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Auf dem Marktplatz von Windisch-Matrey war heut am Nachmittag des neunten April ein ungewöhnlich bewegtes Leben. Die Männer und Jünglinge von Windisch-Matrey und der Umgegend standen in einzelnen dichten Gruppen bei einander und drängten sich in immer volleren Massen um das Haus des Gastwirth Anton Aichberger, genannt Wallner, zusammen. Auch die Weiber hatten ihre Häuser und Hütten verlassen und waren nach dem Marktplatz geeilt, und ihre Gesichter waren drohend wie die der Männer, ihre Augen glühten und eine ungewöhnliche Bewegung zeigte sich in ihrem ganzen Wesen. Ueberall sprach man in lauten, heftigen Worten, drohte man mit erhobenen Fäusten, gab man einander heimliche Winke des Einverständnisses.
Am lebhaftesten und bewegtesten aber ging es in der großen Gaststube des Wirthshauses zu. Dort hatten sich um Anton Wallner Aichberger die ersten und ansehnlichsten Männer der Gegend versammelt, feste, kernhafte Gestalten mit trotzigen Angesichtern und muthigem Wesen. Sie sprachen wenig, sondern saßen auf den Bänken umher und starrten in die Bierkrüge, welche des Aichbergers älteste Tochter Elise ihnen immer wieder füllte. Aber auch das junge Mädchen, sonst so heiter und wohlgemuth, schien heute still und traurig zu sein. Früher hörte man überall ihr fröhliches Lachen und ihre frische, helle Stimme; heute war sie schweigsam und still; sonst waren ihre Wangen glühend wie Purpurrosen, spielte um ihren kleinen, leicht aufgeworfenen Mund ein reizend neckischer Zug, glänzte aus ihren großen, schwarzen Augen das Feuer und die Lust der Jugend, – heute waren Elisens Wangen nur matt geröthet, ihre Lippen fest auf einander geschlossen, ihre Augen trübe und glanzlos. Zuweilen ließ sie, indem sie die Gäste bediente, einen bangen, forschenden Blick durch die Fenster über den Marktplatz dahingleiten, schien sie angstvoll zu horchen auf das Geräusch der Stimmen, das dann zu einem wilden Sturmesgeheul sich erhob und gegen die Fenster klirrte.
Auch der Anton Wallner, ihr Vater, war ernst und unruhig, und wie er zu den Gruppen der Männer auf den Bänken hier und dort hinschritt, blickte auch er besorgt und angstvoll zu den Fenstern hin.
Am End' kommen's doch nit, Tenel, und sie haben Dich zum Narren g'habt in Wien, flüsterte jetzt der alte Thurmvalden von Meran ihm zu.
Ich kann's nit fassen und nit begreifen, seufzte Anton Wallner. Am neunten sollt's bestimmt losgehen und sollten die Oesterreicher über die Grenze kommen, und just deshalb haben wir's ja so zu machen und zu drehen gewußt, daß wir bis heut' allsammt die neuen Steuern nit gezahlt und uns der Conscription widersetzt haben. Aber der neunte ist jetzt da und kein' Botschaft von den Oesterreichern und kein' Botschaft von dem Hofer.
Und heut' ist die Frist abgelaufen, welche uns die Bairischen gestellt haben, murrte Jörg Hinnthal; wenn sich bis heut' Abend unsere jungen Bursche nit freiwillig zum Soldatendienst stellen, so werden's morgen mit Gewalt eingezogen werden.
Sie sollen nit eingezogen werden, rief einer der Tyroler, mit kräftiger Faust auf den Tisch schlagend.
Nein, sie sollen nit eingezogen werden, riefen Alle mit lauter trotziger Stimme.
Aber Ihr werdet's nit hindern können, sagte der alte Thurmvalden, als Alle wieder still geworden und mit einem langen Zug aus den Bierkrügen ihre Worte bekräftigt hatten. Wißt ja, droben im Schloß Weißenstein liegt eine ganze Compagnie Soldaten, und der Ulrich von Hohenberg, des Schloßherrn Neffe, ist ihr Hauptmann. Er ist ein Baier mit Leib und Seel' und wird seine Leut' mit Schießgewehr und Kanonen gegen unsere jungen Leut' und uns treiben, wenn wir uns widersetzen.
