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XIX. Der erste Blitzstrahl

In dieser Nacht schlief Herr von Pöllnitz sehr wenig, als er aber am andern Morgen sich von seinem Lager erhob, war sein Antlitz heiterer und strahlender wie seit langer Zeit. Er hatte seinen Plan gemacht und war jetzt überzeugt, daß derselbe reussieren werde.

Ich werde mir heute hundert Dukaten verdienen, sagte er leise lächelnd zu sich selber, als er in glänzender Toilette seine Wohnung verließ, ja wahrhaftig, hundert Dukaten werde ich mir verdienen, und an dem König meine Revanche nehmen für das Austrommeln. Das wird also heute ein sehr schöner und gesegneter Morgen werden.

Er begab sich zuerst in die Wohnung des Obristen von Jaschinsky und ließ sich bei diesem wegen einer dringenden Geschäftssache melden.

Der Obrist selber eilte ihm daher ganz dienstbereit und voll Neugierde entgegen.

Führen Sie mich in ein Zimmer, wo wir ganz sicher sicher sind von niemandem belauscht zu werden, sagte Herr von Pöllnitz.

Der Obrist führte ihn in sein Arbeitskabinett.

Hier kann uns niemand belauschen, Herr Oberzeremonienmeister.

Ohne Umschweife also, Herr Graf. Sie kennen das Gesetz, welches den Offizieren verbietet, Schulden zu machen?

Ich kenne es, erwiderte der Graf Jaschinsky ein wenig erbleichend. Ich kenne es, und ich glaube, daß der Herr Baron von Pöllnitz also sehr zufrieden sein kann, nicht zu den Offizieren zu gehören.

Vielleicht würden Sie es auch sein können, Herr Obrist.

Wie meinen Sie das? fragte Jaschinsky mit hochfahrendem Ton.

Ich meine ganz einfach, daß der Herr Obrist Graf von Jaschinsky auch zu den Offizieren gehört, welchen das Gesetz verbietet, Schulden zu machen, daß er sich aber sehr wenig an dieses Gesetz bindet.

Ah, Sie sind also, wie es scheint, hierhergekommen, um mir zu drohen?

Höchstens um Sie zu warnen, Graf. Denn Sie wissen wohl, der König ist besonders streng gegen sein Gardedukorps. Sie sind Obrist in diesem herrlichen Regiment, und sollen ohne Zweifel den Offizieren mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ich weiß aber nicht, ob der König es ein gutes nennen wurde, wenn er erführe, daß Sie nicht allein Schulden machen, sondern sogar von den Offizieren Ihres eigenen Regiments borgen.

Herr Baron von Pöllnitz! rief Jaschinsky mit drohendem Ton.

Pöllnitz lächelte, und die Worte wiederholend, welche der Graf kurz zuvor zu ihm gesagt, rief er: Ah, wie es scheint, wollen Sie mir jetzt drohen? Lassen Sie das, Herr Graf, und hören Sie mir ruhig zu. Ich bin gekommen, um ein Geschäft mit Ihnen zu machen. Sie haben von dem Baron von Trenck vorgestern zweihundert Stück Dukaten geborgt. Geben Sie mir hundert Stück davon, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, zu schweigen. Verweigern Sie es mir, so gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich sofort zum König gehe, und ihm die ganze Geschichte erzähle. Sie wissen sehr gut, Herr Graf, daß er Sie sofort kassieren würde.

Ich weiß nicht, ob Seine Majestät den Worten des Herrn Baron von Pöllnitz so unbedingt Glauben schenken würde, und an Beweisen für Ihre Behauptung würde es Ihnen fehlen.

Nicht doch, Sie haben eine Schuldverschreibung ausgestellt, und ich meine, das ist ein vollgültiger Beweis.

Der Graf erblaßte und ging einige Male heftig im Zimmer auf und ab. Sie geben mir Ihr Ehrenwort, dem König nichts zu sagen, wenn ich Ihnen hundert Stück Dukaten dafür auszahle? fragte er dann.

Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort; mehr als das, ich verspreche Ihnen, für Sie das Wort zu führen, wenn irgend jemand es wagen sollte, Sie beim König verdächtigen zu wollen.

Der Obrist von Jaschinsky antwortete nicht. Er eilte nur zu seinem Schreibtisch hin und nahm aus demselben zwei Geldrollen, mit denen er sich dem Baron näherte.

