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III.
Die Liebeserklärung.

Elise Wallner war, nachdem sie ihre Mutter verlassen, in fliegender Eile durch die Hinterthür dahingesprungen, über den Hof, durch den Garten hinaus aus der kleinen Pforte, die auf die Wiese führt, den Fußpfad entlang, nun aufwärts den Bergweg hinauf von Stein zu Stein hüpfend, unerschrocken und muthig, wie ein ächt Tyrolerkind. Jetzt stand sie am Schloßthor, vor dem einige der bairischen Soldaten in träger Ruhe auf der Bank lagen, während Andere in dem ihnen eingeräumten Seitenflügel des Schlosses aus den Fenstern schauten, zu ihrer Erheiterung laut gähnend oder träumerisch ein bairisch Lied vor sich hinsummend.

Elise schritt mit leichtem Gruß an ihnen vorüber und trat in's Haus ein. Der alte Diener, der auf dem Hausflur saß, empfing sie mit vergnügter Miene und erzählte ihr auf ihr Befragen, daß der Schloßherr, der alte Herr von Hohenberg heute Morgen in aller Frühe nach Salzburg abgereist sei, wohin ihn eine Botschaft vom Gericht gerufen habe, daß aber das Fräulein mit ihrem Vetter, dem Herrn Hauptmann, droben im kleinen Speisesaal beim zweiten Imbiß wäre.

Mehr bedurfte es für Elise nicht, sie eilte vorwärts und sprang die Stiegen hinauf. Der alte Diener folgte ihr nicht, er wußte, daß die schöne Liesel keiner Meldung bei seinem Fräulein bedürfe, sondern daß sie allezeit willkommen sei. Er setzte sich daher ruhig wieder nieder und nahm die Holzschnitzerei, an der er vorher gearbeitet, ruhig wieder zur Hand.

Elise hatte jetzt den Eßsaal erreicht und mit hastiger Hand stieß sie die Thür auf, dann flog ein glückliches Lächeln über ihr erhitztes Angesicht, denn dort auf dem Balcon, hinter der geöffneten Glasthür, die hinausführte, dort gewahrte sie die hohe, schlanke Gestalt des jungen Hauptmanns Ulrich von Hohenberg. Sie hörte, wie er heiter plauderte und lachte, und durch die Thür sah sie auch ihre Freundin Elza von Hohenberg, die dem Geplauder ihres Vetters in lächelnder Ruhe zuhörte. Hastig, mit ihren Füßen kaum den Boden berührend, eilte sie durch den Saal.

Ich versichere Sie, Vetter, sagte eben Elza mit ihrer klaren, deutlichen Stimme, ich versichere Sie, ich glaub' zuweilen, daß sie die wieder auferstandene Johanna von Orleans ist und daß sie noch einst wird große Heldenthaten vollführen. O, ich kenne meine schöne liebe Elise Wallner, und –

Sprecht nit von mir, denn ich hör' Euch zu, rief Elise, auf den Balcon hinausspringend.

Ah, meine Liesel, rief das Fräulein, sich erhebend und ihre Freundin zärtlich umarmend. Bist Du endlich da, meine lustige schöne Lerche?

Ja, ich bin da, und froh bin ich, daß ich da bin, sagte Elise, und ihre großen braunen Augen wandten sich lächelnd einen Moment auf den jungen Officier hin, der gleich seiner Cousine aufgestanden war bei Elisens Erscheinen. Er sagte kein Wort zu ihrer Begrüßung, und dennoch erröthete Elise, als sie seinem Blick begegnete, und wandte scheu das Auge von ihm ab, hinüber auf die fernen Gletscherspitzen, die in wunderbarer Majestät dort drüben den Horizont umglänzten.

Bist froh, daß Du da bist, mein herzig Kind? Warum bist Du denn nit früher kommen? fragte Elza. Erwartet wirst Du immer. Nicht wahr, mein lieber stummer Herr Vetter, erwartet wird sie immer?

