Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII. Auf dem Balkon

Draußen auf dem Balkon standen die beiden Liebenden, Arm in Arm verschlungen, blickten sie zu diesem dunklen, von leuchtenden Sternen besäeten Himmel empor, zu tief bewegt, um sprechen zu können, und doch zueinander redend in der stummen erhabenen Sprache der Liebenden, die nur von den Herzen und den Engeln verstanden werden kann, deren Worte nur in Seufzern, in Blicken, in Händedrücken, in zärtlichem Anschmiegen bestehen.

In dieser Sprache hatten sie anfangs miteinander gesprochen. Beide scheuend, durch die unheiligere materielle Sprache der von den Lippen tönenden Worte das feierliche und kostbare Zwiegespräch ihrer Seele zu unterbrechen. Aber allmählich stiegen ihre dem Himmel und den Sternen zugewandten Blicke von dort hernieder, um sich selbst einander zu suchen, und in einen andern Himmel und nach zwei andern leuchtenden Sternen zu schauen. Ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen begegneten sich; jeder erriet das Erröten, das freudige Lächeln des andern, und beider Lippen flüsterten zugleich ganz leise ihren Namen.

Das war der Anfang ihres ersten Liebesgespräches, das bald zu leidenschaftlichen und glühenden Beteuerungen seinerseits, zu schamvollen, zitternden Bekenntnissen ihrerseits emporwuchs, und darin ganz genau den Gesprächen aller Millionen Liebenden glich, welche jemals auf unserer alten, ewig jungen Erde sich zusammenfanden. Aber doch war das Verhältnis dieses armen jungen Liebespaares ein nicht gewöhnliches, ein von der allgemeinen Regel abweichendes. Es war eine Liebe, welche niemals auf Glück, niemals auf Dauer rechnen durfte, welche niemals hoffen konnte, am Ende eines langen dornenvollen und traurigen Weges wenigstens eine duftende Oase und einen blühenden Myrtenkranz zu finden, sondern welche gewiß sein konnte, daß je weiter und beharrlicher sie vorwärts ginge, desto weiter und unermeßlicher sich die Wüste vor ihr öffnen würde, und daß immer nur ein feuchtes Tränentuch, ein dunkler Trauerflor ihr einziger Schmuck sein werde.

Warum mußte Sie das Schicksal so hoch über mich stellen, daß ich niemals hoffen kann, Sie zu erreichen, und die lange Stufenleiter hinaufzuklimmen, welche mich von Ihnen trennt, seufzte Trenck, welcher vor der Prinzessin kniete, die auf den kleinen eisernen Armstuhl, das einzige Möbel des Balkons, niedergesunken war.

Sie spielte tändelnd und gedankenvoll mit seinen langen schwarzen Locken; eine Träne rollte langsam über ihre Wangen nieder und fiel wie ein brennender Feuertropfen gerade auf seine Stirn. Das war Amaliens einzige Antwort auf seine schmerzvolle Klage.

Trenck fuhr zusammen, griff hastig nach seiner Stirn, als wolle er die Träne verwischen, welche der Nachtwind indes schon getrocknet hatte.

Oh, Amalie, Sie weinen? sagte er schmerzvoll. Sie haben sein Wort des Trostes, der Ermutigung, der Hoffnung für mich?

Kein Wort, mein Freund! Das macht, ich habe keine Hoffnung und keinen Trost! Ich weiß, daß wir beide einer trostlosen und sturmzerrissenen Zukunft entgegengehen, ich weiß, daß diese Nacht, unter deren Schatten wir uns heute zum ersten Zitate die Hand reichten, ewig dauern, daß für uns niemals die Sonne scheinen wird! Ich weiß, daß in dem Moment, wo unsere Blicke sich zuerst begegneten, mein Schutzengel sich das Antlitz verhüllte und weinend entfloh, ich weiß, daß Sie weiser und besser getan hätten, dem armen Bettlermädchen auf der Straße Ihr Herz zu schenken, als es hinzugeben an die Schwester eines Königs, an die arme Prinzessin Amalie.

