Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Die unglaubliche Gattin.

Viktor. Und nun Schatz, nimm dein Herz in beide Hände. Zum erstenmal wirst du das Hochgebirge sehen, – wenn auch natürlich aus weiter Ferne. In zehn Minuten öffnet sich nach Süden die berühmte Verrichtung, in der die Berner Eisriesen vom Wetterhorn bis zum Doldenhorn vorrückend erscheinen. Das ist freilich noch eine Luftdistanz von neunzig Kilometern . . .

Josephine. Wie du das alles weißt!

Viktor. Ja, das prägt sich ein, – und schon damals, als ich in frohen Junggesellentagen den ersten Einblick in diese Gletscher gewann, kam mir der Gedanke: wenn du einmal verheiratet bist, glücklich verheiratet, – hierher geht die Reise! Das zu sehen, kann nur von einer Sensation übertroffen werden: das der Geliebten zu zeigen!

Josephine. Ich sehe aber noch immer nichts.

Viktor. Erstens ist es noch nicht soweit, und zweitens blickst du nach der falschen Seite aus dem Zuge. (Bums!) Da ist mir schon wieder die verdammte Hutschachtel auf den Kopf gefallen!

Josephine. Du bist aber auch zu ungeschickt; setze sie doch fester hinein!

Viktor. Phinchen, vor der Hutschachtel hat mir schon immer gegraut. Ein Reisemöbel von solchem Umfang nimmt man nicht nach der Schweiz mit. Das heißt einfach, die Tücke des Objekts herausfordern. Ich behaupte, so ein Dings von den Dimensionen eines Mühlrades ist überhaupt nirgends unterzubringen. Man kann einen ägyptischen Obelisken transportieren, aber nicht so eine Hutschachtel.

Josephine. Du verlangst also, ich soll mit bloßem Kopf durch die Alpen reisen?

Viktor. Nein, Schatz, gewiß nicht. Aber es gibt Hüte und Hüte. Selbst der Pilatus trägt nicht ein Monstrum von Hut wie diesen.

Josephine. Du hättest die Schachtel eben als Gepäckstück aufgeben sollen.

Viktor. Dann hättest du an der Empfangsstelle die Trümmer eines ehedem nicht unbeträchtlichen Hauptschmuckes ausgepackt. Gibt man sie auf, platzt die Schachtel, nimmt man sie ins Coupé, platzt der Passagier. Damenhüte sind ein Malheur. Weißt du, ich werde versuchen, das Scheusal da oben festzubinden. Bindfaden habe ich zum Glück bei mir. So wird's gehen; – – nein so gehts auch nicht! Das Unding hat Übergewicht nach vorn, hebt das Gepäcknetz und wippt über. Ich nehm's lieber auf den Schoß. So. Wo war ich doch stehen geblieben? Richtig, beim Wetterhorn, Eiger – – – ja jetzt ist das längst vorbei.

Ein Reisender. Die Schneekette war eben in wunderbarer Klarheit da drüben zu sehen.

Viktor. Ich danke Ihnen. Wir hatten wichtigeres zu tun, als Schneeketten zu bewundern.

*

(Vor Luzern):

Er. Jetzt erscheint rechts der zackige Gipfel des Pilatus! Dein Konkurrent in Hüten! Der wird in den nächsten Tagen unser Wahrzeichen sein. Schau bloß, Schatz! Das ist nun eigentlich der erste Felsengigant, den du ganz in der Nähe siehst.

Sie. Ach, der Bahnrauch! Mach' bloß das Fenster zu!

Er. Ist dir nicht wohl, Liebste?

Sie. Nicht ganz. Das viele Eisenbahngeschuckel! Das ist ja hier noch schlimmer als bei Bebra. Und der Rauch! Da dreht sich ja im Menschen alles inwendig herum. Ach gib mir doch die Eau de Cologne.

Er. Sofort, Schatz. Sieh bloß inzwischen einen einzigen Moment aus dem Fenster!

Sie. Nein, wenn mir so übel ist, muß ich die Augen zumachen; – aber was machst du denn so langsam!

Er. Der Glasstöpsel will nicht aus der Parfümflasche. So ein bösartiger Flakon! Na warte, das soll ihm den Hals brechen. So, erledigt!

Sie. Du blutest ja?

Er. Bloß ein paar Glassplitter. Da klebt man ein bißchen Heftpflaster drüber. Wie gut, daß ich das alles bei mir habe.

Sie. Tut es noch weh?

Er. Nee, Herzchen. Der Schmerz ist schon weg, und der Pilatus ist auch weg.

*

(Luzern. Nachmittags im Hotel):

Er. Sieh nur, Josephine, wie nett wir's hier haben. Und ganz modern in zwei Zimmern einquartiert. Weißt du, jetzt lassen wir den großen Koffer ruhig stehen und gehen vorläufig einmal an die Aussicht.

Sie. Gleich, Viktorchen, ruf' mir nur erst mal das Dienstmädchen.

