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XVIII. Das königliche Silberzeug

Es war eine finstere, stille Nacht, denn damals begann die Nacht in Berlin ganz pünktlich mit dem zehnten Glockenschlage, und die Straßen, welche durchaus noch seine andere Beleuchtung hatten, als die zufällige, welche von den beleuchteten Fenstern der Häuser, von den funkelnden Wagenlaternen vornehmer Equipagen, oder den Fackeln und Stangenlaternen ausging, mit welchen die Diener ihren hinter ihnen hergehenden Herrschaften leuchteten, diese Straßen waren um die elfte Stunde vollkommen einsam und still. Herr von Pöllnitz war daher sicher, niemandem zu begegnen, als er sich um diese Stunde nach dem Schlosse begab, nach dessen zweitem, der Spree zunächst belegenen Portal Fredersdorf ihn hinbeschieden hatte.

Nichts regte sich im Schlosse; die Schildwache ging mit träumerischer Langsamkeit im innern Schloßhof auf und ab, und in der Ferne vernahm man das eintönige dumpfe Gebell zweier Hofhunde, welche sich durch die Stille der Nacht mit ihrem melancholischen Geheul unterhielten. Der Oberzeremonienmeister begann schon ungeduldig zu werden und meinte, daß der übermütige Geheimkämmerer des Königs sich vielleicht gar eine höchst ungebührliche Mystifikation erlaubt habe, als er von der nahen Spree her den leisen taktmäßigen Schlag mehrerer ins Wasser schlagender Ruder vernahm, hastig eilte Pöllnitz dorthin, und seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen erblickten sehr wohl den großen, offenen Kahn, der da eben ganz nahe an der Kurfürstenbrücke anlegte.

Hier ist es, hier sollen wir warten, flüsterte eine männliche Stimme.

Und wie es scheint, werden wir nicht lange zu warten haben, sagte eine andere Stimme. Ich sehe da schon Licht an den Fenstern erscheinen.

Die bis dahin dunkeln und toten Fenster des diesseitigen Schloßflügels belebten sich in der Tat plötzlich, und hier und dort sah man den flackernden unruhigen Schein von Licht hinter den Scheiben erscheinen und verschwinden. Das Licht, welches in den obern Etagen sich zuerst gezeigt hatte, senkte sich jetzt tiefer in die untern Etagen und warf schon einen blassen Schein in die große, vor dem ersten Hofe befindliche Vorhalle.

Wahrhaftig, man hat mich nicht getäuscht, es geht hier etwas vor, flüsterte Pöllnitz, nach dem Schlosse zurückeilend, dessen Vorhalle er eben betrat, als auf der in dieselbe ausmündenden großen Treppe ein seltsamer Zug sichtbar ward. Voran gingen zwei Diener mit Fackeln, ihnen folgten je zwei und zwei die zwölf Heiducken des Königs, ihre Schultern belastet mit Schüsseln und Kannen, Tellern und Töpfen, deren silberne Fläche hier und dort von dem Schein der Fackeln mit goldenen Streiflichtern beleuchtet ward, die wie Irrlichter die Treppen hinuntertanzten. Hinter den Heiducken her kamen wieder zwei Diener mit Fackeln, und hinter diesen sah man das bleiche ernste Gesicht des Geheimkämmerers Fredersdorf erscheinen. Pöllnitz eilte rasch auf ihn zu, und ward von Fredersdorf mit einem trüben Lächeln willkommen geheißen.

Sie sind also pünktlich erschienen, sagte Fredersdorf. Sie wollten sich durchaus überzeugen, daß der König kein Geld habe?

Gewiß wollte ich das, denn diese Überzeugung würde mir meine letzte Hoffnung gekostet haben, und diese aufzugeben, entschließt man sich schwer.

Jetzt, denke ich, werden Sie sich schon entschließen müssen. Kommen Sie! Lassen Sie uns den Heiducken folgen.

Er nahm den Arm des Oberzeremonienmeisters und ging hastigen Schrittes mit ihm nach dem Ufer der Spree hinunter. Das große Boot, welches dort vorher so dunkel und still gelegen, war jetzt von den Fackeln der Diener, die sich zu beiden Seiten in demselben aufgestellt hatten, hell beleuchtet, und eine rege Bewegung herrschte jetzt in demselben. Die zwölf Heiducken trugen, keuchend unter ihrer schweren Last, alle die silbernen Teller und Schüsseln, die Humpen, Kannen und Becher die schmale kleine Treppe hinunter in den Kahn, wo sie dieselben aufeinander türmten, und dann wieder ans Ufer sprangen.