Hören Sie auf, hören Sie auf, seufzte Trenck, noch immer zu ihren Füßen ruhend und das Antlitz an ihre Knie drückend. Ihre Worte treffen mein Herz wie vergiftete Dolche, und doch fühle ich, daß Sie die Wahrheit sagen. Ja, ich war ein Elender, daß ich es wagte, meine Augen bis zu Ihnen zu erheben, ich war ein Gotteslästerer, daß ich, der Ungeweihte, der Unberechtigte, mich eindrängte in den heiligen Tempel Ihres Herzens, auf welchem die Vestaflamme Ihrer unschuldigen und heiteren Gedanken in klarstem Frieden brannte, bis meine heißen und stürmischen Seufzer sie beunruhigten und störten. Aber ich will wieder gut machen! Noch ist es Zeit, noch sind Sie durch kein Gelübde, durch keine Eide an mich gebunden, noch können Sie diese kaum erschlossene Blüte einer ersten Jugendliebe zu den verwelkten Veilchensträußen Ihrer Kindererinnerungen legen, mit denen Sie zuweilen in stillen müßigen Stunden tändeln und spielen, und ihnen ein Lächeln schenken, indem Sie flüstern: »Ihr wart einst doch schön, ihr habt mich einst doch beglückt! Jetzt ist's vorüber.« – Ja, Amalie, noch ist es Zeit! Geben Sie mich auf, stoßen Sie mich von sich, rufen Sie Ihre Diener, zeigen Sie mich ihnen als einen Rasenden, einen Verbrecher, der es gewagt, sich bei Ihnen einzuschleichen, weil seine Leidenschaft ihn toll und blind gemacht. Überliefern Sie mich dem Gericht, dem Blutgerüst, meinetwegen, nur retten Sie sich vor meiner Liebe, welche so zaghaft, so egoistisch, so hartherzig ist, daß sie nicht den Entschluß fassen kann, sich selber zu verbannen, sich selber den Tod zu geben! Oh, Amalie, stoßen Sie mich von sich, zertreten Sie mich unter Ihren Füßen, ich werde sterben ohne Vorwurf und ohne Klage, ich werde denken, daß mein Tod notwendig war, um Sie zu erretten von den Schmerzen und Qualen eines langen öden Daseins. Noch können Sie es, denn noch sind Sie nicht mein, noch habe ich keine Rechte auf Sie! Sie haben die Schwüre meiner Liebe angehört, das ist alles, Sie haben sie noch nicht erwidert. Sie sind also frei, Sie können mich noch verstoßen, denn es bindet Sie kein Schwur!

Sie streckte langsam und feierlich den Arm zu dem sternenbesäten Himmel empor. Ich liebe Sie, sagte sie ernst, möge Gott mich hören und meinen Schwur annehmen, ich liebe Sie, und ich schwöre Ihnen, daß ich Ihnen treu sein, daß ich niemals eines anderen Mannes Weib sein werde!

O unglückseliges, beklagenswertes Weib! rief Trenck, seine Arme um ihre Schultern werfend und sein Haupt an ihren Busen drückend. Amalie, Amalie, sehen Sie, ich weine nicht vor Glück, nicht vor Entzücken, ich weine aus Schmerz, aus Angst um Sie. Nein, nein, ich will Ihren Schwur nicht annehmen, ich will diese Worte nicht gehört haben, welche mich mit Seligkeit, mit Götterlust erfüllen würden, wenn sie nicht für Sie ein Verbannungsurteil enthielten. Oh, Geliebte, wenn Sie sagen, daß Sie mich lieben, so heißt das, den stolzen und prunkenden Vorrechten Ihres Standes entsagen, verzichten auf den Glanz, die Pracht, auf einen ebenbürtigen Gemahl, auf einen Thron und eine Königskrone vielleicht! Denn wenn ich einmal Ihre Liebe angenommen habe, wenn Sie einmal mein sind, so werde ich Sie nicht wieder freigeben, selbst nicht an den König, selbst nicht an Gott! So gehören Sie mir für alle Zeit und alle Ewigkeit, und nichts kann Sie mir wieder entreißen, selbst nicht Ihr eigener Wunsch, Ihr eigenes Flehen. O Amalie, hören Sie denn nicht, daß ich wahnsinnig bin, wahnsinnig aus Verzweiflung und Entzücken zugleich. Fliehen Sie vor dem Wahnsinnigen, dessen riesenstarke Arme Sie sonst umstricken werden, um Sie auf ewig an seine Brust zu drücken! Fliehen Sie, stoßen Sie mich von sich, und gehen Sie dort hinein in Ihr Zimmer, gehen Sie und sagen Sie dem lächelnden Hofmann da drin, welcher über nichts erstaunt ist, selbst nicht darüber, daß Sie mich lieben, welchem nichts heilig ist, selbst nicht diese Liebe, die ich für Sie empfinde, sagen Sie ihm: »Trenck war ein rasender Tor. Ich habe ihn hierher kommen lassen, weil ich Mitleid mit ihm hatte, weil ich versuchen wollte, ihn durch meine Güte, meine Milde zu heilen. Es ist mir gelungen, er ist fort! Gehen Sie jetzt und wachen Sie über dem Genesenen.« – Ich werde Ihren Worten nicht widersprechen, Amalie! Sobald Sie die Schwelle jenes Zimmers überschreiten, werde ich von dem Balkon herabsteigen; ich werde es vorsichtig und besonnen tun, ich werde nicht herabstürzen, damit ich mir nicht an irgendeinem Stein das Haupt zerschelle, und nicht tot unter Ihren Fenstern gefunden werde, damit man nicht meinen Weg an einer Blutspur verfolgen könne. Nein, meine Wunden sollen nur nach innen bluten, und erst auf dem Schlachtfeld will ich es wagen, hinzusinken und zu sterben. Unter dem Donner der Kanonen wird man es nicht hören, wenn meine erstarrenden Lippen mit ihrem letzten Seufzer Ihren Namen nennen, und dem Geächze so vieler Sterbenden wird meine letzte Liebesklage geräuschlos verhallen. Fliehen Sie also, Amalie, fliehen Sie, und möge Gott Sie segnen und Sie glücklich machen!

