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Die Glocke läutete immerfort und durchhallte mit ihrem Silberton die weiten Räume und Korridore, durch welche die Geistlichen in ihren Festgewändern und im heiligen Ordensschmuck nach der Kirche hineilten, um das Hochamt zu begehen.
Auf aller Gesichter zeigte sich Verwunderung und Staunen, auf aller Lippen brannte eine neugierige Frage, die indessen von dem pflichtgemäßen Gehorsam zurückgehalten ward.
Der Abt hatte den strengen Befehl erlassen, daß keiner der Brüder mit dem andern ein Wort wechseln dürfe. Man mußte also diesem Befehl gehorchen, so schwer es immer sein mochte.
Schweigend also begaben sich die Mönche auf das hohe Chor und in den untern Raum der Kirche.
Jetzt verstummte die rufende Glocke. Vom hohen Chor hernieder ertönte die Orgel und erfüllte mit ihrem machtvollen Strom von Harmonie und Melodie die ganze Kirche. Allmählich wurden ihre Klänge leiser, inniger, und jetzt hob sich der Gesang der Männer mit voller Kraft und Innigkeit über den Orgeltönen empor.
Und während die Orgel rauschte und der heilige Gesang die Kirche erfüllte, trat der Abt Tobias Stusche durch das große Hauptportal in die Kirche ein.
Aber diesmal war er nicht, wie sonst, allein. Ein anderer Abt, im Chorkleide eines hohen Festtages, ging an seiner Seite, ein Abt, den keiner der Brüder kannte, den keiner von ihnen jemals gesehen. Aller Blicke wandten sich zu ihm hin, jeder war ergriffen von diesem hoheitsvollen, edlen Angesicht, von dieser imponierenden Stirn, von diesen leuchtenden Augen, die ringsumher forschende oder drohende Blicke zu senden schienen. Jeder fühlte, daß es etwas Ungewöhnliches, Seltsames sei, was sich da vor ihnen begab, daß dieser in Schönheit, Jugend und Majestät strahlende Priester kein gewöhnlicher Abt, kein demütiger, friedlicher Bruder sei.
Aber der Befehl, zu schweigen, war gegeben, und der klösterliche Gehorsam ist die erste Pflicht. Man schwieg also und sang und betete, während Tobias Stusche mit dem fremden Abt langsam und feierlich die Kirche durchwallte und mit ihm zu dem Altar hinschritt.
Dort ließen sich beide auf ihre Knie nieder und falteten ihre Hände zu stillem Gebet.
Und weiter rauschte die Orgel und der heilige Gesang, und doch waren aller Blicke und aller Gedanken auf den fremden Abt gedichtet, der da drüben am Hochaltar kniete und inbrünstig zu beten schien.
Jetzt verstummte die Orgel und der heilige Gesang. Das leise Gebet begann.
Die Mönche murmelten mechanisch die gewohnten Gebete und schauten hinüber zu den beiden Äbten, die vor dem Altar knieten. Man hörte nichts als das leise Murmeln und Beten, das in den hohen Räumen der Kirche wie angstvolle Seufzer verhallte und leise au den Mauern und Säulen erstarb.
Plötzlich aber ward diese Stille durch lautes Geräusch von außen unterbrochen. Man hörte Kolben aufstoßen, und drohende Stimmen, welche Einlaß begehrten.
Niemand aber wehrte ihnen. Die Kirchtüren wurden ungestüm aufgerissen, sonnenverbrannte, wilde Gestalten, drohende Gesichter zeigten sich, lautes Rufen und Poltern erfüllte einen Moment die Kirche, aber es verstummte vor der heiligen Handlung, welche da zelebriert ward von diesen betenden, knienden Mönchen, welche den Rosenkranz in ihren Händen drehten, und gar keinen Blick, seine Teilnahme für die so lästerlich eingedrungenen wilden Krieger hatten.
Die Soldaten neigten demutsvoll ihr Haupt auf ihre Brust und beteten, aber nachdem sie die Pflicht der heiligen Religion erfüllt hatten, dachten sie wieder an ihre weltliche Pflicht, erinnerten sie sich, daß sie gekommen seien, die Kirche zu durchsuchen und nach dem König von Preußen zu spähen, welcher da verborgen sein konnte.
