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XII. Der König und der Abt

Schweigend gingen sie durch die hohe gewölbte Vorhalle und durch die Korridore, welche von den Tritten der Fremden widerhallten zu den Gemächern, welche der Abt bewohnte. Als sich die Tür, welche zu diesen führte, hinter den drei Männern geschlossen hatte und niemand sie mehr beobachten und hören konnte, blieb der Abt stehen, und sein Gesicht nahm jetzt den Ausdruck tiefster Ehrfurcht und feierlicher Rührung an.

Er kreuzte die Hände über seiner Brust, indem er sich tief verneigte. Jetzt, sagte er, mögen Euere Majestät erlauben, Sie von ganzer Seele willkommen zu heißen. In den Zimmern des Abtes Tobias Stusche hat der König Friedrich der Zweite nicht nötig, Inkognito zu bleiben. Gesegnet sei Ihr Eingang in dieses Haus, möge auch Ihr Ausgang gesegnet sein!

König Friedrich lächelte. Das wird am Ende wohl von Euer Hochwürden abhängen, sagte er, denn ich wüßte nicht, welche Gefahr sonst uns bedrohte. Es war allerdings nicht meine Absicht, so weit zu gehen und meine Recognition so weit auszudehnen. Aber was wollen Sie, Herr Abt. Man ist nicht bloß König und Soldat, sondern auch ein Mensch, welcher ein offenes Auge und ein offenes Herz für die Schönheiten der Natur hat und Gott am liebsten in seiner Schöpfung anbetet. Ihr Kloster lockte mich mit seiner Schönheit, und so bin ich, statt mein Pferd zu besteigen und nach Frankenstein zurückzureiten, vorher noch hier herauf gekommen, um ein wenig Ihr Kloster zu bewundern und die Aussicht von Ihrem Turm zu genießen. Das ist alles! Lassen Sie mich erst ein wenig ausruhen, geben Sie mir ein Glas Wein, und dann steigen wir auf den Turm!

Es lag so viel ruhige Zuversicht, so viel erhabenes Selbstbewußtsein in der Weise des Königs, daß der arme, von unheimlichen Ahnungen geängstigte Abt nicht den Mut hatte, dieselben auszusprechen, sondern seufzend, und gleichsam um Beistand flehend, zu dem jungen Begleiter des Königs, welcher niemand anders war als der Offizier seiner Leibgarde, Friedrich von Trenck, hinüberblickte.

Aber dieser schien vollkommen die Sorglosigkeit seines königlichen Herrn zu teilen. Sein Gesicht war ruhig und lächelnd und den Blick des Abtes schien er gar nicht zu verstehen.

Erlauben mir Euere Majestät, daß ich selbst und ich allein die Ehre habe, Sie zu bedienen, sagte er. Ich bin so eifersüchtig auf das hohe Glück, welches mir heute widerfährt, daß ich es mit niemandem teilen möchte, selbst nicht mit meinen Mönchen.

Der König lachte. Gestehen Sie nur, Hochwürden, daß Sie Ihren Mönchen nicht trauen und nicht wissen, ob diese alle so gut preußisch, wie Sie selber es zu meinem Glücke sind. Geben Sie mir also, wenn es Ihnen gefällig ist, mit Ihren eigenen frommen Händen ein Glas Wein. Ich habe nicht nötig, zu sagen, ein gutes, denn die Klosterherren verstehen sich darauf und führen keinen schlechten.

Der König ließ sich behaglich in einen Lehnsessel nieder und unterhielt sich heiter und fröhlichen Mutes mit seinem Adjutanten und dem würdigen Abt, welcher in geschäftiger Eile hin und wieder ging, und aus Wandschränken und kleinen, in dem Fußboden angebrachten Behältern Wein, Früchte und Backwerk herbeiholte.

Diese von nichts unterbrochene klösterliche Stille, diese tiefe, schweigende, köstliche Ruhe, die ihn umgab, schien dem König wohl zu tun. Sein Antlitz war von leuchtender Schönheit, und jenes zugleich sanfte und imponierende Lächeln, welches nur selten auf seinen Lippen sich zeigte, dann aber wie die Sonne alle Herzen erwärmte, strahlte jetzt in seinen Zügen.

