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Es war also entschieden! Der Kampf mit Frankreich sollte auf's Neue beginnen! Nun kein Zaudern und Bedenken, kein Hinhalten und Vermitteln mehr! Der Moment des Handelns war da!
Schon hatte der französische Gesandte Andreossy Wien verlassen und das ganze Gesandtschaftspersonal war ihm gefolgt. Schon war Graf Clemens Metternich in Wien eingetroffen, aber nicht wie Andreossy hatte er ungefährdet und unbeschädigt Paris verlassen, sondern Napoleon hatte ihn mit höhnendem Zorn verabschiedet und von einem Detachement Gensd'armen war er bis zur französischen Grenze escortirt worden.
Und heute, heute am neunten März sollte durch eine öffentliche Feier in Wien Oesterreich es dem ganzen Deutschland verkünden, daß Oesterreich noch einmal den Kampf gegen das siegreiche Frankreich aufzunehmen gedenke, daß Oesterreich noch einmal das Blut seiner Völker, die Existenz seines Kaiserhauses daran wagen wolle, Deutschland von dem Usurpator zu befreien, der alle Selbstständigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit der deutschen Völker in seinen ehernen Händen zerbrechen wollte.
Heute sollte auf dem Glacis von Wien eine ernste Feier stattfinden. Die Fahnen der Landwehr sollten dort von dem Erzbischof von Wien ihre Weihe empfangen und die ganze kaiserliche Familie wollte Zeuge dieser Feierlichkeit sein.
Ganz Wien hatte daher heute ein festliches Ansehen, nirgends sah man die Läden geöffnet, die Menschen geschäftig dem täglichen Verkehr des Lebens nachgehen. Die Wiener hatten heute Feiertag gemacht, Keiner wollte arbeiten, Keiner wollte sich heute plagen um das tägliche Brod. Jeder wollte sich heute nur erquicken mit geistiger Nahrung, und mit seinen Blicken, seinen Zurufen die Männer und Jünglinge begrüßen, welche ausziehen sollten, um für das Wohl des Vaterlandes zu kämpfen.
In einem einzigen ungeheuren Strom wogte daher das Volk heute dem Glacis zu, stürzte sich mit brausender Gewalt in die ausgetrockneten Gräben, um von dort aus die schräge Höhe zu erklimmen, auf die aus den Gräben aufsteigenden Bäume sich zu schwingen, oder irgend einen andern Standpunkt zu erhaschen, von dem man die Feierlichkeit, welche sich da oben auf der breiten Promenade des Glacis begeben sollte, überschauen könne. Droben auf dem großen Rondel des Glacis aber war eine Tribüne aufgeschlagen, auf deren mit goldgestickten Purpurdecken verziertem Baldachin eine riesengroße Kaiserkrone angebracht war; vier goldene Doppeladler prangten auf den vier Ecken des Baldachin und trugen in ihren Schnäbeln Fahnen in den Farben Oesterreichs und Ungarns. Unter dem Baldachin standen vergoldete, mit purpurrothem Sammet bekleidete Lehnstühle. Das war die für den Kaiser und seine Familie bestimmte Tribüne, und nach ihr hin waren alle Blicke gerichtet und alle Herzen sehnten sich, den Kaiser zu grüßen und ihm zu danken für das stolze Glück dieser Stunde.
Weiterhin erhoben sich noch andere, nicht minder prächtig ausgestattete Tribünen, deren Plätze man zum Wohl der Landwehrmänner zu ungeheuren Preisen an die Aristokratie und die reichen Einwohner von Wien verkauft hatte, und auf den Bäumen, welche rings die breite Promenade und das Rondel begrenzten, hatten Tausende ihre Plätze gefunden, nur mit einigen Schmerzen und Quetschungen ihre lustigen Sitze bezahlend.
Seit der Frühe des Morgens hatte das Strömen und Wallfahrten nach dem Glacis seinen Anfang genommen; jetzt, um zehn Uhr, waren alle Plätze, alle Wege, alle Bäume und Tribünen, alle Gräben und Brücken mit einer dichtgedrängten Menschenmasse besetzt, und alle Zugänge zu dem Glacis hatten schon, um Unglück zu verhüten, abgesperrt werden müssen.
