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V. Ein König, welcher schüchtern ist

Der König legte die Flöte fort und ging unruhig und mißgelaunt in seinem Kabinett auf und ab. Eine Wolke stand auf seiner Stirn, er hatte vergeblich versucht, sie zu vertreiben, indem er zu seiner Freundin, der Flöte, seine Zuflucht nahm. Selbst den sanften Melodien, welche er der Flöte zu entlocken verstanden, wollte sie nicht weichen, denn sie war nicht bloß auf seiner Stirn, sondern auch in seinem Herzen, und machte ihn trübe und traurig.

Vielleicht war es der Schmerz um die Trennung von seiner Schwester, welcher das Antlitz des Königs so umdüsterte, und ihn sogar unfähig wachte, die Flöte zu blasen. Am gestrigen Abend war Prinzessin Ulrike abgereist, nachdem sie noch zuvor im Opernhause, wo man die Oper Rodelinde gab, gewissermaßen von den Berlinern Abschied genommen, indem sie sich ihnen zum letzten Male auf einige Stunden zeigte. Während da drinnen auf der Bühne die Sänger ihre schönsten Melodien sangen, die ganze Kunst ihres Gesanges entfalteten, standen draußen vor dem Opernhause schon die Reisewagen bereit, denn der König, welcher es gern vermied, sein allzu weiches Herz aufzuregen und zu rühren, hatte befohlen, daß die Prinzessin gleich nach der Oper in den bereitstehenden Reisewagen stiege und ohne Abschied von dannen führe. Das Publikum wußte das und nahm wenigstens mit seinen Blicken, mit der Teilnahmlosigkeit, die es der Bühne bewies, um seine Teilnahme ganz der königlichen Loge zuzuwenden, Abschied von der Prinzessin, welche heute zum letzten Male im Glanze ihrer Schönheit, ihrer Jugend und ihrer stolzen königlichen Haltung vor ihnen erschien. Es herrschte daher eine ungewohnte Stille in dem großen Hause, eine Stille, die selbst während des Zwischenaktes anhielt; jedermann blickte empor zu der Loge, wo die Prinzessin inmitten der beiden Königinnen saß. Jedermann sah daher, wie plötzlich die Logentür hastig geöffnet wurde, und der junge Prinz Ferdinand mit ausgebreiteten Armen zu seiner Schwester hineilte.

Meine liebe, liebe Ulrike, rief der Prinz mit schmerzlichem Schluchzen, so muß es denn sein! So soll ich dich niemals wiedersehen!

Und mit kindlichem Ungestüm seine Schwester umarmend, lehnte er das Haupt an ihre Schulter und weinte und schluchzte laut.

Prinzessin Ulrike, nicht mehr imstande, ihre lange bekämpfte Rührung zu verbergen, vermischte ihre Tränen mit denen ihres Bruders, und, ihn sanft in den Hintergrund der Loge zurückziehend, flüsterte sie ihm weinend und zitternd Worte der Zärtlichkeit, der Bitte, sie nicht zu vergessen, des Versprechens, ihn immer zu lieben, ins Ohr. Neben ihr stand die Königin Mutter; auch sie hatte auf einen Moment vergessen, daß sie eine Königin sei, und sich nur erinnert, daß sie eine Mutter war, im Begriff, ihr Kind auf immer zu verlieren. Sie hatte daher nicht einmal den Gedanken gehabt an das Unziemliche und Etikettewidrige dieser Szene, sie sah nur ihre beiden Kinder, welche sich weinend umschlungen hielten, und sie weinte mit ihnen L. Schneider, Geschichte der Oper und des königlichen Opernhauses zu Berlin S. 20..