Herr Baron, sagte er, hier ist die Hälfte von dem Gelde, das ich mir von dem Leutnant von Trenck geliehen habe, hundert Dukaten. Bevor ich sie Ihnen gebe, habe ich Sie nur noch um die Erfüllung einer Bitte zu ersuchen.

Und diese ist?

Sagen Sie mir, von wem Sie erfahren haben, daß ich mir dies Geld geliehen?

Ich habe Ihre Schuldverschreibung gelesen, der Baron von Trenck zeigte sie mir.

Ah, er zeigte sie Ihnen, sagte Jaschinsky mit einem solchen Ausdruck, daß Pöllnitz sehr wohl begriff, wieviel Haß, Zorn und Rache das Herz des Obristen eben bewegte.

Er nahm das Geld aus des Grafen Händen und ließ es sanft in seine Busentasche gleiten. Ich schulde Ihnen jetzt hundert Stück Dukaten, sagte er, ich kann Ihnen nicht versprechen, sie Ihnen wiederzugeben, aber ich will Ihnen versprechen, Ihnen behilflich zu sein, daß Trenck Ihnen seine Schuldverschreibung niemals produzieren soll, und Sie Rache nehmen können an dem schönen Offizier.

Wollen Sie mir dazu behilflich sein? Ich schenke Ihnen mein bestes Pferd, wenn Sie es tun!

Glauben Sie mir, Sie sollen gerächt werden, sagte Pöllnitz feierlich. Lassen Sie immerhin Ihr Pferd in meinen Stall führen. Friedrich von Trenck wird bald aufgehört haben, irgend jemandem gefährlich zu sein. Er ist ein verlorner Mann.

Und jetzt zum König, sagte Pöllnitz ganz vergnügt, als er den Obersten Jaschinsky verlassen hatte. Ja, zum König, ich muß ihm doch danken für das Vertrauen, das er mir diese Nacht bewiesen hat.

Er eilte ins Schloß und ließ sich dem König melden. Der König, welcher, um seine Kriegsrüstungen so unbemerkt und heimlich als möglich zu treiben, des Nachts arbeitete, und des Tages sich nur mit Festlichkeiten und Vergnügungen, mit Konzerten, Bällen, Opern und Balletts zu beschäftigen schien, der König war eben aus der Probe einer neuen Oper, in welcher die Barbarina tanzte, heimgekehrt, und war daher sehr heiter und aufgeräumt.

Er empfing seinen Oberzeremonienmeister mit einem heitern Scherz und fragte ihn lächelnd, ob er vielleicht gekommen sei, ihm anzuzeigen, daß er Jude geworden sei. Alle andern Religionen hat Er ja bereits zweimal durchgemacht, sagte der König, und da ich weiß, daß Er in letzter Zeit so sehr viel mit den Juden verkehrte, vermute ich, daß Er in seinem Religionseifer jetzt daran denkt, Jude zu werden. Vielleicht wäre das ein gutes Geschäft, denn die Juden haben sehr viel Geld, und sie würden gewiß ihren neuen vornehmen Herrn Bruder nach Kräften unterstützen. Nun also, sage Er, ist Er gekommen, mich um die Erlaubnis zu bitten, Jude werden zu können?

Ich bin nur gekommen, um Euerer Majestät meinen Dank zu sagen für das Souper, welches ich Ihrer Gnade diese Nacht zu verdanken hatte.

Ein Souper? Was meint Er damit?

Euere Majestät ließen es mir auf Ihrem schönsten Silberservice von dem Geheimkämmerer Fredersdorf auftischen. Freilich war es eine etwas harte Speise, welche mir wie ein Stein im Magen liegt, aber ich mache es wie die Soldaten, welche Spießruten gelaufen sind, ich komme, mich zu bedanken, Sire.