Ihre sporenklirrenden Schritte hallten wieder in dem langen Schiff der Kirche, und übertönten die leisen Gebete und die angstvollen Seufzer der Mönche, welche ganz Anbetung und Andacht in den Klosterstühlen knieten, während die Panduren, in ihrer bunten, malerischen Tracht, mit dem an den Schultern befestigten kurzen roten Mäntelchen, die Kirche durchschwärmten, und mit blitzenden Augen und mühsam unterdrückten Flüchen hinter jedem Pfeiler und in jeder Nische nach dem König von Preußen suchten.
Wie oft kamen diese wilden Gestalten vorüber an den beiden Äbten, welche da noch immer in regungsloser Andacht vor dem Altar knieten, wie oft streiften ihre auf dem Fußboden klirrenden Schwerter das Gewand des fremden Abtes, der, das Haupt auf seine Brust geneigt, gar keinen Blick, keine Beachtung für sie hatte.
Aber das stille Gebet hatte schon ungewöhnlich lange gedauert, und der Abt gab noch immer nicht das Zeichen, daß der Gottesdienst beendet sei.
Jetzt indessen gab er ein Zeichen, aber nicht das erwartete. Er erhob sich von seinen Knien, aber nicht um fortzugehen, sondern um mit seinem Begleiter die Stufen des Altars hinaufzuschreiten und dem heiligen Kruzifix sich zu nahen, und die heilige Monstranz einzusegnen. Dann winkte er hinauf nach dem hohen Chor, und aufs neue ertönte die Orgel und der Gesang.
Das war etwas so Unerhörtes, nie Erlebtes, daß die Mönche erbleichten und sich angstvoll und grausend selber fragten, ob sie irgendein Verbrechen begangen hätten, und dafür von ihrem gestrengen Abt mit nie endendem Gottesdienst gestraft werden sollten.
Die Panduren ahnten nichts von dieser sich verdoppelnden Messe. Sie hatten die ganze Kirche durchsucht, und da sie dort den König nicht gefunden, stürmten sie hinaus, um noch einmal alle Zellen und Winkel des Klosters zu durchspähen.
Der Gottesdienst ging weiter. Der fremde Abt stand vor dem Hochaltar, abgewandt von der Kirche, während Tobias Stusche die heilige Monstranz ergriff und sie den Mönchen zeigte.
In diesem Moment erschallte draußen ein lautes Triumphgeschrei und Fluchen und Lachen. Die Mönche waren zu sehr in den Anblick der heiligen Monstranz vertieft, um sich von diesem Geschrei stören zu lassen.
Sie sangen und beteten weiter, und allmählich legte sich da draußen der Lärm, und das Geschrei verstummte. Allmählich ward es still, so still, daß, obwohl die Orgel und der Gesang jetzt schwieg, und das stille Gebet begonnen hatte, man doch nichts mehr vernahm, als das leise Murmeln der Gebete und das Summen der verhallenden, noch in der Luft zitternden Orgeltöne.
Die Panduren hatten das Kloster wieder verlassen, aber sie hatten den Adjutanten des Königs gefunden und ihn mit sich fortgeschleppt, um ihn als gute Beute ihrem Hauptmann von Trenck zu bringen.
Die Panduren hatten das Kloster verlassen! Es war also nicht nötig, den Gottesdienst noch weiter fortzuführen. Tobias Stusche stimmte das Paternoster an und reichte dann dem fremden Abt die Hand, um mit ihm die Kirche wieder zu verlassen. Wie sie langsam und majestätisch dahinschritten, neigten sich vor ihnen die Häupter der Mönche, begann die Orgel den Schlußakkord zu rauschen, und durch die Glasmalereien der hohen Fenster warf die Sonne ihre blinkenden Liebesgrüße. Es war ein eigentümlicher, feierlicher Anblick, und der fremde Abt mochte selber davon ergriffen sein, denn er wandte sich an der Tür noch einmal um, und ließ seine Blicke langsam die Kirche durchschweifen, bevor er dem Abt folgte.
