen sich zur Faust, seine Augen waren gebrochen wie im Todeskampf.
Er hat wieder einmal seine Krämpfe, sagte der Kaiser gelassen, indem er zu seinem Bruder niederblickte. Rufen Sie doch seine Leute und seinen Arzt, Herr Erzherzog Johann, damit sie den Herrn Generalissimus in ein anderes Gemach bringen und ihm Arzneien einflößen.
Johann stürzte zur Thür hin und bald eilten die Kammerdiener und der Arzt, der sich immer in Begleitung des Erzherzogs Carl befand, in das Gemach. Sie hoben mit geübten Händen den sich in krampfhaften Zuckungen windenden Erzherzog empor und trugen ihn sorgsam von dannen.
Johann war mit zärtlicher Sorgfalt um den Leidenden gewesen und wollte ihn auch jetzt hinausgeleiten. Aber ein Wort des Kaisers hielt ihn zurück.
Bleiben's noch einen Augenblick, Herr Erzherzog, sagte Franz, es sind ja nur die gewöhnlichen Zufälle des Erzherzogs Carl und seine Leute werden schon mit ihm fertig werden. Ich hab' Ihnen halt noch ein paar Worte zu sagen. Es wird jetzt Ernst mit dem Krieg, Herr Bruder, und wir müssen dafür sorgen, daß er nun überall, an allen Ecken und Enden unsers Reichs zu gleicher Zeit ausbricht, daß überall sich das Volk einmüthig erhebt und zu den Waffen greift. Wir haben überall unsere Vorbereitungen getroffen, unsere Emissaire haben überall ihre Schuldigkeit gethan und Verbindungen angeknüpft und Ausschüsse ernannt, die Alles zur Landesvertheidigung vorbereitet haben. Sie selber haben ja auch Ihren Emissair, den Hormayr, ausgesandt in Ihr geliebtes Tyrol; wenn ich recht berichtet bin, ist er heimgekehrt und wieder bei Ihnen in Wien eingetroffen.
Ew. Majestät, er ist heute Morgen hier angekommen, sagte Johann, seinen Bruder mit erstaunten, fast erschrockenen Blicken anschauend.
Dem Kaiser entging dieses Staunen nicht und ein Lächeln der Befriedigung glitt über sein Gesicht hin.
Sie sehen, ich werde recht gut von meinen Leuten bedient und ich weiß, was geschieht, sagte Franz ernst. Ich weiß auch daß Herr von Hormayr nicht allein nach Wien zurückgekehrt ist, sondern in der Gesellschaft einiger guten Freunde. Ich denk' mir, Sie kamen nicht hieher, um mir Rath zu ertheilen, sondern um mich um Erlaubniß zu fragen, ob Sie heute Abend Ihre Tyroler Freunde bei Sich empfangen dürften.
Wie! fragte Johann erstaunt. Ew. Majestät wissen auch das?
Ich sagte Ihnen schon, daß mich meine Leute sehr gut bedienen. Lassen Sie Sich dies zur Warnung dienen, nichts zu thun und zu unternehmen, was Sie mir verbergen möchten und keine Geheimnißkrämerei zu treiben. Ich weiß also, daß Herr Andreas Hofer hier ist, um mit Ihnen eine Art von Insurrectionsplan zu verabreden. Wie die Umstände jetzt einmal sind, erlaube ich Ihnen, daß Sie's thun, denn es ist allerdings wichtig, daß sich das deutsche, so wie das italienische Tyrol erhebe, und wenn wir doch einmal Krieg haben, so wollen wir auch trachten uns unser Tyrol wieder zu gewinnen. Aber es muß die Sach' fein behutsam und geschickt angefangen werden und die Welt darf nichts davon erfahren, daß wir die Tyroler zum Aufstand verleitet haben. Das könnt' unsern andern Völkern ein schlechtes Beispiel sein. Man kann zuweilen die Insurrektion des Volkes sich zu Nutze machen, man muß aber niemals den Anschein haben, als hätt' man das Volk zu so schlimmer Sach' verleitet. Ich will also auch von Ihren Tyrolern nichts wissen und sie nicht bei mir sehen. Aber ich erlaub' Ihnen, daß Sie's thun und können auch halt' den braven Tyrolern sagen, daß es mich freuen würd', wenn ich sie meine lieben Landeskinder nennen könnt'!
