Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Das Überweibchen und das Untermännchen.

Wer es nicht besser weiß, wird die Erfindung des Übermenschen als eine Erfindung von Fr. Nietzsche ansprechen; allenfalls wird ihm ein Zitat von Goethe einfallen, das deutlich genug auf den Übermenschen anspielt. Aber wir wissen es besser: der Übermensch, homo supra hominem, kommt schon bei Seneka, bei Lukian, ja bei Hesiod und Homer vor. Und lange vor aller Schriftstellerei und Dichtung hatte ihn die Natur selbst in verblüffenden Exemplaren vorgebildet.

Ich kann die Natur hierbei von dem Vorwurf einseitiger Parteinahme nicht freisprechen. Sie hat bei ihren schöpferischen Experimenten lediglich an das Überweib gedacht, dem sie ein Untermännchen von verzweifelter Winzigkeit beigesellte. Die tropische Kreuzspinne, Nephila imperialis, zeigt dieses Mißverhältnis bis zur Evidenz: das Spinnenweibchen übertrifft ihren legitimen Ehegatten zwölfmal in der Länge und dreizehnhundertmal im Gewicht. Und ähnliche unausgeglichene Zustände herrschen im Hause der Bonellia, eines Wurmes aus den Tiefen des adriatischen Meeres: das Weib der Bonellia überragt mit zwanzig Zentimetern Körpermaß den Mann, der mit seinen knapp zwei Millimetern zu seiner Liebsten aufblickt, wie eine Ameise zum Menschen, oder wie ein Mensch zum Turm des Straßburger Münsters. Man wird nicht behaupten wollen, daß eine solche Ehe »homogen« sei; man darf vielmehr annehmen, daß die Kompetenzen innerhalb dieser Gemeinschaft wesentlich feminin betont sind, und daß der Mann alle Ursache hat, an die vollendete Emanzipation des Weibes zu glauben.

Ein wahres Glück für uns Männer vom Geschlecht des homo sapiens, daß uns das Überweib solchen Formates noch nicht beherrscht! Nur ein einziges Exemplar existiert auf der weiten Welt, und das ist – Heil uns! – nicht von Fleisch und Bein, sondern von Erz. Man kennt sie als die Freiheitsstatue auf Liberty Island im Hafen von Neuyork. Mit ihrem Ausmaß von fünfundvierzig Metern, höher als die Pariser Vendome-Säule, wäre sie das einzig passende Modell einer Lebensgefährtin nach dem Muster jener Ehen, die wir im Tierreich als natürlich und somit als berechtigt vorgefunden haben.

Ich habe mir die Frage vorgelegt, welche Ansprüche diese Dame an die Umgebung und speziell an ihr »Männchen« stellen würde, wenn ihr Verfertiger, wie weiland Pygmalion, das Herz einer Göttin gerührt und durch deren Hilfe seinem Werk Blut und Leben verschafft hätte. Ein negatives Resultat sei vorausgeschickt: um den Finger könnte sie den Mann, aller Superiorität zum Trotz, nicht wickeln. Denn ihr Zeigefinger paradiert mit einem Umfang von anderthalb Metern, sie könnte also den Gemahl höchstens einmal herumbiegen, ohne an die Möglichkeit des Wickelns zu gelangen. Dieser Erfreulichkeit stehen aber zunächst einige wirtschaftliche Nachteile gegenüber, in Form gewisser Kostspieligkeiten, die der Angetraute bei gewissenhafter Aufstellung seines Budgets nicht übersehen darf:

Bei normalem Appetit würde unser Überfräulein für eine Mahlzeit eine Anzahl Beefsteaks im Gewicht von etwa 250 Zentnern beanspruchen und dazu ungefähr 13 000 Liter Bier hinter der Höhlung ihres holdseligen Mundes verschwinden lassen. Zieht sie den Weingenuß vor, so führt der Proportionalumsatz zu einem entsprechenden Konsum: sie käme täglich mit einer Flasche Margaux aus, vorausgesetzt, daß dieses Fläschchen sich zur Höhe eines zweistöckigen Hauses emporgiebelt; immerhin würde das gefüllte Heidelberger Faß volle zwei Wochen für den Durst der freiheitlichen Jungfrau ausreichen.

Das wäre also allenfalls noch zu erschwingen, allein ungemein kostspielig gestalten sich die Bekleidungsverhältnisse der schlanken und doch so umfangreichen Dame. Zu einem Seidenkleid mit Schleppe müßte der Schneider 20 000 Meter Stoff, einfach breit liegend, in Arbeit nehmen, und der Verehrer des Mädchens hätte die Galanterie eines solchen Geschenkes, wenn er bei einer Firma von Ruf arbeiten läßt, mit mindestens einer halben Million Franken zu büßen. Natürlich lassen sich die kleineren Toilettengegenstände mit weitaus bescheideneren Mitteln anschaffen. Ein Schiffssegel von 900 Quadratfuß Oberfläche täte als Taschentuch vortreffliche Dienste, und dagegen wird kein verständiger Mann murren. Beim Einkauf eines Dutzends solcher Segel bekommt man nämlich in kulanten Geschäften noch einige Bootsmaststangen gratis zu, und solche Stangenhölzer können bei der Empfängerin als Zahnstocher passende Verwendung finden.