Er ist ein ausgemachter Narr. Aber höre Er, halte er reinen Mund. Ich wollte Ihm einmal gründlich beweisen, daß ich kein Geld habe, um Seiner ewigen Plackereien und Bittstellereien loszuwerden, deshalb ließ ich Ihn heute nacht sehen, wie das Silberzeug meiner Rüstkammer in die Münze geschleppt wird, um gute Taler daraus zu prägen. Er wird sich nun hoffentlich beruhigen und kein Geld mehr von mir fordern. Wenn man Geld haben will, muß man nicht zu den Königen gehen, sondern zu den Juden. Die Könige sind arme Leute, die ärmsten Beamten ihres Staates, denn sie haben gar kein persönliches Vermögen; alles, was sie haben, gehört dem Volk. Ludwig der Fünfzehnte und ich, das sind die beiden ärmsten Männer Europas, denn wir haben gar kein Eigentum Des Königs eigene Worte..

Ah, wäre doch die ganze Welt hier, diese erhabenen und hochherzigen Worte meines Königs zu hören, rief Pöllnitz mit gut gekünsteltem Enthusiasmus. Selig zu preisen ist ein Volk, welches einen solchen Herrscher hat.

Der König warf ihm einen seiner durchdringenden Adlerblicke zu. Er schmeichelt mir, Er will also schon wieder etwas von mir, sagte er.

Nein, Majestät, ich schwöre, daß ich diesmal in reinster Absicht gekommen bin.

Absicht! Er hatte also doch eine Absicht?

Ja, Sire, aber jetzt, da ich Euerer Majestät gegenüberstehe, fühle ich doch, daß es mir an Mut gebricht, das zu sagen, was ich zu sagen habe.

Nun, wahrlich, rief der König lachend, das muß eine sehr gefährliche Angelegenheit sein, für welche Pöllnitz keine Worte finden kann.

Sire, es ist in der Tat eine eigene Sache um die Worte, welche gesprochen werden. Einmal haben mich einige Worte vom Tode gerettet, es kann sein, daß mich heute einige Worte bei Euerer Majestät in Ungnade bringen, und das wäre noch schlimmer als der Tod.

Was waren das für Worte, welche Ihn vom Tode gerettet haben?

Sire, es waren diese: Va t'en, noble guerrier.

Das war also in Frankreich?

In Paris, Sire. Ich aß zu Mittag in einem kleinen Hotel des Dorfes Etampes bei Paris. Neben mir saß ein sehr eleganter Kavalier, welcher sich mit mir sehr angelegentlich unterhielt und es verstand, mich auf eine feine Weise ein wenig nach meinen Lebensverhältnissen abzufragen. Ich war damals noch ein junger unerfahrner Mensch, und der Herr war sehr schlau im Fragen. Es war in der Zeit der Mississippispekulationen des großen Finanzier Law, und ich hatte an jenem Mittag mir in der Rue Quinquempois eine Summe von viermalhunderttausend Francs verdient, die ich bei mir trug und mit welcher ich noch den Nachmittag nach Versailles reiten wollte. Ich war indes nicht ganz ohne Besorgnis, denn die Straßen waren sehr unsicher, da Cartouche mit seiner ganzen Bande seit einiger Zeit die Umgebung der Hauptstadt zum Theater seiner Heldentaten gemacht hatte. Ich war daher ganz außerordentlich froh, als ich erfuhr, daß mein Tischnachbar auch nach Versailles reiten wolle, und sich zu meinem Begleiter anbot.

Er nahm das Anerbieten an? fragte der König lächelnd.

Ich nahm es an, Sire, und wir verabredeten eben die Stunde unserer Abreise, als ein kleines Mädchen unter den geöffneten Fenstern unsers Speisesaals erschien und mit heller Stimme sang: » Va t'en, noble guerrier.« – Der fremde Kavalier erhob sich und trat ans Fenster, um dem Mädchen ein Almosen zu geben, dann ging er hinaus, und – ich sah ihn nicht wieder.

Und daraus schließt Er, daß diese Worte Ihm das Leben retteten? meint also wohl, daß es ein Giftmischer war, mit welchem Er speiste?