Majestät, rief Johann freudig, dies Wort ihres Kaisers wird das Losungswort für die Tyroler sein, um sich zu erheben, wie ein Mann, den Stutzen zu ergreifen und den bösen Feind, was ihnen gleichbedeutend ist mit dem Baiern, zu verjagen.
Soll mir lieb sein, wenn die Tyroler das thun und wenn sie's zu rechter Zeit thun, sagte der Kaiser, mit dem Kopfe nickend. Sagen's das dem Andreas Hofer, Herr Bruder Johann, und geben Sie ihm mein Wort, daß, wenn wir Tyrol dies Mal wiederbekommen, wir's niemals wollen fahren lassen. Aber der Andreas Hofer soll sich fein klug benehmen und sich halt nit von meinen Leuten hier sehen lassen, sondern nur ganz in der Still' soll er hier sein, damit die Polizei ein Aug' zudrücken und thun kann, als sah sie ihn und seine Freunde nit. Und jetzt, Herr Bruder, leben Sie wohl und sehn's halt nach, ob der Generalissimus noch immer die Krämpf' hat. Recht schlimm wär's, wenn die Krämpf' ihn mal attrappirten just wenn er in der Schlacht wär'! Na, wir wollen's Beste hoffen, für uns Alle und besonders für Tyrol. Sie haben jetzt eine große Aufgabe, Herr Johann, denn Sie werden ein Commando übernehmen; sollen den Tyrolern helfen und beistehen, sich die Freiheit zu erkämpfen.
Oh mein Kaiser, und mein Herr, rief Johann mit freudestrahlendem Angesicht und mit flammenden Blicken, wie gnädig und wie gütevoll Sie heute sind. Es ist das Herz eines Bruders, das aus Ihnen spricht, eines Bruders, der mich beglücken wollte und der weiß, womit er es thun kann. Ja, senden Sie mich mit einem Armeecorps den Tyrolern zu Hülfe, lassen Sie mich meinem geliebten Gebirgsvolk Rettung und Freiheit bringen. Das ist eine Aufgabe, die mich mit Wonne und Entzücken erfüllt und für die ich Ihnen ewig dankbar und ergeben sein werde, mein Bruder.
Sein's Ihrem Kaiser ergeben, Herr Erzherzog, sagte Franz lächelnd, die Brüder die werden schon mit einander fertig werden, und haben nichts mit der Politik und den Staatsgeschäften zu thun. Gott befohlen, Herr Johann! Aber wir werden uns heut' noch wiedersehen, denn ich werd' heut' die Herren Minister und Generäle zu einer Berathung berufen lassen und da werden's also auch dabei sein! Also nochmals, Gott befohlen!
Er nickte dem Erzherzog mehrmals zu und verließ dann mir ungewohnter Schnelle das Gemach. Hastig, mit finsterm Angesicht, durchschritt der Kaiser das nächste Zimmer und trat in sein Cabinet ein, dessen Thür er unsanft hinter sich in's Schloß fallen ließ.