Er stand auf und trat ehrerbietig zur Seite, damit sie an ihm vorübergehen und in ihr Zimmer zurückkehren könne.

Aber Prinzessin Amalie ging nicht. Ihre Augen standen voll Tränen, aber es waren Tränen des Glückes, der Liebe, der seligsten Freude.

Sie legte sanft ihre Hand auf des Geliebten Schulter, und in ihren Augen, welche sich auf sein Antlitz hefteten, war ein so wunderbarer leuchtender Glanz, daß man wirklich hätte meinen sollen, zwei Sterne seien vom Himmel gefallen, um in einem Menschenangesicht zu leuchten und die Sage von der menschlichen Gottähnlichkeit wahrzumachen.

Trenck, ich fliehe nicht, sagte sie, Trenck, ich bleibe, denn, hören Sie es wohl, ich liebe Sie! Es ist nicht die schüchterne, seufzende, errötende und schwärmerische Liebe eines jungen Mädchens, die ich Ihnen darbringe, es ist die Liebe eines kühnen, todesmutigen, stolzen Weibes! Meine Liebe ist gestählt an dem Feuer meiner Schmerzen, und weil sie in diesem Feuer glühte und brannte, hat sie das mädchenhafte Erröten verlernt und ist unbeugsam und hart geworden. Ich habe sie getauft mit meinen Tränen und sie an mein Herz genommen, wie eine Mutter ihr Rind an ihr Herz drückt, das sie unter Todesqualen geboren, dessen Dasein ihre Verdammnis und ihre Unehre und Schmach ist, und das sie dennoch grenzenlos liebt und es segnet, indem sie über ihm weint. Auch ich weine, auch ich fühle, daß ich der Verdammnis und Schmach verfallen bin, und dennoch segne ich meine Liebe, und dennoch nenne ich mich eine Auserwählte und Gebenedeite, denn Gott hat mich gesegnet, indem er einen Strahl seines eigenen Daseins in mein Herz senkte und mich die Liebe, die ewig unvergängliche Liebe kennen lehrte!

Oh, Amalie, Amalie, warum kann ich nicht in dieser Stunde sterben, murmelte Trenck, ganz zerbrochen, ganz machtlos zu ihren Füßen niedertaumelnd.