Ich meinte gar nichts, Sire, und vergaß die Geschichte. Ein Jahr später aber befand ich mich auf der Straße, als Cartouche zur Hinrichtung ging. Ganz Paris war an jenem Tage auf der Straße, um den famosen Brigand zu sehen. Ich hatte einen sehr guten Platz, den ich übrigens mit zwei Louisdor bezahlt hatte. Der Zug kam dicht an mir vorüber, und sehen Sie da, ich erkannte in dem armen Sünder, welchen man da zur Hinrichtung führte, den eleganten Herrn aus dem Kabarett in Etampes. Er erkannte mich auch und blieb vor mir stehen. »Mein Herr,« sagte er, »ich habe vor einem Jahre mit Ihnen in einem Gasthofe diniert. Die Anfangsworte eines alten Liedes nötigten mich damals, sofort das Kabarett zu verlassen, denn sie zeigten mir an, daß die Häscher mir auf den Fersen waren. Das war Ihr Glück, denn hätte ich Sie nach Versailles begleitet, so war Ihr Geld und Ihr Leben mir verfallen.« Thiébault. III, 60. Euere Majestät werden mir nun wohl zugestehen, daß mir diese vier Worte: Va t'en, noble guerrier, das Leben gerettet haben?

Ich gestehe es zu, und bin begierig, die andern Worte zu wissen, welche Ihn jetzt, wie Er sagt, mit meiner Ungnade bedrohen. Rede Er.

Sire, ich bin seit mehr als vierzig Jahren ein treuer Diener Ihres erlauchten Hauses. Wollen Euere Majestät die Gnade haben, mir das zuzugeben?

Treu? fragte der König. Er war uns treu, wenn es in Seinem Vorteil lag, Er verließ uns, wenn Er anderswo mehr Vorteil zu finden glaubte. Ich machte Ihm früher einen Vorwurf daraus, aber jetzt, da ich die Welt und die Menschen kenne, vergebe ich es Ihm. Fahre Er nun fort in Seiner pathetischen Rede.

Euere Majestät haben mir oft befohlen, Ihnen alles zu hinterbringen, was man in der Stadt und unter den Leuten von der erhabenen Familie meines Königs spricht, und Sie immer zu benachrichtigen, wenn man es wagt, sich irgendeine Verleumdung zuzuflüstern.

Wagt man das jetzt? fragte der König, und ein Ausdruck wirklicher Angst zeigte sich auf seinem edlen Antlitz.

Sire, man wagt es!

Der König stieß einen dumpfen Seufzer aus und ging hastig einige Male auf und ab. Dann stellte er sich ans Fenster, Pöllnitz den Rücken zukehrend.

Rede Er, sagte der König.

Sire, man flüstert ganz leise, daß der junge Leutnant von Trenck die Vermessenheit habe, eine Dame zu lieben, welche vom Schicksal so hoch über ihn gestellt ist, daß er nur mit Ehrfurcht und Scheu die Augen zu ihr erheben dürfte.

Man hat mir gesagt, er sei der Liebhaber des Fräuleins von der Marwitz, sagte der König.

Die große Welt und die Stadt glaubt das auch, Sire, nur die Eingeweihten meinen zu wissen, daß diese zur Schau gestellte Liebe nur ein Schleier ist, welchen der junge Trenck einer andern, einer hochverräterischen Liebe überwirft, um sie nicht sofort erkennen zu lassen.

Pöllnitz schwieg. Er wartete auf eine Antwort des Königs und blickte zu ihm hinüber mit einem stillen, schadenfrohen Lächeln, das der König indes nicht bemerkte, weil er noch immer mit abgewandtem Gesicht dastand.

Darf ich weiter reden? fragte Pöllnitz endlich.

Ich befehle es Ihm, sagte der König gebieterisch.

Pöllnitz trat näher zu dem König hin. Sire, sagte er halbleise, jetzt erlaube ich mir zu sagen, was außer mir noch niemand weiß. Der Herr von Trenck besucht jeden Tag das Fräulein von der Marwitz, aber wenn er dort ist, ist er niemals allein mit ihr. Es ist immer eine dritte Person bei diesen Rendezvous gegenwärtig.

Und diese dritte Person ist?

Die Prinzessin Amalie, sagte Pöllnitz ganz leise.

Der König wandte sich hastig um, und der Blick, welchen er auf Pöllnitz heftete, war so flammend und drohend zugleich, daß ein Gefühl von Furcht das sonst so zuversichtliche Herz des Oberzeremonienmeisters beschlich.

Ist Er von der Wahrheit dessen, was Er da sagt, überzeugt? fragte er mit strengem Ton.

Sire, wenn Euere Majestät sich davon überzeugen wollen, haben Sie nur nötig, heute nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr unangemeldet in die Zimmer der Prinzessin Amalie zu gehen, dann werden Euere Majestät sehen, daß ich die Wahrheit sagte.