Das Publikum sah das alles, und niemals hatte das huldvollste Lächeln, die freundlichste Begrüßung der Königin so sehr die Herzen gewonnen, wie es die Tränen der Mutter taten. Jede Mutter fühlte mit dieser Frau, welche, obwohl eine Königin, doch die Schmerzen einer zärtlichen Mutter empfand, jedes Mädchen fühlte mit diesem Mädchen, welches, obwohl im Begriff einer glänzenden Zukunft als Fürstin entgegenzugehen, doch die glückliche Vergangenheit, die geliebte Heimat mit heißen Tränen beweinte. Und da die Männer ihre Weiber und Schwestern weinen sahen, da sie gewahrten, daß selbst ein Prinz seiner Tränen sich nicht schämte, weinten auch sie, aus Sympathie, aus Rührung, aus Liebe zu dem Königshause. Der Zwischenakt, sonst so heiter und geräuschvoll, so von Plaudern und Sachen belebt, ging diesmal unter stillem Weinen und mühsam unterdrücktem Schluchzen zu Ende, und als dann wieder die Oper begann, hatte niemand Aug' und Ohr für die Bühne, selbst der gefeierte Sänger Salimbeni ließ unapplaudiert seine herrlichsten Töne erschallen, selbst die Barbarina tanzte, ohne daß das Publikum, wie es doch an diesem Abend gedurft hätte, ihr zujauchzte und ihr die gewohnten Spenden des Beifalls darbrachte.

War es vielleicht die Erinnerung an dieses rührende Intermezzo des gestrigen Abends, welche den König so bewegte? Trauerte sein Herz um die geliebte Schwester, welche ihn jetzt für immer verlassen hatte? Vielleicht wußte der König es selber nicht, oder vielleicht wollte er es nicht wissen, was ihn so bewegte, ihn so ruhelos und genußlos umhertrieb.

Nachdem er seine Flöte beiseite gelegt, nahm er den Livius zur Hand, welcher immer auf seinem Schreibtisch lag, und versuchte einige Kapitel zu lesen. Aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, und seine Gedanken schweiften weit ab von dem alten römischen Geschichtschreiber.

Mißmutig warf der König das Buch beiseite und ging, die Hände auf dem Rücken gefaltet, wieder auf und ab.

Ach, ach, ich wollte, daß es heute zur Schlacht ginge, murmelte er leise in sich hinein, heute würde ich sicherlich Sieger sein, denn ich bin ganz in jener verzweifelten, todesmutigen Stimmung, welcher das Schlachtengebrüll ein willkommener Gesang und das Blutvergießen ein erleichternder Aderlaß ist. Und was ist es denn, was so auf einmal einen Schleier über meinen Geist gezogen hat, welche geheimnisvolle, rätselhafte Macht hat ihre Hand über mich ausgestreckt und hält mich gefangen in diesen Banden, die ich nicht zu zerreißen vermag, weil ich sie nicht sehen und nicht fühlen kann? Nein, nein, ich will Herr sein meiner selbst, ich will nicht träumen und seufzen! Ich will leben, arbeiten und wenigstens ein treuer König sein, wenn ich doch kein glücklicher und froher Mann sein kann!

Er zog hastig die Klingel und befahl dem eintretenden Kammerdiener, die Kabinettsräte eintreten zu lassen und die Minister zu einem Konseil zusammenzurufen.

Ich werde arbeiten und alles andere vergessen, sagte der König mit einem sanften Lächeln, und er begab sich in sein Arbeitszimmer, um die Vorträge seiner Räte und seiner Minister entgegenzunehmen.

Aber diesmal hatte der König sich getäuscht; selbst die Arbeit verscheuchte die Wolke nicht von seiner Stirn. Sie stand noch darauf, als er in sein Kabinett zurückkehrte, sie war vielleicht sogar noch dunkler geworden.

Ich will ein Ende machen, sagte der König plötzlich, nachdem er wieder lange gedankenvoll auf und ab gegangen war. Ja, gewiß, ich will ein Ende machen! Da ich glücklicherweise nicht Odysseus bin, so sehe ich nicht ein, warum ich mir die Augen verbinden und die Ohren mit Wachs verstopfen soll, um die bezaubernde Sirene nicht zu sehen und ihren verlockenden Gesang nicht zu hören. Ist es in dieser armseligen, nüchternen Welt nicht ein Glück, einmal einer Sirene zu begegnen, ihrem Zauber zu unterliegen, und sich bei ihr eine Viertelstunde der Seligkeit zu erträumen? Und wenn denn jetzt alle Menschen wahnsinnig oder närrisch sind, warum denn sollte ich allein vernünftig bleiben? Komme also über mich, göttlicher Wahnsinn, betäube meine Sinne und umneble meinen Geist! Möge das Alter weise sein und gelassen, ich bin noch jung, warum sollte ich nicht auf eine Viertelstunde ein Tor sein und meiner elenden Herrlichkeit vergessen können?