Auch oben auf der breiten Promenade des Glacis ward es jetzt lebendig, da zogen die Landwehrmänner daher mit aufgerollten Fahnen, mit schmetternder Musik. Zu beiden Seiten des Weges stellten sie sich auf, und ihre Officiere und Fahnenträger begaben sich in das große Rondel, wo der kaiserlichen Tribüne gegenüber ein Altar errichtet war. Ringsher stellten sie sich auf um den Altar, auf dessen Stufen geweihete Priester im vollen Ornat knieten, auf dessen Höhe sich ein riesengroßes Crucifix erhob, weithin sichtbar für alle Zuschauer und Allen seinen Gruß des Segens und der Liebe in's Herz hinein winkend.
Und jetzt begannen von allen Thürmen die Glocken ihr feierliches Geläute; sie verkündeten mit ihren ehernen Zungen den Bewohnern Wiens, den tausend und tausend Menschen, die gekommen waren, der feierlichen Handlung zuzuschauen, daß der Kaiser jetzt mit seiner Gemahlin und seinen Kindern die Burg verlassen habe, und gefolgt von seinem Hofe, sich dem Glacis nähere. Schon begann es da oben lebendig zu werden, die Landwehrmänner stellten sich in Reih' und Glied und nahmen eine ernste, militärische Haltung an, die Trommeln wirbelten, die Kanonen donnerten, die Trompeten schmetterten ihre Fanfaren darein, – der Kaiser erschien, seine Gemahlin an der Hand führend, auf der Tribüne. – Er sah blaß aus, seine Gestalt war wie in innerm Frösteln zusammengekauert, und auffallender noch als sonst war das Hängen seiner Unterlippe und der düstere, verdrießliche Blick seiner glanzlosen blauen Augen. Aber das Volk sah das nicht, es sah nur, daß da sein Kaiser erschienen sei, sein Kaiser, der es befreit hatte von der Schmach der Knechtschaft, der lieber mit seinem Volk sterben als den Uebermuth Frankreichs noch länger ertragen wollte, der muthig und kühn Alles auf das Spiel setzte, um Alles zu gewinnen, um Oesterreich, um Deutschland endlich einen dauernden Frieden zu geben und seine Ehre, seine Selbstständigkeit zu wahren.
Und deshalb schlugen dem Kaiser Franz alle Herzen entgegen, deshalb empfing ihn tausendstimmiger Jubelruf, immer wieder sich erneuerndes, freudiges Jauchzen.
Der Kaiser empfing diese ihm dargebrachten Huldigungen mit einem gezwungenen Lächeln, aber desto strahlender war das Lächeln seiner Gemahlin: in ihren glühenden, dunkeln Augen glänzten Thränen freudiger Rührung, als sie ihre Blicke über diese jauchzende Volksmenge, über diese kampfbegeisterten Schaaren der Krieger dahingleiten ließ, und auch sie jubelte, nur daß sie es leise und verschwiegen in ihrem Herzen that, nur daß sie es nicht wagte, ihrem Entzücken Ausdruck zu geben, dem verdrießlichen Wesen des Kaisers gegenüber.
Als eben das Volk in einen neuen Paroxysmus des Jubels ausbrach, neigte sich Franz dichter zu seiner Gemahlin hin. Nun seien's wohl recht zufrieden, Frau Kaiserin? fragte er. Haben jetzt Ihr Ziel erreicht, haben's glücklich Alle soweit gehetzt, daß wir Krieg haben und daß Alles wieder Kopf unter Kopf über gehen wird. Aber ich sag' Ihnen, Frau Kaiserin, es ist halt kein Glück bei dieser Sach', und ich glaub' nicht an einen Sieg.
Nun, Majestät, so werden wir unterliegen und sterben, aber es wird eine Niederlage mit Ehren sein. Besser im gerechten und ehrenvollen Kampfe unterzugehen, als sich geduldig und schweigend der fremden Anmaßung zu unterwerfen.