Sie neigte sich zu ihm nieder und richtete ihn mit fester Hand wieder empor. Stehen Sie auf, sagte sie, wir beide müssen fest und sicher auf unsern Füßen nebeneinander stehen. Wenn Sie vor mir knien, denke ich immer, daß Sie in mir noch die Prinzessin, die Schwester eines Königs sehen, und nicht bloß Ihre Geliebte, nicht bloß das Weib, welches Sie liebt. Sehen Sie, ich sage nicht »das junge Mädchen«, denn ich bin das nicht mehr in meinem Innern; diese Zeit der innern Kämpfe, des innern Ringens hat mich alt und vernünftig gemacht. Ein junges Mädchen ist zitternd und zaghaft, ich nicht, ein junges Mädchen errötet, indem sie ihre Liebe bekennt, ich nicht! Ein junges Mädchen bebt, wenn sie an ihre zürnenden Verwandten, an die Schmach und das Unglück denkt, welches ihrer Zukunft als ein in Trauerflor gekleideter Herold voraufgeht, ich bebe nicht! Nein, nein, ich bin kein Mädchen mehr, sondern nur ein Weib, welches liebt, grenzenlos, ewig unerschütterlich.

Sie warf sich in seine Arme und duldete es, daß er sie fest an sein Herz drückte. Eine lange, selige Pause trat ein. Leise rauschte der Wind in den hohen Pappeln und Eichen des Gartens, glänzend und hell schienen die Sterne über dieser toten, schwarzen, von ihren Schmerzen und Freuden ruhenden schlummernden Welt. Wie viele Menschen mochten in diesem Moment zu ihnen empor schauen, händeringend oder jauchzend, schreiend vor Jammer oder weinend vor Glück, mit gebrochenem oder liebeseligem Herzen. Die Sterne wissen nichts davon, sie leuchten und funkeln dem Glücklichen wie dem verzweifelnden, und unser Elend und unser Entzücken geht ungesehen unter diesem sternenfunkelnden Baldachin des Himmels hin.

Amalie richtete sich wieder aus den Armen ihres Geliebten empor; ihre Augen, welche den Himmel suchten, trafen gerade auf einen Stern, der sich ablöste vom Himmel, eine silberne Bahn mit Blitzesschnelle beschrieb und dann erlosch.

Eine böse Vorbedeutung! murmelte sie, mit der Hand nach jener Stelle empordeutend, wo der Stern versunken war.

Trenck hatte mit jener instinktartigen Sympathie der Liebenden gleich ihr zum Himmel empor geblickt, und gleich ihr hatte er den fallenden Stern gesehen.

Der Himmel will uns nicht täuschen, sagte er. Er sendet uns eine Warnung, Amalie. Aber diese Warnung kommt zu spät! Jetzt sind Sie mein, denn Sie haben mir geschworen, daß Sie mich lieben, und ich habe Ihren Schwur gehört!

Möge auch Gott ihn gehört haben, und möge er Gnade für uns haben, flüsterte sie. Stehet nicht geschrieben, daß die Liebe Berge versetzen und Flügel verleihen kann, daß sie mächtiger ist als der mächtigste König der Erde, stärker und gewaltiger als der weltenbezwingende Sieger und Held? Lassen Sie uns also den rechten Glauben an unsere Liebe haben, lassen Sie uns stark sein in Hoffnung, in Geduld, in Treue! Mein Bruder sagt, daß es bald wieder zum Kampf geht. Nun wohl, werden Sie nicht auf dem Schlachtfelde für sich einen Lorbeerkranz erobern können? Und wer kann wissen, ob dieser Lorbeerkranz nicht eines Tages dem König ebenso viel wert sein und ihm ebenso glänzend erscheinen mag, wie eine Fürstenkrone, wer weiß, ob er nicht jetzt, da alle seine Schwestern an Fürsten verheiratet sind, seiner jüngsten Schwester es verzeihen wird, wenn sie einen Helden liebt, der statt der Fürstenkrone nur mit dem Lorbeer geschmückt ist!

Schwören Sie mir, Amalie, mich zu erwarten und mir Zeit zu gönnen, dieses Ziel zu erreichen, welches Sie mir da mit so himmlischen Farben ausmalen?

Ich schwöre es Ihnen!

Sie werden niemals eines andern Mannes Weib werden?

Ich werde niemals eines andern Mannes Weib werden!

Sei er Fürst oder König, und sei es Ihr Bruder, der König, welcher Ihnen befiehlt, sich ihm zu vermählen?

Sei er Fürst oder König, und sei es mein Bruder, der König, welcher mir befiehlt, mich ihm zu vermählen!

Gott, mein Gott, du hast ihren Schwur gehört, sagte Trenck, indem er Amaliens Haupt in seine Hände nahm und sie sanft niederbeugte, als sei sie ein Opfer, welches er dem Himmel entgegentrüge. Du hast ihren Schwur gehört, mein Gott, strafe sie, zerschmettere sie, wenn sie ihn nicht erfüllt.