Er rief seinen Kammerlakaien und befahl, sofort den Generalleutnant von Rotenburg herzubescheiden, dann nahm er wieder seine Flöte und begann, auf und ab wandelnd, zu spielen. Allmählich, während er spielte, erhellten sich seine Züge und sein Auge glänzte wieder im Feuer edler Begeisterung. Jetzt war er wieder der siegreiche Held, der machtvolle König, der denkende, edle und gemütvolle Mensch.

Als der General von Rotenburg zu ihm eintrat, nickte der König ihm zu und spielte ruhig das Adagio zu Ende, dann legte er die Flöte beiseite und reichte dem Freunde seine beiden Hände dar.

Du mußt heute mein Pylades sein, mein Freund, sagte der König, und mich befreien von diesen Erinnyen der Langeweile, welche heute das Herz und den Kopf deines armen Orestes heimsuchen und umlauern.

Ich will alles das sein, was Euere Majestät mir erlaubt und befiehlt zu sein, sagte der General lächelnd. Nur wage ich zu bemerken, daß die Königin Mutter wenig zufrieden damit sein möchte, zu hören, daß Euere Majestät sich mit dem Orestes vergleicht.

Ah, du meinst wegen Klytemnestras treuloser Liebesgeschichte, mit der freilich meine erhabene und tugendhafte Mutter keine Ähnlichkeit hat? Sei es drum, mein Vergleich hinkt ein wenig, aber meine Langeweile ist so echt, wie meine Freundschaft zu dir.

Euere Majestät langweilen sich? fragte Rothenburg. Ich kenne diese Art Langeweile an meinem König, und ich habe bemerkt, daß sie bei Ihnen immer nur dann eintritt, wenn Sie am Vorabend einer großen Tat stehen, und die Nacht, welche dem Tage des Sieges vorausgeht, Ihnen zu lang scheint. Wenn Euere Majestät sagen, daß Sie sich langweilen, so schließe ich daraus, daß wir bald wieder einen Krieg beginnen und von neuen Siegen unsers Königs zu erzählen haben werden.

Der König lächelte, vielleicht magst du recht haben. Ich liebe den Krieg nicht, aber er ist ein notwendiges Übel, und wenn denn meine Muhme Theresia durchaus nur durch einen abermaligen Aderlaß von ihrer Krankheit des Stolzes und des Übermutes befreit werden kann, nun, so werde ich der Arzt sein, der ihr noch einmal eine Ader schlägt. Das Bündnis mit Frankreich ist geschlossen, Karl der Siebente zieht zur Kaiserkrönung gen Frankfurt, der französische Gesandte Belle-Isle begleitet ihn dorthin, und meine Armee steht kampfgerüstet, bereit, den Kaiser zu schützen gegen Österreichs Übermut. Wir werden Krieg haben, Freund, und da sich Sieg auf Krieg reimt, so hoffe ich, werden wir auch bald von Sieg zu erzählen wissen, sei's auch nur, um es unsern Poeten leicht zu machen, unsere Taten zu besingen und den glücklichsten Reim auf Krieg gleich bei der Hand zu haben. In einigen Wochen spätestens brechen wir auf. Oh, Freund, wenn es zur Schlacht geht, fühle ich, daß ich noch jung bin und daß mein Herz noch nicht in meiner Brust versteinert ist. Es klopft und hämmert dann so stark, als wollte es die Mauern meiner Brust zersprengen.

Das Herz meines Königs wird immer jung bleiben, rief der General, denn es wird immer vertrauensvoll und gut sein.

Friedrich schüttelte leise das Haupt. Glaube das nicht, mein Freund, sagte er sinnend. Die Hände, welche viel arbeiten müssen, bekommen Schwielen und werden hart und unempfindlich; so ist es auch mit den Herzen! Das meine hat viel gearbeitet, sich viel geplagt, es wird auch zuletzt hart und unempfindlich werden. Dann, wenn es so ist, werden die Menschen mich verdammen, und vergessen, daß sie es sind, welche mich so gemacht haben, dann werden sie nur von meiner Hartherzigkeit sprechen, und nichts sagen von den Schmerzen und Enttäuschungen, welche allgemach mein Herz versteint haben! Aber was liegt daran. Mögen diese törichten zweibeinigen Tierchen, welche sich so stolz die Ebenbilder Gottes nennen, über mich sagen und sprechen, wie es ihnen beliebt. Sie werden mir doch mein Teilchen Ruhm und mein Teilchen Unsterblichkeit nicht nehmen können, und wer das besitzt, der hat seinen Lohn dahin, und darf sich niemals beklagen. Freilich sind auch Herostratus und Schinderhannes berühmte Leute geworden, und Eulenspiegel ist beim Volke mehr gekannt und beliebt als Sokrates.

