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XIV. Das Lever einer Tänzerin

In der Behrenstraße, welche damals eine der schönsten und vornehmsten Straßen von Berlin war, herrschte heute ein ungewöhnliches Treiben und eine in dieser stillen Straße selten gesehene Lebendigkeit. Equipagen rollten herbei, elegante Reiter sprengten, gefolgt von ihren Reitknechten daher, und diese Equipagen und diese Reiter fanden alle ihr Ziel an derselben Stelle, sie hielten alle an bei diesem großen schönen Hause, das seit einiger Zeit den Mittelpunkt aller vornehmen, eleganten und hoffähigen Kavaliere der preußischen Hauptstadt war. Auch heute war es wieder die Elite der guten Gesellschaft, welche diesem Hause zueilte. Fürsten und Grafen, Minister und Kammerherren saßen in den vergoldeten Kutschen, welche vor dem Hause halt machten, und unter den Reitern erkannte man sogar einige königliche Prinzen und den jungen Herzog von Württemberg.

Wer wohnte denn in diesem Hause? Zu wem eilten alle die vornehmen Herren, und warum kamen sie alle mit so ernsten bedenklichen Mienen, wie wenn man zu einem Begräbnis geht und in seine Züge wenigstens die Trauer legt, welche man nicht im Herzen fühlt? War es irgend eine erkrankte fürstliche Person oder ein Mann von hoher Auszeichnung, welcher da wohnte? Ein Mann jedenfalls mußte es sein, denn es waren nur Männer, welche da zu Wagen und zu Pferde kamen und in dieses Haus eintraten. Aber bringt denn ein Mann dem andern Blumen? Ist es denn Sitte, daß man zu einem kranken Freunde mit duftenden Rosenbuketts und Veilchen und Orangen geht, und in silbernen Körben ihm seltene Südfrüchte darbringt?

Nein, in diesem Hause wohnt kein Fürst und kein Staatsmann, in diesem Hause wohnt überhaupt kein Mann, sondern eine Frau. Wenn nichtsdestoweniger es nur Männer sind, welche da in ihren glänzenden Equipagen und auf ihren stolzen Pferden herbeieilen, so kommt das daher, weil eine Frau, welche sich nicht durch ihre Geburt, sondern nur durch ihre Schönheit und ihre Künstlerschaft einen Namen gemacht hat, niemals von den Frauen anerkannt wird, die ihre Stellung in der Gesellschaft entweder dem Range ihres Vaters oder ihres Gemahls verdanken, Frauen, die stolz auf die zufällige Begünstigung des Schicksals, sich für erwählte Tugendrichterinnen halten, welche zu Ehren der guten hergebrachten Sitte diejenigen Frauen aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, welche es wagten, sich über die Mittelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit zu erheben.

In diesem Hause wohnt eine Künstlerin, die erste gefeierte Künstlerin des Theaters, die Signora Barbarina.

Barbarina! Das war ein sehr gehaßter und geliebter Name! Die Frauen sprachen ihn mit gerunzelter Stirn und verächtlichem Lächeln, die Männer mit strahlendem Auge und einem Lächeln des Glückes. Die einen verwünschten ihn ebenso sehr, als die andern ihn priesen. Und gewiß hatten beide recht! Die Frauen, wenn sie die Barbarina haßten, welche ihnen die Anbetung und Huldigung der Männer entzog, die Männer, wenn sie dieselbe verherrlichten als die Blüte der Schönheit, als ein holdes nie geahntes Wundermärchen voll feenhafter Lieblichkeit.

Gleich den beiden Parteien von der weißen und der roten Rose, hatten auch hier sich zwei Parteien gebildet. Die eine Partei waren die Frauen, die andere die Männer, die Frauen kämpften um das Banner der verblaßten weißen Rose ihrer eigenen Macht und Herrlichkeit, die Männer scharten sich um das Banner dieser leuchtenden herrlichen Zauberblüte, um die rote Rose, die schöne Signora Barbarina. Aber es war ein ungleicher, gar nicht zweifelhafter Kampf; die rote Rose Barbarina mußte siegen, denn an ihrer Spitze stand ein mächtiger Feldherr, an ihrer Spitze stand der König!

