Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Meine Geliebte.

Ursprünglich hatte ich die Absicht, eine große Forschung zu veranstalten und die berühmtesten Kollegen persönlich zu befragen: Rauchen Sie? Was? Wieviel? Warum? Welchen Einfluß hat der Rauch auf Ihre Produktion? Was halten Sie für wichtiger, das Dichten oder das Rauchen? – Und ich glaube, daß sich für die Statistik manches Ersprießliche daraus ergeben hätte. Aber die Frageformulare liegen noch heute in meinem Pult; ich habe sie wirklich und wahrhaftig nicht abgeschickt, und zwar wesentlich aus zwei Motiven.

Erstens drängte sich mir die Befürchtung auf, daß sich unter den Befragten am Ende doch – ein Nichtraucher befinden könnte. Es ist schrecklich, das auszudenken, aber es muß doch in den Kreis der Erwägungen gezogen werden. In der Künstlerschaft gibt es so viele Anomalien und Perversitäten – ich erinnere nur an Oskar Wilde –, daß sogar mit der Möglichkeit des Nichtrauchens gerechnet werden muß. Wenn ich aber ein literarisches Rauchcoupé aufmache, dann will ich sicher sein, daß kein Unzünftiger eindringt. So einer hätte mir das ganze Tableau verdorben. Die schrillen Mißklänge rauchfeindlicher Abstinenz passen nicht in die reinen Akkorde des Hoheliedes, das sich aus diesen Betrachtungen erheben soll.

Aber die große Menge der anderen, der Rauchfreunde in Apoll? Auch deren Voten glaubte ich schließlich entbehren zu können. Sie können im besten Fall nur Füllstimmen der massiven Partitur hinzufügen, die ich selbst entrollen werde. Denn rund heraus gesagt: ich halte mich für die größte Autorität in diesem Fache und habe gar keinen Grund, dies zu verheimlichen. Neuerdings hat ja die Ruhmredigkeit aufgehört, ein Laster zu sein; sie marschiert vielmehr heute an der Spitze der literarischen Pflichten. Meine schriftstellerische Qualität kommt hierbei gar nicht in Betracht: Schaffender oder nicht, – ein Rauchender bin ich ganz bestimmt! und was für einer. Wie das heilige Feuer der Vesta im Tempel nie verlosch, so glimmt der Funke bei mir, – abgesehen von minimalen Pausen und der obligatorischen Nachtruhe, die die Kontinuität des Betriebes nicht sonderlich beeinflussen.

Mit Leibniz unterscheide ich in der Wechselwirkung des Rauchens und der Produktion zwei Sorten von Wahrheiten. Daß man ohne Rauch nicht schriftstellern kann, ist eine »vérité de fait«, ein Erfahrungssatz, dessen Geltung durch zahllose Einzelfälle gestützt wird. Umgekehrt aber ist es eine »vérité éternelle«, daß man nicht rauchen kann, wenn man nicht vorher etwas geschriftstellert hat. Denn dann hat man kein Geld und kann sich nichts Rauchbares zulegen. In dieser Situation befand ich mich als grüner Jüngling lange Zeit, als ich schon das Zeug in mir spürte, den Beruf gründlich zu verfehlen, aber noch keinen Verleger fand, der mir das Talent zur Entgleisung so recht zutraute. Damals hockten wir gewöhnlich zu vieren beieinander, mein Bruder, der Musiker, die beiden trefflichen Scharwenkas und ich, ein Quartett, das seinen Anspruch auf den Parnaß zunächst durch einen unbändigen Rauchhunger und sonstige Anzeichen des Sturmes und Dranges dokumentierte. Wir verfügten zusammen über ein Sofa und vier Tonpfeifen, in die wir allmählich den gesamten Inhalt der Seegraspolsterung hineinstopften. Die meisten Menschen unterschätzen den Kubikinhalt eines solchen Möbels und werden sehr erstaunt sein, wenn sie erfahren, daß wir Vierzünder nahezu einen ganzen Arbeitswinter brauchten, um jenes Vereinssofa komplett aufzurauchen. In Parenthese: wer Seegras zum erstenmal versucht, geht mit dem Körper in die Luft und stößt mit dem Kopf ein Loch in das obere Stockwerk; später gewöhnt man sich daran, ratsam bleibt es aber doch für Anfänger, sich die Zunge beledern und den Gaumen vernickeln zu lassen.