Daraus folgt also, daß selbst die Weisheit sich die Mühe geben muß, sich populär zu machen, sagte General Rothenburg. Der wahre Ruhm wird nur erworben durch Popularität. Alexander der Große und Cäsar waren sehr populäre Leute, und darum war auch ihr Name im Munde des Volkes und erbte sich von Geschlecht zu Geschlecht fort als ein teures Vermächtnis an Liebe, das jeder Vater seinem Sohn hinterließ. So wird es auch mit König Friedrich dem Zweiten sein. Er versteht es, nicht bloß der König und der Held, sondern auch der Mann des Volkes zu sein, und darum wird nicht bloß sein Ruhm von der Muse in die ehernen Tafeln der Geschichte eingegraben werden, sondern jeder Mann aus dem Volke wird ihn auf die leeren weißen Blätter in seiner Bibel aufschreiben; da werden seine Enkel und Urenkel es lesen, und aus diesen Aufzeichnungen werden die Geschichtsforscher späterer Jahrhunderte das Zeitalter des großen Friedrich ergänzen und die ehernen Geschichtstafeln überstrahlen und ausfüllen.

Möge es so sein, sagte der König ernst und feierlich. Du weißt es, Freund, ich bin ehrgeizig, und ich glaube, der Ehrgeiz ist von allen Leidenschaften diejenige, welche am längsten andauert und deren brennender Durst niemals gelöscht wird. Als Kronprinz war es für mich eilt demütigendes, entsetzliches Gefühl, zu wissen, daß alle anscheinende Liebe, alle Hochachtung und Rücksicht, welche man mir zollte, nicht mir, dem Menschen, sondern nur dem Prinzen, dem Sohn eines Königs, galten. Mit welcher Bewunderung, welcher Vergötterung schaute ich empor zu Voltaire. Er bedurfte keiner Titel und keiner hohen Geburt, um beachtet, verehrt, beneidet und von der ganzen Welt vergöttert zu werden. Ich aber mußte Titel, Rang, Vornehmheit, glänzende Revenuen, einen fürstlichen Stammbäum haben, um die Blicke der Menschen auf mich lenken zu können. Ach, wie oft, wie oft erinnerte ich mich damals an die Geschichte von jenem großen Fürsten, der, als er von seinen Feinden umzingelt und im Begriff stand sich ihnen zu ergeben, nur sah, daß seine Diener und Freunde ihn weinend und mit verzweiflungsvollem Schmerz umringten. (Er lächelte ihnen zu und sagte nur diese wenigen bedeutungsreichen Worte: » Ich fühle es an Euren Tränen, daß ich noch immer König binDes Königs eigene Worte. Siehe: Oeuvres posthumes. VIII, 342. – Jenem König einst zu gleichen und meinen Ruhm mir selbst und nicht dem Königsmantel zu schulden, das schwur ich damals mit heiligen Eiden! Ich habe bis heute erst einen kleinen Teil von meinem Schwur erfüllt! Aber ich hoffe, meine Muhme Theresia und die russische Kaiserin werden mir schon die Mittel gewähren, mein Gelübde besser zu erfüllen. Der Mensch hat an seinen Feinden immer doch seine besten Freunde, sie nützen und fördern ihn.

Wenn das wahr ist, Sire, so verdammen Sie damit uns alle, die wir die treuesten, ergebensten, begeistertsten Freunde unsers erhabenen Königs sind.

Ihr nützt mir auch, sagte der König mit einem sanften Lächeln. Du, zum Beispiel, nützt mir mit deinem frischen lieben Gesicht, so oft ich's sehe. Du erhältst mein Herz jung und lehrst mich immer wieder das Lachen, welches ich bei den andern langweiligen, verständigen, heuchlerischen Menschen sonst gewiß verlernen würde. Ich lache nirgends so heiter und so gern als bei dir, als an deinem Tische, wo es mir vergönnt ist, mein Königtum abzustreifen und euresgleichen zu sein. Ich freue mich also auf heute abend wie ein junges Mädchen auf ihren ersten Ball, denn heute abend bin ich, wie mich dünkt, bei dem Herrn General von Rothenburg zum petit souper eingeladen.