Friedrich antwortete nichts, er trat wieder ans Fenster und blickte schweigend hinunter auf die Straße. Als er sich wieder umwandte zu Pöllnitz hin, war sein Gesicht heiter, fast lachend.

Pöllnitz, sagte er, Er ist ein alter Fuchs, der indessen diesmal seinen Bau sehr schlecht angelegt und seinen Angriffsplan sehr schlecht entworfen hat. Sieht Er, diesmal durchschaue ich Seine Intrige. Er ist dem armen Trenck gram, das habe ich längst gemerkt, Er ist ihm gram, weil Er sieht, daß ich ihm gut bin, und weil ihr Höflinge stets denjenigen als eueren Feind betrachtet, welcher mehr in Gunst steht als ihr selber. Der Trenck steht wirklich hoch in meiner Gunst, denn er ist, trotz seiner Jugend, ein gelehrter und tüchtiger Offizier und außerdem ein durchaus liebenswürdiger Mensch. Das kann Er ihm nicht verzeihen, und deshalb will Er ihn bei mir verdächtigen. Es soll Ihm aber diesmal nicht gelingen, und ich sage Ihm, ich glaube kein Wort von Seinem albernen Geschwätz. Ich will indes diesmal vergessen, was Er gesprochen hat. Wehe Ihm aber, wenn Er es nicht auch vergißt, wehe Ihm, wenn Seine Lippen jemals wieder eine solche Albernheit sprechen, sei's zu mir oder zu irgendeinem andern. Ich mache Ihn verantwortlich. In Seinem Kopfe ist dieses ganze alberne Märchen entstanden, Seine Schuld ist es daher, wenn es sich weiter verbreitet und wenn man in der Welt davon spricht. Darnach richte Er sich, und darnach treffe Er Seine Vorkehrungen. Ich wiederhole Ihm, ich mache Ihn verantwortlich! Und nun gehe Er und schicke Er mir meinen Adjutanten, es ist die höchste Zeit zur Parade.

Abgeblitzt, vollständig abgeblitzt, sagte Herr von Pöllnitz zu sich selber, als er mit einer zierlichen Verbeugung und mit lächelndem Munde sich vom König beurlaubt hatte. Ich hoffte wenigstens auf eine Belohnung, und wär's auch nur die, zu sehen, daß er sich ärgerte. Aber dieser Mann ist unverwundbar, alle meine Pfeile prallen an ihm ab!

Hätte er indessen sehen können, welch ein Ausdruck des Kummers und der Sorge das Antlitz des Königs beschattete, als er jetzt wieder allein war, hätte er hören können, wie der König seufzte und einzelne Worte der Trauer und der Entmutigung ausstieß, so würde das schadenfrohe Herz des Oberzeremonienmeisters sich befriedigt gefühlt haben.

Aber Friedrich gestattete sich diesen Ausbruch schmerzlicher Verzagtheit nur kurze Zeit, er legte wieder den Purpurmantel des Königs über die schmerzlich zuckende Brust des Menschen, er nahm den Trauerflor wieder von seinen Augen und bewaffnete sie mit den Zornesblitzen der Majestät.

Dieses Rendezvous soll nicht stattfinden. Diese romanhafte Aventure muß jetzt zu Ende sein. Ich will es! sagte der König ganz laut und mit einer Entschiedenheit, welche nur diejenigen kennen, deren Wille Gesetze gibt, und deren Worte entscheidend sind.

Er nahm seinen Hut und begab sich in den Vorsaal, wo sein militärisches Gefolge ihn erwartete, um den König auf die Nachtparade zu begleiten.

Der König begrüßte sie alle mit einem stummen Neigen des Kopfes, und hastig an ihnen vorübergehend durchschritt er die Gemächer, stieg er die Treppen hinunter.

Der König ist heute sehr ungnädig, flüsterten die Offiziere untereinander, als sie den König mit seinen Generalen und Adjutanten auf dem Schloßhof erscheinen sahen. Wehe demjenigen, welchen sein Zorn heute trifft!

In der Tat, es stand eine Wetterwolke auf der Stirn des Königs, die Blitze in fernen Augen waren bereit, denjenigen zu zerschmettern, welcher es wagen würde, ihnen zu begegnen.