Einige Stunden waren so vergangen, Stunden, welche der König nicht zu beachten schien, die aber das Herz des armen Abtes mit Furcht und Schrecken erfüllten.

Jetzt, sagte der König, indem er sich endlich erhob, jetzt bin ich ausgeruht, erfrischt und gestärkt. Führen Sie mich auf den Turm, Hochwürden, und dann kehre ich zurück nach Frankenstein.

Es gibt glücklicherweise einen Gang nach dem Turme, der nur von den Äbten betreten wird und auf dem wir sicher sind, niemanden zu begegnen, sagte Tobias Stusche. Euere Majestät müssen nur verzeihen, daß dieser Gang dunkel ist und über manche kleine Treppe und Irrpfade dahingeht.

Der König lächelte. Das ist ja wie der Weg zur ewigen Seligkeit, durch Nacht zum Licht, durch Irrpfade zum Wege der Erkenntnis! Nun ja, ein wenig Erkenntnis will ich mir von dem Turme holen. Sie haben doch mein Fernglas, Trenck?

Der Adjutant bejahte, und schweigend gingen sie sodann über die Korridore, die Treppen und endlich die letzte Wendeltreppe hinauf, welche zu der Plattform des Turmes führte.

Eine wundervolle Aussicht bot sich hier den Blicken der Beschauer dar. Ringsum begrenzten den Horizont die so majestätischen und graziösen Berge von Porphyr, dieser dritten Ablagerung der reizenden Urwelt, mit welcher sich aus der harten erstarrenden Masse die Form und die belebte, blühende Schönheit emporgehoben hat. Dazwischen leuchtete die Riesenkoppe mit ihrer Schneespitze wie ein großer Gottesfinger zum Himmel auf und kontrastierte wundervoll zu den stolzen, kegelförmigen, grünbewaldeten Höhen, auf denen die Sonnenstrahlen im gaukelnden, vielfarbigen Spiel sich lagerten.

Der König blickte mit strahlenden Augen auf dieses Bild hin, und ein Ausdruck tiefer, andächtiger Rührung sprach aus seinen Zügen. Aber mit der ängstlichen Scheu, welche so leicht denen eigen ist, die durch ihre Stellung oder durch ihr Genie von der übrigen Menschheit isoliert sind und sich gewöhnt haben, sich selber zu genügen, mit dieser ängstlichen Scheu großer Seelen, wollte der König seine Rührung und Andacht vor niemandem sehen lassen. Er fühlte das Bedürfnis, allein zu sein, und verabschiedete den Abt und den Adjutanten, indem er sie aufforderte, ihn unten in den Zimmern des Abtes zu erwarten.

Und nun überzeugt, daß niemand ihn belauschen, niemand sein Antlitz beobachten könne, überließ der König sich ganz den erhabenen heiligen Gefühlen, die sein Inneres bewegten.

Mit leuchtenden Augen blickte er hin auf das bezaubernde, lachende Bild, das im heitersten Sonnenglanz ihn rings umgab.

Gott, Gott, sagte er leise, wer konnte an dir zweifeln und deine Ewigkeit und Weisheit leugnen, wenn er die Schönheit, die Harmonie und Ordnung der Natur betrachtet! Des Königs eigene Worte. Siehe: Oeuvres posthumes. II, 162. Oh, mein Gott, ich bete dich an in deinen Werken und neige mein Haupt in Andacht vor deiner Herrlichkeit. Warum lassen die Menschen sich nicht genügen, an dieser großen, geheimnisvollen, erhabenen und ewigen Kirche, mit welcher sie Gott rings umgeben hat, warum gehen sie nicht beten in der großen Kirche Natur, warum schachteln sie sich ein in die von Menschenhänden erbauten und mit Menschenzwist und Menschenneid und Hochmut erfüllten Kirchen von Sand und Mörtel, und hören da ihre scheinheiligen Priester, anstatt Gott zu hören da draußen in der schönen Gotteswelt? Sie sagen und schreien von mir, ich sei ein Ungläubiger, doch ist meine Seele voll des Glaubens an Gott, und ich bete zu ihm, nicht mit den Worten der Pfaffen, aber mit den Worten meiner eigenen Seele!

