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III. Das Hochzeitsfest der Prinzessin

Freilich, für einen Tag hatte der perfide und heuchlerische Freund das Geheimnis des jungen Paares vor der Entdeckung bewahrt! Aber es kam ein neuer Tag, und an diesem Tage hatten sie das gefährliche Gift, welches Pöllnitz ihnen in seiner alles berechnenden Weltklugheit bereitet hatte, durch ihr Auge und ihr Ohr in ihr Herz einziehen lassen! An diesem Tage sahen sie sich unter dem Zwange, sich nur durch Blicke, durch Seufzer, durch verstohlene Händedrücke und flüchtige, leis gemurmelte Worte einander ihre Liebe und ihr Entzücken andeuten zu können, weil die Gegenwart anderer, uneingeweihter Personen ihr Herz wie ihren Mund in Fesseln legte. Nun aber wußte Pöllnitz sehr wohl, daß es kein wirksameres Mittel gebe, ein junges Mädchen zu einem Rendezvous mit ihrem Geliebten zu veranlassen, als daß man ihnen ein Zusammensein vor fremden Zeugen gewähre, daß man sie beide zum Zwang, zur Verstellung, zum Schweigen verdamme. Das so gefesselte Herz sehnt sich um so glühender, diese eisernen Bande des Schweigens abzuwerfen, und sich in freier ungefesselter Liebeslust aus der bedrückenden Gefangenschaft emporzuheben.

Als Prinzessin Amalie zwei Tage diese Marter des Zusammenseins mit dem Geliebten vor Zeugen ertragen hatte, war sie fest entschlossen, ihm eine andere, eine einsame Zusammenkunft zu bewilligen, sobald er es wagen würde, sie darum zu bitten.

Sie wollte endlich dieses schöne Antlitz, das jetzt wie von einer Wolke der Wehmut beschattet war, aufleuchten sehen im hellsten Sonnenschein des Glückes, sie wollte diese traurigen Augen sich verklären, diesen düstern Mund lächeln sehen. Sie wollte den Geliebten glücklich machen. Sie dachte, sie fühlte, sie wollte nichts weiter als das!

Freilich gab es noch Stunden des Zweifels, des Bangens, Stunden, in welchen sie ganz das Gefahrvolle und Verwegene ihres Entschlusses begriff, wo sie in einem unbestimmten Gefühl der Angst und des Entsetzens fast bereit war, sich ihrer königlichen Mutter zu Füßen zu werfen, ihr alles zu gestehen und bei ihr Schutz zu suchen vor ihrem eigenen schwachen Mädchenherzen; wo sie, in der wilden Verzweiflung ihres mutigen und trotzigen Naturells, zu dem König gehen und ihn beschwören wollte, sie zu retten vor sich selber, vor ihren eigenen, leidenschaftlichen und gefährlichen Gedanken. Aber immer war eine Stimme in ihrem Herzen, welche sie von diesem Schritte des Heils und der Rettung zurückhielt und sie ihre Augen verschließen machte vor diesen Abgründen, welche sie rings schon umgaben, und denen sie mit wissenden Sinnen entgegentaumelte.

Hätte sie jetzt eine Freundin, eine Schwester gehabt, welcher sie vertrauen durfte, so wäre sie vielleicht gerettet gewesen; aber ihre hohe exklusive Stellung beraubte sie, indem sie die Prinzessin isolierte, dieser köstlichen Lebensfreude einer Mädchenfreundschaft. Denn die Freundin, an welche die Natur sie gewiesen, ihre Schwester Ulrike, hatte durch die Intrige, durch welche sie sich die schwedische Königskrone erworben, sich für immer das Herz ihrer Schwester entfremdet.

Ja, vielleicht waren es sogar diese so glänzenden, so prunkhaften Vermählungsfeierlichkeiten, welche die junge Fürstentochter immer mehr in diese gefährlichen und unheilsvollen Netze hineinzogen, denen sie durch eine Vermählung mit einem ebenbürtigen Gemahl entgangen wäre. Sie sagte sich, daß es in ihrer Hand gelegen, alle diese Herrlichkeiten, diese Feste und Ehrenbezeigungen sich anzueignen, und daß nur ihr eigenes Herz und der perfide Rat ihrer Schwester sie daran verhindert habe. In dem kindischen Trotz ihres Herzens sagte sie zu sich selber: das Schicksal zeigte mir einen Weg der Rettung, aber meine eigene Schwester stieß mich von demselben zurück an diesen Abgrund hin, an welchem ich jetzt stehe. Möge sie nun also verantwortlich sein. Auf ihr Haupt komme mein Unglück und meine Schande, auf ihr Haupt meine Tränen und meine Klagen. Sie hat mich verhindert, eine Königin zu sein, nun wohl, so will ich wenigstens ein junges Mädchen sein, welches liebt, und ihrem Geliebten alles opfert, selbst ihren Stolz, ihren Rang und die unbefleckte Größe ihrer Ahnen! Für Ulrike also die Ehren, der Prunk, das pomphafte Glück, für mich das Geheimnis die Liebe und das verschwiegene Mädchenglück! Wer von uns wird mehr zu beneiden sein?

