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IV. In der Fensternische

Es war ein ungeheures Gewühl, welches jetzt in den Tanzsälen entstand. Jeder drängte dorthin, jeder wollte diesen Quadrillen zuschauen, in denen die Prinzessinnen, die schönsten Damen des Hofes und die schönsten und reichsten Kavaliere tanzten. Jeder wollte die Pracht dieser malerischen Kostüme, die Grazie und Anmut der Damen, die kecke Sicherheit und Gewandtheit der Kavaliere sehen und bewundern, und diese schönen neuen Tanzmelodien hören, von denen, wie man wußte, einige von dem König selber komponiert worden.

Die erste Quadrille, in welcher die Prinzessinnen tanzten, war jetzt unter dem lauten, von keiner Etikette zurückgehaltenen Beifall der Menge beendet, und unter dem Schall der Pauken und Trompeten traten die Tänzerinnen und Tänzer der zweiten Quadrille in den Saal.

Prinzessin Amalie hatte sich aus dem bunten Gewühl in eine Fensternische zurückgezogen. Sie fühlte sich erschöpft, abgespannt von dem Tanz, von den vielen Aufregungen des Tages. Sie bedurfte eines Moments der Ruhe, der Erholung und des Nachsinnens. Sie zog die schweren seidenen Vorhänge zusammen und setzte sich hochatmend auf das kleine gestickte Taburett, das in der Fensternische hinter der verhüllten Gardine stand.

Wie wohl tat ihr diese Abgeschiedenheit und Stille vom bewegten Leben, dem rauschenden Feste so nahe, wie süß ließ es sich träumen bei dem Klang der Musik, dem Geräusch der plaudernden, lachenden, tanzenden, auf- und abgehenden Menge!

Prinzessin Amalie lehnte ihr Haupt zurück und schloß die Augen, nicht um zu schlafen, sondern, wie gesagt, um zu träumen.

Sie dachte daran, daß ihre Schwester eine Königskrone auf ihre Stirn setzen und für diese sich verkaufen wolle an einen Mann, den sie niemals gesehen, von dem sie nichts weiter wußte, als daß er der Erbe eines Thrones sei. Sie schauderte bei dem Gedanken, daß ihre Schwester diesem Manne, welchen sie nicht kannte, ihre Religion zum Opfer dargebracht und vor Gottes Altar gelobt hatte, ihn zu lieben und ihm treu zu sein. In der Reinheit und Unschuld ihres jungen Mädchenherzens nannte sie das ein Verbrechen, ein Sakrilegium gegen die Liebe, die Treue und die Religion selber.

Ich werde das niemals tun! flüsterte sie leise in sich hinein. Ich werde mich niemals verkaufen, nur meinem Herzen will ich folgen, nur dem Manne will ich angehören, den ich liebe!

Wie sie das sagte, überzog eine Purpurglut ihre Wangen, und sie schlug plötzlich die Augen groß und voll auf, als hoffe sie, den Mann ihrer Liebe vor sich zu sehen, um ihm mit ihren leuchtenden Blicken wiederholen zu können, was eben ihre Lippen geflüstert hatten.

Nein, ganz gewiß, ich werde mich niemals ohne Liebe vermählen, flüsterte sie weiter, strahlend von Trotz und kühnem Jugendmut. Und da ich liebe, und da man im Leben doch nur einmal lieben kann, so werde ich mich niemals vermählen, es müßte denn sein –

Sie stockte und neigte mit einem süßen Lächeln ihr Herz auf ihre Brust. Ihre Lippen scheuten sich, auszusprechen, was ihr Herz träumte und hoffte, diesen Gedanken Worte zu geben, die wie glühende Lava in ihrer Brust kochten, und alle ihre Überlegung, ihre Besonnenheit mit vernichtenden Feuerströmen überfluteten. Sie dachte, daß ihre Liebe vielleicht imstande sein möchte, das Herz des Königs zu rühren, daß er vielleicht in der Großmut und Güte seiner Seele ihr erlauben könne, glücklich zu sein, und eine Krone, nicht von Gold, sondern nur von Myrten auf ihr Haupt zu setzen. Sie wiederholte sich im Geist alle diese wohlwollenden freundlichen Worte, welche der König heute an ihren jungen Geliebten gerichtet hatte, sie sah noch einmal diese wundervollen Augen des Königs mit dem vollen Ausdruck der zärtlichen, fast bewundernden Teilnahme auf der herrlichen Gestalt Trencks ruhen, und mit einem beseligten Lächeln flüsterte sie: Der König selber findet ihn schön und liebenswert; er wird sich also nicht wundern können, wenn seine Schwester seine Neigung mit ihm teilt, er wird es natürlich finden, daß ich ihn liebe, daß –