Sehr schöne Redensart, aber die Praxis macht sich doch zuweilen unbequemer als die Theorie, Frau Kaiserin. Weiß halt nit, ob Sie nicht eines Tages bereuen werden, daß wir diesen heutigen Tag herbeigeführt, und – aber was ist denn das jetzt wieder für ein Höllenlärm? Schrei't doch das Volk, als ob es den lieben Gott selber zu begrüßen hätt'! Was ist's denn?
Majestät, sagte Ludovica mit einem schüchternen Blick in das Antlitz ihres Gemahls, Majestät, das Volk begrüßt, wie es scheint, die beiden Erzherzöge Carl und Johann, denn da kommen sie eben daher durch die Reihen der Landwehrmänner.
Ach, es sind meine Herren Brüder, murmelte der Kaiser mit einem zornigen Ausdruck, der aber sogleich wieder verschwand; das Volk begrüßt meine Herren Brüder, als wenn es seine beiden Gottheiten wären, von denen allein es Segen und Heil erwartet.
Majestät, das Volk begrüßt die beiden Erzherzöge als die Brüder seines Kaisers, als diejenigen, welche das Vertrauen Eurer Majestät an die Spitze seiner Heere gestellt hat, um sie zum Kampf, und so Gott will, zum Sieg zu führen. Eure Majestät allein sind es ja, welche den Erzherzog Carl zum Generalissimus Ihrer ganzen Heeresmacht, den Erzherzog Johann zum Befehlshaber des Heeres von Inner-Oesterreich ernannt haben!
Ja, ich hab's gethan, denn da ich einmal das Glück habe, mit so heldenkühnen und erhabenen Brüdern gesegnet zu sein, muß ich sie freilich auch wohl nach Verdienst auszeichnen und verwenden, sonst möchten's gar glauben, ich sei eifersüchtig auf ihre Herrlichkeit. Nein, im Gegentheil, ich lieb' meine Herren Brüder gar sehr, und darum gebe ich Ihnen jetzt wieder Gelegenheit, sich neue Lorbeeren zu verdienen, wie sie sich 1805 auch deren verdient haben. Freilich hat mein Herr Bruder, der Generalissimus, damals bei Austerlitz nicht siegen können, und mein Herr Bruder Johann hat auch manche Schlappe erfahren, aber das verhindert nicht, daß sie doch Helden und große Männer sind. Hören Sie nur, wie das Volk ihnen sein Entzücken entgegenbrüllt! Jesus Maria, wenn nur der Herr Generalissimus aus Freude nicht wieder seine Krämpfe bekommt.
Ludovica warf einen schnellen, traurigen Blick auf das boshaft lächelnde Angesicht ihres Gemahls. Beruhigen Sich Eure Majestät, sagte sie, Ihre zärtlichen Befürchtungen werden sich diesmal zum Glück nicht erfüllen. Der Erzherzog ist, wie Sie sehen, ganz wohl, er redet eben zu seinen Truppen
Ja, ja, ich kenn' die erbauliche Rede! Der Herr von Gentz hat sie ihm abgefaßt, und ich hab' erlaubt, daß er sie halten darf Ach, es sind sehr schöne Redensarten darin, und mein gutes österreichisches Volk wird erstaunt sein, was wir plötzlich für liberale Leut' geworden sind, und was für großartige Ideen von Freiheit, Gleichheit und Volkssouverainetät wir aufgeschnappt haben. Horchen's nur, die Schlußwort' sind gar schön, es klingt, als wenn man die Marseillaise in's Oesterreichische übersetzt hätte! Horchen's nur, Frau Kaiserin!