Das Banner der weißen Rose mußte unterliegen, denn den Frauen fehlte eine Heerführerin! Vielleicht hätte es die Königin Elisabeth Christine sein können, vielleicht teilte sie in ihrem Herzen den Haß und den Zorn der andern Frauen. Aber ihre keuschen und schüchternen Lippen verrieten nichts von den heimlichen Stürmen ihrer Brust; ihr stilles sanftes Lächeln überschleierte immer ihre eingesargten Wünsche und die in ihrem Herzen begrabenen Hoffnungen. Man wußte kaum, daß diese sanfte, fromme, gottergebene Königin lieben könne, wie hätte man glauben sollen, daß sie auch zu hassen verstände! Nein, Elisabeth Christine haßte niemand, selbst nicht die Barbarina, dieses Weib, welches ihrem Herzen den letzten Dolchstoß gegeben und ihr zu ihrer verschmähten Liebe auch noch die Todesqual der Eifersucht auferlegt hatte. Diese Eifersucht der Königin war indes nicht gewöhnlicher Art; es war eine Eifersucht ohne allen Vorwurf, ohne allen Zorn, eine Eifersucht voll stillgeweinter Tränen und schmerzensreicher Gebete. Auch hatte der König ihr niemals Veranlassung gegeben, sich über dies Verhältnis zur Barbarina zu beklagen, sie wußte nicht einmal, ob der König jemals mit ihr sprach, jemals in ihre Nähe kam. Aber sie wußte, daß der König sie sah, und mit welchen Augen und mit welchem Lächeln! Elisabeth Christine würde freudig ihr Leben hingegeben haben, wenn der König einmal nur sie so angeschaut, einmal nur ihr so gelächelt hätte.

Aber, was Elisabeth Christine nicht wußte, das war den Kavalieren und Herren des Hofes desto besser bekannt. Sie wußten, daß der König schon mehr als einmal beim General Rothenburg mit der Signora soupiert hatte, daß er sich jedesmal, wenn Barbarina tanzte, hinter die Kulissen verfügte und mit ihr sich unterhielt, daß er sogar seinem Hofmaler Pesne befohlen hatte, für ihn der Signora Bild zu malen.

War das nicht genug, um die Signora in den Augen jedes Hofkavaliers und jedes gewandten Diplomaten zu einer Schönheit ersten Ranges, zu einer Puissance zu erheben? Würde man sich nicht beeifert haben, sie als eine solche zu preisen, selbst wenn Barbarina nicht das schöne, liebliche und anmutige Geschöpf gewesen wäre, welches sie in der Tat war?

Man huldigte ihr daher als einer Königin, einer machtvollen Zauberin, man buhlte um ein Lächeln, einen Blick von ihr, man fügte sich demütig in alle ihre kleinen Kapricen und Launen, man zeigte ihr stets nur Unterwürfigkeit, Anbetung und Gehorsam.

Das von ihr bewohnte Haus in der Behrenstraße war daher von Besuchern und Bittstellern umlagert, wie der Palast einer Feenkönigin, und die Barbarina lebte darin wie eine wirkliche Königin. Sie hatte ihren vollkommenen Hofstaat, ihre Levers, ihre Courtage Geschichte der Oper und des Opernhauses in Berlin. Schneider. S. 23., nur daß ihre Hofleute ihr freiwillig dienstbar waren und von ihr kein anderes Gehalt empfingen, als irgend ein freundliches Wort, ein heiteres Lächeln. Dieser Glanz, diese Anbetung, diese Aufmerksamkeiten, deren Mittelpunkt sie war, schienen gar keinen Eindruck auf das Herz der stolzen und selbstbewußten Künstlerin zu machen. Sie war das alles gewohnt, es überraschte sie gar nicht.

Ihr Leben hatte einem einzigen großen Triumphzug geglichen, es war leuchtend und hell gewesen, wie ein im Sonnenglanz strahlender Frühlingsmorgen. Freilich hatte sie auch ihre Schmerzen und sogar ihre Tränen gehabt, aber sie waren eben auch nur wie die in der Sonne schillernden, in Blumen ruhenden Tautropfen eines Frühlingsmorgen gewesen, welche erst wie Diamanten leuchten und dann von der Sonne fortgeküßt werden. Barbarina hatte geweint, weil der König sie von ihrem Geliebten, dem Lord Stuart, getrennt und sie gezwungen hatte, ihr gegebenes Wort einzulösen und nach Berlin zu kommen. Jetzt weinte sie nicht mehr! Vielleicht weil sie zu stolz dazu war, vielleicht weil die Sonne der königlichen Gunst ihre Tränen getrocknet hatte.