Als wir mit dem Sofa fertig waren und auf den harten Überbleibseln saßen, hatte sich der gewonnene Rauch zu allerhand Kompositionen und Dichtungen kondensiert, die uns in die Lage versetzten, vom Seegras zum Tabak überzugehen. Ich möchte indes die geschilderte Methode unter heutigen Zeitläuften nicht verallgemeinern und empfehle jedenfalls jüngeren Kollegen, sich zuvor einem gewiegten Steuertechniker zu offenbaren. Dieser wird ihnen wahrscheinlich erklären, daß die Rauchsteuerpflicht auch alle gepolsterten Kanapees umfaßt, und daß derjenige, der ein Sofa in die Luft bläst, ohne dem Staat dabei gebührenden Obolus zu zehnten, sich einer schweren Steuerdefraudation schuldig macht.

Ich hatte nunmehr die Auswahl zwischen den drei seriösen Raucharten, prüfte alles und behielt das Beste. Von dem rauchlosen Pulver Schnupftabak rede ich erst gar nicht, ebensowenig von dem widernatürlichen Surrogat Priem oder Kautabak; für mich sind in Tabaksangelegenheiten rauchlos und ruchlos etymologisch und moralisch ganz dasselbe. Somit kamen nur die Pfeife, die Zigarre und die Zigarette in die Stichwahl. Die Pfeife hat die Tendenz, auszugehen, und mit der Zigarre kann man es nicht bis auf dreißig pro Tag bringen, zwei störende Eigentümlichkeiten, die mich der holden Orientalin Zigarette unweigerlich in die Arme trieben. Zudem soll sich der Mensch allezeit an bedeutenden Vorbildern aufranken, und da ich damals den Vorzug genoß, in die Kreise eines Anton Rubinstein und Paul Lindau zu geraten, so war mir der Weg klar vorgezeichnet. Mit ehrfürchtigem Staunen beobachtete ich, welche enorme Papyros-Quantitäten diese beiden Großmeister zu vergasen vermochten, wie sie keinen Moment ungenützt verstreichen ließen, wie sie sich – gottähnlich – nur in der Wolke zu uns Sterblichen herabließen, und in edlem Nacheiferungstrieb gelobte ich mir, es ihnen einmal gleichzutun. Ich bin der Mitwelt das Bekenntnis schuldig, daß ich jene Zierden des Menschengeschlechts in der Qualität nicht erreicht habe, während ich, soweit die Statistik reicht, in der Quantität heute den Rekord halte.

Neuerdings bekenne ich mich sogar zu der Ansicht, daß eine sehr hervorragende Qualität nicht unter allen Umständen den Schaffensdrang beflügelt. Sobald die Zigarette als wirkliche Kostbarkeit auftritt, sobald sie den schwindelerregenden Preis von 20 bis 45 Pfennigen erreicht – besonders ingeniöse Auslands-Kellner servieren sogar welche zu einem Franken das Stück –, beansprucht sie den ganzen Menschen für sich, zum mindesten halbiert sie die Aufmerksamkeit. Wir erleben den nämlichen Vorgang angesichts der freien Natur, die sich ja manchen Künstlern als Stimulans beim Schaffen anbietet. Fast ausnahmslos wird bestätigt, daß sich die Landschaft mittlerer Güte am besten hierzu eignet. Eine Thüringer oder Agnetendorfer Szenerie, ein märkisches Landschaftsbild vermag die Phantasie zu befruchten, – aber inmitten der gewaltigsten Gletscherwelt kann man nicht dichten und komponieren. Byron, der auf der Wengernalp den Manfred konzipierte, Nietzsche, dem im Engadin der Übermensch und die Frauenpeitsche einfiel, sind Ausnahmen. Mit einem Wort: der auslösende Reiz darf nicht mit zu starken Akzenten, nicht mit der Wucht der Selbstherrlichkeit auftreten. Die bescheidene, sanfte Zigarette, die sich kettenweise im Munde fortrauchen läßt und sich im Laufe der Jahre zu hübschen Kilometern addiert, die sich der Lunge gemütlich anfreundet wie die atmosphärische Luft, die als Einzelwesen gar nicht die Begeisterung herausfordert, aber mit Tausenden ihrer Schwestern zusammen dem Dasein den duftigen Inhalt verleiht – sie allein ist auf die Dauer die zuverlässige Gesellschafterin des Schriftstellers, des Dichters, des Komponisten, bleibt ihm allezeit Ratgeberin, Anregerin und Souffleuse.