Eine Stunde später rollte die schwere Staatskarosse des Abtes den Klosterberg von Camenz herunter. In dem Wagen saß Tobias Stusche mit dem fremden Abt. Sie schlugen die Straße nach Frankenstein ein. Unweit des Tores hielt der Wagen an, und zur Verwunderung des Kutschers war es nicht ein Abt, welcher aus dem Wagen stieg, sondern ein Soldat in der wohlbekannten preußischen Uniform.
Nachdem er den Wagen verlassen, neigte er sich noch einmal zurück zu dem würdigen Abt Tobias Stusche.
Ich werde Euerer Hochwürden diese Tat niemals vergessen, sagte der König, dem Abt seine Hand darreichend. Sie, sowie Ihr Kloster können allezeit auf meine besondere Gnade rechnen, denn ohne Ihre Beihilfe wäre ich heute in eine unwürdige und schmähliche Gefangenschaft geraten. Die erste reiche Abtei, welche erledigt ist, gebe ich Ihnen, und werde dann schon im voraus, und dies für alle kommenden Zeiten, die Wahl bestätigen, welche die Mönche inbetreff eines andern Abtes vornehmen wollen Der König gab dem Abt Tobias Stusche aus Dankbarkeit für diese Rettung, bald darauf die reiche Abtei Leubus, und blieb auch außerdem in fortgesetztem Verkehr mit ihm. Es existieren mehrere eigenhändige Briefe von ihm an den Abt, die in sehr gnädigem und herzlichem Ton geschrieben sind. Auch sandte der König ihm später von Meißen aus ein sehr schönes Porzellanservice. Champagnerwein und schöne Stoffe zum Pontifizieren, und lud ihn zweimal, wenn er in Breslau war, zum Besuch zu sich ein. Als dann bald nach dem siebenjährigen Kriege der Abt Tobias Stusche starb, sandte der König dem Kloster ein ansehnliches Geschenk mit der Bitte, dafür am Namenstage des Abtes ein feierliches Totenamt zu halten, und als er später einmal bei der Durchreise in Camenz anhielt, sagte er zu dem Abt: Er solle dem ersten Geistlichen, welcher im Kloster sterben würde, auftragen, den guten Tobias Stusche in der Ewigkeit zu grüßen. Siehe: Rödenbeck, Beiträge zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen S. 499. – Müchler, Friedrich der Große S. 37 u. fg..
Oh, mein Gott, rief Tobias Stusche gerührt, wie selten muß es doch sein, daß Euere Majestät redlichen und treuer Menschen begegnen, da Euere Majestät die einfachste und natürlichste Tat der Treue schon so reichlich belohnen.
Die Treue ist auch selten, sagte der König mit einem traurigen Lächeln. Ich bin dieser blauäugigen Himmelstochter selten auf meinem Pfade begegnet, und vielleicht kommt es daher, daß mir ihre Schönheit und Größe immer so bezaubernd und imponierend erscheint, Leben Sie wohl, Herr Abt, und grüßen Sie mir den Bruder Anastasius!
Und Euere Majestät will mir nicht erlauben, Sie bis in die Stadt zu fahren?
Es ist besser, ich gehe zu Fuß. In einer Viertelstunde bin ich dort. In der Stadt erwartet mich mein Wagen und meine Dienerschaft, und ich wünschte nicht, daß irgend jemand sobald von dem Abenteuer dieses Tages erführe. Es bleibt ein Geheimnis unter uns, Herr Abt.
Er grüßte noch einmal mit der Hand und ging dann leichten Schrittes auf der nach der Stadt führenden Straße weiter, während der Abt Tobias Stusche seinen Wagen umlenken ließ und langsam wieder nach dem Zisterzienserkloster zurückfuhr.
Der König indes war noch nicht weit gegangen, als das Geräusch eines im Trabe hinter ihm herkommenden Pferdes sein Ohr erreichte. Er stand still und blickte fragend die Straße hinunter.
