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XV. Im Atelier

Barbarina hatte wohl recht gehabt; ihre Wunde am Fuß war weder gefährlich noch schmerzhaft, aber sie verhinderte sie doch einige Tage am Tanzen und legte ihr den Zwang der Ruhe auf. Der Arzt, dem sie ihren Fuß gezeigt und ihm gesagt hatte, daß sie jetzt erst die eigentliche Ursache ihrer gestrigen Ohnmacht entdeckt habe, untersuchte die Wunde mit einem ungläubigen Lächeln, und verlangte dann den Schuh zu sehen, dessen Sohle von der Glasscherbe notwendig auch durchschnitten sein mußte; er wolle danach die Größe und Schärfe des schneidenden Instruments ermessen und untersuchen, ob die Wunde wirklich durch eine Glasscherbe oder nicht vielleicht durch einen Nagel verursacht sei. Barbarina errötete und befahl ihrer Schwester, den Schuh zu holen; Marietta ging hinaus und kam auch sehr bald mit einem weißen Atlasschuh zurück, der allerdings an der Sohle einen scharfen Schnitt zeigte. Der Arzt untersuchte ihn mit einem schweigenden Lächeln und erklärte dann, es sei wirklich eine Glasscherbe gewesen, welche den Fuß der Signora verletzte. Er verordnete daher nur einige kalte Umschläge, einige Ruhe, und versprach in einigen Tagen vollkommene Wiederherstellung. Dann, nachdem er die Signora verlassen, begab sich der Arzt, dem erhaltenen Befehl gemäß, sofort in das Schloß, um dem König Bericht zu erstatten. Er ward sogleich vorgelassen, und der König selber kam dem Eintretenden einige Schritte entgegen.

Nun, fragte er hastig, ist die Wunde gefährlich? Wird die Signora der Bühne entsagen müssen?

Ah, Euere Majestät glauben gewiß nicht, daß die Signora Barbarina einen geistigen Selbstmord begehen und ihre eigene Künstlerschaft ermorden könnte!

Ich verstehe Ihn nicht, sagte Friedrich ungeduldig. Spreche Er nicht in Rätseln.

Ich wollte sagen, Euere Majestät, daß die Signora sich absichtlich gewiß nicht so bedeutend am Fuß verwunden würde, um deshalb ihrer Kunst entsagen zu müssen.

Er meint, sie habe sich absichtlich verletzt?

Ich bin dessen ganz gewiß, Sire. Die Signora behauptet, beim Tanz auf eine Glasscherbe gesprungen zu sein. Ich verlangte den Schuh zu sehen, und man brachte mir allerdings einen Schuh, welcher auf der Sohle einen Schnitt hatte, aber er saß durchaus an einer andern Stelle, wie die Wunde am Fuß, und war auch offenbar eben erst mit einem Messer gemacht worden. Daraus geht also hervor, daß die Signora die Wunde nicht bekam, indem sie diesen Schuh trug. Auch ist die Wunde überhaupt nicht durch Glas oder einen Nagel entstanden, sondern durch ein Stilett, denn sie ist dreischneidig. Die Signora hat sich ohne Zweifel diese Wunde mit dem Stilett zugefügt, das ich in ihrem Zimmer sah.

Des Königs Antlitz hatte sich immer mehr verfinstert, während der Arzt sprach. Er preßte die Lippen fest aufeinander, welches bei ihm immer ein Zeichen war, daß ein Sturm in seiner Brust tobte, dessen laute Ausbrüche Friedrich zurückzuhalten strebte.

Das ist alles, was Er zu sagen hat? fragte er dann.

Das ist alles, Sire!

Gut! Besuche Er die Signora morgen wieder, und statte Er mir dann Bericht ab.

Als der König wieder allein war, ging er lange mit übereinandergeschlagenen Armen im Zimmer auf und ab. vergeblich war es, daß Biche, des Königs Lieblingshündin, von ihrem seidenen Polster sich erhob und zu ihm hinkam, um mit ihrem zierlichen Hals sich an ihn zu schmiegen. Der König achtete nicht auf sie und sah gar nicht, wie das Tier, als verstände es die Traurigkeit seines Herrn, mit hängendem Schweif immer hinter ihm herging und traurigen Blickes zu ihm emporschaute, vergeblich war es, daß da in dem offenen Kasten neben dem Notenpult die neue von Quanz gefertigte Flöte lag. Der König berührte sie nicht und mochte heute nicht, wie sonst, seine Unruhe mit den Tönen seiner Flöte beschwichtigen.