Aber sie rächt sich auch bitter und nachdrücklich für jede Vernachlässigung. Wage es, ihr untreu zu werden, verbanne sie auch nur einen Tag lang aus dem Gehege deiner Zähne, und dann dichte, Mitmensch! Warst du ihr je durch mündliches Verlöbnis angetraut, durch jenen narkotischen Kuß, den Sankt Nikotinus gesegnet hat, so wirst du für deinen abstinenten Wahnsinn schwer zu büßen haben! Mit Unfruchtbarkeit bist du geschlagen, und während du dir einredest, einen Gedankenfaden fortzuspinnen, quält sich deine arme Seele allein um sie, die du verstießest, öde und wüstenleer bleibt das Papier vor dir auf dem Schreibtisch, zerkaute Federhalter und Fingernägel geben Kunde von deinen inneren Kämpfen, – – und plötzlich, wie aus der vierten Dimension herabgeflogen, glimmt dir ein weißes Röllchen vor der Nase; du weißt nicht, von wannen es kam, noch wer es dir angezündet hat, aber es ist da, es lebt, es duftet, es raucht! Und dann ist es, als ob die Schleusen aufgezogen würden und die lange zurückgestaute Flut der famosen Einfälle bräche unaufhaltsam hervor; aus allen Poren strömt dir die Erfindung, und du mußt die Feder oder das Schreibfräulein auf die vierte Geschwindigkeit einstellen, damit sie nur annähernd dem Gedankensturm zu folgen vermag. Das sind Wonnestunden für den Schaffenden, und es empfiehlt sich tatsächlich, etwa jedes Quartal einmal so einen Rauchfasttag zu inszenieren, lediglich des zauberhaften Kontrastes wegen.

Es gibt ja Künstler, die in feuilletonistischen Selbstbekenntnissen noch andere Anregungsmittel gelten lassen: Wein, Bier, Musik; ja einige Dichter haben sich nicht entblödet, die Liebe als die Befruchterin ihrer Lyrik auszurufen. Alle diese Herrschaften unterliegen einer mehr oder minder entschuldbaren Selbsttäuschung: sie projizieren einfach den Inhalt ihrer Werke auf ihr Sensorium und verwechseln den Stoff ihrer Dichtung mit der Energie, die den Stoff gestaltete. In Wahrheit ist noch niemals ein brauchbaers Trinklied im Rausch, eine Liebesode in der Umarmung zustande gekommen, von einzelnen gründeutschen Leistungen abgesehen, deren amusisches Gestammel die Entstehungsart deutlich genug verrät. Was sich an Entzückungen in der Künstlerseele chaotisch tummelt, bedarf vielmehr eines ordnenden Mediums, um Gestalt zu gewinnen. Und eben hier hat der Tabaksrauch einzusetzen mit jener magischen Kraft, die Latentes zur Oberfläche zwingt, Verwaschenes zu klarem Bilde entwickelt und jede Produktionshemmung auf der Nervenbahn sozusagen mit Dampf überwindet. Der Rauch wirkt auslösend, nicht in dem Sinne, wie der Blitz ins Pulverfaß fährt, sondern mit der nachhaltenden Arbeit einer künstlerischen Potenz. Er schafft nicht Explosionen, sondern gegliederte Feuerwerke, nicht Fanfaren, sondern Symphonien, er wirkt stetig innerhalb der Schönheitslinien.