Ein donnernder Beifallssturm in dem Saal unterbrach sie in ihrem Sinnen. Sie schob leise die Gardine ein wenig zurück und schaute hinein in diesen geschmückten, duftenden, von Musik widerhallenden Saal, unter dessen Kronleuchtern von vergoldetem Bergkristall die geputzte, von Brillanten, Blumen und goldgewirkten Gewändern strahlende Menge wie ein im Sonnenschein funkelndes Meer auf- und niederwogte.

Die zweite Quadrille war beendet, und der Beifallssturm war der Lohn der Tänzer und Tänzerinnen, welche sich jetzt hier und dort atemlos und keuchend auf die Taburetts niedergelassen hatten, um sich auszuruhen von ihrer Anstrengung.

Prinzessin Amalie sah nicht allein, sie hörte auch; sie hörte das Gespräch dieser beiden Damen, welche dicht vor der Gardine standen, hinter welcher die Prinzessin verborgen war. Sie hörte, daß sie von Friedrich von Trenck sprachen, sie hörte, daß sie ihn den schönsten der anwesenden Kavaliere nannten, und ganz entzückt von seiner herrlichen Athletengestalt, von seinem feurigen Auge sprachen.

Er hat die Gestalt eines Herkules und das Antlitz eines Ganymed, sagte die eine.

Ich glaube, daß er schön ist wie der Apoll von Belvedere, sagte die andere, und dabei ist sein Gesicht noch so voll Unschuld und Reinheit. Ah, wie beneide ich die Frau, welche seine erste Liebe sein wird.

Sie meinen also, daß er noch niemals geliebt hat?

Ich bin dessen ganz gewiß. Sein Herzensfeuer ruht noch unter den Schleiern seiner Jugend, und er versteht es noch nicht einmal, wenn man ihn anlächelt, und ihm einen zärtlichen, verheißungsvollen Blick zuwirft.

Haben Sie das versucht?

Ich hab's versucht, und ich gestehe Ihnen, daß es vergeblich gewesen ist. Aber ich gebe ihn deshalb noch nicht auf, und ich werde meine Versuche so lange erneuern, bis –

Die Damen entfernten sich im leise fortgeführten Gespräch. Prinzessin Amalie konnte nichts weiter hören, aber sie kannte die Stimmen dieser beiden Damen sehr wohl, sie wußte, daß es Frau von Brandt gewesen und die junge Louise von Kleist, die schönste der Schönen, wie der König selber sie noch gestern genannt!

Und Louise von Kleist, die schönste der Schönen, die unwiderstehliche Kokette, die von Anbetern und Bewunderern stets umdrängte Frau, Louise von Kleist, hatte ihrer Freundin gestanden, daß ihre zärtlichen auf Trenck gerichteten Blicke vergeblich gewesen, daß sie sich vergeblich bemüht, das Eis seines Herzens zu schmelzen.

Aber sie will ihre Bemühungen fortsetzen, flüsterte Amalie, deren Herz jetzt erbebte unter den ersten Krallengriffen der Eifersucht. Oh, ich kenne Louise von Schwerin, sie wird ihn so lange verfolgen, so lange mit ihren Liebesblicken, ihren kecken Herausforderungen, ihrem zärtlichen Schmachten belagern, bis er sie liebt, bis er anbetend zu ihren Füßen liegt! – Aber nein, nein, ich werde das nicht dulden, ich nicht. Sie soll mir nicht das einzige Glück, den einzigen goldenen Traum meines Lebens entreißen. Er gehört mir, er ist mein durch seine Liebe, die er mit tausend heiligen Eiden geschworen hat. Ich bin seine erste Liebe, ich bin dieses glückselige Weib, welches er liebt, und welches die schöne, die strahlende Louise von Schwerin beneidet um ihr Glück. Er ist mein, und mein soll er bleiben, der ganzen Welt zum Trotz will ich ihn lieben und mich ihm zu eigen geben!