Ich soll ihn seinem geliebten Gebirgsvolk Rettung und Freiheit bringen lassen, murmelte Franz vor sich hin, seinem Gebirgsvolk! Glaub' wohl, daß er es gern hätt' wenn's sein Volk wär', und er sich zum König von Tyrol machen könnt'. Nun, wir werden ja sehen! Ich hab' ihn sicher gemacht, indem ich ihm erlaube, mit den Tyrolern zu verkehren und mit ihnen Pläne zu entwerfen. Wir werden ja sehen, wie weit der Herr Bruder geht und was es mit seiner Dankbarkeit und Ergebenheit auf sich hat. Eine schlimme Last, solche gefährlich ehrgeizige und berühmte Brüder zu haben, vor denen man ewig auf der Huth sein muß! Wollt', ich könnt' sie halt so wegblasen, wie ich die Fliegen da von der Wand weg bringe!
Und indem er zwischen den zusammengepreßten Lippen so murmelte, nahm er von dem Tisch die Fliegenklappe, welche dort stets bereit liegen mußte, und begann seine Lieblingsunterhaltung, die Verfolgung der Fliegen, welche an der Wand und auf den Meubles saßen, und welche seine Kammerdiener sich wohl hüteten, aus dem Cabinet des Kaisers zu verjagen, weil es ihnen Franz nimmer würde verziehen haben, wenn sie ihm seine Jagd zerstört hätten.
Mit eifrigem Schritt an den Wänden entlang gehend, begann der Kaiser seine Fliegenjagd.
Hei, rief er, indem er seine Fliegenklappe schallend laut auf eine Fliege schlug, hei, Bruder Carl, der Schlag gilt Dir! Da liegt's und zappelt's wahrhaftig, wie der Herr Generalissimus vorher zappelte und sich am Boden rang. Aber, er hat ein zähes Leben, wie die Fliege, die zappelt sich zu Tode, aber der Herr Generalissimus zappelt sich immer wieder in's Leben 'nein, und wenn er keine Krämpf' hat, ist er ein gar kühner und berühmter Mann, vor dem sein Kaiser beschämt und demüthig bei Seit' stehen muß. Kann nit die Fliegenklapp' nehmen, und ihm eins auf die zappelnden Glieder geben, wie dem Ding's da, dem kleinen Erzherzog Carl, der sich da am Boden krümmt. So, bist nun todt, Du kleiner erzsackrischer Bruder Carl, und nun wollen wir Jagd machen auf Deinen Bruder Johann! Schau, schau, da sitzt er an der Wand und putzt sich die Flügel und macht sich recht säuberlich fein und niedlich. Paff! Da hast halt einen Liebesschlag von Deinem Bruder Kaiser und aus ist's mit Dir. Jetzt wirst nimmer nach Deinem Gebirgsvolk hinfliegen, um ihm Rettung und Freiheit zu bringen. Jetzt wirst hier bei Deinem Kaiser an der Wand kleben bleiben und wirst fühlen und einsehen lernen, daß Dein Bruder Dein Herr ist! Ei, welch' eine allerliebste spaßige Jagd das heute ist. Will halt nit eher ruhen, bis ich ein Dutzend Erzherzöge Carl und Johann todtgeschlagen hab'.
Und mit lebendigstem Eifer suchte Franz an den Wänden und auf den Meubles nach neuen Fliegen, die er mit seiner Fliegenklappe verfolgte und zerschlug, indem er der einen immer den Namen Carl, der andern den Namen Johann ertheilte.
In dem Eifer seiner Jagd hatte er gar nicht bemerkt, daß sich bald nachdem er das Cabinet betreten, die Thür da drüben geöffnet hatte, und daß der Staats-Kanzleihofrath von Hudelist eingetreten war. Franz gedachte nicht daran, daß er Hudelist ausdrücklich befohlen, wieder in das Cabinet zu kommen, sobald er den Kaiser in dasselbe zurückkehren höre; er hatte seine Gedanken ganz und gar auf das grausame Vergnügen gerichtet, die Fliegen Carl und Johann zu tödten, und Hudelist hütete sich wohl, ihn in diesem Vergnügen zu stören. Er stand dicht neben der Thür an die Wand gelehnt, seine kleinen blitzenden Augen verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit jede Bewegung des Kaisers, und so oft dieser mit triumphirendem Ton, indem er eine Fliege zerschlug, den Namen eines seiner beiden Brüder nannte, flog ein boshaftes Lachen wie ein Wetterleuchten über das bleiche, häßliche Antlitz des Staatskanzleiraths hin.
