Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Alles schon dagewesen.

»Go find Livingstone!« so befahl einst der Chef des »New York Herald« seinem jungen Manne, dem Journalisten Stanley. Der ging schnurgerade auf den Punkt in Mittelafrika los, an dem sich der seit Jahren Verschollene aufhielt, und fand ihn. Ein Beweis, daß ein richtiger Zeitungsschreiber vor keiner Aufgabe zurückschreckt, wenn sie nur recht schwierig ist.

Jenes gloriose Beispiel schwebte mir vor Augen, als mir kürzlich ein befreundeter Verleger das Thema aufgab: »Wie würde sich das Leben in grauer Vorzeit gestaltet haben, wenn die Alten unsere Erfindungen gekannt hätten?« Aufrichtig gesprochen, ich wußte nicht, wie sich das Leben der Alten unter dieser anachronistischen Bedingung gestaltet hätte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich mich auf die graue Vorzeit beim besten Willen nicht zu besinnen vermag. Ich befand mich also gewissermaßen vor einer journalistischen Unmöglichkeit und sagte deshalb, ohne mit der Wimper zu zucken: »Herr Verleger, das Thema liegt mir, bis morgen sollen Sie den Artikel haben.«

Vor die Schwierigkeit haben die Götter den Alkohol gesetzt. Strindberg hat mir einmal gesagt, daß man vor jeder knifflichen Schreibarbeit tüchtig schwedischen Punsch trinken müsse. Ich setzte mich also in die hinterste Ecke eines stillen Lokals und trank mir in reichlichem schwedischen Punsch diejenige Kurage an, die ich zur Bewältigung jenes Themas für erforderlich hielt.

Mein Mut hob sich im Quadrate der vertilgten Gläserzahl. Ich war gerade beim zwölften angekommen, als ein graubärtiger Gast eintrat und sich mit der kurzen Vorstellung: »Rabbi Akiba!« an meinen Tisch setzte.

»Ach, Sie sind doch der Mann mit dem ›Alles schon dagewesen!‹« sagte ich. »Sie werden staunen! So ein Punsch ist doch noch nicht dagewesen. Versuchen Sie einmal. Prosit, Herr Akiba!«

Nach einer Minute waren wir mitten im Thema.

»Ich nehme an,« so fuhr ich fort, »daß Sie sich neuerdings über unsere elektrischen Apparate informiert haben. Tolle Dinger, was? Also es entsteht nun die Aufgabe: wie würde sich das Leben der Alten gestaltet haben, wenn sie . . .«

»Warum reden Sie immer mit ›wenn‹ und ›würde‹?« entgegnete der Rabbi. »Die Alten haben die elektrischen Apparate gekannt, noch mehr, sie haben sie sogar in höchst ausgiebiger Art benutzt.«

»Reden Sie keinen Unsinn, Rabbi!«

»Ich bewege mich nur auf meiner bewährten Linie: Alles schon dagewesen. Fangen wir mal in der allergrauesten Vorzeit an. Haben Sie eine Ahnung davon, was die Bundeslade war?«

»Ach, Herr Akiba, wir wollen doch hier nicht über theologische Dinge reden!«

»Absolut keine Theologie, sondern Physik und Technik. Die Bundeslade war nichts anderes als eine großartige Leydener Flasche und die Stiftshütte die Elektrisiermaschine dazu. Das trockene Holz zwischen den dünnen Goldblechen – ein Isolator zwischen zwei Leitern. Das aus der Bundeslade bei unvorsichtiger Berührung hervorbrechende Feuer – eine elektrische Entladung. Wer daran zweifelt, hat die Beschreibung der Bundeslade im Alten Testament niemals aufmerksam gelesen.«

»Werde gleich mal zu Hause nachschlagen.«

»Tun Sie das, und wenn Sie den Flavius Josephus zur Hand haben, werden Sie auch erkennen, daß der Tempel von Jerusalem durch Blitzableiter geschützt war. Es heißt da: ›Die Leviten brachen bei dem letzten Sturme die Spitzen von dem Dache des Tempels und schleuderten sie als Wurfspieße auf die andringenden Feinde.‹ Metallische Spitzen, die nach ausdrücklichem Vermerk mit wasserhaltigen Zisternen in Verbindung standen, – bessere Blitzableiter hätte kein Franklin und kein Siemens konstruieren können. Dadurch erklärte es sich ja auch, daß dieser Tempel im gewitterreichsten Lande der Erde, in Palästina, in tausend Jahren niemals vom Blitz getroffen wurde, obschon er auf einem isolierten Felsen stand.«

»Na ja, Herr Akiba, das mag schon dagewesen sein. Aber das sind Einzelheiten. Unser Telephon haben die Alten doch nicht gehabt.«

»Ob sie's gehabt haben! Das berühmte ›Ohr des Dionysios‹, jene merkwürdige Flüstergrotte des Tyrannen von Syrakus, funktionierte ausschließlich durch einen höchst sinnreich angelegten Fernsprecher.«