Und wie sie jetzt ihre flammenden, trotzigen Blicke wieder durch die kleine Öffnung der Gardine in den Saal gleiten ließ, schauerte sie zusammen in süßem, freudigen Schreck.

Dicht vor ihr, gerade an der Stelle, wo kurz zuvor die beiden Damen gestanden, da stand er jetzt, er, der Apoll der Frau von Kleist, der herkulische Ganymed der Frau von Brandt, er, Friedrich von Trenck, der Geliebte der Prinzessin Amalie.

Er stand still und unbeweglich da, und schaute mit verschränkten Armen in das bunte Gewühl der Masken hinein. Vielleicht suchte er sie, vielleicht war er traurig und kummervoll, daß Amalie sich seinen Blicken ganz entzogen, ihm ganz unsichtbar geworden sei.

Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme, welche flüsterte: Sehen Sie sich nicht um, bleiben Sie stehen wie bisher. Aber wenn Sie mich hören und mich verstehen, so neigen Sie leise bejahend Ihr Haupt.

Friedrich von Trenck neigte sein Haupt; aber Prinzessin Amalie konnte nicht sehen, welch ein Ausdruck des Entzückens plötzlich auf seinem Antlitz leuchtete, sie konnte nicht fühlen, wie sein Herz stürmisch hämmerte und klopfte und ihm den Atem beklemmte.

Wissen Sie, wer es ist, der mit Ihnen spricht, erkennen Sie mich, so neigen Sie wieder Ihr Haupt! flüsterte die Stimme.

Eben rauschte die Musik höher auf, die auf- und abwalzenden Paare der Tänzer übertönten sie fast mit dem Geräusch ihrer Füße, dazu das Sprechen und das Durcheinander von mehr als fünfhundert Personen, das alles bot dem Gespräch der beiden Liebenden hinreichende Sicherheit dar.

Friedrich von Trenck begnügte sich nicht, nur wieder mit dem Haupte zu winken, er neigte sich seitwärts und sagte halblaut: Ich erkenne die Stimme meines Engels sehr wohl, und ich würde auf meine Knie fallen und anbeten, wenn es meinem Engel selber nicht Gefahr brächte und ihn von mir verscheuchte!

Still, sprechen Sie nicht mehr, flüsterte die Stimme, und Trenck hörte an ihrem Zittern und Keuchen, daß das Mädchen, welchem sie angehörte, all diese Glut, diese Aufregung, diese Leidenschaft empfand, welche sein eigenes Wesen wie mit Feuerströmen durchtobte und wie mit Orgelklängen vor seinen Ohren brauste.

Sprechen Sie nicht mehr, aber hören Sie! flüsterte die Stimme wieder. Übermorgen reist Prinzessin Ulrike ab; alsdann begibt sich der König nach Potsdam, und Sie werden ihn ohne Zweifel begleiten. Haben Sie ein schnelles Pferd, das den Weg von Potsdam nach Berlin auch bei Nacht zu finden weiß?

Ich habe ein schnelles Pferd, und für mich und mein Pferd gibt es keine Nacht!

In der vierten Nacht von heute an werden Sie das Fenster, welches Sie kennen, offen finden, und die Tür, welche zu der kleinen Treppe führt, wird nur angelehnt sein. Kommen Sie um elf Uhr abends, und man wird Ihnen einen Ersatz geben für die Schärpe, welche Sie heute abend verloren haben! Still, kein Wort mehr! Sehen Sie sich nicht um, gehen Sie unbefangen weiter, wenden Sie auch nicht ein einziges Mal das Haupt rückwärts! Leben Sie wohl! In vier Tagen, um elf Uhr! Gehen Sie!

Ah, ich werde ihm einen Harnisch anlegen müssen, damit er unverwundbar ist, flüsterte Amalie, als er gegangen war und sie ganz zitternd und keuchend, ganz erschöpft vor innerer Aufregung, wieder auf das Taburett zurücksank. Die schöne Kleist soll mir meinen Geliebten nicht entführen. Er liebt mich, mich allein, und jetzt soll er nicht mehr klagen, daß ich grausam bin. Ich darf nicht grausam sein, ihn nicht unglücklich machen, denn sonst würde sie versuchen ihn zu trösten, und ich will nicht, daß er etwas anderes liebt als mich allein. Wenn sie es wagt, ihn noch länger zu verfolgen mit ihren Liebesblicken, so werde ich sie ermorden! Das ist alles!


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