Gewiß wird sie das, sagte der junge Hauptmann lächelnd, und willkommen ist sie, wie die erste Rose im Mai.

Wie unverschämt, rief Fräulein Elza lachend, Sie heißen mein Liesel als die erste Rose willkommen, und doch war ich schon da?

Er meint nur die wilde Heckenros', Elza, sagte Elise schelmisch lächelnd, denn Du weißt wohl, die schönen, vornehmen Rosen, die blühen noch nit im Mai.

Nun, antworten Sie, Vetter, haben Sie wirklich mein Herzblatt hier mit der wilden Heckenros' vergleichen wollen? fragte Elza.

Antwortet nicht, Herr, rief Elise eifrig. Habt Euch mit Eurer schönen Schmeichelei vergalloppirt, und das ist gut. Werdet endlich einsehen, daß es halt nichts ist mit dem schönen Wortgemache und daß es Farben sind, die nit Stich halten in der Sonn'. Sprechet lieber offen und ehrlich mit mir, denn ich hab's Euch oft gesagt, bin ein dummes Tyrolerkind, die nichts auf die feinen Stadtreden zu antworten weiß.

Aber deshalb seid Ihr doch nicht dumm, meine schöne Elise, sagte Ulrich von Hohenberg. Wahrhaftig, nicht ich, der ich Euch mit einer Rose vergleiche, nicht ich bin ein Lügner, sondern der wär's, der Euch der Dummheit beschuldigte.

Aber wenn ich nun doch sag', daß ich dumm bin, wen geht's was an? fragte Elise trotzig.

Richtig, da zanken sie sich schon wieder, rief Elza lachend. Komm' zu mir, mein Liesel, komm', setz Dich hier zu mir auf die Bank und gieb mir Deine Hand. Ich freu' mich halt so, daß Du da bist, denn immer ist mir's, als wär' ich verwaist, wenn mein lieb' Liesel mir fehlt mit ihrem hübschen Gesicht und ihrem frohen Lachen. Aber hör', Liesel, heut' mußt Du Respect vor mir haben, denn heut' bin ich nicht blos Deine Freundin und Schwester, sondern heut' bin ich der Schloßherr. Mein Vater ist verreist auf vier Tage und ich vertret' seine Stelle. Er hat mir alle seine Gewalt übertragen und alle Schlüssel mir übergeben. Hab' also Respect vor mir, Liesel.

Hab' immer Respect vor Dir, Elza, sagte Liesel zärtlich, die schmale weiße Hand der Freundin an ihre Lippen drückend. Bist immer mein besser Ich, und ich gehorch' Dir, weil ich Dich lieb' und lieb' Dich, weil ich Dir so gern gehorch'!

Nun so befehle ich Dir, Liesel, daß Du heute den ganzen Tag unser Gast bist und bei uns bleibst bis zur Nacht! O, keine Einwendung, Liesel, wenn Du mich liebst, mußt Du gehorchen!

Und ich gehorch' gern, Elza, nur wenn der Vater nach mir schickt, dann muß ich gehen, denn Du weißt wohl, gegen's vierte Gebot darf man nit sündigen, daß würd' Einem der Herr Pfarrer nimmer verzeihen.

Wenn Dein Vater nach Dir schickt, Elise, geh' ich selber zu ihm hinunter und bitt' Dich frei. Nun also gehörst Du uns für den ganzen Tag, und nun wollen wir überlegen, wie wir unsern Tag verwenden wollen. Vetter, stehen Sie nicht so stumm da und starren Sie nicht so zu den Gletschern hinüber, sondern schauen Sie uns an, und ganz geschwind schlagen Sie uns irgend eine Partie vor, die wir heute unternehmen können.

Was könnt' ich vorschlagen? fragte der junge Officier achselzuckend. Ich ordne mich lieber stumm und ergeben Ihren Vorschlägen unter, denn Fräulein Elise würde doch Alles, was ich vorschlagen möchte, verwerfen, blos weil es von mir ausgeht.