Aber eine sehr peinliche Schwierigkeit scheint sich da aufzutürmen, ein Bedenken historischer Art, das meiner gesamten Rauchdogmatik recht unangenehm in die Quere kommt: Pindar, Anakreon, Sophokles, Vergil, Dante – kurzum die Literaturgrößen bis zum siebzehnten Jahrhundert – haben erweislich nicht geraucht, und selbst unter den glorreichen Nachfahren bis herab zu den Lebenden werden sich nichtrauchende Kapazitäten ermitteln lassen. Es wird also nichts übrig bleiben, als einen Höchstgrad der künstlerischen Begabung anzunehmen, der sich jenseits von Dampf und Qualm zu betätigen vermag. Diesen Grad bezeichnen wir mit dem Wort Genie. Da hätten wir also eine neue Begriffsbestimmung aufgefunden, ein nicht zu unterschätzender Vorzug in unserer definitionsschwelgerischen Zeit: Das Genie ist das über die Rauchgrenze erhöhte Talent. Was darunter liegt, muß rauchen, bleibt mit der Produktion an den Tabak gebunden.

Indes auch hier muß ich schon wieder die feuerfeste Regel durch die qualmende Ausnahme ergänzen. Eines der größten Genies aller Zeiten, der Schöpfer der Matthäuspassion, Johann Sebastian Bach, rauchte und hat aus der Tiefe seiner Leidenschaft heraus eine veritable Rauchhymne komponiert. Die Königliche Bibliothek zu Berlin birgt die Originalhandschrift der Musik und des Textes, dessen letzte Strophen also lauten:

»Und wenn die Pfeife angezündet,
so sieht man wie im Augenblick
der Rauch in freie Luft verschwindet,
nichts als die Asche bleibt zurück. –
So auch des Menschen Ruhm verweht,
und dessen Leib in Staub zergeht.«

»Wie oft geschieht's nicht bei dem Rauchen,
daß, wenn der Stopfer nicht zur Hand,
man pflegt die Finger zu gebrauchen,
dann denk' ich, wenn ich mich verbrannt:
O, macht die Kohle solche Pein,
wie heiß mag erst die Hölle sein!«

»Ich kann bei so gestalten Sachen,
mir bei dem Tabak jederzeit
erbauliche Gedanken machen,
drum schmauch' ich voll Zufriedenheit
zu Land, zu Wasser und zu Haus
mein Pfeifchen stets in Andacht aus.«

Ja, in der Tat, wenn es einmal auf einen wirklichen Kampf zwischen Rauchern und Nichtrauchern ankäme, mit dieser durch den Genius Sebastian Bach geweihten Hymne müßten wir siegen! Und wenn der Gegner am Boden läge, so würden wir ihn vollends zerschmettern mit dem Donnerwort Gustav Freytags: »Wer die Zigarre haßt, für den schreiben wir nicht. Er mag ein redlicher, verträglicher Mitmensch sein, aber er hat die verkehrte Weltanschauung!«

Wie aber hätte sich die Sache entwickelt, wenn das Rauchen schon im Altertum oder gar zu prähistorischer Zeit in Übung gewesen wäre? Eine knifflige Doktorfrage! Ich persönlich hege die Überzeugung, daß manches horazische Gedicht sinnreicher, manche Ciceronianische Abhandlung minder schwülstig ausgefallen wäre, wenn ihre Erzeuger eine gute Zigarette gehabt und praktisch zu verwerten gewußt hätten. Ich halte es auch für erwiesen, daß so gescheite Männer wie Diogenes und Sokrates, die handschriftlich nicht eine Zeile hinterlassen haben, unter der nämlichen Voraussetzung wenigstens irgend etwas aufgeschrieben hätten, denn der Raucher besitzt Notizendrang. Und vor allen Dingen würde die Darwinsche Theorie weit lichtvoller dastehen, wenn der Homo sapiens sich von Anfang an als das rauchende Tier von den übrigen Vertebraten scharf abgliederte. Tatsache ist es jedenfalls, daß die Einführung des Tabaks in unseren Kontinent mit dem Aufschwung der humanistischen Bestrebungen und der Entfaltung der Geistesfreiheit zusammenfällt. Eine spätere Geschichtsphilosophie wird diese Zusammenhänge noch gründlicher zu erforschen haben.