Nein, Barbarina weinte nicht mehr, aber es war auch selten, daß sie lächelte. Sie hatte jene stolze, imposante ernste Schönheit der Römerinnen, welche niemals vergessen, daß sie die Töchter der einstigen Weltbeherrscherin sind, und immer auch die Würde und Majestät einer, wenn auch entthronten Fürstin sich erhalten haben. Barbarina war ein glutvolles, leidenschaftliches Weib, und die Leidenschaft schmückt sich mit flammenden Augensternen, mit durchsichtiger, reiner Blässe, mit glühenden Purpurlippen, selten aber mit harmlosem Lächeln und gemütlichem Scherz. Lachen gehört hatte man sie niemals, nur lachen gesehen; das erstere hätte ihrer stolzen Schönheit widerstanden, das zweite schmückte ihr Antlitz wie mit einem leuchtenden Sonnenstrahl. Und dennoch war diese stolze, gebieterische, ernste Schönheit von Anmut, Lieblichkeit, Grazie und Milde umflossen, niemals herrisch, immer weiblich und zart, niemals hochmütig und überhebend, immer weich und fast demütig in dem vollsten Gefühl ihrer eigenen Künstlerschaft, und doch in ihrer Demut selbstbewußt, stolz und siegesgewiß. In dieser Stunde ganz nur glühendes, empfindungsvolles, hingebendes Weib, in jener mächtige, genievolle, schwärmerische, himmelstürmende Künstlerin, jetzt träumerisch, weich, indolent, nachgiebig und demütig, dann flammensprühend, stolz, imposant und gebietend, – das war Barbarina! Ein unergründliches Rätsel für alle, unergründlich und unerforschlich wie das Meer, immer wechselnd und sich verwandelnd, aber immer großartig in ihren Verwandlungen.

Barbarina hatte gestern abend getanzt, aber mitten im Tanz war sie von einem Unwohlsein unterbrochen worden, einem Unwohlsein, welches sie ganz plötzliche ganz ohne Vorzeichen überkam, gerade in dem Moment, als der König während ihres Tanzes im Opernhause erschien und sich auf seinen Lehnsessel niederließ. Niemand hatte geahnt und gewußt, daß der König schon von seiner geheimnisvollen Reise nach Schlesien zurückgekehrt sei. Jedermann glaubte ihn noch dort, und die Ballettvorstellung dieses Abends war nur für den Hof des Königs, ohne alle Berücksichtigung seiner selber, veranstaltet worden. Aber der König war unerwartet zurückgekehrt, und da er vernahm, daß die Vorstellung im Opernhause schon begonnen hatte, war er, nachdem er nur die Reisekleider gewechselt, dorthin geeilt. Gewiß nur, um dort die beiden Königinnen und seine Geschwister zu begrüßen, von denen er wußte, daß sie dort waren.

Barbarina, wie gesagt, war eben im Tanz begriffen, als der König eintrat. Sie flatterte lächelnd, anmutsvoll, eine graziöse zarte Libelle, eben über die Bühne daher, ihr kleiner Fuß berührte kaum den Boden, wie von Amoretten getragen und gehoben schwebte sie daher: aber plötzlich jetzt stockte ihr Fuß, schwand das Lächeln von ihren Lippen und die zarte Röte von ihren Wangen. Mit einem leisen Aufschrei sank Barbarina ohnmächtig zusammen.

Der Vorhang mußte fallen und die Vorstellung um eine Viertelstunde ausgesetzt werden. Der König, welcher sich eben mit der Königin Mutter unterhielt, schien wenig Interesse für das Unwohlsein der schönen Tänzerin zu haben, als aber der Baron von Sweerts kam und meldete, daß die Signora Barbarina plötzlich erkrankt und außerstande sei weiter zu tanzen, stieß der König einen so heftigen Ausruf des Zornes aus, daß die Königin Mutter erstaunt und fragend zu ihm emporblickte, während Elisabeth Christine sich seufzend und erbleichend abwandte. Sie wußte diese heftige Bewegung ihres Gemahls sehr wohl zu deuten, sie, geleitet von dem Instinkt ihrer Eifersucht, verstand dieses von Schmerz und Angst gequälte königliche Herz, das seine Unruhe gern unter dem Anschein des Zorns verbergen wollte.

Mesdames, sagte der König, es scheint mir, daß die Signora sich schon wieder einer ihrer Künstlerlaunen überlassen möchte und nicht tanzen will, weil ich gekommen bin. Man darf ihr aber eine solche Laune nicht gestatten. Ich werde ihr befehlen, weiter zu tanzen!