Elise brach in ein frisches, fröhliches Lachen aus. Elza, lieb' Elza, rief sie, mich nennt er Fräulein Elise! Nein, Herr, lassen's sich gesagt sein, das Tyrolermädel ist kein Fräulein und keine vornehme Dam' und man nennt sie nit anders als Liesel, blos Liesel, daß Ihr's wißt.

Die schöne Liesel nennt man sie hier in der Gegend, sagte der Officier leise und mit einem bewundernden Blick auf das junge Mädchen.

Das geht Euch nix an, Herr, rief sie, wie eine Purpurrose erglühend, Ihr seid nit aus der Gegend, und für Euch bin ich also blos die Liesel, hören's? Denk' wohl, daß das Schönsein für die vornehmen Stadtleut' etwas Anderes ist, als für uns Bauersleut'! Wir finden's Gänseblümel schön und die Alpenros', obwohl's nur gar kleine Blümel sind, aber sie passen für uns, – aber die vornehmen Stadtleut', die lachen uns aus damit und treten achtlos unsere Blümel todt. Für die sind nur die stolzen weißen Lilien und die großen prächtigen Rosen schön. Ich gehör' nit zu ihnen, ich bin nur's Gänseblümel, aber mein' Elza freut sich d'ran und steckt mich an ihre Brust, und da ruht sich's so sanft und so schön. –

Sie schlang ihre Arme um Elza's Nacken und schmiegte ihr Haupt an ihre Brust und blickte mit ihren braunen Gazellenaugen zärtlich zu ihr auf.

Elza neigte sich zu ihr nieder und küßte ihre Augen und ihre klare Stirn. Herr Ulrich von Hohenberg schaute zu den Beiden hin mit einem zärtlichen, glühenden Blick, dann wandte er sich ab, um sie die dunkle Gluth, die auf seinen Wangen brannte, nicht sehen zu lassen.

In diesem Moment öffnete sich die Thür und der Verwalter des Schloßherrn trat mit eilfertiger, geschäftiger Miene herein.

Gnädiges Fräulein, sagte er, die Holzfäller sind da und bringen's Holz und warten auf die Ausfertigungsschein'. Und die Großbäuerin hat mit der Herrschaft zu sprechen von wegen der Butter, die sie nach der Stadt schicken soll, und der Viehhändler ist kommen, und –

Ich komme schon, ich komme schon, rief das Fräulein lachend. Siehst, Liesel, was für eine wichtige Person ich bin? Die ganze Wirtschaft würd' still stehen und zu Grunde gehen, wenn ich nit da wär! Aber ich bin zum Glück da und also brauch's Räderwerk nit stille stehen, ich setz' es in Bewegung. Bleibt Ihr Beide hier und überlegt, womit wir uns heut' amüsiren wollen, ich regier' während der Zeit da draußen ein Bissel, und dann, wenn ich zurückkomm', sagt Ihr mir, was Ihr Euch für'n Vergnügen ausgedacht habt.

Nein, Elza, laß mich mit Dir gehen, bat Elise fast ängstlich, ich helf' Dir –

Kannst mir nichts helfen da außen, Liesel, lachte das Fräulein, aber hier kannst meine Stellvertreterin sein und meinem Cousin, dem Ulrich, Gesellschaft leisten. Seid lustig und vergnügt, Ihr lieben Kinder, bis ich wiederkomm'!

Sie nickte ihnen freundlich zu, nahm das große Schlüsselbund vom Tisch, und hüpfte, es klirrend in ihrer Hand schwenkend, durch den Saal hin und zur Thür hinaus.

Liesel war ihr ein paar Schritte gefolgt, dann, wie von einem plötzlichen Gedanken zurückgehalten, blieb sie stehen und kehrte langsam auf den Balcon zurück. Einen einzigen flüchtigen Blick warf sie zu dem Officier hin, der an der einen Seite des Balcons an der Wand lehnte, und die Arme über der Brust gefallen, seine Augen unverwandt auf sie gerichtet hatte.