Man kann das Rauchthema anfassen wie man will, um die Frage: Ist das Rauchen gesundheitsschädlich? kommt keiner herum. Eine große Zahl namhafter Hygieniker hat sich dahin ausgesprochen, daß man diese Frage nur aufzustellen braucht, um sie sofort zu bejahen. Mit Vorliebe wird dabei der Schatten Otto Ludwigs zitiert, dem die Zigarre zum Lebensgift ward; bitte zu beachten: nicht die Zigarette! Was mich betrifft, so bin ich weit entfernt davon, diesen Professorenstandpunkt zu teilen, ja ich möchte behaupten: gute Luft läßt sich entbehren, aber die Rauchluft ist Bedürfnis. Zu dieser Erkenntnis haben mich sehr trübe persönliche Erfahrungen gedrängt, als mich vor nunmehr 23 Jahren eine schwere Neurasthenie befiel, jene tiefgründig erörterte Krankheit, von der die Ärzte bis jetzt nichts festgestellt haben als den Titel. Was man nicht definieren kann und was man nicht kurieren kann, sieht man als neurasthenisch an. Ich war anfänglich sehr stolz auf diese Krankheit, da man in der Literaturwelt erst dann für voll angesehen wird, wenn die Nerven einen Knacks weghaben. Bald aber begann das Übel in seiner Komplikation von Schwindelanfällen, Platzfurcht, Theaterangst und sonstigen schlagrührigen Gefühlen mich sehr zu bedrücken. Der erste Arzt, den ich konsultierte, entzog mir sechs Zigaretten täglich, der zweite noch vier, und der dritte, ein Neuropath von europäischem Rufe, setzte mich mit dem Donnerwort »Chronische Nikotinvergiftung« auf Null herunter. Ich flehte, ich jammerte, nur noch einmal wollte ich wie der Dulder Odysseus den Rauch aufsteigen sehen – Καπνὸν αποϑρώσκοντα νοῆσαι – der Mann blieb unerbittlich, und ich war willensschwach genug, ihm zu gehorchen. Sechs Wochen lang habe ich diese Hungerkur in puncto Zigarette durchgemacht, sechs Wochen lang lediglich an Bleistiften, Strohhalmen, Zahnstochern und Lackritzen herumgezulpt, ich kam mir vor wie ein auf absoluten Salat gesetzter Löwe und beobachtete von Tag zu Tag meine sichtliche Auflösung. Als ich mich nach Ablauf dieser Zeit hinlegte und zu sterben anhub – dies geschah in Monte Carlo, wo der Tod die dümmste aller möglichen Dummheiten darstellt – schoß mir eine Autodiagnose durchs Hirn: Alle diese Ärzte haben sich geirrt!, nicht zu viel, sondern zu wenig habe ich in meinem Leben geraucht, mir kann in meiner Tabaks-Unterernährung nur durch eine Rauch-Mastkur geholfen werden! Mit dem letzten Aufgebot meiner Kräfte klingelte ich nach hundert Zigaretten – (Kostenpunkt: man frage gar nicht!). Schon bei der zwanzigsten durchrieselte ein neues Lebenswollustgefühl meinen durch Rauchmangel verwüsteten Körper, bei der fünfzigsten verschwand die Platzfurcht, so daß ich ohne jede Scheu den Platz zwischen dem Hotel de Paris und dem Spielkasino überqueren und dort 350 Francs auf 17 en plein verknallen konnte; nach dem ersten aufgerauchten Mille schrieb ich ein Theaterstück, in dem ich zum Dank für meine vollständige Genesung ein großes und, wie ich verraten darf, auf der alten Berliner Viktoriabühne sehr erfolgreiches Zigarettenballett anbrachte. Seitdem ist es bei mir zum Dogma geworden: die menschliche Gesundheit läßt sich nicht betrügen; ihre Nerven streiken einfach, wenn man ihnen statt des notwendigen Rauches minderwertige Gase wie Ozon oder Seeluft zuführt; und unersetzlich wie die Milchbrust für den Säugling bleibt der Glimmstengel für den Erwachsenen. Das mag unglaublich klingen, wahr ist es und bleibt es trotzdem!