Bist gar verzagt und muthlos worden, Caspar Thurmvalden, sagte Anton Wallner spöttisch, man sollt' meinen, wärst bairisch worden. Schießgewehr haben wir so gut wie die Baiern, und wenn sie schießen, so schießen wir halt wieder. Und was die Kanonen anbelangt, so haben sie ja Räder und wir können sie uns ja von Schloß Weißenstein 'nunter rollen nach Windisch-Matrey. Aber kommt, Ihr lieben Freund', ich seh' da die bairischen Herren Steuerbeamten über den Platz gehen, und gar grimmig sind sie anzuschauen, als wollten's halt uns All' mitsammen verschlingen. Laßt uns hinausgehen und sehen, was es giebt.
Die Männer erhoben sich wie auf ein Commandowort und folgten dem Anton aus dem Zimmer und hinaus auf den Platz. Elise Wallner blieb einen Augenblick allein im Gemach, und jetzt, da sie nicht mehr die Augen der Männer zu fürchten hatte, jetzt sank sie ganz erschöpft auf einen Sessel nieder und bedeckte mit ihren zitternden Händen ihr Angesicht.
Was soll ich thun? flüsterte sie leise. O Gott im Himmel, ich möchte sterben zu dieser Stunde.
Was weinst, Liserl? fragte eine sanfte Stimme neben ihr, und als Elise aufschaute, blickte sie in das ernste, theilnehmende Gesicht ihrer Mutter, die eben unbemerkt vor ihr eingetreten war.
Elise sprang auf und umarmte ihre Mutter mit leidenschaftlicher Innigkeit. Herzlieb's Mutterle, flüsterte sie, ich fürcht' mich.
Wovor denn? fragte ihre Mutter leise. Fürcht'st, daß die Oesterreicher nit kommen und daß die Baiern uns dann den lieben Vater in's Gefängniß schleppen, weil sie's 'merkt haben, daß er Umtrieb' macht und die Mannsen aufgehetzt hat?
Nein, sagte Elise beschämt, nein, das fürcht' ich nit. Sie werden's nit wagen, den lieben Vater gefangen zu nehmen, denn sie wissen's wohl, daß die ganze Gegend ihm anhängt und daß die Männer aus dem ganzen Pusterthal aufstehen würden, um den Anton Wallner zu befreien. 'S ist was Anderes, herzliebe Mutter, komm mit mir in die Kammer, da will ich Dir's sagen.
Sie zog die Mutter hastig mit sich fort in die neben der Gaststube belegene Kammer und drückte die Thür hinter sich zu.
Mutterle, sagte sie bebend und athemlos, jetzt hör' mir zu. Ich bin's gewiß, daß die Oesterreicher kommen, und wenn's die Männer da außen erfahren, so werden sie alle Baiern erschlagen.
So laß sie's thun, sagte ihre Mutter gelassen, die bösen heimtück'schen Boarn haben's verdient um uns, und 's geschieht ihnen recht, wenn sie erschlagen werden.
Aber Mutterle, es sind auch gute Leut' unter ihnen, rief Elise. Ihr wißt wohl, bin ein treues Tyrolermädel, und lieb' meinen Kaiser, weil Ihr's mich von Jugend auf gelehrt habt, daß ich's thun muß. Aber, Mutterle, es giebt auch gute Leut' unter den Baiern. Da ist der Ulrich Hohenberg droben auf Weißenstein. Du weißt, das Schloßfräulein ist mir all'zeit wie eine Schwester gewesen, wir sind ja mitsammen aufgewachsen, ich hab' dürfen Theil nehmen an ihrem Unterricht und hab' dürfen lernen, was sie gelernt hat. Wir sind immer beisammen gewesen, und auch jetzt bin ich immer droben gewesen im Schloß Weißenstein, obwohl das bairische Militair dort oben im Schloß in Einquartierung liegt. Der Vater selbst hat's gewollt, daß ich nach wie vor zum Fräulein ging, denn er hat gesagt, es würd' Aufsehen erregen, wenn ich auf einmal fortblieb, und die bairischen Beamten würden's ihm zum Vorwurf machen. So bin ich denn alle Tag' droben gewesen bei meiner guten Freundin, der Elza von Hohenberg, und da hab' ich denn alle Tag' ihren Vetter gesehen, den Hauptmann von den bairischen Soldaten. Es ist ein gar gutherziger und lustiger Herr, Mutterle, der kann doch nit dafür, daß er bairisch ist. Sein Vater, unseres Schloßherrn Bruder, wohnt ja seit dreißig Jahren drunten in München und sein Sohn ist bairischer Soldat worden, lang' eh er wußt', daß wir hier in Windisch-Matrey wieder österreichisch werden wollen. Nun hat ihn sein General hierher geschickt mit seinen Soldaten, daß sie sollen den Beamten helfen die Steuern einziehen, und sollen darauf sehen, daß unsere jungen Bursche sich zum Soldatendienst stellen. Kann er dafür, daß er seinem General gehorchen muß?