Soldaten, rief eben der Erzherzog mit laut schallender Stimme, Soldaten, die Freiheit Europa's hat sich unter Oesterreichs Fahnen geflüchtet, das gute Recht, die Freiheit und Ehre von ganz Deutschland erwartet seine Erlösung allein von unseren Armeen. Nie sollen sie, Werkzeuge der Unterdrückung, unter fernen Himmelsstrichen die endlosen Kriege eines zerstörenden Ehrgeizes führen, schuldlose Völker vernichten, und durch ihre eigenen Leichen, fremden Emporkömmlingen den Weg zu geraubten Thronen bahnen! Soldaten, nur für die Freiheit, die Ehre und das gute Recht von ganz Deutschland erheben wir unsere Waffen, denn diese heiligen Güter sind es, die wir zu vertheidigen haben! Hormayr: Allgemeine Geschichte Bd. III. S. 219
Ein lang anhaltender, unermeßlicher Jubel der Soldaten, wie des Volks war die Antwort auf die begeisterte Ansprache des Generalissimus, aber jetzt auf einmal ward Alles still, denn dort auf dem Altar neben dem hohen Crucifix war jetzt der Erzbischof erschienen, und mit ihm die ganze hohe Geistlichkeit.
Der Kaiser erhob sich von seinem Sitze und neigte sich fromm und demüthig vor dem ehrwürdigen Kirchenfürsten, der in seiner Kindheit sein Lehrer gewesen, und der später drei Mal schon, vor wenigen Monaten erst zum dritten Mal, an ihm die heilige Trauungs-Ceremonie vollzogen hatte.
Und jetzt, an der Spitze der Truppen, rückten die Erzherzöge auf den Platz, und unter dem Geläute aller Glocken, dem Donner der Kanonen begann die Fahnenweihe.
Stehend, mit entblößtem Haupte, mit gefaltenen Händen schaute der Kaiser ihr zu. Marie Ludovica's Augen aber waren himmelwärts gerichtet, und ihre Lippen bewegten sich in leisem, inbrünstigen Gebet. Hinter ihnen standen die jungen Erzherzöge und Erzherzoginnen, Gebete murmelnd, und dabei doch neugierig umherblickend, dann die Hofcavaliere des Kaiserpaars, finster d'reinschauend, mit verhaltenem Groll in den düstern Gesichtern.
Jetzt war die Weihe der Fahnen vollendet, der Erzbischof erhob seine Arme und streckte sie gegen die Soldaten aus. Auf Wiedersehen, rief er mit strahlendem Angesicht, mit freudiger Begeisterung, auf Wiedersehen in der Stunde der Gefahr!
Auf Wiedersehen in der Stunde der Gefahr! antworteten ihm die Soldaten mit glühendem Enthusiasmus. Dann, als sie sahen, daß der Erzbischof seine Kniee beugte, knieten auch sie und neigten betend ihre Häupter.
Still ward es jetzt auf einmal, auf dem großen, ungeheuren Raum. Nur die Glocken läuteten und die Kanonen donnerten in der Ferne, und nur das Gemurmel der frommen Gebete, die aus tausend und tausend inbrünstigen Herzen zu Gott emporstiegen, wurde daneben gehört.
In der Begeisterung dieser Stunde zagte Niemand, blickte Niemand bang in die Zukunft. Selbst die Mütter weinten nicht um ihre Söhne, die jetzt hinaus ziehen sollten in den Krieg, die Bräute ließen ihre Geliebten ohne Klage und ohne Thränen dahin gehen, die Frauen nahmen muthig und freudig von ihren Männern Abschied, ihre kleinen Kinder an die Brust drückend und sie vertrauensvoll dem Schutze Gottes übergebend. Eine allgemeine Begeisterung hatte die Gemüther ergriffen und auch die kältesten und eigennützigsten Herzen mit fortgerissen. Die Reichen gaben mit zuvorkommender Bereitwilligkeit ihr Geld, die minder Reichen legten ihr Silberzeug, ihre Kostbarkeiten auf dem Altar des Vaterlandes nieder, die Handwerker meldeten sich zu unentgeltlichen Arbeiten für die Armeen, die Frauen zupften Charpie und bildeten Vereine, um später die Pflege der Verwundeten übernehmen zu können, die jungen Männer boten dem Vaterland ihr Leben und ihr Blut an und betrachteten es als eine Gnade, daß man sie nicht zurückwies.