Einmal murmelte der König halblaut: Sie hat es mir wohl geschworen, daß sie mich haßt. Sie hält Wort!

Dann wieder nach langem Sinnen schien er einen festen Entschluß gefaßt zu haben und näherte sich hastig der Tür.

Ich will selbst zu ihr, sagte er mit blitzenden Augen. Ich will sie zwingen, mir zu sagen, weshalb sie das getan hat.

Aber auf der Schwelle der Tür blieb er stehen und drückte seufzend die Klinke wieder in das Schloß.

Nein, sagte er, ich darf das nicht tun. Ich darf nicht tun, was jeder Mann an meiner Stelle tun würde, ich nicht, denn – ich bin der König! Ach, und die Menschen meinen, daß es so leicht sei, ein König zu sein, und daß die Krone dem Menschen, auf dessen Haupt sie gedrückt wird, gar keine Schmerzen verursache. Sie wissen nicht, daß oft unser Herzblut der Leim ist, der unsere Krone hält und festigt!

Er seufzte tief und begann wieder sein gleichmäßiges Auf- und Abwandeln. Dann plötzlich blieb er stehen und schüttelte sich, wie es der Löwe tut, wenn er nach langem Ruhen sich wieder zu neuer Tatkraft emporschwingt.

Oh, sentimental! sagte er mit einem traurigen Lächeln. Ich glaube, daß ein König auch dazu nicht das Recht hat. Fort also mit der Sentimentalität und den empfindsamen Seufzern. Wahrhaftig, was würde Maria Theresia sagen, wenn sie wüßte, daß der König von Preußen sentimental ist und seufzt wie ein verliebtes Mädchen. Würde sie nicht vermeinen, Schlesien schon wieder in der Tasche ihres Reifrocks zu haben?

Während der König so mit seiner Sentimentalität kämpfte, hatte die Signora Barbarina einen weit schlimmern, einen weit gefährlichern Feind zu bekämpfen, einen Feind, welcher nicht, wie die Sentimentalität, alles nur in sanfter Verschleierung der Schwermut und in gedämpftem Licht und verblaßten Farben sieht, sondern welcher gar nichts sieht, und für gar nichts Auge und Sinn hat. Dieser Feind war die Langeweile. Ja, Barbarina langweilte sich, oder vielleicht war es nur die Ungeduld, wieder auf der Bühne zu erscheinen, welche machte, daß ihr die Stunden so bleiern, schwer und träge dahinschlichen.

Sie lag den ganzen Tag auf ihre Ottomane hingestreckt, mit offenen Augen, schweigend, seufzend, und selbst Mariettas liebevolle Worte kaum mit einem Augenwinken, einer freundlichen Antwort erwidernd. Vergeblich schlug Marietta ihr vor, sich zu zerstreuen, indem sie ihre Freunde und Anbeter um sich versammle. Barbarina erklärte, Gesellschaft sei ihr noch langweiliger als die Einsamkeit, und ließ ganz unerbittlich alle die vornehmen Herren, welche kamen, um ihr einen Besuch zu machen, abweisen.

Das dauerte zwei Tage, dann erhob sich Barbarina plötzlich von ihrem Diwan und versuchte, trotz der Bitten Mariettas, zu gehen.

Es schmerzt gar nicht, sagte sie, indem sie weiterging.

Du sagst das, wie es Arias gesagt haben mag, als sie dem Geliebten den Dolch hinreichte, sagte Marietta traurig.

Nur, daß ich keinen Geliebten habe, sagte Barbarina. Nur, daß ich ganz allein bin, daß mich niemand liebt, niemand dieses arme, glühende, in Todesqualen zuckende Herz versteht.

Und wie sie so sprach, entstürzte ein Strom von Tränen ihren Augen, und ihre ganze Gestalt erzitterte unter dem Sturm ihrer innern Leidenschaft.

Und das sagst du, Sorella, du, welche so viel geliebt, so viel angebetet wird? fragte Marietta.