Wir gehen wieder hinauf in die Rüstkammer, wollen Sie mit? fragte Fredersdorf.

Gewiß will ich mit, sagte Pöllnitz, es müßte denn sein, daß Sie mich hier als Schildwache bei dem Silbergeschirr verwenden wollen.

Nicht nötig, es sind vier Soldaten mit geladenen Gewehren im Kahn. Kommen Sie.

Hastigen Schrittes, ohne zu sprechen, eilten sie alle wieder die Treppen hinauf, die Korridore entlang bis zu dem großen, weiten, von Schildwachen besetzten Gemach, vor dessen mit schweren, jetzt geöffneten Riegeln und Schlössern versehener Tür der königliche Silberverwalter mit traurigem, verstörten Gesicht auf und nieder ging.

Nun, darf ich eintreten, Melchior? fragte Herr von Pöllnitz, den langjährigen Bekannten mit freundlichem Lächeln begrüßend.

Sie haben mich gar nicht mehr danach zu fragen, sagte Melchior traurig. Mein Reich ist, wie Sie sehen, zu Ende, denn wenn kein Silber mehr da, wenn die Rüstkammer leer ist, wird man natürlich keines Silberverwalters mehr bedürfen, und der alte Melchior wird so gut beiseite gelegt werden, wie alles, was aus der guten alten Zeit des hochseligen Königs noch übrig geblieben ist.

Herr von Pöllnitz hörte nicht auf ihn, er war mit Fredersdorf in die Rüstkammer eingetreten und weidete seine Blicke an den reichen Schätzen, welche sich da vor ihm auftaten, und welche jetzt von den Heiducken in große Säcke gepackt wurden.

Ach, wenn diese Teller und Schüsseln erzählen und sich mit mir unterhalten könnten, welche seltsamen Dinge wir da einander anzuvertrauen haben würden! sagte Pöllnitz, indem er einen der Teller auf den Spitzen seiner Finger tanzen ließ, wie oft habe ich von ihnen gegessen, sowohl glänzende Galadiners unter dem prachtliebenden Friedrich dem Ersten, als derbe Familiendiners unter dem hausväterlichen König Friedrich Wilhelm dem Ersten. Wie oft habe ich mein eigenes lachendes Gesicht in dem glänzend polierten Rand dieser Teller gespiegelt, und mit der silbernen Gabel die leckersten Bissen mir von dem Grunde dieser Schüsseln aufgespeichert, wahrhaftig, Fredersdorf, es ist im Grunde eine edle Bestimmung, eine Speiseschüssel zu sein, es liegen auf ihrer Fläche die Genüsse und die Lebenskraft der ganzen Menschheit. Aber sagen Sie mir nur um Gottes willen, wie können Sie es dulden, daß diese Kerle da so ungebührlich mit den königlichen Geschirren umgehen. Sehen Sie da, dieser Heiduck hat wahrhaftig eine dieser wundervollen Salatieren ganz zusammengebogen, um sie noch in den Sack zu bekommen.

Lieber Baron, das macht, daß jenes Stück nicht mehr nötig hat, Salatiere zu sein, sondern nur noch Silber ist.

Sie sprechen in Rätseln, die ich nicht verstehe. Aber wahrhaftig, diese Kerle haben ihre zwölf Säcke schon gefüllt, und die Rüstkammer sieht jetzt so öde und leer aus wie das Herz einer alten Jungfer. Jetzt sagen Sie mir um Gottes willen, wohin wollen Sie mit all diesem Silbergeschirr?

Sie haben es also noch nicht erraten?

Ich denke wohl, daß der König, welcher jetzt in Potsdam residiert, dort auch sein Silbergeschirr haben will, und er läßt das Service aus dem Berliner Schlosse dahin bringen, weil er, nun ja, wenn Sie es denn durchaus wollen, weil er nicht Geld genug hat, um sich eine eigene Rüstkammer für Potsdam anzulegen. Nicht wahr, ich habe richtig geraten?

Sie werden es sogleich erfahren. Lassen Sie uns nur jetzt den Heiducken folgen, denn Sie sehen wohl, die Rüstkammer ist jetzt so ziemlich leer. Adieu, Melchior. Sie werden jetzt einen leichten Dienst haben und nicht mehr fürchten müssen, daß sich Diebe in die Rüstkammer eingeschlichen haben. Kommen Sie, Herr Baron.