Diesmal war es keine österreichische Uniform, welche der König da erblickte. Sein scharfes Auge erkannte schon in weiter Ferne die preußischen Farben, und wie das Pferd näher und naher herantrabte, ward die Uniform eines Offiziers der königlichen Leibgarde kenntlich.
Bevor Friedrich indes Zeit fand, Erstaunen und Verwunderung zu empfinden, hatte der Reiter ihn erreicht und hielt mit einem kräftigen Ruck sein Pferd an. Indem er sich aus dem Sattel schwang, verneigte er sich ehrerbietig vor dem König und reichte ihm die Zügel dar.
Wollen Euere Majestät nicht die Gnade haben, das Pferd zu besteigen? fragte Friedrich von Trenck ganz ruhig und unbefangen, und ohne auch nur mit einem Blick, einem Lächeln an die Abenteuer des heutigen Tages zu erinnern.
Der König betrachtete ihn mit scharfen, forschenden Blicken. Woher kommen Sie? fragte er strenge.
Aus Glatz, wohin die Panduren mich als Gefangenen zum Obersten von der Trenck geführt hatten.
Sie waren also Gefangener, und man entließ Sie ohne Lösegeld?
Der Oberst von Trenck lachte, als seine Panduren mich ihm brachten und behaupteten, sie hätten den König von Preußen gefangen genommen.
Der Oberst von Trenck kennt Sie also?
Sire, er sah mich sehr oft im Hause meines Vaters.
Weiter! Er erkannte Sie also?
Er erkannte mich und sagte, er habe seine Panduren nicht nach mir, sondern nach dem König von Preußen ausgeschickt. Ihn hätten sie gefangennehmen sollen, nicht mich. Ich sei also frei und könne gehen, wohin ich wolle. Damit ich dies aber nicht zu Fuß tun müsse, schenkte er mir eines seiner besten Pferde, und so bin ich hier. Wollen Euere Majestät nun die Gnade haben, das Pferd zu besteigen?
Ich reite keine österreichischen Pferde, sagte der König mit hartem Ton.
Der junge Offizier heftete einen Moment mit dem Ausdruck des Bedauerns seine Blicke auf dieses stolze und schöne Tier, dessen Nüstern flogen, dessen Augen blitzten, und das ungeduldig mit dem Vorderfuß im Sande scharrte, während es stolz und mutig seinen schlanken, kräftigen Hals wiegte.
Aber, wie gesagt, dieses Bedauern war schnell vorüber. Trenck ließ den Zügel des Pferdes fallen, und indem er sich tief vor dem König verneigte, sagte er: ich bin zu Euerer Majestät Befehl.
Der König wandte einen Augenblick das Haupt zurück nach dem schönen Tier, welches schlank und zierlich wie eine Gazelle von dannen brauste und bald nur noch in der Ferne die Größe eines fliegenden Adlers hatte. Dann ging er hastig vorwärts auf der Straße nach Frankenstein, beide schweigend, beide auch nicht einen Blick zurückwerfend auf das schöne Tier, welches herrenlos und von niemandem als von seinem sichern Instinkt geleitet, den Weg wieder eingeschlagen hatte, den es gekommen war.
Einmal indes, bevor sie die Stadt erreichten, blieb der König stehen und heftete seine brennenden Blicke groß und voll auf das offene, jugendliche und schöne Gesicht Friedrich von Trencks.
Ich glaube, es wäre besser für Sie, wenn dieser Pandurenoberst nicht Ihr Verwandter wäre, sagte der König gedankenvoll. Es kann für Sie aus dieser Verwandtschaft nichts Gutes, sondern nur Unheil entstehen.
Friedrich von Trenck erblaßte. Befehlen Euere Majestät, daß ich einen andern Namen annehme?
Nein, sagte der König nach kurzem Besinnen. Der Name ist ein heiliges Erbteil, welches man von seinen Vätern überkommt, und das man nicht leichtsinnig von sich schleudern darf. Aber seien Sie vorsichtig! Vorsichtig in jeder Weise! Verstehen Sie mich wohl, und denken Sie an meine Warnung, Herr Baron Friedrich von Trenck!