»Und das Fernrohr?«

»Ich könnte Ihnen nachweisen – und ich berufe mich hierbei auf mehrfache sehr klare Andeutungen im Herodot – daß Odysseus bereits ein solches besessen hat. Als er auf Ogygia saß und sich wünschte, nur einmal noch den aufsteigenden Rauch seiner Heimat zu erblicken, richtete er sehnsuchtsvoll sein wohlgeschliffenes Teleskop dorthin, wo er den lieblichen Rauch vermutete. Freilich, bis nach Ithaka hin war es zu weit, und der göttliche Dulder konnte nicht einmal einen Schimmer des Lichtes erkennen, den ihm sein Sohn Telemach aus einem parabolisch geformten Scheinwerfer entgegensandte.«

»Sie werden mir noch einreden, daß Troja mit Kanonen beschossen worden ist.«

»Nein, mein Herr, ich halte mich immer streng an die historische Wahrheit. Richtige Feld- und Belagerungsgeschütze sind erst bei der Zerstörung von Carthago in Tätigkeit getreten. Sie kennen doch den Ausspruch Catos: Ceterum censeo, im übrigen bin ich der Meinung, daß Carthago in Grund und Boden bombardiert werden muß! Hingegen halte ich es für erwiesen, und ich stütze mich hierbei auf Vitruvius, Strabo, Thukydides und Ktesias, daß Diomedes, als er in die Ebene von Troja seine ›Aristeia‹ lieferte, auf einem Kraftwagen von mindestens sechzig Pferdestärken in die feindlichen Heerhaufen donnerte. Er hatte vorher der Pallas Athene geopfert, und ihrem Schutz ist es zuzuschreiben, daß ihm während seiner Dauerfahrt nicht eine einzige Panne widerfuhr.«

»Aber Herr Akiba, davon steht doch nicht eine Silbe in der Ilias!«

»Ja, wenn Sie immer bloß den Homer wälzen! ebensogut könnten Sie sich auf den Kleinen Meyer beschränken. Den Plinius müssen Sie lesen! wissen Sie denn übrigens, daß Plinius einen Seismographen mit Quecksilber-Indikation hatte?«

»Sie vergessen, werter Herr, daß Sie einen Journalisten vor sich haben, der über Apparate schreiben will. Wie soll ich da etwas über Seismographen wissen!«

»Also Plinius hatte einen. Wie hätte er auch sonst das berühmte Fernbeben des Vesuvs anzeigen können?«

»Ja, das leuchtet ziemlich ein,« versetzte ich, während ich das fünfzehnte Glas Punsch dem vierzehnten per Eilsendung nachbeförderte. »Ich werde diese Tatsache veröffentlichen, auf die Gefahr hin, bei den Lesern bedenkliches Kopfschütteln hervorzurufen.«

»Dieses Kopfschütteln wird sich vermindern, wenn sie gleichzeitig über den brillanten Torpedoangriff berichten, durch den Themistokles seinerzeit die Seeschlacht von Salamis gewonnen hat.«

»Und wie war es mit Marathon?«

»Auch nicht übel. Aber da hatten es die Griechen verhältnismäßig viel leichter, da sie durch das von Dädalus erfundene, von Archimedes verbesserte lenkbare Luftschiff die feindlichen Stellungen bis ins genaueste rekognosziert hatten.«

»Hören Sie mal, Herr Akiba, ich habe zwar schon ziemlich viel Alkohol intus, aber das mit dem Archimedes kann nicht stimmen . . . Der lebte doch noch gar nicht, als bei Marathon gekämpft wurde.«

»Sie sind ein Pedant. Auf solche Kleinigkeiten kommt es in einem wissenschaftlichen Aufsatz nicht an. Wenn Sie übrigens auf Genauigkeit so großen Wert legen, so stellen Sie lieber einmal die Fabel richtig, die unter dem Titel des Läufers von Marathon alle Geschichtsbücher unsicher macht. Dieser Läufer ist nie gelaufen. Die Kunde von der gewonnenen Schlacht wurde vielmehr durch Telefunken nach Athen spediert und daselbst durch zahllose Extrablätter verbreitet.«

»Aber nicht durch photographische Aufnahmen illustriert.«

»Da haben Sie recht. Die Photographie war durch die fortgesetzten Proteste von Zeuxis, Apelles und Parrhasios in Mißkredit gekommen und wurde zu jener Zeit nicht mehr ausgeübt. Dagegen stand sie ein Jahrtausend vorher in Blüte. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß der Prinz Paris die drei nackten Göttinnen auf dem Berge Ida persönlich abgeknipst und als Pariser Photographien in Umlauf gebracht hat.«

»Kellner zahlen! wenn Sie noch weiter kneipen wollen, Herr Akiba, so habe ich nichts dagegen. Ich gehe jetzt heimwärts und fange an zu schreiben, sonst vergesse ich eines über dem andern.«

Ich verfolgte meinen Weg in jenen elliptischen Windungen, welche die Grundlage des Keplerschen Systems bilden. Wirre Gedanken verfolgten mich dabei: Hat Herkules gemüllert? Wie war der Thermometer graduiert, mit dem Euryklea dem Ulyss das Bad rüstete? Ist Mithridates geimpft gewesen? War der Revolver des Möros sechs- oder zwölfläufig? Bestand in Sparta für die Kinematographen-Theater polizeiliche Zensur? Wie teuer war das Pianola, das zu Salomes Tanz vor Herodes aufspielte? Hat Pluto den dreiköpfigen Kerberos vorschriftsmäßig entlaust? Und vor allen Dingen: Wie finde ich meine Wohnung?

Dritte Abteilung: Ergebnisse.


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