Nein, er kann nit dafür, sagte ihre Mutter ernst.
Aber wenn die Oesterreicher jetzt kommen und wenn unser Vater und die Männer halt losbrechen und die Baiern fortjagen und erwürgen, so werden's auch den Ulrich Hohenberg erwürgen, der doch nichts dafür kann, daß er bairisch ist. O, lieb' Mutterle, der ist ein gar gutes, fröhliches Blut, der ist meiner lieben Elza Herr Vetter und unseres Schloßherrn Neffe, und Du weißt, wie viel Gutes die Elza und ihr Vater an mir gethan, und wie sie mich, wenn ich da droben in Weißenstein bin, halten, als wär' ich des Schloßherrn eigen Kind. Mutterle, wollen wir's leiden, daß die Unsern des braven Schloßherrn Neffen erwürgen?
Nein, sagte ihre Mutter entschlossen, wir wollen's nit dulden, Liesel. Rasch, spring' den Fußweg hinauf, der zum Schloß führt. Sag' dem jungen Herrn, daß die Tyroler sich frei kämpfen wollen, und daß er sich retten möge bei Zeiten.
Mutterle, er wird's nit thun, denn er ist tapfer, seufzte Elise und dann – ich darf ihm doch unseres Vaters Geheimniß nit verrathen? Wenn die Oesterreicher nun nit kämen und ich hätt's dem Ulrich Hohenberg gesagt, was unser Vater und die andern Männer von Tyrol vorhaben, wär' ich da nit eine Verrätherin und würd' der Vater mich nit verfluchen?
Es ist wahr, das geht nit, sagte Frau Wallner sinnend, der Vater würd's Dir nimmer verzeihen. Aber hör', ich weiß was! Spring' hinauf zum Schloß und thu so, als kämst Du nur zum Besuch, noch weiß Keiner, was geschehen soll, Keiner von den Unsern hat's Geheimniß verrathen, und auch der Schloßherr, obwohl er im Herzen, denk ich, gut österreichisch ist, weiß noch halt gar nichts. Der Vater hat mir das heut' noch gesagt. Nun bleibst Du ruhig oben, sobald Du aber hier drunten am Markt einen Büchsenschuß hörst, so weißt Du, daß es losgehen wird. Da ist des Vaters Stutzen, wenn's losgeht, werd' ich zur Hinterpfort' 'naus treten und sie abfeuern. Da wirst Du's gleich hören, und dann sagst dem jungen Herrn, was geschieht und daß er sich verbergen soll, bis die erste Wuth und der erste Zorn der Mannsen vorüber ist.
Ja ja, so soll's sein, rief Elise, ich lauf' jetzt zum Schloß. Leb' wohl, lieb' Mutterle.
Sie drückte einen glühenden Kuß auf die Hand ihrer Mutter und sprang dann leicht und schnell wie ein junges Reh von dannen.
'S ist ein gar gutes Madel, sagte ihre Mutter, ihr lächelnd nachschauend, hat ein gar weiches und mitleidiges Herz! Will doch des Schloßherrn Neffen nit umkommen lassen, will ihm aus lauter Erbarmen und Gutherzigkeit das Leben retten. Das ist halt brav von dem Madel! das – ei du heilige Jungfrau, was geschieht denn da außen? Geht's doch schon los? Ich denk, es ist halt mein Tenel, der da so mächtig laut red't, muß doch hören, was es giebt.
Und sie eilte rasch durch das Gastzimmer nach der auf den Marktplatz sich öffnenden Hausthür hin.
Ja, es war Anton Wallner Aichberger, der da so heftig gesticulirte. Um ihn her standen die Männer von Windisch-Matrey und blickten mit düstern Gesichtern auf die drei Männer, die dem Wallner gegenüber standen, auf die drei Beamten der bairischen Steuerbehörde.