Unnötig zu betonen, daß wir es mit der geborenen Sportlady zu tun haben. Ihre Leistungen im Dauerlauf schlagen die Rekords aller Blitzzüge; da kann kein Mann mit, sie müßte ihn denn in einer Anwandlung von Verliebtheit auf den Händen tragen. Allein mit diesem Lauftempo begnügt sie sich noch nicht, die Überdimensionale. Sie will reiten, sie will sich als Amazone betätigen, sie wünscht ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd!

Dieser Gaul soll noch geboren werden. In keinem Stall und auf keinem Postament kommt er vor, allein nichts hindert uns, ihn rechnungsmäßig zu konstruieren und aufs Papier zu setzen. Und kaum steht er da, so erkennen wir in ihm einen guten Bekannten: es ist das Normalpferd der Imperatorklasse, jener ideelle Hapag-Gaul, der 60 000 Pferdekräfte in seinen Muskeln vereinigt.

Ein ansehnliches Tier, schön hoch gebaut, vierzig Meter lang, so stark wie achtzig Kavallerieregimenter auf Kriegsfuß, gleichermaßen befähigt, einen Dampfer von der Größe des »Imperator« zu beschleunigen, wie unsere Überfrau im Galopp davonzutragen. Und nun stürmt sie dahin, hoch über Hügel, quer über Ströme, jedes Derby als eine armselige Grashüpferei überflügelnd. Vom Frühstück zum Mittagbrot quer durch den europäischen Kontinent wäre der Reiterin eine Kleinigkeit, nicht am Tempo würde es fehlen, höchstens an Streckenkilometern.

Sinkst du in deines Nichts durchbohrendem Gefühle zusammen, Erdenmann, Untermännchen, neben dieser imposanten Frau? Kannst dir am Ende eine Gemeinschaft mit solchem Kolossalwesen garnicht vorstellen? So höre, wie es die Natur anstellt, um die Dimensionen zu überbrücken und die Kleinen mit den Großen in das nämliche sanfte Ehejoch zu zwängen:

Unsere Phantasie begann bei einem Wurm, der Bonellia viridis, die auf niederer Tierstufe dein Mißverhältnis zum Gigantenweib wiederspiegelt. Hier löst nun die Natur das Problem in ebenso einfacher wie genialer Weise: sie stellt das Untermännchen nicht neben das Überweibchen; sie erspart ihm den beschämenden Vergleich, indem sie den Mann in das Innere der Frau setzt. Herr Bonellius lebt – jeder Zoologe wird mir das bestätigen, – in der Speiseröhre der Frau Bonellia. Die Natur verwandelt so ein Frauenzimmer in ein Herrenzimmer. Hier hakt sich das Männchen mit klammernden Organen fest, läßt sich von der Frau ernähren und denkt über den Unterschied der Dimensionen nicht weiter nach.

Über den Grad der Annehmlichkeit dieser Symbiose läßt sich streiten. Wenn aber jemand behauptet, das Beispiel des Wurmes wäre für einen Menschen unnachahmbar, so bin ich in der Lage, ihn aus meiner persönlichen Erfahrung zu widerlegen: ich selbst habe einmal den Hals einer Dame bevölkert.

Jenes freiheitliche Überweib – bekanntlich ein Geschenk Frankreichs an die Vereinigten Staaten – stand nämlich vor vielen Jahren im Hof ihres Erbauers, des Bildhauers Bartholdi zu Paris. Dort hatte ich als findiger Journalist Gelegenheit, das Innere ihrer Körperlichkeit zu ergründen, ohne alle Phantastik, in erweislicher Wirklichkeit.

Über Herz und Nieren verfügte sie nicht; ihre edlen Organe bestanden lediglich aus einer steilen Holztreppe, die bis ins Haupt und bis in den fackelschwingenden Arm wie in einen Aussichtsturm hinaufführten.

Es leuchtet ein, daß ich bei dieser Klettertour auch in der Speiseröhre des Weibes gelebt habe; wenn auch nur vorübergehend. Denn was für den erwähnten Wurm eine schätzbare Daseinsgewohnheit bedeutet, muß für den Menschen ein sensationelles Einzelerlebnis bleiben. Überdies mahnte mein Führer zur Eile: er wollte mir das Innere des Schädels zeigen, in dessen geräumiger Lokalität vierzig Herren bequem tafeln könnten.

Ein derartiges Gelage hat auch wirklich vor der Überführung der Diva nach der neuen Welt stattgefunden. Ein Beweis, daß selbst das Nonplusultra aller Überfrauen gelegentlich nichts anderes im Kopfe hat, als Männer!


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