Euere Majestät hatte die Gnade, mir zu versprechen, daß Sie kommen wollten.

Und weißt du, Freund, ich glaube wahrhaftig, daß mir heute die Stunden so träge und öde hinschleichen, weil ich die Zeit des Festes bei dir nicht erwarten kann. Nun sage mir, wen werden wir weiter haben, wer wird teilnehmen an unserm heutigen Götterfeste?

Die Personen, welche Euere Majestät selbst bestimmte. Chazot wird kommen und Algarotti, Jordan und Bielfeld.

Ich war's, der die Personen bestimmte? fragte der König gedankenvoll. Dann wundert's mich, daß –

Er brach ab und ging schweigend und zur Erde blickend auf und ab.

Was wundert Euere Majestät? fragte der General.

Daß ich dich noch nicht gebeten habe, mir heute abend Rheinwein vorzusetzen, sagte der König mit einem leisen Lächeln.

Rheinwein? Euere Majestät pflegten sonst zu sagen, der Rheinwein sei ein verderbliches Gift, das den Menschen langsam morde.

Das ist er auch, aber was willst du, Freund, es gibt viele Dinge, welche giftig sind und die uns deshalb nur um so mehr reizen. Auch mit den Weibern ist es so! Man tut wohl, sich ihnen fernzuhalten, weil sie unsere Vernunft vergiften und unser Herz krank machen, aber doch flieht man sie nicht, doch sehnt man sich immer nach ihnen, denn das Gift, das sie uns spenden, schmeckt so süß.

Nun, auch darin ist Euere Majestät weiser als alle übrigen Menschenkinder, denn Sie allein haben die Kraft, den Frauen zu widerstehen und ihren Umgang zu vermeiden.

Wer weiß, ob das nicht bloße Feigheit ist, sagte der König, indem er ans Fenster trat und mit seinen weißen schlanken Fingern an die Scheiben trommelte. Ich nannte auch den Rheinwein Gift, weil er mir zu stark war, und doch finde ich jetzt, daß er allein Wein zu nennen ist, weil er allein Blume hat.

Er schwieg und trommelte seinen Parademarsch auf dem Fenster weiter.

Der General sah gedankenvoll und erstaunt zu ihm hinüber. Plötzlich erhellten sich seine Züge, und ein halb unterdrücktes schlaues Lächeln umspielte seine seinen Lippen.

Nun möchte ich mir erlauben, an die Worte meines Königs einige Schlußworte anzuhängen, sagte er, die ungefähr so aussehen, wie die Moral am Schlusse einer Fabel. Euere Majestät sagen, der Rheinwein allein sei Wein zu nennen, weil er allein Blume hat, so möchte ich die Gesellschaft allein eine Gesellschaft nennen, bei der Frauen gegenwärtig sind. Die Frauen sind die Blume der Gesellschaft. Wollen Sie die Gnade haben, mir beizustimmen, Sire?

Wenn ich das täte, so hieße das ja so viel, als dich auffordern, uns heute abend einige Frauen einzuladen, sagte der König, immer noch am Fenster stehend.

Und mit welchem Entzücken würde ich dieser Aufforderung nachkommen, sagte der General. Nur daß es sehr schwer halten wird, einige Damen zu überreden, zu einem Junggesellen, wie ich es bin, zu kommen.

Ah bah, ich habe mich entschlossen, im nächsten Winter öfter kleine Soupers zu geben und mir eine Konfidenztafel einzurichten, bei welcher auch Frauen gegenwärtig sein sollen.

Euere Majestät sind indessen auch verheiratet.

Sie kämen, auch wenn ich nicht, wie du sagst, verheiratet wäre. Die Gräfin Camas, die Frau von Brandt, die Kleist und die Morien, das alles sind viel zu geistreiche Weiber, um sich nicht über das Vorurteil hinwegzusetzen.

Euere Majestät befehlen also, daß ich diese einlade? fragte der General mit einem lauernden Blick und einem halben Lächeln. Ohne Zweifel werden sie kommen, wenn ich ihnen sage, daß Euere Majestät es befehlen. Soll ich sie also einladen?