Das Regiment stand in Parade aufmarschiert, der König ging die Fronte hinunter, plötzlich blieb er stehen, sein Antlitz war drohend, seine Stirn war dicht bewölkt. Der Blitz in seinem Auge hatte einen Gegenstand gefunden, den er zerschmettern konnte.

Leutnant von Trenck, sagte der König mit lauter, drohender Stimme, Er tritt soeben erst an. Er hat sich also wieder verspätet. Ich verlange von meinen Offizieren, daß sie pünktlich sind im Dienst. Mehr als einmal schon habe ich Ihm Nachsicht bewiesen, und Er ist incurable gewesen. Jetzt werde ich es mit der Strenge versuchen. Herr Obrist von Jaschinsky, der Leutnant von Trenck ist Arrestant bis auf weiteres. Nehme Er ihm den Degen ab, und lasse Er ihn nach Potsdam transportieren.

Der König ging weiter. Das Gewitter hatte sich entladen, die Wolke war von seiner Stirn gewichen; freundlich und lächelnd unterhielt er sich mit seinen Generalen. Nicht einen Blick warf er zurück auf den armen jungen Offizier, welcher bleich und sprachlos seinen Degen an seinen boshaft lächelnden Obristen abgab, und einen unaussprechlichen Weheblick hinüberwerfend nach dem königlichen Schlosse, den beiden Unteroffizieren folgte, welche ihn in den Arrest nach Potsdam abzuführen hatten.

An diesem Nachmittag wartete das Fräulein von der Marwitz vergeblich auf das Erscheinen ihres »heimlichen Verlobten«, an diesem Tage weinte Prinzessin Amalie ihre ersten Tränen, und zum ersten Male ging sie mit traurigem Antlitz und trüben Blicken an der Seite der Königin Mutter in den von Glanz und Pracht strahlenden Tanzsaal. Der Glanz der Lichter, das Rauschen der Musik, das Lächeln und Plaudern der geputzten, fröhlichen Leute, das alles tat ihren Blicken, wie ihrem Herzen unaussprechlich weh. Sie hätte mit einem lauten Aufschrei dieser geräuschvollen, leuchtenden Herrlichkeit entfliehen, sie hätte sich flüchten mögen in die dunkle, lautlose Einsamkeit ihres Zimmers, um zu weinen, um zu beten, um ihre Angst und Qual austoben zu lassen.

Vielleicht las der König etwas von dieser schmerzvollen traurigen Stimmung in dem Antlitz der Prinzessin. Er näherte sich ihr, als sie kaum den Ballsaal betreten hatte, und indem er ihr freundlich lächelnd die Hand reichte, zog er sie ein wenig von der Königin fort.

Meine Schwester, sagte der König leise, jedoch mit einem Ton, welcher das Herz der Prinzessin erbeben machte, meine Schwester, verbannen Sie die Wolken von Ihrer Stirn und rufen Sie ein Lächeln auf Ihre frischen Lippen. Einer Prinzessin geziemt es nicht, traurig zu sein, wenn sie bei einem Fest erscheint. Besonders heute wäre Ihre Traurigkeit eine Unziemlichkeit, und ich hoffe, daß Sie eine solche nicht begehen wollen. Sie werden diesen Abend keinen einzigen Tanz überschlagen; ich wünsche es als Ihr Bruder, ich befehle es als Ihr König. Richten Sie sich darnach. Haben Sie alles verstanden, was ich Ihnen gesagt und – nicht gesagt habe?

Ich habe alles verstanden, Majestät, flüsterte Amalie, nur mit äußerster Gewalt die Tränen zurückdrängend, welche ihre Augen umdüsterten.

Prinzessin Amalie tanzte den ganzen Abend, sie schien heiter und vergnügt, nur dem aufmerksamen Auge des Herrn von Pöllnitz entging es nicht, daß ihr Lächeln gezwungen, ihre Heiterkeit erkünstelt war, daß sie oft ihre Blicke mit einem Ausdruck des Entsetzens und der Angst hinübersandte zu dem König, dessen Augen immer auf ihr ruhten, der sie immer beobachtete.

Aber plötzlich änderte sich der Ausdruck ihres Gesichts, und ihre Augen strahlten wieder im Feuer der Jugend und des Glückes. Das kam daher, daß Fräulein von der Marwitz, während die Prinzessin in der Française neben ihr stand, leise zu ihr gesagt hatte: Beruhigen Sie sich, Hoheit. Es ist gar keine Gefahr. Er ist nur wegen eines Versehens im Dienst in Arrest geschickt, das ist alles!