Er schwieg und blickte in einer Art lächelnder Verzückung auf das wundervolle Panorama zu seinen Füßen hin. Seine Gedanken, welche bei Gott gewesen waren, stiegen jetzt wieder zur Erde hernieder, wie seine Blicke umherschweiften in diesem köstlichen blühenden Tal, das da unten in der Tiefe der Berge lag, wie der gemalte Grund einer großen urweltlichen Vase. Er zählte mit seinen Augen die kleinen Städte und Flecken mit ihren roten Ziegeldächern und ihren stolz emporstrebenden Kirchtürmen, die vielen, hier und dort verstreuten Dörfer und Bauernhöfe mit ihren dunklen Strohdächern, auf deren äußersten Spitzen die Störche in gravitätischer Ruhe in ihren Nestern standen.

Dies alles ist mein, und ich habe es mir erobert, rief der König jubelnd laut. Es ist mein, und ich werde es mir nicht entreißen lassen, und ich werde Maria Theresia beweisen, daß, was gut zu nehmen war, nicht gut wiederzugeben ist. Nein, nein, Schlesien bleibt mein, in ihm ruht meine Ehre, mein Stolz und mein Ruhm! Ich werde es niemals wieder herausgeben, und müßte ich es mit Strömen von Menschenblut, ja meinetwegen mit meinem eigenen Blut, meinem eigenen Leben erkaufen!

Er nahm wieder sein Glas zur Hand und schaute wieder hin auf die lachende, üppige Landschaft, plötzlich stutzte der König und heftete sein Glas unverwandt auf einen Punkt.

Er sah da inmitten eines grünen Tals, durch welches sich die Landstraße wie ein grauer Fluß hinschlängelte, sich eine seltsame schillernde Masse regen. Anfangs erschien sie nur wie ein Haufen wimmelnder Ameisen, bald aber nahmen diese Riesenformen an, bis sie sich, immer näher kommend, zu menschlichen Gestalten dehnten und streckten, und man in ihnen ganz deutlich eine Kolonne marschierender Soldaten erkennen konnte.

Österreicher! sagte der König vollkommen ruhig, indem er sein Fernglas nach der entgegengesetzten Richtung hinwandte. Dort führte eine Straße von dem sich hier sanft ablagernden Berge hinab ins Tal, und auch hier war die Straße ganz bedeckt mit Soldaten, welche im Sturmschritt den Weg zum Kloster hinaufmarschierten.

Es ist keine Frage, sie wissen, daß ich hier bin, sagte der König. Sie haben es unten im Flecken erfahren und kommen jetzt mich aufzuheben! Eh bien, nous verrons!

So sprechend, steckte der König das Fernglas in seine Busentasche, stieg die Wendeltreppe hinunter und kehrte gelassen und ruhig in das Zimmer des Abtes zurück.

Messieurs, sagte er, und ein heiteres Lächeln umspielte seine Lippen, als er die unbefangenen und harmlosen Gesichter des Abtes und des Offiziers betrachtete, Messieurs, wir werden darauf denken müssen, uns zu verteidigen, denn die Österreicher rücken von allen Seiten zu dem Kloster herauf.

Meine Ahnungen, meine Ahnungen, murmelte der Abt, indem er die Hände faltete und leise Gebete murmelte, während Trenck zum Fenster hinstürzte und spähenden Blickes hinausschaute.

In diesem Moment ward heftig an die Tür geklopft, und eine Stimme von draußen rief mit angstvollem Ton nach dem Abt.

Es ist alles verloren, die Österreicher sind schon da! jammerte Tobias Stusche, verzweiflungsvoll die Hände ringend.

Nein, sagte der König, sie können noch nicht die Höhe erreicht haben, auch ist das da nicht die Stimme eines Soldaten, welcher befiehlt, sondern eines Mönches, welcher bittet und fast vor Angst vergeht. Öffnen wir also.

Mein Gott, Euere Majestät wollen sich doch nicht selbst verraten, rief Tobias Stusche, und aller Etikette vergessend, stürzte er zu dem König hin und legte seine Hand auf dessen Arm, um ihn zurückzuhalten.

Nein, sagte der König, ich will mich nicht verraten, aber auch nicht verbergen. Ich will meinem Schicksal die Stirn bieten.