Der jahrelange Haß gegen Frankreich loderte jetzt durch ganz Oesterreich und ganz Deutschland in Flammen der Begeisterung für den Krieg empor und jedes Herz glühte, einen Antheil zu haben an diesem Krieg, der Allen wie ein Krieg heiliger Rache und Vergeltung erschien. Zum ersten Mal seit langen Jahren fühlte sich Oesterreich wieder eins mit Deutschland, blickten die deutschen Volksstämme auf Oesterreich, als auf ein deutsches Land hin und streckten den österreichischen Brüdern zu gleicher That, zu gleichem Ziel, die Hände entgegen.
Aber während an diesem schönen, glücklichen Tage der Fahnenweihe das Volk und die Soldaten jubelten, herrschte in der Kaiserburg ein düsteres Schweigen. – Die freudige Maske, welche der Generalissimus, der Erzherzog Carl, über sein Antlitz gelegt, so lange er draußen auf dem Glacis gewesen, war jetzt von demselben verschwunden, als er wieder seine Gemächer betreten hatte. Bleich und matt lehnte er in einem Fauteuil und die trüben Augen auf seinen General-Quartiermeister Grafen Grüne richtend, sagte er: Hören Sie, mein Freund, was ich Ihnen jetzt sagen will und dessen Sie Sich einst erinnern werden. Ich habe mich drei Mal feierlich und ohne Rückhalt diesem Kriegsplan widersetzt, denn ich weiß, daß wir nicht reif sind zur That und ich weiß auch, daß ich große und mächtige Feinde hier in Oesterreich habe, welche allen meinen Unternehmungen hemmend in den Weg treten und welche Alles daran setzen werden, um mich, und mit mir auch Sie, mein armer Freund, zu vernichten. Die ganze Aristokratie ist meine Feindin, sie wird es nie zugeben, daß die Brüder des Kaisers vielleicht durch eigene Bedeutung und Herrschaft ihrer Oligarchie eine Schranke setzen, sie wird uns stets bekämpfen und müßte sie darüber auch die Macht und Ehre des Vaterlandes auf's Spiel setzen! Ich kenne alle die Gefahren und Intriguen, welche mich umgeben und weil ich sie kenne, suchte ich ihnen auszuweichen, stimmte ich gegen den Krieg, suchte wenigstens mich von dem General-Commando zu befreien. Aber der Kaiser wollte es nicht, der Kaiser befahl mir das schwere Amt des Generalissimus seiner Armee anzunehmen und als sein Unterthan mußte ich ihm gehorchen. Aber ich sag's Ihnen noch einmal: es wird dies für Oesterreich ein unheilsvoller Krieg werden, und mit finsteren Ahnungen sehe ich in die Zukunft. –
Und finster, wie das Antlitz des Generalissimus, war auch das Antlitz seines Bruders, des Kaisers Franz.
Er hatte sich in sein Cabinet zurückgezogen und ging murrend auf und ab, die Fliegenklappe in der Hand haltend und mit grimmiger Freude auf die Fliegen drein hauend, die sein umherirrendes Auge hier und da an der Wand entdeckte.
Plötzlich öffnete sich die Thür und der Lakai meldete den Erzherzog Johann. Das Antlitz des Kaisers ward noch verdrießlicher. Er warf die Fliegenklappe bei Seite und murmelte leise in sich hinein: nimmer hat man Ruh vor den Brüdern! – Laut sagte er dann: eintreten!
Eine Minute später trat der Erzherzog Johann in das Cabinet ein. Sein Antlitz war noch freudig erregt von der großartigen Feier, die man am heutigen Morgen erlebt, sein Auge strahlte noch in reiner Begeisterung und Freude und um den Mund schwebte ein heiteres Lächeln. So trat er seinem Bruder entgegen, dessen Antlitz doppelt düster erschien neben dem seinen.
Ich komme, um mich von Ew. Majestät zu beurlauben und von meinem Bruder Franz Abschied zu nehmen, sagte er mit herzlicher, sanfter Stimme. Ich gedenke heute Nacht noch Wien zu verlassen und nach Gratz abzugehen und dort meinen Generalstab um mich zu sammeln.
