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II. Der Versucher

Sobald das Hoffräulein das Boudoir verlassen hatte, zog Herr von Pöllnitz ein versiegeltes Briefchen aus seinem Busen hervor und reichte es der Prinzessin dar. Sie nahm es und verbarg es in der Tasche ihres Kleides, dann blickte sie, wie es schien ganz gleichgültig und unbefangen, auf das große Bild von Watteau, das an der Wand ihr gegenüber hing.

Nichts, immer noch nichts? flüsterte Herr von Pöllnitz. Sie wollen also meinen armen jungen Freund zur Verzweiflung bringen? Sie wollen ihm nicht einmal die Gnade einer Antwort gönnen?

Prinzessin Amalie errötete noch höher und wandte ihr Haupt ab, aber indem sie's tat, zog sie ein Briefchen aus ihrem Busen hervor und reichte es dem Oberkammerherrn hin, ohne ihn anzusehen, ohne ein Wort zu sagen, verwirrt und schamvoll, wie ein junges Mädchen es ist, wenn sie ihren ersten Liebesroman aufführt, oder das erste Unrecht begeht.

Pöllnitz küßte ihre Hand mit der Ekstase eines Liebenden. Er wird der Glückseligste der Sterblichen sein, sagte er, und dennoch ist es so wenig, was Euere Königliche Hoheit ihm gewähren, und es liegt in Ihrer Hand, ihn noch so viel höher, so viel himmlischer zu beglücken. Dennoch ist es Ihnen vorbehalten, ihm einen Wunsch zu erfüllen, den seine Lippen niemals wagen werden auszusprechen, den nur Gott und das Auge eines treuen Freundes in seinem Herzen lesen können.

Und welches ist dieser Wunsch? fragte die Prinzessin, aber so leise, mit so zitterndem Geflüster, daß Pöllnitz ihre Worte mehr erraten als verstehen konnte.

Ich glaube, sagte er leise, er würde das Glück, eine Stunde zu Ihren Füßen sitzen und Sie anschauen zu können, gern mit seinem Leben bezahlen.

Nun, Sie haben ihm ja dazu die Gelegenheit gegeben, erwiderte Amalie verwirrt, Sie haben es sehr geschickt so eingerichtet, daß ich einem Begegnen mit ihm nicht mehr ausweichen kann.

Ah, Prinzessin, wie trostlos würde er sein, wenn er diese kalten und grausamen Worte hörte. Ich mußte ihm wenigstens diesen Schein eines Glückes gewähren, da ich nicht imstande bin, ihm das Glück selber zu verschaffen. Euere Königliche Hoheit sind sehr grausam, sehr unerbittlich gegen meinen armen unglücklichen Freund! Mein Gott, er erfleht von Ihrer Gnade nur das, was der Geringste seiner Untertanen von Ihrem königlichen Bruder erbitten darf, er fleht Sie an um eine Audienz, das ist alles!

Die Prinzessin richtete ihre großen flammenden Augen mit einem unaussprechlichen Ausdruck auf Pöllnitz hin.

Apage Satanas! flüsterte sie mit einem mühsamen Lächeln.

Euere Königliche Hoheit tun mir zu viel Ehre an, sagte Pöllnitz. Leider bin ich nicht der Teufel, welcher doch ohne Zweifel nächst Gott der mächtigste Herr und Gebieter der Erde ist, und dem drei Viertel der Menschheit zum allermindesten angehören. Leider bin ich nur ein armes schwaches Menschenkind, und meine Worte haben nicht einmal die Kraft, das Herz Euerer Königlichen Hoheit zum Erbarmen zu bewegen.

Mein Gott, aber wozu eine Unterredung? rief Amalie fast angstvoll. Erlaube ich ihm nicht, mir alles zu schreiben, was er denkt und empfindet, und bin ich nicht verbrecherisch und sündhaft genug, seine Briefe zu lesen und ihm die Sprache derselben zu verzeihen? Was verlangt er noch weiter? Ist es nicht genug, daß ich ihm erlaube mich zu lieben und es mir zu sagen? Nicht genug –

Plötzlich stockte sie. Ihre Augen, welche sich scheuten, den halb ironischen, halb vorwurfsvollen Blicken des Barons zu begegnen, waren ruhelos im Zimmer umhergeschweift und hafteten jetzt wieder auf diesem Bilde von Watteau, auf diesem glücklich lächelnden Liebespaar, das in zärtlichster Umschlingung unter der Eiche inmitten dieser reizenden Landschaft saß.

Diese Gruppe, welche sich ganz zufällig dem Auge der Prinzessin darbot, war eine beredte und entschiedene Antwort auf ihre Frage, eine Antwort, welche die Prinzessin nicht mit ihren Ohren, sondern mit ihren Augen empfing, und welche ihr Herz erbeben machte.