Elise bebte leise und zog sich ganz auf die andere Seite des Balcons zurück. Da setzte sie sich, knapp und ängstlich, wie ein verscheuchtes Vöglein, auf die Bank nieder, und ließ ihre Blicke träumerisch und gedankenvoll über die Gegend hinausschweifen. Und in der That, es war ein wundervoller Anblick, dessen man von diesem Balcon aus genoß. Zur Seite, in breiter Lagerung, lag das herrliche Thal mit seinen im frischesten Frühlingsgrün prangenden Wiesen, seinen weißschäumenden Bergströmen, seinen Häusern und Hütten, die sich ganz hinten in den violetten Nebeldüften verloren, welche den Horizont begrenzten. Zu beiden Seiten des Thals stiegen die grünbewaldeten Höhen auf, zuweilen sich lichtend zu grünen Matten, auf denen die stolzen rothen Kühe graseten oder in majestätischer Ruhe hingelagert waren. Hinter den Matten kletterten wieder die schwarzen Tannen und Fichten die Höhen hinauf, aber immer vereinzelter, immer lichter ward die Felsenhöhe, dann, wo die Bäume aufhörten, zeigten sich hie und da noch wieder grüne Matten, und auf denselben grau und klein, wie Vogelnester, die Hütten der Senner, welche, wie die äußersten Vorpostschildwachen, die Grenzen bewachten, wo der Krieg zwischen der Natur und dem Menschen beginnt, die Grenzen der Schneeregion und der Gletscherwelt. Hinter den Sennhütten schon blitzte der Schnee an den steilen Bergwänden in einzelnen Tiefen auf, weiter aufwärts hatte er seine weißen Silberschleier dicht und weit über alle Bergspitzen ausgebreitet, daß sie in der hellen Morgensonne wie in lächelnder Verklärung strahlten und leuchteten und sich wie Schwanenhälse zu dem blauen Himmel emporreckten.

Drunten aber, ganz im Vordergrund des Thales, zu den Füßen des Schlosses Weißenstein, lag in einzelnen zierlichen Häusergruppen, aus deren Mitte sich die Kirche mit ihrem hohen, spitzen Thurm emporstreckte, der Ort Windisch-Matrey. Deutlich konnte Elise von dem Standpunkt, auf welchem sie sich befand, den Marktplatz überblicken und das dichte Gewühl der Menschen, die von der Höhe aus wie geschäftige schwarze Ameisenhaufen anzuschauen waren.

Sie blickte unverwandt darauf hin, und ihrem geübten Auge erschienen die kleinen schwarzen Punkte wie Menschengestalten, sie glaubte einzelne derselben zu erkennen, und die hohe, mächtige Gestalt ihres Vaters von den Andern zu unterscheiden, sie glaubte –

Elise, sagte auf einmal eine Stimme neben ihr, Elise, Sie wollen mich also nicht sehen, Sie zürnen mir also noch immer?

Sie schrack in sich zusammen und erglühte, als sie, aufblickend, den jungen Officier Ulrich von Hohenberg dicht vor sich stehen sah, sie anschauend mit zugleich glühenden und flehenden Blicken.

Nein, Herr, sagte sie, ich hab' Euch wirklich nit gesehen.

Das heißt, Elise, Sie zürnen mir immer noch? fragte er dringend. Sie schweigen, Sie wenden sich ab. Mein Gott, Elise, was that ich denn, um Ihren Zorn zu verdienen?

Nit viel, vielleicht für die Stadtleut', Herr, aber viel zu viel für ein armes Bauernkind, sagte sie mit einem stolzen Aufblitzen ihrer Augen. Ihr sagtet mir, daß Ihr mich liebtet, Ihr wolltet mich mit Gewalt umarmen und küssen, und Ihr batet, ich möcht' morgens in der Früh' hinaufgehen zur gelben Felsgrott', wo Ihr auf mich warten wolltet. Aber ich sollt' Niemandem Etwas davon sagen, bei Leibe nicht, es sollt' ein Geheimniß sein zwischen mir und Euch, und selbst der Herr Pfarrer in der Beicht' sollt' nichts davon erfahren. Das war nit ehrlich von Euch, Herr, es war vielmehr schlecht, daß Ihr mich zu so schlimmer Sach' verleiten wolltet, und daran hab' ich gemerkt, daß Ihr mir nimmermehr gut sein könnt, und daß Ihr's durchaus nit redlich und ehrlich meint mit Eurer Freundschaft für mich.