Ich sag's, Herr, rief Anton Wallner eben mit einem Ausdruck spöttischer Unterwürfigkeit, ich sag's und wiederhol's, daß wir Alle gar treue und gehorsame Unterthanen sind, und daß der Herr Obersteuercommissair daher sehr Unrecht thut, wenn er uns aufsässige Raisonneurs und widerspenstiges Gesindel nennt. Wenn wir's wären, würden wir, die wir unsrer Viele hier sind, denn nicht den Herrn Steuerbeamten mitsammt seinen zwei Gerichtsdienern da ein Bissel herzhaft dafür maltraitiren, daß er halt so verächtlich und respectwidrig von uns gesprochen hat?
Ihr wißt sehr wohl, daß auf den ersten Wink von mir die Compagnie Soldaten droben von Weißenstein herunter stürmen und Euch Alle als Aufrührer und Rebellen zusammenschießen wird, sagte der Beamte hochmüthig.
Nun, Herr Obersteuercontrolleur, rief Wallner lächelnd, was das Schießen anbelangt, so verstehen wir uns auch darauf. Wir sind sehr gute Schützen, wir Tyroler!
Was? schrie der Beamte wüthend, spricht er mir da schon wieder von Tyrolern? Hab' ich's nit verboten, daß Ihr Euch so nennt? Seid keine Tyroler, seid Bewohner von Südbaiern, hört Ihr's? Se. Majestät der König von Baiern will keine Tyroler zu Unterthanen haben, sondern nur Südbaiern, wie ich's Euch schon zwei Mal angekündigt habe. Siehe: Gallerie der Helden. Leben des Sandwirths Andreas Hofer. 15.
Gut, wenn Se. Majestät keine Tyroler zu Unterthanen haben will, so wollen wir uns das nit zwei Mal gesagt sein lassen, rief Anton Wallner. Südbaiern will er also lieber haben? Merkt Euch das, Ihr Tyroler, der König von Baiern will blos Südbaiern haben.
Wir wollen's uns merken, schrien die Tyroler, und ein rauhes spöttisches Lachen rollte wie grollender Donner über den Platz hin.
Ihr lacht, rief der Obersteuercontrolleur mit verhaltenem Zorn, freut mich, daß Ihr so fröhlich seid. Werdet morgen vielleicht nicht mehr lachen, denn ich sag's Euch, wenn Ihr heut' nicht gutwillig, die Euch als Strafe auferlegte Contribution zahlt, so lass' ich sie morgen, so wie der Tag graut, durch das Militair mit Gewalt eintreiben.
Wir müssen's also wirklich zahlen? fragte Anton Wallner mit anscheinender Schüchternheit. Der Herr Obersteuercontrolleur lassen sich also nit erweichen? Wir müssen wirklich so harte Geldstraf' zahlen, blos weil wir neulich ein Bissel Spaß gemacht haben? Denn, sagen's selbst, Herr, wir haben doch wirklich nichts Schlimmes gethan?
Nicht Schlimmes gethan? Offene Empörung habt Ihr getrieben, weiter nichts. Habt an dem Geburtstag des Königs, Eures gnädigen Herrn, statt, wie es Euch befohlen, bairische Fahnen auszuhängen, überall die österreichischen Fahnen ausgehangen.
Nein, Herr Obersteuercontrolleur, Sie haben nur falsch gesehen, wir hatten an jedem Haus bairische Fahnen aushangen.
Es ist nicht wahr! Ich bin selbst durch den ganzen Ort gegangen und habe Alles sehr wohl gesehen. Eure Fahnen waren nicht bairisch, nicht blau und weiß, sie waren österreichisch, schwarz und gelb.
Es ist möglich, daß es so ausgesehen hat, rief Anton Wallner, aber was können wir dafür. Es waren unsere bairischen Fahnen, aber sie waren schon ein Bissel alt, das Blau war verschossen und ausgeblaßt, und war gelb, und das Weiß, das war halt schmutzig worden von der Zeit und sah also schwarz aus.
Gott's Blitz, der Wallner hat Recht, riefen die Tyroler laut lachend, es waren bairische Fahnen, sie waren blos ausgeblaßt und schmutzig worden.