Pöllnitz war ihren Blicken gefolgt und hatte sehr wohl ihr Erröten und ihre Verwirrung verstanden. Er trat jetzt zu dem Bilde und deutete mit seinem Zeigefinger auf diese zärtliche Schäfergruppe hin.

Gnädigste Prinzessin, sagte er lächelnd, fragen Sie diese beiden Seligen da, ob ein Mann, welcher leidenschaftlich liebt, weiter nichts von seiner Geliebten zu wünschen und zu erflehen hat, als die Erlaubnis, ihr Briefe schreiben zu dürfen?

Amalie zitterte, sie richtete ihre Augen mit einem Ausdruck der Furcht und des Entsetzens auf das Antlitz des Barons, der mit seinem Faunenlächeln und seinem unerschütterlichen Gleichmut ihr gerade und forschend ins Gesicht schaute.

Er hatte kein Mitleid mit ihrer mädchenhaften Verwirrung, ihrem keuschen, jungfräulichen Entsetzen. Er sprach weiter, er suchte mit heiterm Spott und frivolen Scherzen ihre Angst und ihr Zagen zu beseitigen, er schilderte ihr mit glühenden Farben die Verzweiflung und Liebessehnsucht ihres jungen Liebhabers, er bewies ihr, wie ganz gefahrlos sie in ihren Zimmern eine Zusammenkunft haben könne, ohne daß das neugierige Auge und Ohr der Dienerschaft es nur zu ahnen vermöchte. Mündeten doch die Zimmer der Prinzessin nach diesem kleinen dunklen Korridor aus, auf welchem gar keine Schildwache stand, und von welchem nur eine kleine unbenutzte Treppe hinunterführte in die untere Etage des Schlosses, in ein kleines unbewohntes Zimmer, das sein niedriges Fenster nach dem Garten von Monbijou hinaus hatte. Es war also nichts weiter nötig, als die Riegel dieses Fensters am Tage zurückzuschieben, damit man in der Nacht dasselbe geräuschlos öffnen und durch dasselbe in das Zimmer einsteigen könne.

Prinzessin Amalie, obwohl sie nicht antwortete, und durch keinen Blick, kein Lächeln, kein Stirnrunzeln ihre Beistimmung oder ihr Zürnen zu erkennen gab, Prinzessin Amalie hörte doch diesen schlimmen und gefährlichen Auseinandersetzungen zu. Sie ließ das Gift der Verführung langsam durch ihr Ohr in ihr Herz hinabträufeln, sie hatte nicht mehr die Kraft, nicht mehr den Willen, dem Versucher zu widerstehen und ihn von sich zu weisen. Sie hatte nur noch die Kraft zu schweigen, und ihm nicht zu sagen, daß er ihr besseres Ich schon überwunden habe.

Wir werden bald am Ziel sein, sagte Pöllnitz, sich vergnügt die Hände reibend, als er die Prinzessin verlassen hatte. Ja, ja, das Herz dieser kleinen Prinzessin ist besiegt, und ihre Liebe ist wie eine reife Frucht, bereit sich von dem Ersten, welcher die Hand nach ihr ausstreckt, pflücken zu lassen. Das also, mein stolzer und grausamer König Friedrich, wird meine Rache sein! Ich werde den Schimpf mit einem Schimpf vergelten, und wenn die Leute auf der Gasse Vergnügen daran fanden, die Schmach des Herrn von Pöllnitz ausrufen zu hören, so wird es sie, denke ich, nicht weniger belustigen, sich ein wenig von der Schmach der Prinzessin Amalie zuzuflüstern, denn diese freilich wird man nicht ausrufen und austrommeln, aber die Stimme der Verleumdung hat eine so gewaltige und mächtige Stimme, daß man sie überall vernimmt, wenn sie auch nur ganz leise zu flüstern scheint.

Sein Gesicht drückte eine hämische, wilde Schadenfreude aus, während er so sprach, dann aber, nachdem er eine Zeitlang sich diesen tückischen und grausamen Gedanken hingegeben hatte, glätteten sich seine Züge wieder und nahmen ihren gewohnten, gleichmütig heitern und beobachtenden Ausdruck wieder an.

Aber bevor ich mich räche, will ich mich erst bezahlt machen, sagte er mit einem Lachen, das nicht nach außen ertönte, sondern das er in sich hinein verschluckte. Ich will der Vertraute dieser Aventüre sein, und ich müßte nicht Pöllnitz heißen, wenn ich nicht Vorteil davon zu ziehen wüßte. Oh, König Friedrich, König Friedrich, ich glaube, Prinzessin Amalie wird sich wenig darum kümmern, daß es verboten ist, dem armen Reichsbaron von Pöllnitz Geld zu leihen. Sie wird mir Geld, ich hoffe sehr viel Geld leihen und ich werde es ihr mit meinem Schweigen wieder bezahlen.