Ich habe auch keine Freundschaft für Dich, gar keine, sagte der junge Mann glühend, indem er sich zu ihr setzte und wider ihren Willen ihre Hand faßte, um sie an seine Brust zu drücken. Ich will auch ganz und gar nicht Dein Freund sein, meine liebe, schöne, wilde Alpenrose, nein, nicht Dein Freund, sondern Dein Geliebter. Und ich fang' damit an, daß ich Dich grenzenlos liebe, daß ich nichts will, nichts ersehne, nichts denke, als Dich allein. O, Elise, glaube mir doch, ich liebe Dich grenzenlos, mehr als Elza, mehr als Deine Eltern, mehr als alle Deine Freunde zusammen.

Mehr vielleicht, aber besser nit, sagte sie, leise ihr Haupt schüttelnd und ihm sanft ihre Hand entziehend.

Nein, laß mir diese Hand, rief er hastig, sie wieder an sich reißend, laß sie mir, Elise, denn ich sage Dir, ich liebe Dich auch besser als alle Andern, ich liebe Dich mit meiner Seele, mit meinem Herzen, mit meinem Blut und meinem Leben. O, glaube mir doch, Du schönes, liebliches Kind, glaube mir und gieb mir Dein Herz, folge mir, sei mein, mein für immerdar. Ein glückliches, glänzendes und schönes Dasein will ich Dir bereiten, Alles, was die Welt an Freude, Reiz und Genuß bietet, will ich zu Deinen Füßen niederlegen –

Herr, unterbrach ihn Elise hastig, indem sie aufsprang und ihn mit seltsamen, brennenden Augen anschaute, Herr, ich versteh' Euch doch wohl und hör' doch recht, was Ihr da sagt? Ihr bietet mir halt Eure Hand an? Ihr wollt mich zu Euerm Weib? Wollt mich heirathen?

Der junge Mann zuckte leise zusammen und schlug die Augen nieder. Elise sah es und ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen. Nun, so sprecht doch, sagte sie, gebt mir doch Antwort. Hab' ich Euch recht verstanden? Ist's Euer Ernst, daß Ihr mir einen Heirathsantrag macht? Wollt Ihr heut' noch hinabgehen zu meinem Vater und ihm sagen: »Hört! Ich, der vornehme Herr, ich, der Hauptmann Ulrich von Hohenberg, ich will Dein Tochterl, das Liesel, heirathen. Ich find', daß die Bauerdirn' mit ihren Manieren, ihrer Sprach' und ihrem ganzen Gehabe so recht hineinpaßt in meine vornehme, hochadelige Familie, und meine Aeltern daheim in München werden ausbündig glücklich sein, wenn ich ihnen's Tyrolermadel als Schwiegertochter bring' und 'ne braune Kuh und 'n weiß Zicklein als Aussteuer dazu.« Sagt, Herr, wollt Ihr hinabgehen zu meinem lieben Vater, dem Wirth von Windisch-Matrey, und wollt ihm das sagen?

Aber, Elise, seufzte der junge Mann schmerzlich, wenn Du mich auch nur ein Bischen liebtest, würdest Du nicht sogleich an's Heirathen denken, sondern Du würdest Alles vergessen, Deine ganze Vergangenheit hinter Dir in Trümmer sinken lassen und nichts denken, als daß ich Dich grenzenlos liebe und daß Du mich wieder liebst.

Es ist aber gar nit die Rede davon, daß ich Euch liebe, sagte Elise stolz, sondern blos davon, daß Ihr sagt und schwört, Ihr liebtet mich und daß ich Euch halt doch nit glaube.