Die Ärzte werden ja freilich noch lange Zeit unbelehrbar bleiben. Aber in sozialer Hinsicht ist doch ein Fortschritt zu verzeichnen. Heute sind wir wenigstens so weit, daß ein preußischer Gerichtshof den Ausdruck »Nichtraucher!« als einen Schimpf mit Geldbuße ahndet, – so geschehen in einer Sitzung des Landgerichts Halle. Es beginnt also zu dämmern. Aber immer noch sind wir von einer ausreichenden Wertschätzung des Rauches als eines Kulturfaktors weit entfernt. Die Rauchwissenschaft steckt zunächst noch in den ersten Anfängen, und die großen Probleme, die sie birgt, sind von den Lehrmeistern der Menschheit kaum gestreift worden. »Von dem, was Einer ist«, »Von dem, was Einer hat«, »Von dem, was Einer vorstellt«, das sind die Themata Schopenhauers in seinen Parergen; schmerzlich vermissen wir die Abhandlung »Von dem, was Einer raucht«! Noch harrt die Welt des neuen Demokrit, des rauchenden Philosophen; sie wird sich bis zu seinem Erscheinen mit den dürren Grundlinien der Disziplin behelfen müssen, die ich hier vorzeichnete und in nachstehende zehn Grundgebote zusammenfassen will:

Verschiebe nicht auf morgen, was du heute noch bequem aufrauchen kannst.

Begnüge dich nicht damit, den Zigarettenqualm im Munde zu spüren, sondern ziehe ihn sorgsam in die Lunge. Wer sich nur den Gaumeln kitzeln läßt, gleicht einem Beefsteakesser, der das Fleisch bloß kaut, ohne es zu schlucken; das ist ebenso unappetitlich wie oberflächlich.

Warte bei der Mahlzeit nicht den Schluß ab, bevor du dir die Zigarette ansteckst. Schalte vielmehr schon zwischen Gemüse und Geflügel einige Züge ein, das bewahrt vor Zeitvergeudung und belebt die ganze Tafel.

Blase keine Ringe in die Luft, sondern überlasse derlei Kunststücke den Helden der Romane und Novellen; jeder Zug aus der Zigarette trägt die Weihe der Reichssteuer und darf nicht zu unnützen Spielereien mißbraucht werden.

Wenn du an Migräne leidest, so befrage den Arzt nicht wegen der Zigarette; er könnte sie dir verbieten.

Halte beim Arbeiten das Fenster verschlossen, damit der teure Rauch nicht in die Welt hinausfliegt.

Rauche niemals nüchtern, sondern verspare dir die Zigarette bis nach dem ersten Kaffeeschluck.

Rauche zur Sommerzeit nicht zu viel im Freien, denn der Rauch lockt die Mücken herbei.

Wenn dir jemand eine Meerschaumspitze dediziert, so verschenke sie weiter; die Zigarette durch die Spitze zu rauchen, ist genau so, wie die Geliebte durch ein Röhrchen zu küssen.

Bewahre dir eine gewisse Mäßigkeit im Genuß; das »ne quid nimis« des alten Weisen ist auch auf die Zigarette anwendbar und bedeutet in unserem Falle: nie mehr als eine auf einmal!

Ich bin mir dessen bewußt, daß dieser Kanon in stark subjektive Farbe getaucht ist und nicht überall als allgemeingültig durchdringen wird. Allein, da ich aus dem zu Anfang erwähnten Grunde auf die freundliche Mitwirkung eines Fragebogens verzichten mußte, so war der egozentrische Standpunkt der allein mögliche. Sollte der oder jener aus dem Kreise der Kollegen sich nachträglich mit Berichtigungen oder Ergänzungen melden, so will ich eventuell die Debatte noch einmal eröffnen. Vielleicht weiß einer noch ein kräftig Wörtlein zum Kapitel der ars fumandi oder gar zu der dunklen Kunde von den Sexualphänomenen beim Rauchen und von der Zigaretten-Symbiose. »Das gäbe Ausblicke«, und namentlich Einblicke in eine Welt, die das Dichterwort vorahnt: Rauch ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar!


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