Sie gingen wieder hinab zu dem Kahn, auf welchem jetzt die Heiducken neben den hochaufgetürmten Schüsseln und Kannen die zwölf Säcke postiert hatten.

Sehen Sie da, sagte Fredersdorf traurig, dieses alles könnte vermieden werden, wenn ich schon das Ziel meiner Forschungen, wenn ich schon das große Geheimnis enträtselt hätte, welches Gott wie ein ewiges großes Fragezeichen über der Menschheit aufgehängt hat, und an dessen spitzen Winkeln und Ecken sich schon Tausende gelehrter und kluger Männer ihr Gehirn eingerannt und ihr Lebensglück zertrümmert haben. Allein Gott, und es fehlt nur noch so wenig, daß ich es erreicht habe; nichts weiter als eine verhärtende Substanz, und ich hab's erreicht, und ich habe Gottes größtes Geheimnis erforscht, und ich kann Gold machen!

Ach, Sie denken noch immer daran?

Ich denke immer daran, und werde daran denken, solange ich lebe, und dieser Gedanke wird bei mir alle andern verdrängen, wie er jetzt schon die Liebe und das Glück und die Ruhe und den Schlaf mir ertötet hat. Warten Sie nur, warten Sie! Eines Tages werde ich doch den Stein der Weisen gehoben haben und Gold machen können. An jenem Tage werden Sie mich sehr lieben, Herr Baron von Pöllnitz, an jenem Tage werde ich nicht mehr Ihnen beweisen müssen, daß der König kein Geld hat, wie ich es heute habe tun müssen.

Sie sind mir den Beweis eigentlich noch schuldig geblieben, sagte Pöllnitz.

Sie sollen ihn jetzt haben, Herr Baron, erwiderte Fredersdorf, indem er in den Kahn sprang. Jetzt vorwärts, vorwärts, ihr Leute! Herr Baron, wollen Sie mit?

Wohin geht die Reise?

Kommen Sie hierher, ein wenig näher, daß meine Lippen Ihr Ohr erreichen können.

Pöllnitz näherte sich vorsichtig dem Rande des Kahns und neigte sein Ohr zu Fredersdorf nieder.

In die Münze geht die Reise, flüsterte er. All dieses schöne Tafelzeug wird ausgemünzt werden, denn der König wird in nächster Zeit keine Diners mehr geben, sondern Schlachten liefern; der König verwandelt also seine Schüsseln und Teller in gute Talerstücke, um seine Armee nicht hungern zu lassen. Nicht wahr, jetzt sind Sie überzeugt davon, daß der König wirklich kein Geld hat, um Ihre Schulden zu bezahlen?

Ich bin überzeugt davon!

Nun, dann leben Sie wohl! Nehmt eure Ruder zur Hand! vorwärts! Ihr fahrt in den Spreearm, der hinter der Münze sich hinzieht. Gerade dort haltet ihr still! Die Münze ist unser Ziel Preuß. Lebensgeschichte Friedrichs des Großen. I, 79.!

Die Münze ist das Ziel! murmelte Herr von Pöllnitz verdrießlich, dem Kahn nachschauend, der langsam auf dem Wasser dahinglitt, und inmitten der Dunkelheit mit seinen Fackeln, welche die Goldstickerei auf den Livreen der Heiducken und die silbernen Geschirre mit blitzenden Glanzlichtern beleuchteten, einen wunderbaren eigentümlichen Anblick darbot.

Pöllnitz schaute ihnen nach, bis die Fackeln nur noch wie kleine Sterne im Hintergrunde flammten. Da geht sie hin alle Herrlichkeit und Pracht, sagte er, da gehen sie hin, die Genüsse des Friedens und der üppigen Ruhe. Das Silber wird eingeschmolzen, das Eisen und der Stahl wird seine Stelle einnehmen. Ja wahrhaftig, die eiserne Zeit beginnt! Sie beginnt auch für mich! Ach, warum kann ich nicht, wie jene Teller und Schüsseln, auch mich in die Münze schicken und mich zu Talern ausmünzen lassen.

Seufzend begab er sich auf den Heimweg, und so vertieft war er in seine Gedanken, daß er sogar vergaß, dem Diener, welcher ihm schlaftrunken und mit wenig Ehrerbietung entgegenkam, einen Rippenstoß, den gewöhnlichen Abschiedsgruß jedes Abends, zu geben.


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