Das war allerdings ein Trost und eine Beruhigung. Amalie hatte so traurige, so entsetzliche Befürchtungen gehabt, daß ihr diese Nachricht nur wie eine Freudenbotschaft erschien.

Ein Dienstvergehen, das war eine so kleine, so unbedeutende Sache. Das war mit einigen Tagen leichter Gefangenschaft abgebüßt. Dann kam er wieder, dann sah sie ihn wieder, dann mußten sich diese herrlichen Stunden des Glückes, des seligen Zwiegesprächs wieder erneuern.

Aber Amalie hatte sich getauscht, einige Tage vergingen, und er kehrte nicht wieder, und Amalie wußte nichts weiter von ihm, als daß er in Potsdam im Arrest sei. Acht Tage entschwanden, und Trenck kehrte noch immer nicht zurück, Trenck war noch immer Arrestant. Diese harte Strafe um eines geringen Versehens willen begann indes schon Aufsehen zu machen bei den Kameraden Trencks, die Offiziere, welche nicht zu murren wagten mit Worten, zeigten gleichwohl ein mißvergnügtes Gesicht und eine umwölkte Stirn.

Obrist Jaschinsky, sagte der König am neunten Morgen, begebe Er sich zu dem Arrestanten Trenck und erteile Er ihm den guten Rat, mich um Verzeihung bitten zu lassen. Sage Er ihm, wenn er das täte, glaube Er wohl, daß ich ihm verzeihen und ihn aus dem Arrest entlassen würde. Aber Er soll ihm das nicht offiziell sagen, sondern freundschaftlich, als ob es ein Rat sei, den Er ihm aus Freundschaft erteilt. Dann merke Er sich genau, was Trenck Ihm antwortet, und rapportiere Er mir das, der strengsten Wahrheit gemäß.

Nach einer Stunde kehrte der Obrist mit einem vergnügten Lächeln zurück.

Nun, wird er bitten? fragte der König.

Nein, Majestät. Er sagt, er sei für ein kleines Vergehen schon zu hart gestraft, er würde sich nicht so weit erniedrigen, um das Aufhören einer Ungerechtigkeit zu bitten.

So wird er noch länger im Arrest bleiben, sagte der König, indem er Jaschinsky verabschiedete. Dann, als er allein war, ging der König noch lange auf und ab, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, wie er es zu tun pflegte, wenn er in tiefen Gedanken war.

Ein Kopf von Eisen, ein Herz voll Feuer, murmelte er einmal. Beide, so jung, so stolz, so liebeskühn, und alles muß ich zerbrechen, alle diese Blüten muß ich entblättern! Traurige Bestimmung! Warum müssen wir aufhören, Mensch zu sein, weil wir König sind?

Wiederum vergingen acht Tage, acht Tage der Feste, der Konzerte, der Bälle, bei denen Prinzessin Amalie niemals fehlen durfte, bei denen sie im vollen Glanz der Toilette, mit rosigen Wangen, das Haupt mit Blumen geschmückt, erschien. Nur waren die Rosen ihrer Wangen künstlich von der Schminke erzeugt, und ihr trauriges Lächeln paßte wenig zu den Blumen in ihrem Haar.

Der König, welcher unter dem Schatten dieser üppigen und glänzenden Festlichkeiten unbemerkt seine Vorbereitungen zum Kriege beendigt hatte, durfte also jetzt die heitere sorglose Maske von seinem Antlitz nehmen, er durfte das gestickte Ballkleid ablegen und den Soldatenrock anziehen. Die Tanzmusik verstummte, die Feste waren beendigt. Das Silbergerät der königlichen Rüstkammer hatte sich in glänzende Taler verwandelt. Alles war fertig. Der König verließ Berlin und begab sich mit seinem Generalstab nach Potsdam.

Am Tage seiner Ankunft in Potsdam beauftragte er seinen Adjutanten, den General von Borck, den Leutnant von Trenck aus seinem Arrest zu entlassen und ihn mit einem Brief an die Königin Mutter nach Berlin zu senden, wo er bis zum andern Tage in Urlaub bleiben dürfe.

