Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Der Koran.

Konrad in Berlin an Anatole in Stockholm.

. . . Und heute wieder kam mir unser alter Dreibund von Lausanne recht lebhaft in Erinnerung. Beim Aufräumen meines Schreibtisches geriet mir unser Gruppenbild in die Hand; Gott, wie lange ist das her, daß wir uns am Mont Jorat photographieren ließen, wir drei fröhlichen Studiosen, die wir damals die Welt aus den Angeln zu heben gedachten und in unserer Sippe den Mittelpunkt der Weltbegebenheiten vermuteten! Tempi passati! In der Politik wie im Leben gibt es keine Untrennbarkeiten. Du residierst als fleißiger Ministerialbeamter in Stockholm, ich als Literat in Berlin, – ja und unser dritter, der interessante herrliche Jungtürke, wo steckt der eigentlich? Seit vielen Jahren ist mir jede Spur von ihm verloren gegangen. In meiner Erinnerung lebt er als der schöne Jüngling mit dem zirkassischen Gesichtsschnitt, mit den blitzenden Augen, so wie man sich einen Skanderbeg, einen Soliman vorzustellen pflegt; als der Edelrebell, der dereinst den Feuerbrand in das vermorschte türkische Reich schleudern würde. Hätte ich nur eine Ahnung davon, wie unser Adrianoppidan, der sich damals so kräftig mit abendländischer Kultur vollsog, später in seiner Heimat gewirkt hat. Grundstürzend kann es ja nicht gewesen sein, davon hätte man wohl gehört. Aber wer will aus der Entfernung alle äußeren Umstände berechnen, die vielleicht dem jungen Adler die Schwingen gebunden haben . . .? Mir lag für heute nur daran, Dir wieder einmal ein Lebenszeichen zu geben, und Dich zu bitten, auch mich nicht ganz im Gedächtnis erlöschen zu lassen. Ich grüße Dich herzlichst, meine Frau unbekannterweise ebenfalls. In alter Freundschaft

Dein Konrad.

 
Anatole an Konrad.

. . . Und was unseren dritten im Bunde betrifft, die Rakete, den Adrianoppidan, so bin ich in der Lage, Dir Auskunft über ihn zu geben. Ich habe es auf der hiesigen türkischen Botschaft ermittelt. Er ist seit zirka fünf Jahren in türkischem Staatsdienst, so ein Mittelding zwischen Effendi und Mufti, was man bei euch in Deutschland etwa als Geheimen Regierungsrat bezeichnen würde. Trägt den Medschidje- Osmanje- und Iftikar-Orden und beaufsichtigt in seiner Eigenschaft als Preßzensor die türkischen Zeitungen gegen das Eindringen abendländischer, koranfeindlicher Ideen. Seine Adresse ist Konstantinopel, Esbekieh, Palast Osman. Ein Bekannter von mir, Botschaftsrat in Paris, hat ihn erst kürzlich beim Selamlik gesehen und gesprochen. Abgesehen davon, daß er seinen reformtürkischen Liberalismus überwunden und sich zur alten Tradition zurückbekannt hat, soll er nach wie vor in Erscheinung und Wesen der Halbgott sein, als welcher er einst in Lausanne unserer Universitätsblase den entzückend exotischen Anstrich verlieh. Sei versichert, mein Konrad, daß die Zeit meine Anhänglichkeit nicht gemindert hat, empfiehl mich unbekannterweise Deiner Gemahlin und laß Dich par distance umarmen von

Deinem Anatole.

 
Konrad an Adrianoppidan.