Wünsch' glückliche Reise, Herr Befehlshaber und Comandirender des südlichen Armeecorps, sagte der Kaiser trocken, wünsch' glückliche Reise, mein Herr Bruder. Ihr habt Alle den Krieg gewollt. Jetzt habt Ihr ihn!
Und Ew. Majestät haben gehört, mit welcher Begeisterung das ganze österreichische Volk ihn aufgenommen hat. Aber nicht blos das Volk von Oesterreich, sondern ganz Deutschland blickt jetzt mit Freude, Hoffnung und Stolz auf Oesterreich hin und begeistert sich an unserer Begeisterung, erhebt sich an unserer Erhebung.
Mir ganz gleich, sagte der Kaiser trocken. Ich habe, Gott sei Dank, die Krone von Deutschland seit drei Jahren abgeworfen, ich bin nicht mehr Kaiser von Deutschland!
Aber eines Tages, wenn durch Ihre Armeen Frankreich besiegt, die Welt von dem ländersüchtigen Usurpator befreit ist, wird Deutschland sich voll Dankbarkeit wieder zu Eurer Majestät Füßen niederlegen und Sie beschwören, die deutsche Kaiserkrone wieder aus seinen Händen anzunehmen.
Bedank' mich schön, ich nehm sie nicht, rief der Kaiser achselzuckend. Aber sagen Sie, mein Herr Bruder, Sie sind also wirklich überzeugt, daß wir den Bonaparte besiegen können und werden?
Ich bin davon überzeugt. Ja, wir werden siegen, wenn –
Nun, wenn? fragte der Kaiser, als der Erzherzog stockte.
Wenn wir nur den festen Willen haben, es zu thun, sagte Johann, den Kaiser fest anblickend, wenn wir nur einmüthig sind im Handeln, wenn Keiner dem Andern hemmend entgegentritt, wenn keine kleinlichen Eifersüchteleien den Einen fördern, den Andern zurückdrängen. Oh, mein Bruder, in dieser Stunde des Scheidens möge mir ein offenes, wahres Wort erlaubt sein und Ew. Majestät mögen verzeihen, wenn sich mein Herz Ihnen öffnet in rückhaltlosem Vertrauen. Majestät und mein Bruder, ich bekenne es daher frei: es ist nicht Alles hier, wie es sein sollte. Wo Einigkeit herrschen sollte, herrscht Zwietracht, wo Alle gemeinsam nur das große Ziel vor Augen haben sollten, zur Bekämpfung Napoleons alle Mittel, alle Kräfte in Bewegung zu setzen, zerfallen sie unter einander in Parteien, die sich gegenseitig befehden und verdächtigen. Oh, mein gütiger Kaiser, ich beschwöre Sie, hören Sie nicht auf diese Parteien, trauen Sie nicht Denen, welche Ihre Brüder bei Ihnen verdächtigen möchten. Glauben Sie mir, Sie haben keinen treuern, ergebeneren, gehorsameren Unterthan, als ich es bin, vertrauen Sie daher mir, der nichts will, als zu der Größe, der Ehre und dem Ruhm seines Vaterlandes und seines Kaisers nach seinen Kräften, so schwach diese immer sein mögen, beizutragen. Mein Bruder, es hat lange eine Scheidewand zwischen uns gestanden, Gott ist mein Zeuge, daß ich es nicht gewesen, der sie aufgerichtet. Aber lassen Sie uns dieselbe in dieser Stunde des Abschieds für immer beseitigen, glauben Sie, ich beschwöre Sie, an meine Liebe, meine hingebende Treue, reichen Sie mir Ihre Hand dar und sagen Sie: Johann, ich vertraue Dir! Ich glaube an Dich! Sehen Sie, ich warte auf dieses Wort, wie auf den Segen, der mich in die Schlacht begleiten, der wie ein Talisman auf meinem Herzen ruhen soll. Sprechen Sie es, mein Bruder, dies Wort der Liebe und des Vertrauens! Reichen Sie mir Ihre Hand dar, öffnen Sie ihrem Bruder Ihre Arme.