Auch die jüngern Bursche, die bisher in weiterem Kreise um den Platz gestanden, drängten sich jetzt näher heran, um dem Gespräch zuzuhören, und ein junger Tyroler, den Stutzen im Arm und den grünen Hut mit dem Gemshorn auf den dunkeln Locken, drängte sich mit so ungestümer Neugierde heran, daß er plötzlich dicht neben dem Herrn Obersteuercontrolleur stand. Aber er achtete gar nicht darauf, sondern blickte nur mit freudiger Aufmerksamkeit auf Wallner hin und horchte auf seine Worte.
Aber das grimme Auge einer der Gerichtsdiener gewahrte mit Entsetzen diesen Frevler, der es wagte, dicht neben dem Herrn Obersteuercontrolleur stehend, den Hut auf dem Kopf zu behalten. Mit einem mächtigen Faustschlag auf den Hut des jungen Burschen drängte er denselben ihm bis tief über die Stirn hinunter.
Schurke, rief er mit belfernder Stimme, siehst den Herrn Obercontrolleur nicht?
Der junge Bursche zog sich verlegen den gemißhandelten Hut wieder von der Stirn empor und trat, glühend roth vor innerer Wuth, aber schweigend, in den Kreis der murrenden Männer zurück.
Geschieht Dir ganz recht, Sepperl, sagte Anton Wallner, was drängst Du flinker Tyrolerbursch dich auch herzu, wenn wir Südbaiern mitsammen reden, und wenn –
In diesem Augenblick drängte sich ein junger Bursch mit hastiger Eilfertigkeit durch die Menge, seine Kleider waren bestäubt, sein Antlitz war erhitzt und glühend, und es schien, als habe er einen weiten Marsch gemacht. Denen, welche ihm im Wege standen, sagte er mit athemloser, keuchender Stimme: laßt mich hindurch, ich bitt' Euch. Hab' dem Anton Aichberger, dem Wallner, was zu bringen, muß ihn nothwendig sprechen.
Die Männer hatten ihm willfährig Platz gemacht, jetzt stand er dicht hinter Wallner, und denselben mitten in seinem angefangenen Satz unterbrechend, flüsterte er ihm zu: ich komm' vom Andreas Hofer, der läßt grüßen und schickt Dir dies Papier. Bin die ganze Nacht gelaufen, um Dir's zu bringen.
Er drückte Wallnern ein zusammengefaltetes Papier in die Hand, das dieser mit vor Ungeduld bebenden Händen auseinanderschlug.
Es war die offene Ordre Andreas Hofer's.
Wallner's Antlitz leuchtete auf wie in einer Verklärung, seine blitzenden Augen schossen einen Feuerblick über den mit seinen Freunden gefüllten Platz hin und hafteten jetzt auf dem Hut des Gerichtsdieners, der mit so boshafter Tücke den jungen Tyroler zurecht gewiesen hatte. Mit einem einzigen Sprung war er bei ihm, mit einem einzigen mächtigen Faustschlag trieb er dem Gerichtsdiener den feierlichen runden Hut über den Kopf, daß sein ganzes Gesicht in dem Hut verschwand, und mit lauter, schallender Stimme rief er: Schurke, siehst die Herren Tyroler nicht?
Ein einziger Aufschrei jubelnder Freude begrüßte diese kühne That Wallner's, und die Männer alle drängten sich näher heran, bereit, Anton Wallner zu schützen, und deshalb mit blitzenden, drohenden Augen zu dem Beamten hinblickend.
Dieser schien von der plötzlichen Umwandelung Wallner's wie betäubt, und ganz entsetzt schaute er auf den Frevler hin, der dicht vor ihm stehen geblieben war und ihn mit lachendem Gesicht anstarrte.
Was soll das bedeuten? rief er endlich mit bebender Stimme.
Das soll bedeuten, daß wir wieder Tyroler sein wollen, jubelte Anton Wallner, das soll bedeuten, daß wir uns nit länger von Euern bairischen Gerichtsdienern wollen unflätig und grob behandeln lassen und daß wir Euch endlich so behandeln wollen, wie Ihr Boafoks Boafok, ein Schimpfwort, mit dem die Tyroler damals die Baiern bezeichneten, und das auf Hochdeutsch heißt: bairisches Ferkel oder Schwein. uns seit fünf Jahren behandelt habt.