Barbarina schüttelte mit einem matten, verächtlichen Lächeln das Haupt. Nennst du das Liebe? Ist dieses hohle Wortgezwänge, dieses ewige Einerlei nichtssagenden Lobes, dieses Preisen meiner Schönheit, meiner Grazie und Kunstfertigkeit, ist das Anbetung? Geh, geh, Marietta, du weißt, daß es nicht so ist. Du weißt, daß sie alle sich nur mit mir schmücken wollen, wie mit einer seltenen fremdländischen Blume, welche nur deshalb schön ist, weil man sie teuer bezahlt hat, und welche man nur deshalb bewundert, weil sie fremd und selten ist. Du weißt, daß keiner von allen diesen Männern mich liebt um meiner selbst, sondern alle nur um meiner äußern Erscheinung willen. Niemals bin ich einsamer, als umgeben von meinen Anbetern, niemals fühle ich mich weniger geliebt, als indem sie mir sagen, daß sie mich grenzenlos lieben. Oh, Gott, muß ich denn mein Herz einsargen und es begraben unter dem Schnee dieses kalten Nordens? Gott, Gott, gib meinem Herzen ein Herz, das lieben kann, wie Barbarinas Herz!

Sie schlug ihre beiden Hände vor ihr von Tränen überflutetes Angesicht und stand zitternd und schwankend, wie eine vom Sturm geschüttelte Lilie da.

Marietta trat zu ihr und legte voll tiefen Mitgefühls ihr Haupt an ihrer Schwester Schulter. Sie versuchte es nicht, sie zu trösten oder zur Ruhe zu ermahnen, denn sie wußte, daß es Schmerzen gibt, welche von Trostesworten wie von Dolchspitzen aufs neue verwundet werden, und die sich erst austoben müssen, um sich zur Ruhe zu sänftigen. Sie kannte die großartige und energische Natur Barbarinas und wußte, daß die Tränen bei ihr nur den Wolken glichen, welche sich erst abregnen müssen, um dann die Sonne desto herrlicher scheinen zu lassen. Auch hatte sie sich nicht geirrt. Als Barbarina nach einiger Zeit wieder die Hände von ihrem Antlitz gleiten ließ, waren ihre Tränen längst versiegt, und ihr Auge leuchtete wieder in dem gewohnten Glanz.

Ich bin eine Törin, sagte sie mit einem wundervollen Lächeln, eine so große Törin, daß ich vom Norden die Blüten des Südens verlange, und von dem Eis fordere, sich in Feuer zu verwandeln. Als ob eine Schneelandschaft nicht auch ihre Berechtigung und Schönheit hätte, sogar ihre schauerlichen Schönheiten, wenn sie von Bären oder Wölfen belebt wird.

Nur wehe uns, wenn wir diesen Ungetümen begegnen, sagte Marietta, bereitwillig auf Barbarinas scherzhafte Weise eingehend.

Warum wehe? fragte Barbarina. Man bezwingt jedes Ungetüm und jede Gefahr, wenn man ihr nur recht fest ins Auge schaut. Aber nicht zu lange, Marietta, nicht so lange, bis einem die Augen übergehen. Und jetzt, Sorellina, genug der Sentenzen, genug der Moral. Die Regentage sind vorüber, die Sonne soll wieder scheinen. Ich will nicht mehr krank sein und da wie ein unbenutztes Spielzeug auf den Polstern liegen. Nein, nein, ich will gesund sein und mit lustigem Flügelschlag wieder über die Welt hinflattern. Je höher man fliegt, desto näher ist man dem Himmel. Laß mich also fliegen, Sorellina, fliegen so hoch mich meine Begeisterung tragen will. Denke auch nicht, daß ich, wie der arme törichte Ikarus, mir Flügel von Wachs anheften will. Nein, nein, ich bin viel weiser, viel vernünftiger. Ich begnüge mich, mit meinen Füßen zu fliegen und wie eine Libelle umherzuflattern. Meine Füße sind echt, und keine Sonne kann sie schmelzen. Denn sage mir, Marietta, sind sie nicht selber wie ein paar Sonnen? Verstehen sie es nicht, den toten Massen Leben einzuhauchen und kalte Herzen zu erwärmen und eisiges Blut zum Auftauen zu bringen? Du siehst, ich habe mir die Sprache meiner Verehrer sehr wohl gemerkt, und wenn ich just keinen andern Anbeter neben mir habe, nun, so bete ich mich selber an.