Und diesen heiteren und glücklichen Gedanken nachhängend, begab sich der Oberkammerherr zu dem jungen Leutnant Friedrich von Trenck, um ihm das Briefchen der Prinzessin einzuhändigen.

Die Festung ist sehr bereit zur Übergabe, sagte er, laufen Sie jetzt Sturm und Sie werden als Sieger in die geöffneten Herzenstore einziehen. Ich habe Ihnen eine Gelegenheit eröffnet, die Prinzessin jetzt alle Tage zu sehen, benutzen Sie dieselbe, wie ein tapferer, schöner, junger und liebender Kavalier sie benutzen muß, und bei Gott, Sie werden bald ein General, ein Fürst oder sonst etwas Ungeheuerliches werden.

Ein General, ein Fürst, oder auch ein Hochverräter, der sein Haupt auf den Block legen und mit seinem Leben seine Schuld sühnen muß, sagte der junge Leutnant von Trenck gedankenvoll. Mag es aber immerhin so sein. Um ein solcher Hochverräter sein zu können, muß ich vorher der glückseligste, beneidenswerteste Mensch gewesen sein, und das ist nicht zu teuer mit dem Tode gebüßt. Oh, Amalie, Amalie, ich liebe dich grenzenlos. Du bist meine Seligkeit, mein Glück und meine Hoffnung, du –

Genug, genug, rief Pöllnitz lachend, indem er sich die Ohren zuhielt, das sind lauter allbekannte, allgebrauchte Phrasen, die man seit Adams Zeiten in allen Sprachen wiederholt, wenn man verliebt und zwanzig Jahre alt ist, und die immer doch nur eine schöne, aufgeputzte, phantastische Lüge sind. Handeln Sie, mein junger Freund, aber sprechen Sie nicht, denn, Sie wissen es wohl, die Wände haben Ohren, und der Tisch, auf welchem Sie Ihre Briefe schreiben, hat Augen, ebenso gut wie die Schatulle, in welche sie dies Briefchen der Prinzessin legen, um es für alle Ewigkeit aufzubewahren. Seien Sie vorsichtig, vorsichtig! Verbrennen Sie die Briefe der Prinzessin, schreiben Sie die Ihrigen mit sympathetischer Tinte und mit Chiffern, damit niemand sie zu lesen vermag, damit nur Gott, der Teufel und ich Ihre gefährliche Liebschaft kennen.

Aber Trenck hörte nicht auf ihn. Er war zu glücklich, zu leidenschaftlich und endlich zu jung, um die bedachtsamen Worte des alten Roués in sich aufnehmen und auf sie achten zu können. Er las mit immer sich steigerndem Entzücken den Brief der Prinzessin, das so lang ersehnte und erflehte Antwortschreiben auf seine Briefe, er drückte das Papier an sein hochklopfendes Herz, an seine glühenden Lippen, und heftete dann wieder seine Augen auf diese Zeichen, welche ihre Hand geschrieben, ihr Herz diktiert hatte.

Pöllnitz sah ihm mit einem stillen, überlegenen Lächeln zu, wie der Fuchs zuweilen, wenn er gewiß ist, daß sie ihm nicht mehr entgehen kann, den luftigen Flügelschlägen, dem zärtlichen Gebaren der Taube zuschaut, und ihr noch einen Augenblick Zeit gewährt, glücklich zu sein, bevor er sie erwürgt.

Ich wette, Sie wissen das Briefchen bereits auswendig, sagte er endlich, indem er langsam und bedächtig Feuer anschlug und ein Licht ansteckte, um sich daran seine Zigarre anzuzünden. Nicht wahr, ich habe recht, Sie wissen das Briefchen auswendig?

Jedes Wort desselben ist mit Flammenschrift in mein Herz eingegraben!

Dann erlauben Sie einen Augenblick!

Und mit einer raschen Bewegung entriß der Baron dem erstaunten jungen Manne das Papier und hielt es in das brennende Licht.

Halten Sie ein, halten Sie ein, rief Friedrich von Trenck, und indem er auf Pöllnitz hinstürzte, wollte er ihm mit Gewalt das Papier entreißen. Aber der Baron streckte seinen Arm abwehrend gegen ihn aus und schwenkte mit dem andern das brennende Papier über seinem Haupte empor.

Mein Gott, was haben Sie getan! rief der junge Offizier schmerzlich, indem er auf dieses hellodernde Briefchen hinstarrte.

Ich habe dem Gott des Schweigens ein Opfer dargebracht, sagte Pöllnitz feierlich. Ich habe dieses Papier verbrannt, damit man mit demselben nicht einst den Scheiterhaufen anzünden kann, auf welchem man Sie eines Tages als Hochverräter verbrennen möchte. Junger Mann, danken Sie mir, denn ich habe Sie auf einen Tag mindestens von dem Tode gerettet und Ihr Geheimnis vor der Entdeckung bewahrt! –


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