Und mit einer hastigen Verbeugung sich von den beiden Königinnen beurlaubend, eilte der König hinter die Kulissen, gerade zu dem Toilettenzimmer der Signora. Aber die Tür desselben war von innen verschlossen, und der König, welcher einen Moment unschlüssig an der Tür stand, hörte jenseits derselben das laute Weinen und Schluchzen, das Ächzen, Jammern und Klagen der Signora.

Sie ist wirklich krank, murmelte der König.

Sie hat den Brustkrampf, sagte der Baron von Sweerts, welcher dem König gefolgt war.

Friedrich wandte sich hastig zu ihm um. Ist das gefährlich? fragte er mit einer Miene, welche deutlich seine Unruhe und Besorgnis verriet.

Nicht gefährlich, Sire, aber der Arzt, welcher eben bei ihr war, hat es durchaus notwendig erklärt, daß die Signora Ruhe habe und heute nicht mehr tanze. Befehlen Euere Majestät, daß eine andere Tänzerin die Rolle der Signora übernehme?

Nein, sagte der König, die Rolle gehört ihr, und seine andere darf sie tanzen. Salimbeni und die Astrua sollen einige Arien singen, und dann mag es für heute abend genug sein. Gehen Sie zu den Königinnen und sagen Sie, daß ich um Entschuldigung bitten lasse. Ich wäre nur gekommen, um sie zu begrüßen, und zöge mich jetzt zurück, weil ich ein wenig erschöpft wäre von der Reise.

Und leicht mit dem Kopfe dem Baron den Abschiedsgruß zunickend, verließ der König das Opernhaus und begab sich ins Schloß zurück. Niemand ward diesen Abend mehr vorgelassen. Der König blieb ganz allein in seinem Kabinett, aber lange noch, wie alles schon schlief, konnte man in der Stille der Nacht die leisen klagenden Töne seiner Flöte vernehmen.

Barbarina war krank! Das war es also, was die Gesichter aller dieser Herren, welche da in ihr Haus eilten, so trübe und bedenklich machte, deshalb kamen sie alle, um sie zu sehen, um aus ihrem Anschauen Beruhigung und Trost zu schöpfen, deshalb wollte jeder ihr ein Zeichen seiner besonderen Aufmerksamkeit bringen, oder ihr mit diesen Blumen, diesen seltenen Früchten ein Lächeln, einen Blick abgewinnen.

Der Empfangssalon der Signora Barbarina duftete wie ein Treibhaus von allen den herrlichen Blumen und Früchten, nur fehlte ihm noch die belebende Sonne, die lichtausstrahlende Majestät. Denn Barbarina war nicht da, Barbarina ließ alle diese Kavaliere noch immer vergeblich auf ihr Erscheinen warten. Doch war es die gewohnte Stunde ihres Levers, die Stunde, in welcher ihre Türe für jedermann offen war und jeder kommen durfte, welcher des Glückes teilhaftig war, der Signora vorgestellt worden zu sein.

Die Kavaliere standen oder saßen in einzelnen Gruppen da und unterhielten sich in leisem Geflüster über die On dit des Tages, indem ihre Blicke sich von Zeit zu Zeit auf jene Portiere von purpurrotem Sammet hefteten, hinter welcher sich das Boudoir der Tänzerin befand. Von dort her mußte sie kommen, dort mußte die Sonne aufgehen über diesem jetzt so trüben, von Geflüster, von Seufzern und Besorgnissen ganz versumpften Salon.

Barbarina kam aber noch immer nicht. Sie lag in dem reizendsten Negligé von weißem Musselin, verziert mit Spitzen von wunderbar kunstvollem Gewebe, auf der blauseidenen Ottomane. Sie lag mit offenen Augen und über der Brust gekreuzten Armen und träumte. Ein weicher tränenfeuchter Schmelz verschleierte die großen offenen Augen, welche sonst so viel feurige Blitze zu schleudern wußten, ein schwermütiger Ausdruck zitterte auf den Lippen, welche sonst so viel Stolz und Entschlossenheit zeigten.

Barbarina war allein, weshalb sollte sie also nicht träumen und seufzen und die Brillanten ihres Lächelns und ihrer feurigen Blicke ein wenig beiseite legen, mit denen sie sich sonst vor der Welt zu schmücken pflegte?