Sie sagte das alles mit lachendem Munde und blitzenden Augen, aber Marietta fühlte es doch, daß diese Heiterkeit nur eine erkünstelte, ihrem Wesen nicht natürliche sei, daß Barbarina nur in dem Fieber ihrer geheimen Schmerzen so heiter lachen mochte.

Weißt du, was ich jetzt beschlossen habe? fragte Barbarina nach einer Pause, indem sie wie zufällig sich abwandte, um Marietta ihr Antlitz nicht sehen zu lassen. Da ich heute und morgen noch nicht tanzen kann, so will ich mich anderweitig nützlich beschäftigen. Das heißt, ich will zu Pesne und ihm einige Stunden zu meinem Porträt sitzen.

Obwohl sie ihr Antlitz abgewandt hatte, sah Marietta, wie tief sie errötet sein mußte, denn ein Wiederschein davon hauchte selbst ihren Hals und Nacken mit einem sanften Rot an.

Du willst ins Schloß fahren? fragte Marietta sanft.

Nicht ins Schloß, sondern zu Pesne, Marietta.

Sein Atelier ist aber jetzt im Schloß. Der König hat es so gewünscht, und so ist Pesne vom Lagerhaus ins königliche Schloß gezogen.

Meinetwegen, sagte Barbarina leichthin. Ich habe ihm im Lagerhause gesessen, jetzt werde ich es im Schlosse tun.

Aber ich bin gewiß, daß es dir sehr unangenehm ist, mit dem König, welchen du hassest, unter einem Dache zu sein, sagte Marietta mit kaum merklichem Lächeln. Du weißt vielleicht nicht, daß der König nicht in Potsdam, sondern in Berlin ist?

Barbarina wandte sich zu ihr um und legte mit einer heftigen Bewegung ihre beiden Arme um Mariettas Hals, und indem sie dann einen glühenden Kuß auf ihre Lippen drückte, flüsterte sie ganz leise: Ich weiß es, Sorella! Aber ich gehe doch!

Barbarina also fuhr in das neue Atelier des Malers Pesne, das heißt in das königliche Schloß, in welchem dasselbe sich jetzt befand. Der König liebte es sehr, das Wachsen und Gedeihen eines Kunstwerkes zu beobachten und dem Werden und Entstehen desselben zuzuschauen. Er war oft, als Pesne an seinem großen Gemälde arbeitete, welches die keusche Diana, umgeben von ihren Nymphen, darstellte, zu ihm ins Lagerhaus gekommen, um ihm bei der Arbeit zuzusehen. Auch den Entwurf zu dem lebensgroßen Porträt der Barbarina hatte er dort in Augenschein genommen und dann, vor seiner Abreise nach Schlesien, befohlen, daß Pesne sein Atelier ins Schloß verlege, weil er, wie der König sagte, seinen Maler näher haben möchte.

Barbarina also fuhr nach dem Schloß, das heißt, nach dem Atelier ihres Malers. Leicht wie eine Gazelle hüpfte sie die hohen Stiegen hinauf. Ihr Fuß schmerzte sie gar nicht mehr, oder sie empfand diese Schmerzen nicht. Ungestüm und hastig wartete sie es kaum ab, daß ihr vorausgeeilter Diener sie dem Maler anmeldete, sondern trat gleich hinter ihm in das Atelier ein.

Pesne war da und hieß die Signora freudig willkommen, aber sie sah vergeblich in dem Atelier nach ihrem Porträt umher.

Ist die Kopie meines Ichs vielleicht auch wie das Original verunglückt? fragte sie.

Der Maler lächelte. Nicht doch, Signora; die Kopie macht ebenso viel Furore, als das Original, eben weil es die Kopie desselben ist.

Was heißt das?

Das heißt, daß Seine Majestät mit der Kopie so sehr zufrieden war, daß er dieselbe seit gestern in seinem Studierzimmer aufgestellt hat, obwohl ich dagegen zu protestieren wagte, weil das Bild noch unvollendet ist. Der König indessen bestand darauf, indem er sagte, daß er das Porträt seinen Freunden zeigen und mit ihnen überlegen wolle, was dem Porträt noch fehle.