Er. Also zweimal drücken! So (bim, bim. Nach einer halben Stunde:) Ach, Sie sind's, der Liftboy, – schicken Sie uns doch mal die Zimmerfee. (Nach einander erscheinen der Etagenkellner, der Groom, der Maitre d'Hotel, der Chasseur, der Gepäckdiener, der Portier und am Schluß der Entwickelung die Zimmermaid, die von der gnädigen Frau den Tagesbefehl »Heißes Wasser« entgegennimmt.)

Sie. Und nun verschwinde mal gefälligst in dein Zimmer, bis ich dich rufe.

Er (nach zwei Stunden, durch die Verbindungstür): Kätzchen, Fischelchen! Was machst du denn eigentlich mit dem vielen heißen Wasser?

Sie. Das verstehst du nicht; das muß jede Dame haben.

Er. Ja, ich höre dich immerfort plätschern. Aus gewissen akustischen Wahrnehmungen schließe ich, daß du ungefähr so viel heißes Wasser bekommen hast, wie in den Thermen des Caracalla vorhanden war. A propos, wir haben es insofern vorzüglich getroffen, als das Wetter geradezu pyramidal ist. Von meinem Zimmer aus sehe ich die ganze Titliskette, die blitzt nur so durch die Luft!

Sie. Wie meinst du?

Er. Ich meine, wir haben ein barometrisches Maximum von ungewöhnlicher Stärke. Das wäre das Wetter gewesen, um auf den Rigi zu fahren; wir hätten einen Sonnenuntergang von seltener Pracht erlebt. Jetzt ist es freilich schon zu spät dazu. Bist du noch nicht fertig?

Sie. Viktorchen, wenn du fortwährend redest, muß ich ja immerzu an die Tür laufen, und dann dauert es ja bloß um soviel länger.

Er. Aber du wäscht dich ja schon ein paar Stunden lang.

Sie. Ja, wenn man so wenig heißes Wasser hat! Die Pute von Dienstmädchen ist auch zu dumm. Klingle doch drüben noch einmal und sage ihr Bescheid.

Er. Dann wird es wohl kaum noch lohnen, heute noch auszugehen. Wie weit bist denn übrigens mit der Toilette?

Sie. Vollständig angezogen.

Er. Na dann komm' doch mal endlich!

Sie. Wo willst du denn hin?

Er. Natürlich zuerst auf die Reußbrücke und an den Quai.

Sie. Aber da muß ich mich doch umziehen!

Er. Ich denke, du bist angezogen?

Sie. Gewiß, angezogen, aber doch ohne Mieder.

Er. Das hättest du doch gleich anlegen können.

Sie. Schatz, das verstehst du nicht. Eine Dame kann doch nicht so aus dem Urzustand in ein Korsett hineinspringen.

Er. Geliebte, setzen wir einmal den Fall, du wärest endlich faktisch angezogen und hättest auch genug heißes Wasser konsumiert! Dann wird es völlig finster sein.

Sie. Wir haben ja elektrisches Licht.

Er. Ich meine finster für die Alpenaussicht.

Sie. Aber Schatz, rede doch nicht solchen Unsinn. Im Speisesaal brauchen wir doch keine Alpenaussicht.

Er. O Josephine, du hast das erlösende Wort gesprochen! Wir haben ja tatsächlich seit einer Ewigkeit nichts gegessen. Verschieben wir also das Panorama auf morgen.

*

(Vormittags. Heißwasserszene wie zuvor.)

Sie. Viktorchen, möchtest du mir einen Gefallen tun? Komm doch mal herein zu mir und knöpfe mir die Schuhe zu. Ich mag das Mädchen nicht immerfort beschäftigen. Die Pute ist so unwillig.

Er. Ja, das Schuhknöpfen will aber erst gelernt sein. Du solltest Zugstiefelchen tragen, da ist man eins, zwei, drei hinaus und hinein.

Sie. Ebensogut könntest du mir sagen, ich soll in Holzpantinen rumlaufen. Man trägt eben Knopfschuhe. Hier ist der Knöpfer.

Er. Also, da fasse ich mit dem Haken hinein und dann ziehe ich an und dann drehe ich herum, – ja siehst du, Fischelchen, das geht nicht.

Sie. Du drehst ja nach der verkehrten Seite.

Er. Erstens sitzt du zu niedrig. Setz' dich 'mal auf den Tisch und tu' das Füßchen auf mein Knie. Siehst du, das ist gleich etwas anderes. Und nun wette ich meinen Kopf gegen eine Pfeffernuß, daß ich binnen dreißig Minuten den ersten Knopf durch habe.

Sie. Aber Schnauzel, du mußt den Knopf ganz herumfassen, nicht mit dem Haken durch die Öse! Warum hörst du denn plötzlich auf?

Er. Ich mache eine Berechnung: ich stelle mir vor, wie weise es die Natur eingerichtet hat, daß sie uns Menschen im allgemeinen und euch Frauen im besonderen nicht als Tausendfüße erschuf. Ferner rechne ich aus, wie lange es dauern wird, bis ich, den Knopf zu einer halben Stunde gerechnet, mit deinen Gott sei Dank nur zwei Füßen fertig sein werde.

*

(Um halb 1 Uhr.)