Wovon träumten denn diese unergründlichen Augen, was sagten denn diese Seufzer auf den schwellenden Purpurlippen?

Wußte sie es selber nicht oder wollte sie es nicht wissen? Kannte sie ihr eigenes Herz oder hatte sie es verschleiert vor ihren eigenen stolzen Blicken, welche sich vielleicht geschämt haben würden vor dem, was sie in ihrem Herzen lasen?

Eine Tür öffnete sich jetzt, und ein junges Mädchen trat herein, eines dieser armen, unscheinbaren, demütigen, sanften und ergebenen Geschöpfe, wie man sie immer in der Umgebung jeder Künstlerin findet, das bête de souffrance, an dem sie ihre Launen, ihre Kränkungen, ihren Ärger, ihren Zorn auszulassen pflegen, die demutsvolle »Gesellschafterin«, welche die Künstlerinnen immer an ihrer Seite haben, wenn nur Ärger, Verdruß, Eifersucht und Enttäuschungen ihre übrigen Gesellschafter sind, welche sie immer ins Nebenzimmer verbannen, wenn sie sich in der Gesellschaft ihrer vornehmen Anbeter und reichen Courmacher befinden, und wenn sie selbst von Glück, Befriedigung und froher Laune strahlen.

Die Gesellschafterin der Barbarina indes hatte nicht dies harte und beklagenswerte Los der gewöhnlichen Gesellschafterinnen berühmter Künstlerinnen, sie war kein gemietetes bête de souffrance, keine bezahlte Anstandsdame, sondern sie war Barbarinas Schwester, und nur aus Liebe, aus zärtlichster Anhänglichkeit war sie der Signora nach dem kalten Norden, dem verhaßten Berlin gefolgt.

Barbarina liebte ihre Schwester Marietta zärtlich, sie war die Gefährtin nicht bloß ihrer Leiden, sondern auch ihrer Freuden, Barbarina hatte kein Geheimnis vor ihr, sie war immer gewiß, bei ihrer sanften, verständigen, geduldigen Schwester Trost, Rat und ein offenes Ohr zu finden. Sie blieb daher auch jetzt, als Marietta zu ihr eintrat, ganz unverändert auf der Ottomane liegen, vielleicht wußte sie kaum, daß Marietta da sei, bis diese dicht zu ihr herantrat und ihre Hand leise auf Barbarinas Arm legte.

Sorella, sagte sie, stehe auf. Es sind viele Signori im Salon und warten auf dich!

Sie mögen warten, erwiderte Barbarina. Ich will heute niemand sehen.

Es ist aber die Stunde, wo du zu empfangen pflegst, Sorella, und wenn du jetzt nicht kommst, so werden sie denken, daß du noch immer unwohl bist.

Mögen sie es denken.

Aber sie werden es nicht bloß denken, Sorella, sondern es auch sagen, und sie werden allerlei Glossen hinzufügen.

Was denn? rief Barbarina, indem sie sich emporrichtete. Was für Glossen, Marietta?

Es war gar zu unangenehm, daß dein Unwohlsein dich überfiel, gerade als der König erschienen war, sagte Marietta mit niedergeschlagenen Augen.

Barbarinas Augen flammten. Ah, sie werden das in Zusammenhang bringen, sagte sie. Diese boshaften, lachenden, meditierenden Menschen werden jetzt sagen, Barbarina sei in Ohnmacht gefallen, weil der König unvermutet kam, weil die Freude sie überwältigte, das Glück, ihn zu, sehen, ihre Sinne betäubte. Nicht wahr, das werden sie sagen? Das meinst du?

Ja, das meine ich, flüsterte Marietta ganz leise.

Barbarina flog von der Ottomane empor, zitternd, todesbleich, ganz Zorn und Glut. Sie werden mich verhöhnen, sie werden mich verspotten, sagte sie, ihre beiden Arme zum Himmel emporschleudernd, als wollte sie sich einen Blitzstrahl herabreißen, um die ganze Menschheit zu zerschmettern. Sie werden sagen, daß ich, Barbarina, daß ich den König liebe!

Das werden sie sagen, Sorella, sagte Marietta schüchtern.