Mein Gott, wie haben wir Euch denn behandelt? fragte der Beamte, ein wenig zu seinen Gerichtsdienern zurückweichend vor dem drohenden Angesicht Anton Wallner's.
Hört doch, Ihr Tyroler Männer, rief Anton Wallner mit einem dröhnenden Lachen, er fragt, wie die Baiern uns behandelt haben! Soll ich's ihm noch einmal sagen?
Ja, ja, Tenerl, sag's ihm, riefen die Tyroler von allen Seiten. Sag's ihm, und wenn er nit zuhören will, so wollen wir ihn festbinden, daß er zuhören muß!
Nun, Herr Obersteuercontrolleur, sagte Wallner mit spöttischer Höflichkeit, ich will Ihnen also sagen, wie Ihr Herren Baiern uns seit fünf Jahren behandelt habt, und erst dann, wenn Ihr all' unsere Beschwerden kennt, wollen wir Abrechnung mit einander halten. So hört denn, was Ihr uns gethan habt und worüber wir Klag' führen. Ihr habt an uns gehandelt wie wortbrüchige Lügner und Schelme, und ich will's Euch beweisen! Zum ersten: damals anno 1805, als zu unserm Kummer und Leidwesen unser Kaiser sein Tyrolerland an Baiern abtreten mußt', da hat der König von Baiern uns einen Brief geschrieben, und feierlich hat er darin gelobt: er wolle uns unsere Landesverfassung, unsere wohlerworbenen Rechte und Freiheiten nimmer rauben und wegnehmen, sondern sie all'zeit aufrecht halten, achten und ehren und nach ihnen allein uns regieren! Das hat Euer König dazumal versprochen. Aber freilich, wir haben ihm gleich nit allzusehr geglaubt, denn wir wußten schon, daß, wenn der Kater die kleine Maus fressen will, so macht er ihr erst Sammetpfötchen und wirft ihr 'n Bissel Speck hin; beißt sie aber an, so springt er zu und frißt sie selber auf. Und so ist's auch kommen mit uns, der große Kater wollt' die kleine Maus Tyrol mit Haut und Haaren verschlingen, und nit einmal sein Nam' sollt' von ihm übrig bleiben, nit einmal Tyroler sollten wir uns nennen dürfen, sondern blos Südbaiern sollten wir sein. Und dazu ward unsere alte Burg Tyrol, das heilige Wahrzeichen unseres Landes, geschleift und zerstört. Dachtet wohl, wir sollten die Vergangenheit und die Geschicht', und Alles was wir sind, vergessen, wenn wir die Burg Tyrol nit mehr sehen, wo die liebe Margaretha Maultasch ihren Tyrolern dereinst ihre Freiheiten, große Vorrechte und Unabhängigkeit verbrieft hat für alle Zeiten. Aber es stand Alles in unsern Herzen geschrieben, und Ihr habt durch Euer nichtsnutzig Betragen gemacht, daß es sich immer fester darin eingeprägt hat. Aber nit blos unsern Namen habt Ihr uns genommen, sondern auch unsere Verfassung, die doch jeder Tyroler liebt wie sein heiligstes Gut. Habt nicht, wie unser Gesetz und Recht es befiehlt, den Landtag von Tyrol zusammenberufen, damit er eine feierliche Erbhuldigung für den neuen Herrn ausgesprochen, habt auch nachher keinen Landtag gerufen, wenn Ihr uns neue Steuern und Lasten wolltet auferlegen. Wolltet allerwegen unser gutes altes Recht verdrängen und uns Eure neuen Gesetze aufzwingen. Habt uns recht zum Hohn und Spott unserer Verfassung die Militair-Conscription aufgezwängt und den freien Tyroler gezwungen, daß er Eure bairische Soldatenjacke anziehe. Habt, dem lieben Gott zum Hohn und Spott, viel Klöster und Abteien eingezogen, blos um ihre Einkünft' Euch zu rauben, habt die heiligen Kirchengeräthe öffentlich vergantet und verkauft und Euch nit der Sünde fürchtet, wenn Juden die Abendmahlsbecher und die heilige Monstranz kauft haben, um sie einzuschmelzen und unheilig Geschmeide aus dem geweihten Kircheneigenthum zu machen. Habt unsere frommen Priester, wenn sie sich weigerten, Euch den Willen zu thun und Eure neuen Gesetze anzunehmen, aus dem Land' verwiesen oder oft sie gar in's Gefängniß geworfen, habt die österreichischen Bankzettel auf einmal auf Euren Augsburger Cours herabgesetzt, daß viele Tyroler arm und ruinirt sind, ja, habt uns ruinirt, betrogen, herumgehetzt und zu Boden getreten. Aber wir stehen wieder auf, ich sag's Euch, ganz Tyrol steht auf und will sich nit mehr treten lassen. Der König will keine Tyroler zu Unterthanen haben, sagt Ihr? Er soll auch keine haben, denn die Tyroler wollen wieder Unterthanen des Kaisers von Oesterreich werden und den lieben Franzel, den wollen sie wieder ihren Herrn nennen. Nit wahr, Ihr Männer von Tyrol, Ihr Pusterthaler, Ihr Tefferecker und Ihr Birgenthaler, Ihr wollt wieder den Franzel zu Eurem Kaiser und Eurem Herrn annehmen?