Und warum glaubst Du mir nicht, grausames, schönes Mädchen?

Weil Ihr halt gar viel' schöne Worte macht, aber nix dahinter ist. Ihr sagt, daß Ihr mich sehr lieb habt, aber ich denk', wenn man Jemanden so recht von Grund aus lieb hat, so möcht' man ihn auch gar gern vor allem Unglück bewahren und möcht' lieber Alles dazu thun, ihn glücklich zu machen, müßt man auch sein eigen Glück zum Opfer bringen. Ihr aber, Herr, Ihr wollt mich nit glücklich machen, sondern mich in Unglück und Schand' stürzen, und darum sag' ich und behaupt' ich, daß Ihr mich nimmermehr lieb haben könnt!

Du hast also ein Herz von Stein, rief Ulrich von Hohenberg verzweiflungsvoll, Du willst es nicht sehen, was ich leide, nicht begreifen, wie ich Dich liebe.

Herr, sagte sie lächelnd, wenn ich's nit begreifen kann, so erklären's mir doch, wie lieben Sie mich denn?

Ich liebe Dich als das Schönste, Reizendste und Lieblichste, das ich jemals gekannt, jemals bewundert habe. Ich liebe Dich als ein Mädchen, dessen Unschuld, Natürlichkeit und Güte mein Herz mit Entzücken und Rührung erfüllt, an deren Seite ich mein ganzes Leben hinbringen, mit der ich vereint mir eine stille Insel der Glückseligkeit suchen möchte, um da, fern von der Welt, ihren Vorurtheilen und Thorheiten, ein süßes, seliges Liebesleben zu durchträumen, aus welchem uns nur der Tod erst erwecken sollte.

Herr, wenn Ihr mich wirklich so liebt, so braucht Ihr mit mir nit fortlaufen, um mit mir anderswo in der Fremd' die »stille Insel der Glückseligkeit«, wie Ihr's nennt, zu suchen, denn alsdann würdet Ihr sie aller Orten, wo wir wären, um Euch haben, und vor allen Dingen hier in den Bergen. Aber Ihr, schaut nur, Ihr wollt eben eine stille »Insel« der Glückseligkeit haben, das heißt, es sollt's Niemand wissen, daß der vornehme Herr 's arme Tyrolermadel liebt, und darum wollen sie zusammen in die Berg' laufen und sich verstecken und versuchen, ob sie glücklich sein können ohn' Segen vom Herrn Pfarrer, von den lieben Aeltern und allen andern guten Menschen.

Elise, habe doch Erbarmen mit mir. Ich schwöre Dir, daß ich Dich grenzenlos liebe, daß ich der glückseligste Mensch sein würde, wenn ich Dir öffentlich vor aller Welt meine Hand reichen, Dich zu meiner Gemahlin erheben könnte, daß –

Elise unterbrach ihn, indem sie mit lächelnder Miene und froh schmetternder Stimme sang:

Und a Bisserle Lieb' und a Bisserle Treu'
Und a Bisserle Falschheit ist all'zeit dabei!

Nein, keine Falschheit, rief Ulrich, nur die lästige, fürchterliche Nothwendigkeit, die –

Ein lauter Schuß, der knatternd zu ihnen empordröhnte und in den Bergen sein oft wiederholtes Echo fand, unterbrach ihn. Elise stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sprang auf.

Jesus Maria, murmelte sie leise, das ist das Signal. Es geht los.

Was denn? Was geht los? fragte der junge Mann erstaunt.

Elise sah ihn mit verwirrten, ängstlichen Blicken an. Nichts, o gar nichts, sagte sie zitternd. Es ist nur, ich mein' nur – Sie verstummte und blickte mit gespannter Aufmerksamkeit hinunter auf den großen Platz. Deutlich sah sie die Gruppen sich lebhaft hin und her bewegen, sah sie hierhin und dorthin sich von einander trennen und mit rasender Eile sich durch die Straßen ergießen.