Der König zögerte ein wenig mit seiner Antwort, vielleicht möchten sie doch nicht gern kommen, sagte er dann. Du bist unverheiratet, und da sie verheiratet sind, fürchten sie vielleicht ihre Männer.

Wir müßten also Damen wählen, welche unverheiratet sind, sagte Rotenburg, dessen Gesicht jetzt strahlte vor Vergnügen. Nun wüßte ich aber keine unverheiratete Dame der höheren Gesellschaft, welche die Aufklärung und Geistesfreiheit so weit treiben möchte, um sich in eine Männergesellschaft zu wagen.

Muß man denn immer nur in der höhern Gesellschaft suchen? fragte der König, indem er heftiger seinen Parademarsch auf der Fensterscheibe spielte.

General Rothenburg belauerte ihn mit den glänzenden Augen eines Jägers, welcher das edle Wild in die gestellte Falle laufen sieht.

Wenn Euere Majestät geruhen wollten, sich ein wenig über die Etikette hinwegzusetzen, sagte er, so hätte ich wohl einen Vorschlag zu machen.

Die Etikette ist eine Dummheit, welche bei unsern petits soupers nicht die Honneurs zu machen hat; da präsidiert nur das Pläsier. Mache also immerhin deinen Vorschlag.

Nun denn, so erlaube ich mir vorzuschlagen, daß wir einige Damen vom Theater einladen. Sind Euere Majestät einverstanden?

Vollkommen. Aber welche Damen? fragte der König, indem er sein Gesicht abwandte.

Das ist die Sache Euerer Majestät, sagte der General, den diese Szene unendlich ergötzte. Sie haben die Namen der Herren bestimmt, möge es Ihnen gefallen, auch die Damen zu bestimmen.

Gut denn! sagte der König zögernd. Was meinst du zu der Cochois, der Astrua, der kleinen Petra?

Sire, Sie sind mir alle willkommen, wenn Euere Majestät befehlen, daß ich sie einlade. Nur bitte ich alsdann mir zu gestatten, daß ich auch einen Namen nenne, den Namen einer Frau, welche schöner, geistvoller, liebenswürdiger und reizender ist als alle Primadonnen der Welt, und welche wohl imstande ist, alle Männer, ich nehme die Kaiser und die Könige nicht aus, zu bezaubern und zu ihren Sklaven zu machen. Darf ich sie nennen, Sire?

Nenne sie immerhin!

Es ist die Signora Barbarina, Sire!

Der König wandte hastig sein Haupt zu ihm hin, und seine großen brennenden Augen ruhten mit einem forschenden Ausdruck auf dem Antlitz des Generals, der diesen Blick mit einem feinen Lächeln ertrug.

Als der König immer noch schwieg, machte der General eine tiefe Verbeugung und saget feierlich: Ich ersuche Euere Majestät um die Gnade, mir zu erlauben, daß ich die Damen Cochois, Astrua und Petra und auch die Signora Barbarina zu unserm kleinen Souper einladen darf.

Vier Primadonnen auf einmal, rief der König lachend. Das ist gefährlich, und wir würden vielleicht das interessante Schauspiel haben, zu sehen, wie sich alle vier gegenseitig die Augen auskratzten. Nein, nein, um die Kraft einer Sonne ermessen zu können, muß man sie ohne Nebensonnen leuchten lassen. Wir wollen also nur eine Dame leuchten lassen, und da du der Wirt bist, so hast du allein das Recht, ihren Namen zu bestimmen. Möge es also die Signora Barbarina sein! Rödenbeck. Tagebuch aus Friedrich des Großen Regentenleben. S. 111.

Euere Majestät gestatten mir also, die Barbarina einzuladen? fragte Rothenburg, dem König gerade und fest ins Angesicht sehend. Ihre Blicke begegneten sich, der Schimmer eines Errötens flog über die Wangen des Königs hin, dann brach er plötzlich in ein lautes Lachen aus und legte seine beiden Arme auf des Freundes Schultern, indem er mit einem Ausdruck unendlicher Liebe in sein vor Vergnügen strahlendes Antlitz schaute.

Du bist ein arger Schalk, sagte der König, du hattest mich von Anfang an erraten und ließest mich wie Absalon am Baumzweig zappeln. Das war sehr grausam, Rothenburg.