Niemals vielleicht, selbst in ihren glänzendsten Rollen, war Barbarina schöner gewesen, als in diesem Moment. Ihr Antlitz strahlte wie in einer Verklärung. Mit diesem Lächeln und diesen Blicken wäre auch eine Häßlichkeit zur Schönheit geworden.

Dann also, sagte sie hochatmend, dann also bin ich vergeblich gekommen, und Sie können mein Gesicht heut gar nicht gebrauchen?

Nein, nein, Signora, Ihr Gesicht ist ein viel zu seltener Stern, als daß man nicht die kostbare Gelegenheit, wenn er leuchtet, benutzen sollte. Geruhen Sie, mich zu erwarten. Ich eile zum König und hole mir das Bild.

Ohne Barbarina Zeit zu einer Antwort zu lassen, eilte Pesne hinaus, und Barbarina blieb allein. Was war es, das ihr Herz höher klopfen machte und ein glühendes Rot auf ihre Wangen trieb? Warum richteten sich ihre Augen so oft auf die Tür und mit einem solchen Ausdruck der Angst und des Zagens?

Da, da hörte sie Schritte im Vorzimmer! Barbarina drückte angstvoll ihre beiden Hände auf ihr Herz, sie hatte ein Gefühl, als müsse es zerspringen.

Die Tür öffnete sich, Pesne kehrte zurück, aber allein, ohne das Bild.

Signora, sagte er, der König wünscht, daß die Sitzung heute unten in seinen Gemächern stattfinde. Seine Majestät will die Gnade haben, mir selbst einige Andeutungen zu geben und mich auf einige Fehler aufmerksam zu machen. Ich habe also nur meine Palette und meine Pinsel zu nehmen, und wenn es Ihnen gefällig ist, gehen wir.

Barbarina sagte kein Wort; sie war nur ganz bleich geworden, und ihr Gang war so unsicher und schwankend, daß sie, als sie die königlichen Gemächer durchschritten, mehrmals stille stehen und sich auf des Malers Arm stützen mußte, um nicht umzusinken. Ihr Fuß schmerze sie noch immer sehr, sagte sie zu Pesne, und vielleicht glaubte er es ihr.

Sie traten jetzt in das Gemach ein, in welchem das lebensgroße Porträt der Signora auf der Staffelei aufgestellt war. In diesem Gemach befanden sich zwei Türen, die eine, durch welche sie eingetreten waren, die andere, welche ganz unmittelbar in das Bibliothek- und Studierzimmer des Königs führte. Diese zweite Tür war indes nicht geöffnet, und niemand befand sich in dem Zimmer außer Barbarina und dem Maler.

Der König erteilt noch einige Audienzen, sagte Pesne. Er hat mir befohlen, immerhin anzufangen, sobald er Zeit hat, wird er hierher kommen.

Fangen wir also an, sagte Barbarina mit einem mühsamen Lächeln, indem sie sich auf einen Sessel niedergleiten ließ. Nur werden Sie mir heute erlauben müssen zu sitzen, und ich denke, das wird keinen Unterschied machen, da Sie es heute wohl nur mit meinem Gesicht und nicht mit meiner Gestalt zu tun haben.

Aber Pesne erklärte, daß es unmöglich sei, eine stehende Figur anders als im Stehen zu porträtieren, und daß das Gesicht einer Sitzenden ganz andere Formen, eine ganz andere Haltung, ganz andere Beleuchtung habe, wie das einer Stehenden.

Barbarina mußte sich also, trotz ihres Fußes, bequemen zu stehen. Aber sie schien jetzt keine Schmerzen mehr zu empfinden, sie lächelte so glückselig, sie sprach so lebhaft, so geistvoll und pikant, daß Pesne zuweilen über dem Anschauen dieses belebten, reizenden, schönen Angesichts vergaß, daß er nicht da sei, um sie zu bewundern, sondern um sie zu malen, plötzlich stockte ihr Lächeln, und mitten in einer angefangenen Phrase hielt sie inne.