Allerdings, es waren glänzende, pomphafte Tage, welche man der Prinzessin Ulrike, der Braut des Kronprinzen von Schweden, des Herzogs Adolf Friedrich von Holstein, bereitete. Feste drängten sich auf Feste. Das ganze Land schien teilzunehmen an dem Familienglück des Königshauses. Alle Provinzen, alle Städte sandten Deputationen, um dem König zu gratulieren und der Prinzessin ihre Geschenke darzubringen. Sie, welche so oft von der edleren und blendenderen Schönheit ihrer jüngeren Schwester verdunkelt worden, ward nun plötzlich der Mittelpunkt aller dieser Feierlichkeiten und Verherrlichungen, die in atemloser bunter Folge sich aneinanderreihten. Für sie, für die Prinzessin Ulrike allein war es, daß der König im Opernhause einen Maskenball gab, an welchem die ganze Stadt teilnehmen durfte, für sie strahlten am Abend ihrer Vermählung alle Straßen im hellsten Kerzenglanz der nicht befohlenen, sondern freiwilligen Illumination, für sie gab die Königin in Schönhausen ein glänzendes Ballfest, für sie hatte der schwedische Gesandte ein Fest arrangiert, dessen verschwenderischer Luxus und fabelhafter Prunk ihr vielleicht einen Vorgeschmack der Herrlichkeit geben sollte, die sie in ihrem neuen Vaterlande, in Schweden, erwartete; für sie endlich fand dieser Maskenball im königlichen Schlosse statt, zu dem der ganze Adel nicht bloß, sondern auch ein guter Teil der vornehmen, reichen und angesehenen bürgerlichen Familien Berlins Einladungen erhalten hatte.

Mehr denn dreitausend Menschen wogten in diesen von Blumenduft, von Kerzenglanz, von Diamantengeflimmer und Gold- und Silberstickerein ganz erfüllten Sälen auf und ab. Überall sah man freudige Gesichter, glänzende Toiletten. Alles was auf Schönheit, Jugend, auf Rang, Ansehen, Ruhm und Würden Anspruch zu machen hatte, war heute in den Sälen des Schlosses versammelt, und hinter den Reihen der geputzten Damen, der glänzenden Kavaliere wogte das geputzte, das staunende, vor Verwunderung verstummte Volk auf und ab. Der König hatte befohlen, heute keinem anständig Gekleideten den Eintritt in das Schloß zu verweigern. Wer eine Einladungskarte vorzuzeigen hatte, war berechtigt, als der Gast des Königs die Reihe dieser glänzenden Säle zu durchwandern, wer ohne Karte kam, mußte es sich freilich gefallen lassen, hinter dieser seidenen Schnur zu gehen, welche an den Seiten der Säle angebracht war und eine kaum merkliche, aber doch unüberwindliche Barriere zwischen dem Volk und der Hofgesellschaft bildete.

Es war eine schwere, eine riesenhafte Arbeit, in diesen Massen, in diesem sich drängenden, stoßenden, neugierig gaffenden Volk, unter diesen Tausenden vornehmer, geputzter, übermütiger, der Etikette und des Hofzwanges entfesselter Leute eine gewisse Ordnung aufrecht zu halten, oder auch nur dafür zu sorgen, daß jedermann als Gast des Königs seiner Würde gemäß bedient und bewirtet werde. Scharen goldbetreßter Lakaien flogen in nie rastender Eilfertigkeit durch die Säle, auf den silbernen Plateaus die seltensten Früchte, die auserlesensten Speisen, die kostbarsten Weine an die halbverschmachteten Gäste umherreichend. Ungeheure Büfetts, in jedem der Säle angebracht, enthielten eine verschwenderische Fülle der köstlichsten Speisen und Getränke, überall hörte man Gläserklang und das geschäftige Schwirren und Kratzen der Messer und Gabeln, welches andeutet, daß der Magen in seine unabweislichen Rechte eingetreten ist und die Huldigungen seines höhern Ichs entgegennimmt.