Barbarina faßte heftig ihre Hand. Aber du, Schwester, du wirst das nicht sagen, du nicht! Du weißt, daß ich ihm einen tödlichen Haß geschworen habe, du weißt, daß ich ihn verwünscht habe mit meinen Tränen, daß ich ihm niemals den Kummer und das Leid verzeihen kann, das er mir bereitet hat. Denke doch, Marietta, wieviel ich durch ihn gelitten, durch ihn geweint habe! Mein Leben glich einem einzigen, schönen Sommermorgen, einem Märchen von Sternengefunkel und Perlenglanz. Er hat mir alle meine Sterne verdunkelt und die Perlen in Tränen verwandelt. Wehe ihm, wehe ihm! Ich habe geschworen ihn ewig zu hassen, und Barbarina hält ihren Schwur.

Du hast geschworen ihn ewig zu hassen, Schwester, aber die Menschen wissen das nicht, und weil sie das nicht wissen, verwechseln sie deinen Haß mit dem, was sie Liebe nennen. Sie sehen, daß deine Blicke leuchtender, strahlender sind, wenn der König da ist, und sie wissen nicht, daß es der Haß ist, welcher dann aus deinen Augen leuchtet! Sie hören, daß deine Stimme leise zittert, wenn du zu ihm sprichst, und sie wissen nicht, daß es wieder der Haß ist, der dein Herz bewegt; sie sehen, daß du wundervoller, bezaubernder tanzest, wenn der König da ist, und sie wissen nicht, daß es der Haß ist, welcher dich so schon tanzen macht, weil du ihn zerschmettern willst mit der Größe deiner Künstlerschaft, ihn zu Boden drücken willst mit der Gewalt deines Genies.

Ja, ja, so ist es! sagte Barbarina hochatmend. Du allein kennst mich, du allein verstehst es, in meinem Herzen zu lesen. Oh, oh, ich hasse diesen stolzen, grausamen König. Marietta, ich hasse ihn, und er verdient es, denn wie groß, er immer sein mag, er hat doch ein kaltes, hartes Herz. Es ist wahr, er ist schön und erhaben! Der Genius leuchtet von seiner wunderbaren Stirn, und wenn er lächelt, so ist das, als ob ein Sonnenstrahl sein Antlitz verkläre. Seine Augen, diese großen unergründlichen Augen, sind so blau wie der Himmel und so tief wie das Meer, und wenn ich sie anschaue, so meine ich darin die Geheimnisse der Tiefe und die Entzückungen des Himmels zu lesen, so meine ich die Engel jauchzen und die Wogen rauschen zu hören. Seine Stimme, wenn sie bittet, ist wie holde Musik, wenn sie befiehlt, wie majestätisches Donnern. Groß ist er vor allen Menschen, groß, denn er ist ein Held, ein Mann, ein König!

Und dennoch hassest du ihn? fragte Marietta mit niedergeschlagenen Augen und einem kaum merklichen Lächeln.

Ein merkliches Beben durchflog Barbarinas ganze Gestalt. Mariettas Frage hatte sie aus ihrer glühenden Begeisterung aufgeschreckt, sie war an ihr Ohr gedrungen, wie der Namensruf an das Ohr des Nachtwandlers, und hatte sie aus ihren Entzückungen emporgerüttelt.

Ja, sagte sie leise, dennoch hasse ich ihn, dennoch will ich ihn ewig hassen, denn wenn ich ihn liebte, wäre ich das unglückseligste Geschöpf, würde ich mir selber fluchen, mich selber verachten, denn er hat kein Herz, er kann niemals lieben, und Schmach und Schande über das Weib, welches liebt, ohne geliebt zu werden. Er liebt nichts als sein Preußen, seinen Ruhm und seine Größe! Und ich sollte ihn lieben? Du siehst, daß das ganz unmöglich ist, daß das niemals sein kann, daß ich lieber sterben würde, als diesen König lieben, welcher nicht das Herz eines Mannes hat.

Aber die Menschen werden es dennoch glauben, sagte Marietta. Sie können nicht auf den Grund deines Herzens schauen, und du mußt ihnen deinen Haß verschweigen, du darfst sie nicht ahnen lassen, daß du, aus Zorn und Verdruß, den König schon wieder zu sehen, gestern ohnmächtig geworden bist.

Sie werden glauben, daß es die Freude getan! rief Barbarina ganz außer sich. Sie sollen es nicht glauben, ich will es nicht!

Und wie eine gereizte Löwin sprang sie zu dem kleinen Stilett hin, das dort, eine Reliquie aus ihrem schönen Heimatslande, auf ihrem Toilettentisch lag.