. . . Soweit hätten wir Dich Treulosen also doch wieder erwischt, daß wir Dich wenigstens weltpostalisch sichergestellt haben. Damit gebe ich mich aber noch nicht zufrieden. In meinen Tagebüchern habe ich einen Vermerk gefunden, der auf ein feierliches Eidgelöbnis hinweist. Wir schworen uns, nach zehn Jahren wieder zusammenzukommen und unsere Blase zu rekonstruieren, sei es, wo es wolle. Also höre! Ich habe für diesen Sommer eine Villa gemietet und würde mich glücklich schätzen, Dich und Anatole einige Wochen bei mir beherbergen zu können. Kannst Du Dich von Geschäften losmachen, so komm' in meine Arme. Mit dem Luxuszug sind es neunundfünfzig Stunden, eine Lappalie für einen modernen Menschen. Dann wollen wir die zehn Jahre zurückvoltigieren und gemeinsam in den Jungbrunnen tauchen. Das wird herrlich! Anatoles Zusage habe ich heute empfangen. Also, wenn möglich, in der ersten Hälfte nächsten Monats, Villa »Undine« bei Hermsdorf im Schlesischen Riesengebirge. Prachtvolle Lage, beinahe wie damals am Genfer See, natürlich abgesehen vom Wasser und von der Fernsicht. Meine Frau freut sich schon enorm auf die interessante Bekanntschaft. Übrigens: bist Du auch verheiratet? Das ist ja eigentlich anzunehmen. In diesem Falle erstreckt sich die Einladung selbstverständlich auch auf das ewig Weibliche, das Dich Stolzen zu fesseln gewußt hat. Räumliche Schwierigkeiten sind nicht vorhanden, wir haben genug Fremdenzimmer. Sei inzwischen herzlich gegrüßt von

Deinem Konrad.

 
Adrianoppidan an Konrad.

. . . Und so laß mich Dir sagen, allerteuerster meiner Freunde, Stern meiner Jugend, daß beim Empfange Deines Briefes meine Freudentränen rannen wie die Wasser im heiligen Bache Kündülü, wenn die Küsse der Sonne den Schnee von den Spitzen des Balkan hinwegschmelzen. Inschallah! Ich nahm unser altes Gruppenbild von Lausanne aus der silberbeschlagenen Truhe, preßte es an meine Lippen und gelobte: ich komme, ich fliege zu Dir! Wir werden fröhlich sein wie die Auserwählten im Paradiese! Besonderen Dank sage ich Dir dafür, daß Deine Einladung auch das »ewig Weibliche« umschließt, eine Lieblichkeit des Wortes wie des Gedankens, mit der Du Deinen Brief ebenso poetisch wie gastfreundlich gewürzt hast. Denn Deine Vermutung, daß ich verheiratet sei, floß aus der prophetischen Hellsichtigkeit Deines Freundesherzens. Erwarte uns also bestimmt am fünften des kommenden Monats.

Dein Adrianoppidan.

 
Konrad an Anatole.

. . . Nochmals mein inniges Bedauern darüber, daß Du nicht mit von der Partie sein konntest, weil Dir Dein hoher Chef, der Minister, den Urlaub mit Rücksicht auf Deine Unentbehrlichkeit verweigerte. Der Teufel soll ihn für dieses schmeichelhafte Lob holen! Und nun muß ich Dir doch erzählen, wie die Sache sich hier entwickelt hat. Meine Frau und ich fuhren unserem lieben Adrianoppidan bis an den Bahnhof in Hirschberg entgegen, von wo wir ihn mit dem Wagen abholen wollten. Wahrhaftig, er sieht noch immer so blendend, so königlich aus, wie damals! Und zwei Sekunden nach der Sensation des Wiedersehens gab es auch noch eine kleine Überraschung. Ich war natürlich sehr neugierig auf seine Frau; – stelle Dir vor, meine Neugier wurde doppelt befriedigt. Er hat nämlich – zwei Frauen auf Logierbesuch mitgebracht, zwei legitime, ihm rite angetraute Gattinnen, Fatime und Parisade. Ich fand mich noch ziemlich schnell in die Situation, aber meiner Frau war die Sache, offen gesagt, zuerst ziemlich peinlich. Wir haben ja Räume genug in der Villa, aber wie wir das mit den Schlafzimmern einrichten sollten, war uns anfänglich etwas unklar. Überhaupt mußten die üblichen Umgangsformen ja einigermaßen modifiziert werden. Die Anrede: »Sind Ihre Gattinnen schon auf?« – »Wie gefällt es Ihren lieben Gemahlinnen bei uns?« will meiner Sidonie noch immer nicht ganz einwandfrei von den Lippen. Sie kann sich auch gar nicht genug darüber wundern, daß der Begriff der Eifersucht in der Polygamie gar nicht existiert. Fatime vergöttert die Parisade, und Parisade zählt nach, ob sie nur um Gottes willen nicht einen Kuß, einen Liebesblick mehr von Adrianoppidan empfängt als Fatime. Übrigens hat mir unser Freund ein wunderbares Weihegeschenk mitgebracht: einen Damaszener Dolch in goldziselierter, mit Edelsteinen besetzter Scheide, mindestens dreitausend Mark an Wert. Ich sträubte mich natürlich gegen die Annahme, aber er erklärte, daß er in seinem orientalischen Gemüt aufs tiefste beleidigt sein würde, sofern ich dieses Gegenstück für dargebotene Gastfreundschaft verschmähte. Ich mußte die Kostbarkeit also behalten.