Aufgemacht, um Gottes willen aufgemacht! rief draußen die Stimme.

Er bittet um Gottes willen, öffnen wir also, sagte der König, indem er rasch das Zimmer durchschritt, den Riegel zurückschob und die Tür öffnete.

Jetzt sah man das bleiche, angstvolle Gesicht des Bruders Anastasius in der Tür erscheinen, welche er hastig überschritt, indem er dann den Riegel wieder vorschob.

Verzeihung, sagte er bebend und atemlos, Verzeihung, daß ich es wage, hier einzutreten. Aber es ist die höchste Gefahr. Die Österreicher umzingeln das Kloster.

Sind sie schon oben? fragte der König.

Nein, aber sie haben einen Reiter vorausgesandt, der verlangt, daß wir alle Pforten öffnen und die Soldaten der Kaiserin Maria Theresia in unser Kloster einziehen lassen.

Haben sie keinen Grund für ihr Verlangen angegeben?

Ja wohl. Sie sagen, sie wüßten ganz gewiß, daß der König von Preußen sich hier versteckt halte und deshalb kämen sie, das Kloster zu durchsuchen.

Und habt Ihr ihnen nicht gesagt, daß wir nicht bloß die Diener Gottes, sondern auch des Königs von Preußen sind? fragte der Abt. Habt Ihr ihnen nicht gesagt, daß die Pforten unseres Klosters sich nur preußischen Truppen öffnen können?

Ich sagte es dem Soldaten, aber er lachte dazu, und meinte, die Panduren des Oberst von Trenck wüßten sich überall Eingang zu verschaffen.

Ah, es ist der Trenck mit seinen Panduren, rief der König, und sein scharfes Auge flog einen Moment hinüber zu Friedrich von Trenck, welcher bleich und mit fest zusammengepreßten Lippen dastand, aber vor den Blicken des Königs nicht die Augen zu Boden schlug.

Ist der Trenck Euer Verwandter? fragte der König hastig.

Ja, Majestät. Er ist meines Vaters Bruders Sohn, sagte der junge Mann stolz.

Ach, ich sehe wohl, daß Er ein gutes Gewissen hat, rief der König, seinem Adjutanten lächelnd die Hand auf die Schulter legend. Aber sagt mir, Herr Abt, wißt Ihr kein Mittel, uns aus dieser Mausefalle herauszuhelfen?

Tobias Stusche antwortete nicht sogleich. Er stand mit übereinander geschlagenen Armen sinnend da. plötzlich richtete sich seine Gestalt, wie von einem kräftigen Entschluß gehoben, höher auf und ein Ausdruck fester Energie strahlte von seinem Antlitz. Wollen Euere Majestät das Mittel ergreifen, welches ich Ihnen darzubieten wage?

Wenn es kein unehrenhaftes ist, so will ich es, denn ich bin es meinem Volke schuldig, daß ich mich ihm erhalte und es kein Lösegeld bezahlen lasse.

Nun, dann hoffe ich mit Gottes Hilfe Euere Majestät zu retten, und indem er sich zu dem Mönch wandte, fuhr er mit dem strengen, stolzen Ton eines Gebieters fort: Bruder Anastasius, hört nun meine Befehle. Ihr begebt Euch sogleich zum Meßner und befehlt ihm in meinem Namen, sofort alle Brüder zur Mette und zum Komplett auf das hohe Chor der Kirche zusammenzuberufen, aber droht ihm zugleich mit meinem Zorn und mit strenger Strafe, wenn er es wagt, mit irgendeinem der Brüder sich in ein Gespräch einzulassen. Ich werde sehen und prüfen, ob jeder Bruder weiß, daß der klösterliche Gehorsam seine erste Pflicht ist. Während der Meßner die Geistlichen zusammenruft, soll der Glöckner zur Mette rufen! Eilt Euch, Bruder Anastasius. In zehn Minuten müssen wir alle in der Kirche versammelt sein.

Und indem Ihr eine heilige Messe zelebriert, glaubt Ihr mich zu retten? fragte der König achselzuckend.

Ja, Sire, das glaube ich. Haben Euere Majestät nur die Gnade, mich in meine Garderobe zu begleiten.


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