Ich will nicht, daß sie mich verspotten! rief sie stolz und zürnend, indem sie den goldgestickten weißen Atlaspantoffel fortschleuderte und ihren kleinen zarten Fuß emporhob.

Barbarina, was willst du tun? rief Marietta, als ihre Schwester das Stilett emporhob.

Das will ich tun, sagte sie mit einem köstlichen Lächeln, indem sie die Spitze des Stiletts in ihre Fußsohle stieß, daß das Blut in hellen Tropfen hervorstürzte und den seidenen Strumpf mit Purpurstreifen durchzog.

Marietta stieß einen Schrei aus und stürzte zu ihrer Schwester hin.

Aber Barbarina wehrte sie leise ab. Das tröpfelnde Blut hatte, wie es schien, ihrem glühenden Naturell eine Erleichterung, eine Erquickung gebracht. Sie war jetzt ganz ruhig, strahlend und stolz wie eine Königin. Ein köstliches Lächeln stand auf ihren Lippen und ließ zwei Reihen wundervoller Zähne sehen.

Ruhig, Marietta, sagte sie gebieterisch. Ich habe mich an einer unschädlichen Stelle verwundet, und die Wunde ist nicht tief. Aber doch tief genug, um Glauben zu verdienen, wenn ich sage, daß ich gestern auf der Bühne mir den Fuß an einer Glasscherbe verletzte, welche da von irgendeiner zersprungenen Lampe hingefallen war.

Ah, deshalb also tatest du es, du böse stolze Schwester? rief Marietta, ihre Schwester mit strahlenden, bewundernden Blicken anschauend.

Ja, deshalb tat ich es. Jetzt, Marietta, hole mir meinen Pantoffel wieder und gib mir deinen Arm. Wir wollen zu diesen Herren da in den Salon gehen.

Mit diesem blutenden Fuß, mit dieser offenen Munde, Barbarina?

Ja, mit diesem blutenden Fuß und dieser offenen Wunde. Aber es ist wahr, wir wollen erst ein wenig das Blut stillen, damit es nicht allzu heftig fließt!

Die Kavaliere, welche die Signora in ihrem Salon erwarteten, machten immer bedenklichere, immer traurigere Gesichter. Barbarina mußte sehr leidend sein, da sie ihre Anbeter so lange schmachten ließ, denn diese kleinliche Koketterie, dieses wohlfeile »Sicherwartenlassen« lag sonst gar nicht in ihrer Weise. Aber eben, weil sie sehr leidend war, durfte man nicht gehen, bevor man Nachricht von ihr erhalten, bevor man wenigstens Barbarinas Schwester gesprochen hatte.

Und endlich sollte ihr Warten belohnt, ihre Sorge gelindert werden. Die Portière ward zurückgeschlagen, und da, auf den Arm ihrer Schwester gestützt, erschien Barbarina.

Sie sah bleich aus und ein wenig leidend, ein schmerzliches Zucken zeigte sich zuweilen auf ihren Lippen, wie sie, immer gestützt auf den Arm ihrer Schwester, durch den Salon ging und hier und dort mit den Kavalieren eine jener leichten, graziösen, geistvollen und pikanten Unterhaltungen begann, wie nur sie deren Meisterin war.

Plötzlich indes, mitten in einer dieser flatternden Konversationen, in denen man über alles und über nichts spricht, stieß Barbarina einen leisen Schrei aus und ließ sich rasch auf einen Stuhl niedergleiten.

Ich glaube, sagte sie matt, ich glaube, mein Fuß blutet schon wieder.

Sie hob das Gewand ein wenig empor und streckte unter demselben ihren zarten Fuß hervor, diesen Gegenstand der Bewunderung Tausender in allen Ländern Europas. – Wirklich, der weiße Atlaspantoffel war ganz gerötet von Blut, das schon aus dem Pantoffel herniederrann.

Ein Schrei des Entsetzens ertönte von aller Lippen, und alle die vornehmen ausgezeichneten Kavaliere umringten die Signora, welche bleich und matt auf ihrem Fauteuil tag, während Marietta zu ihren Füßen kniete und mit ihrem Taschentuch den Fuß umwickelte. Es war eine eigentümliche Szene. Dieser glänzende, blumengeschmückte Salon mit seiner imposanten, wahrhaft fürstlichen Pracht, und inmitten desselben die Gruppe von Herren in ihren glänzenden, gestickten Hofkleidern oder Uniformen, geschmückt mit blitzenden Ordenskreuzen, die Signora umringend, welche da in ihrem reizenden Negligé auf dem Fauteuil lehnte, und deren blutender Fuß in dem Schoß ihrer knienden Schwester ruhte.