Der König, in dem edlen und stolzen Vertrauen eines großen Herzens, hatte es abgelehnt, die Polizei zur Überwachung seiner Gäste in dem Schlosse Eingang finden zu lassen. Einige diensthabende Offiziere seiner Leibgarde waren beauftragt, in den Sälen gewissermaßen die Stellvertreter des Königs zu sein und die Wirte zu machen, indem sie darauf achteten, daß jedermann gut bedient, gut unterhalten und gut gepflegt werde, während der Hof mit den Höchsten des Adels und der Behörden in der Bildergallerie zur Nacht speiste.

Was war dies für ein Gelächter, welches plötzlich in den anstoßenden Sälen erschallte und wie eine Lawine sich fortwälzend immer mächtiger heranrollte, bis es das Ohr des Königs erreicht, so daß dieser staunend und verwundert seinen Oberzeremonienmeister beauftragte, nachzuforschen, was dieses laute Lachen, dieses nicht endenwollende Jauchzen zu bedeuten habe?

In einigen Minuten schon kehrte Herr von Pöllnitz zurück. Neben ihm ging ein junger Offizier, dessen wunderbar hohe schlanke Gestalt, dessen schönes edles, von Kraft, Jugend, Stolz und Energie strahlendes Angesicht sogar die Augen der stolzesten Damen auf sich zog und selbst der Königin Mutter ein Lächeln des Beifalls abgewann.

Sire, sagte Herr von Pöllnitz, man lacht da drinnen, weil irgend ein Witzbold sich die Maske eines Diebes und Räubers vor sein Antlitz gelegt hat, und in einer allzuweit getriebenen Neckerei denjenigen gerade, welchem Euere Majestät befohlen hatte, für die Ruhe und Sicherheit in den Sälen Sorge zu tragen, bestohlen hat. Sehen Sie hier unsern jungen Leutnant von Trenck. Man hat ihm im Gewühl seine goldgestickte und mit goldenen Fransen verzierte Schärpe entwandt, und er im Eifer seines Dienstes hat es nicht bemerkt, daß diese lustigen Kobolde, welche er bändigen sollte, gerade ihn zur Zielscheibe ihres Übermutes gemacht hatten. Das ist es, worüber man in den Sälen lacht, Sire.

Das Auge des Königs ruhte mit einem Ausdruck so innigen Wohlgefallens auf der Gestalt seines jungen Offiziers, daß Prinzessin Amalie, welche es sah, ihr Herz beben fühlte vor Freude und Entzücken. Ein höheres Rot färbte ihre Wangen, eine selige Freude durchglühte ihr ganzes Wesen, die Freude, den, welchen sie liebte, von ihrem erhabenen und angebeteten Bruder, von dem König anerkannt und geliebt zu sehen.

Ich habe Ihn heute den ganzen Abend schon bewundert, sagte der König in seiner heitern, scherzhaften Weise. Gleich dem Auge der Vorsehung trägt Er Seinen Blick bis in die entferntesten Winkel, und sieht alles, was geschieht. Überall, wo Er sich zeigt, herrscht Ruhe, Anstand und Stille. Daß Sein Blick, der alles sieht, nur Seine eigene Person nicht überwachte, das zeigt, daß Er nicht eitel ist, und nicht an Seine eigene Person denkt, wenn es gilt, einen erhaltenen Befehl auszuführen. Ich werde mich dessen erinnern und Ihn zu belohnen wissen, wenn nicht hier im Ballsaal, doch vielleicht auf dem Schlachtfeld, wo Er, das weiß ich gewiß, sich Seine Schärpe nicht würde stehlen lassen Thiébault. III. 195 fg..

Er reichte dem jungen Offizier die Hand dar, welche dieser innig an die Lippen drückte. Dann wandte sich der König lächelnd an die Königin Mutter. Ich weiß, Madame, sagte er, daß Ihnen der junge Baron schon empfohlen ist, aber ich erlaube mir, Ihnen denselben auch meinerseits zu empfehlen. Mögen Sie die Gnade haben, ihn zu einem Kavalier zu bilden; ich werde ihn zu einem Krieger bilden, und dann werden wir an ihm einen Edelmann haben, wie es deren wenige gibt.

Und der König, indem er die Tafel aufhob und seinen Sitz verließ, legte einen Moment seine Hand auf Trencks Schulter.

Lang genug ist Er, sagte der König lächelnd, das hat Er der Natur zu danken. Strebe Er nun darnach, daß Er nicht bloß lang, sondern auch groß werde, das wird Er sich selber zu danken haben.

Er nickte dem jungen Offizier noch einmal freundlich zu und wandte sich dann ab, um der Königin Mutter den Arm zu reichen und sie in den anstoßenden Saal zu führen, wo jetzt der Tanz begann, während die Damen sich in die Garderoben zurückzogen, um ihre Toiletten zu den nun beginnenden Quadrillen zu machen.


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