Recht grausam, aber wohlverdient, Sire. Denn warum wollten Sie mir nicht selber Ihre Befehle mitteilen, warum sollte ich sie erraten?

Warum? Mein Gott, es ist zuweilen so bequem, erraten zu werden Nun also ist es heraus! Du ladest uns heute abend die schöne Barbarina ein. Und höre, du könntest wohl noch einen Herrn einladen, einen Künstler, damit sich die Barbarina nicht gar so einsam unter uns rohen Barbaren vorkomme.

Welchen Künstler, Sire?

Den Maler Pesne, Freund! Geh selber zu ihm und lade ihn ein, und sage ihm, er möge auch Bleistift und Papier mitbringen, denn gewiß wird er dem Verlangen nicht widerstehen können, sich eine Skizze von der schönsten Nymphe zu entwerfen.

Sire, befehlen Sie ihm das zu tun, und dann aus der Skizze ein lebensgroßes Gemälde zu machen.

Ah, du wünschest dir ein Porträt der Barbarina?

Ja, Sire, aber nicht um es zu behalten!

Wozu denn?

Um die Freude zu haben, es Euerer Majestät zu schenken.

Und warum das?

Weil ich eitel bin zu glauben, daß dieses Gemälde dadurch ein wenig Wert für Sie hätte, sagte Rothenburg mit seinem schlauesten Lächeln. Was liegt Euerer Majestät an einem Porträt der Barbarina? Gar nichts, natürlich. Aber wenn dieses Porträt nicht allein ein von Pesne gemaltes Kunstwerk, sondern auch die Liebesgabe eines Freundes ist, dann wette ich, daß es für Euere Majestät Wert erhält und daß Sie vielleicht die Gnade haben, es in einem Ihrer Zimmer aufzuhängen.

Du, du, sagte der König, indem er seinem Liebling lächelnd mit dem erhobenen Zeigefinger drohte, mir graut vor dir. Ich glaube, du belauerst meine innersten Gedanken und machst meine Wünsche zu deinen Bitten. Aber ich will als gutmütiger Narr dir auch diese Bitte noch erfüllen. Geh' also hin und lade die Barbarina ein, auch den Maler Pesne, und beauftrage ihn zugleich, ein lebensgroßes Bild der Barbarina zu malen. Er soll mir einige Skizzen vorlegen, und ich will eine derselben auswählen Das auf Befehl des Königs gemalte lebensgroße Porträt der Barbarina befand sich früher in dem Kabinett des Königs und hängt noch jetzt im königlichen Schlosse zu Berlin, in einem der Säle in der zweiten Etage nach dem Schloßplatz hinaus..

Ich danke Euerer Majestät, ich danke! rief der General, und jetzt mögen Euere Majestät die Gnade haben, mich zu entlassen, damit ich eilen kann, meine Einladungen zu machen.

Der König entließ ihn, aber als der General schon auf der Türschwelle stand, rief er ihn noch einmal zurück.

Du hast so gut meine Gedanken erraten, sagte er, ich will dir nun zeigen, daß ich auch die deinen erraten kann. Du denkst, ich sei verliebt!

Verliebt! Ich sollte wagen, das zu denken! rief der General, indem er die Hände faltete und die Augen gen Himmel wandte, wie die Frommen es zu tun pflegen. Verliebt! Und ich sollte ein so unheiliges Wort in Verbindung mit meinem heiligen König aussprechen!

Der König lachte. Nun, was die Heiligkeit anbelangt, sagte er, so wird mich der heilige Antonius gerade nicht für seinen Bruder erklären. Aber verliebt bin ich doch nicht.

Er trat hastig zu dem Fenster, auf dessen Sims ein japanischer Rosenstock in voller Blüte stand. Der König pflückte eine dieser vollen glühenden Blüten, und indem er sie dem General darreichte, sagte er: sieh sie nur an, ist sie nicht bezaubernd schön? Und glaubst du denn, daß ich dafür kein Herz und kein Empfinden habe, weil ich ein König bin? Geh'! Ich habe, obwohl ein König, doch die Augen und die Nase eines Menschen, und bin empfänglich für die Schönheit und den Blumenduft!

 

Fehlerhafte Kapitelzählung im Buch: Kapitel VI. fehlt. Re.


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