Wozu wollen wir denn hier eine empfindsame Scene aufführen? fragte der Kaiser hart. Bin kein Freund von dergleichen und mag die Familienrührstücke nur auf der Bühne sehen. Ich bin aber, Gott sei Dank, kein Theaterkaiser, sondern ein wirklicher, und will mit der Theaterpoesie nichts zu thun haben. Weiß auch nichts von Scheidewänden, die zwischen uns ständen. Ich hab' sie halt niemals bemerkt und bin niemals darüber gestolpert. Was versichern Sie mir aber so leidenschaftlich Ihre Liebe und Ihre Treue? Wer sagt Ihnen denn, daß ich daran zweifle? Das hieß' ja meinen Bruder als einen Hochverräther betrachten und das wär' ein großes Unglück für ihn, denn gegen die Hochverräther werde ich immer unerbittlich sein, sie mögen sein, wer sie wollen und sie mögen hoch oder niedrig stehen! Sprechen wir nicht mehr davon. Sie haben aber außerdem mir abermals, und ohne daß ich es verlangte, Rath ertheilt und fordern, daß ich auf keine Parteien hören soll. Das thue ich auch nicht, mein Herr Bruder. Ich höre auf keine Parteien, weder auf die Ihre, noch auf die der Andern. Ich höre nur auf mich und habe meine Diener, daß sie mir gehorchen. Sie gehören auch zu diesen, gehen Sie also hin und gehorchen Sie mir. Ich habe den Krieg gewollt, nun denn, gehen Sie zu Ihrem Armeecorps und kämpfen Sie, wie es Ihre Schuldigkeit ist, für Ihren Kaiser und für Oesterreich. Besiegen Sie Napoleon, wenn Sie es vermögen! Sie spielen ein gewagtes Spiel, das leicht für uns selber gefährlich werden kann. Sie haben ganz Tyrol zur Empörung aufgereizt; wenn es unterliegt, fällt die Schuld auf Ihr Haupt zurück.
Ich werde diese Schuld tragen, und Gott wird sie mir verzeihen, sagte Johann feierlich. Majestät, Sie haben den Bruder nicht anhören wollen, der Ihnen redlich und offen seine Liebe anbot. Ich habe nun nichts mehr zu sagen und es wird das letzte Mal gewesen sein, daß ich einen solchen Versuch gewagt habe.
Soll das eine Drohung sein? fragte der Kaiser gereizt.
Nein, sagte Johann wehmüthig, ich drohe Ihnen nicht, ich werde mich immer erinnern, daß ich Sie geliebt habe und daß Sie der Sohn meiner Mutter sind, nicht blos mein Kaiser und mein Herr.
Und ich, rief der Kaiser heftig, ich werde mich immer erinnern, daß Sie Haupt derjenigen Partei waren, welche durch ihr unsinniges Kriegsgeschrei den Groll Napoleons zuerst anregte, welche uns zu Demonstrationen und Rüstungen trieb und es wirklich so weit gebracht hat, daß ich selbst den Krieg wollen muß, obwohl ich sehr gut weiß, daß er ein Unheil für Oesterreich ist. Denn auch ich will Ihnen mein Abschiedswort sagen, mein lieber Herr Bruder: wir werden einen unglückseligen Krieg machen. Wir werden nicht siegen, trotzdem, daß meine hochgelehrten und hochweisen Brüder an der Spitze meiner Armee stehen! Ich habe die erfahrensten und die angesehensten Männer um Rath gefragt. Ich habe mich selbst zu dem todtkranken Grafen Kobenzl begeben und ihn um seine Meinung befragt. Er haßt Napoleon so glühend, wie nur irgend Einer und doch stimmt er für den Frieden, ich habe den Fürsten von Ligne und den Minister Thugut gefragt, der Eine ist ein ehrgeiziger Feldherr, der Andere ein rachsüchtiger Diplomat, der Napoleon gern vernichten möchte, und doch stimmten Beide für den Frieden mit Frankreich und ich will Ihnen sagen, warum sie's thaten: Weil sie Alle wußten, daß unter meinen Heerführern und Generälen nicht ein einziger entschlossener Charakter ist, nicht ein einziger Kriegsmann, der sich dem Napoleon und seinen Generälen gegenüber stellen kann; weil sie wußten, daß selbst mein Bruder Carl, der Generalissimus, schwankend und unentschlossen ist und weil sie vielleicht nicht ahnen, welch ein großmächtiges Feldherrntalent in dem Erzherzog Johann ruht, wenn es nur zum Ausbruch kommen könnt'. Wenn ich mich dennoch, trotz alledem, jetzt für den Krieg erklärt habe, so geschah es, weil die Umstände, nicht meine Ueberzeugung mich dazu drängten, die Umstände, von denen Sie ein gutes Theil mit verschuldet haben!