P.S. Ehe ich noch dazu komme, vorliegendes abzusenden, erfahre ich, daß der Besuch unseres lieben Türken für mich einige unvorhergesehene Weiterungen haben wird. Soeben war nämlich der Amtsvorsteher bei mir, um mir zu eröffnen, daß ich ein Strafverfahren wegen § 181 zu gewärtigen habe. Dieser Paragraph beschäftigt sich, wie ich zu meinem Leidwesen ergänzen muß, mit der Kuppelei. Nach Ansicht der Behörde habe ich dieses Verbrechen dadurch vollzogen, daß ich einer sexualen Triasformation Unterschlupf gewährte. Wenn ich auch auf dem Meldezettel notiert hätte: »Herr Adrianoppidan mit seinen zwei Ehefrauen«, so sei die schlesische Polizei weit entfernt davon, diese Bigamie als innerhalb Deutschlands zu Recht bestehend anzuerkennen. Nach hier maßgebenden Begriffen läge vielmehr Konkubinat vor, das ich nicht nur als Wohnungsgeber begünstigt, sondern wofür ich auch – wie aus einer Antwort von mir auf diesbezügliche Frage hervorginge – eine Bezahlung in Form von Juwelen angenommen habe. – Ich will mich nun sofort mit einem tüchtigen Rechtsanwalt in Verbindung sehen, der hoffentlich das Gefängnis und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte von meinem Haupte abwenden wird.

 
Adrianoppidan an Gülnare in Konstantinopel.

Kleinod meiner Tage! Heißgeliebte Gattin! Wir kommen früher nach Haus, als wir ursprünglich gewähnt hatten. Stelle Dir vor, daß ich, meine heißgeliebte Parisade und meine heißgeliebte Fatime heute von der hiesigen Ortsbehörde einen Ausweisungsbefehl erhalten haben, der uns zwingt, binnen vierundzwanzig Stunden das Reich der Giaur zu verlassen. Wir sind hier in einem Barbarenlande, dessen Obrigkeit nichts von der Verordnung des Korans weiß: »Nehmet euch zu Weibern, die euch gut dünken, zwei oder drei oder vier; siehe, Allah will es euch nicht schwer machen, sondern leicht!« Überhaupt, welch' eine geistige Beschränktheit in dieser Bevölkerung! Selbst Konrad, mein Jugendfreund, ist in den Vorurteilen seiner monogamisch verderbten Heimat befangen, er begreift nicht – das erkenne ich aus dem Verrat seiner Blicke –, wie mein ganzes Herz für Fatime glühen kann, während alle meine Pulse für Parisade schlagen; und dabei weiß er noch nicht einmal, wie sehr ich dich, teure Gülnare, vergöttere. Inschallah! Wir gehorchen dem Ausweisungsbefehl mit leichtem Gemüt, wenn uns auch der Abschied von Konrad und von unserer liebenswerten Wirtin Sidonie, seiner Gemahlin, Tränen erpressen wird. Aber die Hoffnung, Dich, angebetete Gülnare, bald an unsere Busen zu drücken, beflügelt Fatimes, Parisades und meine Heimkehr!

 
Adrianoppidan an Konrad.

Aus Stambul, der Pforte der Glückseligkeit, heißen Dank für Deine liebe Benachrichtigung. Ich habe mit Freude ersehen, daß Du nur zu einer vierzehntägigen Haftstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verurteilt worden bist. Was sind zwei Wochen gegen die Ewigkeit unseres Freundschaftsbündnisses!