Ich werde ihn erfüllen, sagte sie fest. Möge Gott mich strafen, wenn ich es nicht tue!

So bist du denn mein, Amalie, unauflöslich, ewig! Komm, laß mich den Verlobungskuß auf deine keuschen Lippen drücken, du meine Braut, meine Geliebte, mein Weib! Oh, erzittere jetzt nicht, weiche nicht zurück vor meinen Armen! Lege dich fest, fast an mein Herz, denn jetzt hast du keine andere Zuflucht, keinen anderen Hort mehr, als nur mein Herz! Aber es ist ein Fels, auf den du bauen kannst, der niemals unter dir wankt, der immer da ist, dich zu stützen und zu halten, oder, wenn der Sturm allzu mächtig ist, mit dir hinabzustürzen ins Meer, mit dir sich auf der Tiefe desselben zu begraben! Oh, meine Braut, laß mich deine Lippen küssen, indem ich dir schwöre, daß ich dich heilig halten will, bis der Tag kommt, wo entweder das Leben oder der Tod dich mir vermählt!

Nicht du sollst mich küssen, ich küsse dich! sagte sie, indem sie ihre, noch von keiner Lüge, keinem Verrat, keinem unkeuschen Wort entweihten Lippen auf die seinen drückte. Es war ein Kuß, so heilig, unschuldig und rein, daß er auf seinen Lippen zu einem jungfräulichen Gebet, zu einem seligen Lächeln verduftete.

Jetzt, mein Geliebter, lebe wohl, sagte Amalie nach einer langen Pause, in welcher ihre Lippen geschwiegen hatten, weil ihre Herzen zueinander und zu Gott sprachen. Sieh, der Himmel beginnt sich zu röten, der Tag bricht an!

Das heißt, mein Tag geht unter, die Nacht bricht an, seufzte Trenck. Wann sehe ich dich wieder, Amalie?

Sie schaute zum Himmel empor und lächelte. Fragen Sie das den Himmel und den Kalender. Wenn der Himmel dunkel ist und der Kalender keinen Mondschein verkündet, dann erwarte ich Sie immer, dann wird immer das Fenster geöffnet und die Tür unverschlossen sein.

Man hat sonst immer den Mond den Freund der Liebenden genannt, sagte Trenck, die Hand der Prinzessin an sein Herz drückend, von heute an aber hasse ich ihn, denn er beraubt mich des Glückes, bei Ihnen zu sein.

Lassen Sie uns jetzt zurückkehren in das Zimmer und zu Herrn von Pöllnitz, der uns gewiß schon mit Ungeduld erwartet!

Warum auch mußte er mich begleiten, Amalie? Warum gestatteten Sie mir nicht, allein zu kommen?

Warum? Ich weiß es selber nicht! Vielleicht schien es mir sicherer, wenn uns das Auge eines Freundes bewacht, vielleicht ängstigte ich mich! Genug, eine warnende Stimme in meiner Brust flüsterte mir zu: so handele! und ich tat es, und ich werde es immer tun. Da Pöllnitz einmal der Vertraute unserer Liebe ist, so soll er es ganz sein, so soll er wissen, daß, wie sehr unser Verhältnis strafwürdig sein mag vor den Menschen, es doch nicht strafwürdig und sündig ist vor Gott, und daß ich vor niemandem nötig habe, die Augen niederzuschlagen. Ich will also, daß Pöllnitz Sie immer begleite, daß Sie niemals ohne ihn zu mir kommen.

Ach, Amalie, seufzte Trenck, Sie leider haben nicht vergessen, daß Sie eine Prinzessin sind. Die Liebe hat Sie nicht unterjocht, denn Sie befehlen und Sie haben noch ihren eigenen Willen. Anders ist es mit mir! Ich unterwerfe mich, ich gehorche und schweige! Möge es also sein, wie Sie wollen! Möge Herr von Pöllnitz mich immer begleiten. Nur versprechen Sie mir, daß er immer in jenem Zimmer bleiben soll, während wir auf dem Balkon hier sind.

Ich verspreche es Ihnen! Und jetzt, mein Geliebter, lassen Sie uns Gott, dem Himmel, den Sternen und dieser schönen dunklen Nacht, welche ihren schützenden Mantel über uns ausgebreitet hat und uns erlaubte glücklich zu sein, lassen Sie uns dem allen Lebewohl sagen!