Ja, das wollen wir, schrieen, jubelten, brüllten und lachten die Männer in jauchzender Lust. Der Franzel soll wieder unser Kaiser und unser Herr werden. Es lebe der Kaiser Franz!
Schweigt, rief der Steuerbeamte, bleich vor Zorn und Entsetzen zugleich, schweigt, oder ich ruf' die Soldaten und laß Euch Alle verhaften und –
Schweigt Ihr selber, sagte Anton Wallner, ihn heftig beim Arm packend. Mann, Ihr seid unser Gefangener, und die Zwei da hinten auch. Packt sie, Ihr Männer, und wenn sie schreien wollen oder sich zur Wehre setzen, so schießt Ihr sie nieder. Und wenn Ihr schreit, Herr Obercontrolleur, straf' mich Gott, wenn ich Euch nit's Garaus mach', wie'n rechtem Boafok, der Ihr seid. Haltet Euch also fein still und vernünftig und kommt und liefert uns Eure Kassen aus. Kommt, Ihr Männer, wir begleiten den Herrn Beamten in's Steuergebäude, und jetzt lasset uns lustig 'mal singen auf gut tyrolerisch.
Und mit lauter Stimme, während er mit seiner muskelkräftigen Hand den zitternden Baier kräftig gepackt hielt, begann Anton Wallner zu singen:
D' Schörgen und d' Schreiber und d' Richter allsammt
Sind'n Teufel auskomma, druck'n überall auf's Land,
Und schinden Bauern, es is kam zum sog'n,
Es wär' ja koan Wunder, wir thäten's allsammt erschlog'n!
Tyrolerlied aus dem Jahre 1809. Siehe: Mayr: Joseph Speckbacher der Mann vom Rinn. S. 29.
Dann schloß er mit einem langen und freudigen Jodeln und schrie jubelnd: lieben Brüder, der Andreas Hofer läßt Euch schön grüßen und läßt uns vermelden, daß die Oesterreicher im Land sind. Juchhe! 's ist an der Zeit!
Ja, jetzt ist's Zeit, murmelte Anton Wallner's Weib, die Anne Marie, vor sich hin, Zeit ist's, daß ich der Liesel 's Zeichen geb', denn es geht los!
Sie stürzte in's Haus, nahm aus der Kammer den alten Stutzen ihres Mannes, eilte damit vor die Hinterthür ihres Hauses und feuerte den Signalschuß für ihre Tochter ab.
So, sagte sie dann, ruhig wieder in's Haus zurückkehrend, sie wird's gehört haben, und noch ist's Zeit, ihn zu retten. Ich aber will thun, was mir der Tenel geheißen hat. Wenn er das Lied singt, so nehm' ich die Zettel aus dem Tischkasten in der hintern Stub', geb' den beiden Buben und den zwei Mägden jeder ein Packet und schick' sie damit hinauf in's Gebirg', daß sie die Zettel überall ausstreuen und verbreiten, damit sie das ganze Pusterthal hinunter und hinauf bis zum Groß-Glockner, Benediger und Krimler Tauern heut' noch erfahren, daß es an der Zeit ist, und daß wir die Boafoks aus'm Land jagen wollen. Heda, Ihr Buben, kommt zu mir her! Heda, Ihr Mädels, Eure Frau ruft nach Euch!