Majestät, sagte Johann ernst und würdevoll, ich will mir nur erlauben, auf einige Worte Eurer Majestät etwas zu erwidern. Sie sprachen von meinem Feldherrntalent, das noch nicht zum Ausbruch gekommen. Nun wohl, geben Sie ihm ein Recht dazu, machen Sie mich frei von jeder Obervormundschaft, gestatten Sie mir als Ihr Feldherr frei und unbehindert von Andern meinen Weg zu gehen und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihnen Tyrol und Ihre lombardischen Provinzen wieder erobere.
Ei, schauen's, ein schöner Plan, rief der Kaiser lachend. Ein zweiter Generalissimus wollen Sie werden, unabhängig von jedem andern Willen?
Nein, Majestät, nur gleichberechtigt, nur autorisirt, mit meinem Bruder Carl in gemeinsamer Berathung zu überlegen und zu bestimmen.
Sie sind halt sehr vermessen, mein Herr, gegen Ihren Generalissimus zu opponiren, sagte der Kaiser streng. Heut' wollen Sie dem Generalissimus nicht mehr gehorchen, morgen möchten Sie vielleicht dem Kaiser den Gehorsam aufkündigen! Kein Wort mehr davon! Gehen Sie hin und thun Sie Ihre Schuldigkeit! Der Erzherzog Carl ist der Generalissimus und Sie werden Sich seinen Plänen und Anordnungen fügen und unterwerfen! Leben Sie wohl, mein Herr Bruder und Gott und die heilige Jungfrau sei mit Ihnen und Ihrer Armee!
Ew. Majestät, leben Sie wohl, sagte der Erzherzog, dem Kaiser eine ceremonielle Verbeugung machend. Dann wandte er sich hastig um und ging hinaus.
Der Kaiser schaute ihm mit grollenden Blicken nach. Ich denk', die beiden Herren Erzherzöge werden einander 's Leben sauer genug machen, sagte er leise. Es wird halt nit blos Krieg mit Frankreich geben, sondern Krieg unter den Parteien und die Folge davon wird sein, daß die Herren Brüder wenig Lorbeeren werden heimbringen können! –
Erzherzog Johann aber kehrte langsam in seine Gemächer zurück. In seinem Cabinet angelangt, sank er wie betäubt und zerbrochen auf den Divan hin.
Das Haupt auf seine Brust gesenkt, saß er lange schweigend da, und zuweilen hochaufathmend vor innerer Qual. Dann nach einer langen Pause hob er langsam seine Augen, die von Thränen erglänzten, zum Himmel empor.
Du weißt es, mein Gott, sagte er leise, Du weißt es, daß mein Wille gut ist und rein, daß ich nichts will, als dem Vaterland dienen und die jahrelange Schmach abwaschen in dem Blut des Feindes! Du weißt es, daß ich nichts für mich will, sondern Alles nur für das Vaterland. Hilf mir, mein Gott, hilf dem armen, unglücklichen Oesterreich! Laß uns nicht unterliegen und zu Schanden werden! Gieb unsern Waffen den Sieg! Oh Oesterreich, oh Deutschland, warum kann ich nicht mit meinem Blut Euch die Freiheit, die Unabhängigkeit erkaufen! Aber mindestens kann ich doch für Euch kämpfen, für Euch sterben! Willkommen sei mir der Tod, wenn meine sterbenden Augen die Morgenröthe der Freiheit Deutschlands erschauen können!