Sie kommen hier hinauf, murmelte sie und ihre Blicke flogen hinüber nach dem Flügel des Schlosses, der da seitwärts von dem Balcon lag und in welchem die bairischen Soldaten einquartiert waren. Diese indeß schienen durchaus keine Gefahr zu ahnen. Sie saßen an den Fenstern und rauchten oder putzten an ihren Gewehren und Uniformstücken, man hörte sie plaudern und lachen in voller Ruhe und Sorglosigkeit.

Nun, Elise, Du schönes, grausames Mädchen, fragte Herr Ulrich von Hohenberg, willst Du mir sagen, was Dich auf einmal so erregt, so außer Fassung gebracht hat?

Nichts, Herr, o nichts, sagte sie, aber dann lehnte sie sich weit über das Geländer des Balcons und starrte hinunter – sie sah da die vier jungen Tyrolerschützen, die in vollem Lauf den Schloßberg hinaufrannten und die Schaar der Andern, welche ihnen folgten. – Jetzt, jetzt sprangen die vier ersten in den Schloßhof hinein und mit wilden Sprüngen hatten sie die große Hausthür erreicht, welche den Eingang zu diesem von den Soldaten bewohnten Schloßflügel bildete. Mit donnerndem Geräusch warfen sie dieselbe zu, verschlossen sie mit dem großen, im Schloß steckenden Schlüssel und zogen diesen aus.

Nun kamen die zwei Schützen von der entgegengesetzten Seite dahergesprungen.

Die Hinterpfort' ist zugeschlossen, riefen sie jauchzend.

Und die da auch, jubelten die Beiden. Sie sind gefangen all' mitsammen.

Herr, rief Elise, Ulrich von Hohenberg vom Balcon zurückziehend, Herr, ich bitt' Euch, kommt mit mir in den Saal, ich hab' Euch etwas zu sagen.

Nein, sagte er, ich bleibe hier und sehe, was es giebt. Was bedeutet denn dies? Da kommen mehr als fünfzig Tyroler in den Hof, und weshalb haben denn die tollen Bursche meinen Soldaten die Thüre verschlossen?

Es wird irgend ein toller Spaß sein, weiter nix, sagte Elise bebend. Kommt, lieber Herr, kommt hier fort, kommt da hinein. Ich möcht' Euch etwas sagen, ganz heimlich, ganz leis'. Selbst den Himmel und den lieben Gott, und die schneeweißen Berg' da drüben möcht' ich's nit hören lassen!

Elise, rief er entzückt, wie Du lächelst, wie Du erglühst! O mein Gott, was willst Du mir sagen?

Sie zog ihn, ihre beiden Hände um seinen Arm legend, in das Gemach. Hört, sagte sie, ihn mit flehenden Blicken ansehend, wenn's wahr ist, daß Ihr mich liebt, so gebt mir ein Zeichen davon, so schwört mir, das zu thun, um was ich Euch bitten will.

Ich liebe Dich, Elise, und ich will's Dir beweisen. Ich schwöre also, das zu thun, was Du willst!

Ich dank Euch, rief sie freudig. Nun kommt mit mir, ich führ' Euch oben hinauf unter's Dach, da weiß ich einen Versteck, wo Euch Niemand find't und Ihr schwört mir, da zu bleiben, bis ich mit einem Anzug komm', den Ihr anlegen sollt. Dann führ' ich Euch heut' Nacht in die Berge und Ihr entflieht.

Ich entfliehen? Nimmermehr, und weshalb auch?

Herr, weil Euch die Bauern ermorden werden, wenn Ihr bleibt!

Der Officier lachte laut auf. Mich ermorden? Ach, ich habe meine Soldaten, ich habe meine eigenen Waffen und ich fürchte die Bauern nicht. Meine Soldaten werden die Aufrührer bald zu Paaren treiben, wenn sie morgen wirklich rebelliren sollten.