Jetzt aber war Franz mit seinem Suchen bis an das äußerste Ende des Zimmers angelangt. Bis dahin hatte er Hudelist den Rücken zugekehrt, wenn er sich aber jetzt umwandte, um an der andern Seite des Zimmers seine Jagd fortzusetzen, konnte er ihn vielleicht gewahren und sich von seiner Anwesenheit unangenehm berührt fühlen.
Bevor als der Kaiser sich umwandte, öffnete Hudelist noch einmal die Thür, neben welcher er stand und ließ sie mit einigem Geräusch in das Schloß fallen.
Der Kaiser wandte sich um und fragte heiter: nun was schaffen's, Herr Staatskanzleirath?
Ew. Majestät haben mir befohlen, wieder hieher zu kommen, wenn Ew. Majestät wieder hier wären.
Bin aber halt schon lange hier, sagte Franz, einen mißtrauischen, forschenden Blick auf Hudelist werfend.
Verzeihung, Majestät, aber ich glaubte doch eben erst das Zufallen der Thür zu vernehmen und hatte bis dahin vergeblich auf irgend ein Geräusch gewartet, erwiderte Hudelist, mit vollkommen unschuldigem Gesicht. Die zweite ausgepolsterte Thür, welche den Conferenzsaal von diesem Cabinet Euer Majestät hier trennt, dämpft den Schall gar sehr und ich bitte nochmals um Verzeihung, daß ich trotz meiner größten Aufmerksamkeit bis dahin nichts gehört hatte.
Das Antlitz des Kaisers hatte sich jetzt wieder vollkommen aufgehellt. Lassen's gut sein, sagte er, es ist mir halt recht lieb, wenn man da nebenan nit hören kann, was hier geschieht. Ich mag wohl gern Ohren haben für Alle, mag aber durchaus nit, daß irgend Jemand Ohren hat für mich. Jetzt lassen's hören, was bringen Sie Neues mit aus Paris?
Vor allen Dingen, Majestät, ist es mir gelungen, von einem der spanischen Flüchtlinge, der in Madrid in der Königlichen Siegellackfabrik arbeitete und zu denen gehörte, welche das Recept der Bereitung desselben genau kannten, für eine ziemlich bedeutende Summe dies Recept zu erkaufen. Ew. Majestät wissen, daß die Bereitungsart des spanischen Siegellacks ein Geheimniß ist, daß die angestellten Beamten und Arbeiter sogar schwören müssen, es Niemanden zu verrathen.
Und Sie haben das Recept doch erhalten und haben's mitgebracht? fragte der Kaiser.
Hier ist es, Majestät!
Franz griff hastig nach dem Papier, das ihm Hudelist mit einer ehrerbietigen Verneigung darreichte.
Ei schauen's, das ist halt eine sehr hübsche Aufmerksamkeit von Ihnen, und ich werde Ihnen dafür dankbar sein, rief er lebhaft. Sollen auch ganz allein das Recept probiren und gleich jetzt wollen wir an's Werk gehen. Aber halt, – erst muß ich Ihnen noch eine Neuigkeit erzählen. Der Krieg geht los, wir müssen Ernst machen. Hab' dem französischen Gesandten schon heut' seinen Laufpaß gegeben und so kann der Metternich auch nun wieder heimkehren. Ich will aber heute große Conferenz haben. Bestellen's mal in der Kanzlei, daß die Minister, die Erzherzöge und Generäle um vier Uhr sich im Conferenzsaal einfinden sollen. Machen's rasch und dann kommen's mir nach in mein Laboratorium. Wir wollen einmal das spanische Recept versuchen!