Lebewohl, Lebewohl, mein Glück, meine Liebe, meine Zukunft, mein Stolz und mein Hoffen. Oh, Amalie, warum kann ich nicht heute schon in die Schlacht gehen, um da nach dem Lorbeer zu suchen, der mich Ihrer würdig machen könnte!

Sie umarmten sich zum letztenmal, dann öffnete Amalie die Tür des Balkons und trat, gefolgt von ihrem Geliebten, wieder in das Zimmer.

Herr von Pöllnitz saß noch immer auf dem Diwan vor dem Tisch, auf dessen Tellern und Schüsseln sich indes jetzt nur noch die schwachen Trümmer der einstigen Braten, Leckereien und Früchte befanden. Der Oberzeremonienmeister hatte gefunden, daß nichts so sehr imstande sei, ihn wach zu erhalten und die Langeweile aus diesem öden und schweigenden Zimmer zu verbannen, als die Kinnbacken in Bewegung zu setzen und den Zähnen einige Arbeit zu geben, da die Zunge und die tippen zur Untätigkeit verdammt waren. Während also da draußen das junge schwärmerische Liebespaar auf künftige Feldzüge und Siege hoffte, hatte er einen Feldzug gegen die Rebhühner und Gelees, die Früchte und den Bordeauxwein unternommen und war in demselben vollkommen Sieger geblieben. Sodann hatte er sich behaglich in den Diwan zurückgelehnt und sich ganz dem beseligenden Gefühl einer gesunden und ungestörten Verdauung hingegeben. Bei dieser wichtigen und notwendigen Beschäftigung war er eingeschlafen oder schien es wenigstens zu sein, denn es bedurfte erst eines mehrmaligen Rüttelns, bevor es Trenck gelang, ihn zu erwecken und ihm die Augen aufschlagen zu machen.

Ah, Sie sind sehr grausam, mein junger Freund, seufzte Herr von Pöllnitz, indem er sich erhob. Sie unterbrachen mich mitten in einem wunderbaren und entzückenden Traum.

Und darf man wissen, worin dieser Traum bestand? fragte die Prinzessin.

Königliche Hoheit, in dem Einzigen, was mir auf dieser komischen und nüchternen Welt noch Entzücken und Erstaunen verursacht. Ich träumte, ich hätte gar keine lästigen Gläubiger und sehr viel Geld.

Und dieser Traum ist wohl sehr verschieden von der Wirklichkeit?

So verschieden, Prinzessin, daß just das Gegenteil davon wahr ist, denn ich habe sehr viele Gläubiger und gar kein Geld!

Armer Pöllnitz, und wie fangen Sie es denn an, um sich aus dieser unangenehmen Verlegenheit zu befreien?

Das, Königliche Hoheit, versuche ich niemals. Ich bin es schon zufrieden, wenn ich mir für dieses chronische Leiden einige erleichternde Palliativmittel erobern kann, und wenigstens ebenso viele Louisdor in meiner Tasche, als Gläubiger außer derselben habe.

Und sind Sie jetzt in diesem glücklichen Fall?

Nein, Prinzessin! Ich habe nur zwölf Louisdor!

Und wieviel Gläubiger?

Zweiunddreißig!

Demzufolge fehlen Ihnen noch zwanzig Louisdor?

So ist es leider!

Die Prinzessin ging lächelnd zu ihrem Schreibtisch und nahm aus demselben eine kleine Rolle Geld, welche sie dem Oberzeremonienmeister darreichte. Nehmen Sie, sagte sie. Glücklicherweise bekam ich gestern mein Nadelgeld für den nächsten Monat und bin also imstande, die Gleichheit Ihrer Gläubiger und Ihrer Louisdor für diesmal herzustellen.

Pöllnitz nahm das Geld, ohne zu erröten, und küßte der Prinzessin mit einem vergnügten Lachen die Hand. Jetzt, Königliche Hoheit, sagte er, jetzt bereue ich noch eins!

Nun, und das ist?

Daß ich die Zahl meiner Gläubiger nicht ein wenig höher angegeben habe! Mein Gott, wer konnte aber auch die großmütige Absicht unserer erhabenen Prinzessin ahnen!


 << zurück weiter >>