Herr, sie warten nit bis morgen, heut' geschieht's, in dieser Stund'! O, Ihr habt Gott sei Dank nix merkt, Ihr wart in Eurem Stolz so sicher und habt die Tyroler Männer so verachtet, daß Ihr sie nicht gefürchtet habt Die Tyroler bewahrten das Geheimniß ihres beabsichtigten Aufstandes so sorgsam und verschwiegen, und die Baiern waren so übermüthig und sorglos zugleich, daß sie durchaus bis zum Tage des Ausbruchs der Revolution gar keine Ahnung von derselben hatten, und gerade am Tage des Ausbruchs mit Militairgewalt Contributionen eintreiben ließen. Siehe: Gallerie der Helden. Andreas Hofer. S. 50.. Ich sag's Euch aber jetzt, der Aufstand ist losgebrochen, Tyrol steht auf, von Insbruck bis nach Salzburg hin ist alles Volk in Bewegung. Ihr könnt's nit mehr hindern, nit mehr dämpfen. Ihr müßt's geschehen lassen! So rettet Euch denn selber, Herr, Ihr habt's geschworen und Ihr müßt Wort halten!

Nein, ich darf nicht und ich will nicht! Ich muß meine Pflicht thun! Laß mich, Elise! Ich muß fort! Zu meinen Soldaten!

Ihr könnt nit mehr zu ihnen, denn sie haben sie eingesperrt. Kommt, Ihr müßt Euch retten!

Sie packte mit übermenschlicher Kraft seinen Arm und wollte ihn mit sich fortziehen, aber er machte sich frei und stürzte nach der Thür hin.

Elise indeß kam ihm zuvor; wie eine gereizte Löwin sprang sie vorwärts, und als Ulrich eben die Hand an die Thür legen wollte, stand sie vor derselben und stieß ihn zurück.

Ich laß Euch nit heraus, rief sie. Erst müßt Ihr mich tödten, dann könnt Ihr gehen!

Elise, ich darf nicht bleiben. Ich beschwöre Dich, laß mich hinaus. Meine Ehre, mein Name steht auf dem Spiel. Die Bauern, sagst Du, sind im Aufruhr, meine Soldaten sind eingesperrt, und Du meinst, ich könnte so feig und erbärmlich sein, mich zu verstecken, meinen Namen der Schande Preis zu geben? Laß mich hinaus, Elise, habe Erbarmen mit mir! Zwinge mich nicht, Dich mit Gewalt von der Thür forttreiben zu müssen!

Ach, rief Elise mit einem höhnischen Lachen, Ihr denkt, ich werde von der Thür zurücktreten und Euch gutwillig gehen lassen, damit Ihr meinen Vater, meine Brüder um's Leben bringt? Hört, Herr, Ihr habt mir gesagt, daß Ihr mich liebt. Gebt mir einen Beweis davon. Laßt mich zuerst hinausgehen, laßt mich mit meinem Vater sprechen, nur drei Wort'! Vielleicht bered' ich ihn, Eure Soldaten gutwillig freizugeben und wieder ruhig nach Haus' zu gehen.

Gut, ich will Dir beweisen, daß ich Dich liebe. Geh' hinab Elise, sprich mit Deinem Vater! Ich gebe Dir zehn Minuten Zeit, das heißt, ich gebe Dir zehn Minuten meiner Ehre Preis!

Elise stieß einen Freudenschrei aus, mit einer leidenschaftlichen Bewegung warf sie ihre beiden Arme um den Nacken Ulrich's und drückte einen glühenden Kuß auf seine Stirn.

Lebt wohl, Herr, flüsterte sie, lebt wohl und Gott segne Euch!

Nun stieß sie ihn zurück, nun flog sie zur Thür hin, riß sie auf und sprang hinaus. Dann aber zog sie sorgfältig die Thür hinter sich zu, verschloß sie mit rascher und fester Hand, zog den Schlüssel aus und verbarg ihn in ihrem Mieder.

Heilige Mutter Gottes, ich danke Dir, rief sie freudig, er ist gerettet, denn der Saal hat keinen weitern Ausgang und der Balcon ist zu hoch, er kann nit hinab!


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