Sie hatte da hinter sich die Türe sich leise öffnen gehört, sie fühlte es an dem stürmischen Klopfen ihres Herzens, daß sie nicht mehr mit dem Maler allein sei, und doch hatte sie nicht den Mut, nicht die Kraft, sich umzuwenden, sondern blickte ganz starr und unverwandt zu Pesne hin, welcher ganz ruhig weiter malte, weil er sehr wohl gesehen hatte, wie der König ihm mit der Hand gewinkt, ruhig zu bleiben und seine Anwesenheit gar nicht zu bemerken.

Pesne also malte weiter und richtete an Barbarina ganz harmlose und gleichgültige Fragen, die sie indes nur stockend und schüchtern beantworten konnte, vielleicht hatte sie sich geirrt, vielleicht war sie wirklich noch allein mit dem Maler. Und doch hatte sie ein Gefühl, als ob das unmöglich sei, doch schien ihr, als sei plötzlich ein Lichtstrahl durch dieses Gemach gefallen, und habe brennend und mit verzehrender Glut sich auf ihre Schultern geheftet. Sie sah nicht den Blick des Königs, aber sie fühlte ihn, sie fühlte, daß er hinter ihr stand, daß er sie beobachtete; ohne daß ein Geräusch, ein Wort, ein Blick ihr seine Annäherung verriet, fühlte sie dieselbe.

Ich werde mich nicht bewegen, ich werde mich nicht nach ihm umwenden, dachte sie, aber ich werde tot zur Erde fallen.

Aber jetzt mußte sie sich doch umwenden, denn der König nannte ihren Namen und begrüßte sie mit einigen freundlichen Worten. Während sie sich verneigte, blickte sie schüchtern zu ihm empor. Wie kalt, gleichgültig und teilnahmlos sein Blick war, und doch hatte er sie seit Wochen nicht gesehen, und doch war sie seitdem krank und leidend gewesen. Jetzt fühlte sie wieder, wie glühend sie ihn hasse, und daß es wirklich nur der Zorn gewesen, welcher sie bei dem unvermuteten Wiedersehen des Königs ohnmächtig hatte werden lassen.

Aber dennoch mußte sie sich gestehen, daß der Ton seiner Stimme wie himmlische Musik an ihr Ohr klinge, daß jedes Wort, welches er sprach, ihr Herz bewegte, wie der Wind das Meer aufträufeln macht.

Der König sprach über ihr Porträt; er hatte, wie er sagte, aus dem Anschauen desselben sich ein Studium gemacht, und nach den Fehlern und Mängeln desselben gesucht, wie andere nach den Schönheiten und Vorzügen.

Dann zittere ich vor dem Urteil Euerer Majestät, sagte Pesne.

Und ich muß gestehen, daß Er ein wenig Grund dazu hat, sagte der König. Ich habe das Bild nicht angesehen mit den Augen eines Liebhabers, sondern mit denen eines Kritikers, und solche Augen sehen bekanntlich sehr scharf und haben sogar Flecken in der Sonne entdeckt. Freilich hat das die Sonne immer nicht verhindert zu leuchten und zu glänzen, und Sonne zu bleiben, wie meine Kritik Sein Bild nicht verhindern wird, ein schönes Bild zu sein, welches nur von dem Original verdunkelt wird.

Vielleicht, Sire, sagte Barbarina lächelnd, bin ich selbst einer von den Flecken in der Sonne, und so mag es kommen, daß ich verdunkele, wie Euere Majestät sagen.

Sie sehen, Signora, wie wenig ich mich darauf versuche, galant zu sein, sagte der König lächelnd, denn selbst wenn ich es versuche, eine Galanterie zu sagen, läßt sich dieselbe ganz gut in das Gegenteil verdrehen. Erlauben Sie mir also, ohne diese Schminke und Übertünchung ganz einfach die Wahrheit zu sagen. Diese Wahrheit ist: Sie sind schöner als Ihr Porträt, und doch bewundere ich Pesne, daß er es verstanden hat, so viel von Ihrer Schönheit wiederzugeben, wie ich den Dichter bewundere, der die Macht hat, einen im Sonnenglanz ruhenden Frühlingsmorgen zu beschreiben und zu porträtieren.

Doch ist das vielleicht weniger schwer, als der Signora Bild zu malen, sagte Pesne mit einem komischen Seufzer. Ein Frühlingsmorgen hält wenigstens still und läuft nicht davon, und wechselt nicht in jeder Minute die Stellung, den Ausdruck und die ganze Physiognomie.