Sie sind verwundet, Signora, Sie bluten? rief der junge Prinz von Württemberg mit einem solchen Ausdruck des Entsetzens, daß man hätte meinen sollen, diese Wunde müßte augenblicklich den Tod der Signora herbeiführen.

Barbarina blickte erstaunt zu ihm empor. Wußten Sie das nicht, Durchlaucht? Ich dächte doch, Sie wären Zeuge meiner gestrigen Ohnmacht gewesen?

Gewiß war ich das, wie alle diese Herren. Aber was hat das mit Ihrem blutenden Fuß gemein?

Eine seltsame Frage, in der Tat, rief die Signora lächelnd. Wovon glauben Sie denn, Messieurs, daß ich ohnmächtig geworden wäre, wenn nicht vor Schmerz? Ich empfand plötzlich da unter meiner Fußsohle einen schneidenden, stechenden Schmerz, er durchzuckte mein ganzes Wesen wie mit einem elektrischen Schlag und machte mich, wie Sie wissen, ohnmächtig. Da aber in den Ohnmächten das Blut erstarrt, so hatte auch das meiner Wunde nicht fließen können, und so bemerkte selbst der Arzt nicht die Veranlassung meiner Ohnmacht. Ich selber entdeckte dieselbe erst heute morgen an den Schmerzen, die mir das Gehen verursacht.

Mein Gott, welch ein entsetzliches Unglück! riefen die Herren. Welch ein furchtbares Mißgeschick! Unsere himmlische Tänzerin, welche sich gerade an ihrem Fuß verletzt hat. Wir werden dadurch des Glückes beraubt werden, Sie in ihrer göttlichen Kunst bewundern zu können. Wir werden lange Zeit nach dem Hochgenuß, Sie tanzen zu sehen, vergeblich schmachten müssen!

Beruhigen Sie sich, meine Herren, sagte Barbarina lächelnd. Es wird ein Übel von nur kurzer Dauer sein und gar seine schlimmen Folgen haben. Ich war auf eine runde Glasscherbe gesprungen, welche Gott weiß wie auf die Bühne gefallen und durch den Schuh in meinen Fuß eingedrungen war, aber nicht tief genug, um mich ernsthaft zu verletzen. Es ist also nur eine leichte Schnittwunde, und einige Tage der Ruhe werden mich bald wieder herstellen.

Jetzt, sagte Barbarina mit einem triumphierenden Lächeln, als die Herren sie verlassen hatten und sie wieder mit ihrer Schwester allein war, jetzt wird niemand mehr über mich lachen und spotten und an meiner unglückseligen Ohnmacht deuteln und klügeln; in einer Stunde wird die ganze Stadt wissen, weshalb ich gestern ohnmächtig geworden bin, und auch der König, hoffe ich, wird es erfahren.

Aber er wird es vielleicht nicht glauben, sagte Marietta achselzuckend. Er hat heute schon in aller Frühe deinen Arzt zu sich kommen lassen und ihn sehr genau nach deinem Unwohlsein ausgeforscht, und gestern im Theater, ich hatte gerade die Garderobe verlassen, um dir ein Glas Wasser zu holen, und kehrte mit demselben zurück, da sah ich den König, welcher vor deiner Türe stand und auf die Schmerzensschreie horchte, die du ausstießest!

Ein wundervoller, strahlender Ausdruck verklärte jetzt Barbarinas edles Angesicht und leuchtete aus ihren großen schwarzen Augen.

Der König war also selber hinter die Kulissen gekommen? fragte sie. Er stand vor meinem Zimmer? Er wollte also zu mir kommen? Und das sagst du mir erst jetzt, erst heute, während du doch wissen konntest –

Barbarina verstummte und wandte das errötende Antlitz ab.

Ich hätte freilich wissen können, daß es dir, welche den König so glühend haßt, ein sehr angenehmes Gefühl gewesen wäre, zu wissen, daß der König vergeblich an deiner Türe gewesen und von der stolzen Tänzerin wie ein ganz gewöhnlicher Mann abgewiesen worden ist, sagte Marietta mit einem feinen Lächeln.

Ich habe ihn indessen nicht abgewiesen, flüsterte Barbarina verlegen.

Nein, du hattest nur den Riegel vorgeschoben, weiter nichts.


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