Wenn Du Deine kleine Kerkerhaft erledigt hast, so grüße mir Deine Frau und sage ihr, daß ich von ihr einen unverlöschbaren Eindruck mitgenommen habe. Auch Fatime und Parisade sehnen sich sehr nach ihr. Und meine Gülnare, der sie von Sonnenaufgang bis -untergang von ihr erzählen, ist von der nämlichen Schwärmerei ergriffen worden. Wie sie in allen Dingen übereinstimmen, so floß heute aus ihren drei Rosenmündern die Erklärung, daß sie ohne Sidonie nicht zu leben vermöchten.

O, mein Geliebter! Auch ich kann ohne Deine Gemahlin Sidonie nicht leben. Ich bin entschlossen, sie zu heiraten. Sei meine Werbung Dir wohlgefällig nach dem Wort des Propheten in der zweiten Sure des Korans: »Und ihr begeht keine Sünde, wenn ihr den verheirateten Frauen den Vorschlag zur Verlobung macht. Jedoch versprechet euch nicht heimlich mit ihnen, es sei denn, ihr sprächet geziemende Worte.«

O Freund! ich schwöre Dir, daß ich heimlich nur geziemende Worte an sie richtete; und ebenso geziemend hat sie mir geantwortet, daß ich Hoffnung hegen möge.

Also wirst Du sie mir geben, auf daß die Weisung des Propheten erfüllt werde in der vierten Sure des Korans: »und hindert sie nicht an der Verheiratung mit einem anderen; denn Allah kennt das Innerste der Brüste.«

Sidonie, die Herrliche, verdient, daß das Glück sie mit weitgespannten Fittichen umrausche. In der Enge der Monogamie ist das unmöglich. Zwei Arme erschöpfen sich bald. Erst wenn acht Arme sie liebend umhalsen werden, kann sie das Maß der Freude empfinden, das der Herr der Welten ihr bestimmt hat.

Fern sei es von mir, Dir einen Vorwurf zu machen. Aber siehe, mein Edler, Du wurzelst im Abendlande, und liebst viele Dinge diesseits und jenseits der Frau. Du liebst die Literatur, die Kunst, die Wissenschaft, Du vergötterst die Berge, die Seen, die Wälder, die Blumen, Du berauschest Dich an hundert Stimmungen, welche Dich abdrängen vom Kultus der Frau. Deine Liebe zersplittert sich, und aus dem hellen Brande Deiner Leidenschaften können nur verwehte Funken auf die Frau fallen. Ich, der Moslem, liebe nur die Frau. Gönne also Deiner Sidonie das Glück einer Neigung, für deren Stärke und Unteilbarkeit ich das Zeugnis der Gülnare, der Fatime und Parisade anzurufen vermag.

Siehe, reinste Freundschaft redet aus mir, indem ich Dir meinen Vorschlag zu Füßen lege, gehorsam dem Koran, welcher zu Medina offenbarte: »Heiratet sie mit Erlaubnis ihres Herrn und gebet ihnen ihre Morgengabe nach Billigkeit.« Du selbst, mein Teurer, sollst diese Morgengabe bestimmen und aus meiner Willfährigkeit erkennen, daß meine Freundschaft jeder Probe gewachsen ist, die Du ihr aufzulegen gedenkst.

Ich tauche die Feder in die Poesie von Gül u Bülbül, um Dir zu vertrauen, was ich für Deine Frau empfinde. Meine Sehnsuchtsglut lodert so heftig, daß alle Tränenwolken, die sich darüber ergießen, sie nicht löschen können. Wenn ich den Mund öffne, so spreche ich von ihr, wenn ich schweige, ist sie mein Gedanke, und wenn ich trinke, sehe ich ihr Bild im Becher. Sage das Deiner Gattin und verbürge Dich mit Deinem Eid für die Wahrheit meiner Empfindungen.

Du selbst aber, Geliebter, erwarte die Belohnung für Deine Freundschaftstreue und den Entgelt für Sidonie im Jenseits. Eingehen wirst Du in das Paradies, wo tausend herrliche Jungfrauen Dich liebkosen und Dir zehntausend herrliche Kinder schenken werden. Inschallah!


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