Der König lachte. Wahrhaftig, sagte er, es mag schwer sein, den Schmetterling bei seinen Flügeln zu erhaschen und ihn zum Stillsitzen zu zwingen, ohne dabei den Ätherstaub seiner Flügel zu verletzen. Aber male Er jetzt weiter, Pesne, ich will mich hinter Seinen Stuhl stellen und Ihm zuschauen.

Pesne ergriff wieder die Palette und begann zu malen. Barbarina nahm wieder die anmutsvolle, leichte, schwebende Stellung ein, in welcher der Künstler ihre liebliche Erscheinung uns aufbewahrt hat. Sie war unbeschreiblich anmutig in dieser schwebenden Haltung, mit diesen gerundeten Armen, diesen gespitzten Fingern, welche lose und zierlich das blumenverzierte Gewand faßten und ein wenig in die Höhe hoben, daß darunter der vorwärtsgestreckte, auf den Zehen ruhende rechte Fuß sichtbar ward, unbeschreiblich anmutig mit diesem leise zur Seite geneigten Haupt, mit diesen glühenden Augen, diesem anmutsvollen süßen Lächeln.

Jedermann würde sie bewundert, und diese Bewunderung mindestens in seinen Mienen, seinen Blicken verraten haben. Nur das Antlitz des Königs verriet nichts davon, es war vollkommen gleichgültig, vollkommen kalt und ruhig. Barbarina fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, und dann auf einmal zurücktretend, ihr Herz fast erstickte. Sie fühlte, daß es ihr unmöglich sei, dieses ruhige Anschauen, diese kalte Kritik über das Porträt und das Original länger zu ertragen, und doch schwur sie sich selber, dem König diesen neuen Triumph nicht zu bereiten, nicht zusammenzusinken, nicht ohnmächtig zu werden, und diesem kalten, stolzen Herzen nicht die Freude zu gönnen, daß sie in Zorn und gekränkter Eitelkeit aufflamme.

Aber ihr Körper war doch minder stark als ihr Geist, und was Barbarinas Kopf nicht wollte, das tat ihr Fuß. Er versagte ihr, er verlangte Ruhe, und wider ihren Willen schwankte sie und erbleichte.

Sofort war der König an ihrer Seite, und fragte mit so teilnehmender, bewegter Stimme um den Grund ihres Erbleichens, daß Barbarina ihr Herz davon erbeben fühlte in süßem Erschrecken. Er selber schob ihr den Sessel herbei und bat sie, sich zu setzen und auszuruhen, und sich zu erholen von dem ermüdenden Stehen. Sie dankte ihm mit einem süßen Lächeln, und meinte, daß es besser sein würde, wenn sie nach Hause führe, daß sie sich unfähig fühle, noch länger dem Maler zu sitzen, und sie sich daher, wenn der König es erlaube, zurückziehen wollte.

Eine Wolke flog über des Königs Stirn, und ein düsterer, fast trauriger Blick traf Barbarinas Angesicht.

Nein, sagte er fast barsch, Sie sollen noch hier bleiben. Wir haben noch Geschäfte miteinander. Der Sweerts hat mir vorher Ihren Kontrakt gebracht, damit ich ihn unterschriebe. Ich finde aber daran noch einiges zu ändern, und hätte Sie deshalb heute zu mir beschieden, wenn der Zufall Sie nicht hierher geführt hätte.

Euere Majestät haben ganz über mich zu befehlen! sagte Barbarina demütig.

Wenn es sich um Geschäfte und Kontrakte handelt! rief der König mit einem rauhen Lachen. Ich will also nur von Geschäften mit Ihnen sprechen. Pesne, Er sagt wohl beim Hinausgehen dem Lakaien, daß er den Baron von Sweerts zu mir bescheiden soll.

Er nickte dem Maler den Abschiedsgruß zu, und indem er dann hastig die Hand Barbarinas ergriff, führte er sie in das anstoßende Gemach, in sein Tuskulum, welches vielleicht noch niemals von einem weiblichen Fuß war betreten worden, und das nur den vertrautesten und geliebtesten Freunden des Königs sich öffnete.


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