Ich werde jetzt sehen, ob sie mich verstanden haben, sagte der König zu sich selber. Ich habe ihnen eine harte Lehre gegeben, wenn sie sie nicht begriffen haben, sind sie incurable und zwingen mich zur Strenge!

Nein, sie hatten diese Lehre nicht begriffen, nein, sie waren nicht besonnen, nicht weise, nicht scharfsinnig genug, dieses drohende Schwert zu sehen, das über ihren Häuptern hing, nein, ihre Arme, mit welchen sie einander umschlungen hielten, hoben sich nicht empor, um diesen letzten schwachen Rettungsanker zu ergreifen, welchen ihnen nicht der König, sondern der Bruder bewilligt hatte. Sie waren verloren, sie mußten zugrunde gehen!

Am andern Morgen, während der Parade, näherte sich Friedrich von Trenck dem König. Er war eben von Berlin zurückgekehrt, seine Wangen glühten noch von dem scharfen Ritt, und in seinen Augen lag noch ein Schimmer jenes Freudestrahls, den die Geliebte mit ihren Blicken darin versenkt hatte.

Majestät, ich melde mich, sagte Friedrich von Trenck mit seiner frischen jugendlichen Stimme.

Der König sagte nichts, er sah den schönen, von Gesundheit, Kraft und Lebenslust strahlenden Jüngling mit einem Blick voll tiefen Bedauerns, voll unendlicher Trauer an.

Friedrich von Trenck sah das nicht.

Befehlen Euere Majestät, daß ich zur Eskadron nach Berlin reite? fragte er mit der ganzen Unbesonnenheit seiner leidenschaftlichen Sehnsucht, seiner trotzigen Liebe.

Jetzt schoß ein zorniger Blitz in die Augen des Königs.

Wo kommt Er her? fragte er strenge.

Von Berlin, Majestät.

Wo war Er, ehe Er nach Berlin ritt?

Im Arrest, Sire.

So gehe Er wieder hin, wo Er gewesen ist. Das heißt, in Arrest Diese ganze Unterredung ist historisch. Siehe: Friedrich von Trencks Lebensgeschichte I, 43..

Und im Arrest blieb Friedrich von Trenck, bis alle Vorbereitungen beendet waren, bis die Armee sich zum Ausmarsch bereitete und der König seine Offiziere um sich versammelte, um ihnen zu sagen, daß die Zeit der Ruhe vorüber und sie wieder nach Schlesien ziehen wollten zum blutigen Kampf, und, will's Gott, zum freudigen Sieg!

Am Tage des Ausmarsches, wie gesagt, ward Friedrich von Trenck aus seinem Arrest entlassen. Der König empfing ihn mit einem gnädigen Lächeln und befahl ihm, in seinem unmittelbaren Gefolge zu bleiben.

Die Kameraden beneideten Trenck um diese königliche Gunst, um des Königs freundliches Lächeln, um die huldvollen Worte, welche er an diesem Tage mehr als einmal an Trenck richtete.

Niemand begriff, warum Trenck bei all diesen Zeichen königlicher Gnade so traurig und schweigsam bleiben konnte. Niemand begriff, wie er, sonst einer der tapfersten und mutigsten Offiziere, heute beim Ausmarsch mit gesenktem Kopf und heimlichen Seufzern, nicht stolz und hoch aufgerichtet, sondern in sich gesunken, träumend und sinnend auf seinem Pferde saß. Niemand begriff das als der König, dessen zartfühlende Seele jede Regung verstand, für jeden Schmerz ein Bedauern hatte.

Sie alle, welche heute da auszogen, hatten Abschied genommen von denen, welche sie liebten, – Trenck allein nicht. Sie alle nahmen einen Segen, einen Liebesgruß, einen letzten Kuß, einen letzten Händedruck, eine letzte Träne mit in die Schlacht, – vielleicht in den Tod.

Trenck allein ging von dannen ohne Kuß und ohne Segen! Trenck allein hatte nicht Abschied genommen.

Und doch hatte schon das Glück von ihm Abschied genommen und die Liebe und die Hoffnung, und doch, wie er dahin reitet, dem Kampf, der Schlacht, dem Sieg entgegen, doch hat er keine Zukunft mehr!

Tränen folgen ihm nach, Tränen werden seine Zukunft sein!

 

Ende des zweiten Bandes.


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