Er. So. Dieses Problem wäre gelöst.

Sie. Und da läutet es auch schon zum Lunch.

Er. Aber nicht wahr, Herzchen, nachher gehen wir doch mal auf die Reußbrücke?

Sie. Natürlich, Schatz. Bloß ein kurzes Nachmittagsschläfchen. Die Schuhknöpferei hat mich nämlich sehr angestrengt, und ich fühle mich todmüde.

*

(Um 4 Uhr.)

Er. Ausgeschlafen, Kindchen?

Sie. Ach, nicht daran zu denken! Kein Auge habe ich zumachen können. Hier ist nämlich ein Brummer in der Stube!

Er. Ich merke nichts.

Sie. Aber so höre doch, wie es summt! Ein grauenhaftes Untier!

Er. Wir werden ein Fenster öffnen, dann wird es hinausfliegen.

Sie. Das tut es im ganzen Leben nicht! Und dann brummt es nachher die ganze Nacht. Wir müssen es fangen.

Er. Ich höre positiv nicht das leiseste . . .

Sie. Ach Gott, ich habe einen tauben Mann geheiratet! Wie kannst du sagen, daß du das nicht hörst! Das ist doch genau, als wenn ein Lämmergeier im Zimmer umhersaust.

Er. Du irrst dich, Josephine. Er sitzt nämlich ganz still. Eben sehe ich ihn, dort oben, an der Decke.

Sie. Na also! Wie kannst du dann behaupten, daß er nicht vorhanden ist! Wirf doch bloß mal mit dem Pantoffel an die Decke!

Er. Ich bin der Ansicht, daß dieses Verfahren unter allen Jagdmethoden die unzweckmäßigste wäre. Empfehlenswerter wäre es, wir gingen erst mal nach der Reußbrücke, inzwischen beordere ich den Hausdiener, diesen Abschaum des Fliegengeschlechtes unschädlich zu machen.

Sie. Still! Jetzt brummt er wieder! Na, du wirst doch zugeben, daß einen das verrückt machen kann. Ich ziehe überhaupt hier aus. Ich bitte dich, Viktor, zahl' die Rechnung und suchen wir uns ein anderes Hotel.

Er. Mit der Motivierung, daß wir nicht gewohnt sind, unsere Schlafzimmer mit lebensgefährlichen Raubvögeln zu teilen? Nein, Josephine, das geht nicht. Ich werde vielmehr gegen den Brummer jetzt systematisch vorgehen, indem ich ihn erst einkreise, alsdann in einen isolierten Winkel dränge und ihn dort mit der Hand zur Strecke bringe, ohne die mindeste Rücksicht auf das Porzellan, das die Wahlstatt in Scherben bedecken wird. Die Hoffnung, mit dir hernach endlich einmal an das Alpenpanorama zu gelangen, wird mich zu diesem Feldzug stärken.

(Abends. Der Brummer ist erlegt. Halali. Oben an der Decke sitzt eine neue Brummerfliege, vermutlich die Gattin der vorigen. Man geht zur Table d'hôte mit dem festen Entschluß, während der Nacht die Brummerin zu fangen und an ihr die Witwenverbrennung zu vollstrecken.)

*

(Vormittags halb 11 Uhr.)

Sie. Heute ging's aber schnell, nicht wahr?

Er. Ich erkenne das vollkommen an, Geliebte. Und wenn du dich jetzt noch entschließen könntest, mit einem einzigen Blick von Luzern, vom Vierwaldstätter See, von dem ganzen Kranz malerischer Gebirge Notiz zu nehmen, so wäre das mehr, als ich in meinen kühnsten Träumen mir vorzuphantasieren gestattete. Josephine! Engelchen! Süßes Geschöpfchen! Sieh mich hier auf den Knien! Ich flehe, komme mal mit mir auf die Reußbrücke! Fünfzehn Meter Entfernung vom Hotel!

Sie. Sofort, Viktorchen. Du hast doch gesagt, das Barometer steht so unmenschlich hoch, das garantiert doch mindestens vier Wochen schönste Aussicht, wir versäumen doch nichts. Also bring' mir bloß die Holzjalousien in Ordnung, die sind ganz hochgerutscht, und wenn die nicht herunter können, blendet es früh so unausstehlich. Und dann wollen wir doch endlich mal den großen Koffer auspacken.

Er. Kindchen, ich fürchte, das Barometer wird schneller herunter sein als die Holzjalousie. Wenn sich so'n Ding erst mal oben festklemmt! Aber ich schwöre dir, der Hausdiener bringt das in Ordnung. Er bekommt zwanzig Franken von mir pränumerando! Wenn wir von der Reußbrücke zurückkommen, funktioniert das nach allen Regeln der Feinmechanik, und dann packe ich dir auch den Koffer aus, ja, wenn du's verlangst, lasse ich dir noch fünf Hektoliter Heißwasser extra aufs Zimmer kommen, und zwei Armbrüste zum Brummerschießen besorge ich auch.

Sie. Also gut. Ich gebe nach, wie immer. Bloß noch . . .

Er. Schatz! Die Bloßnoch's bringen mich um! Du wirst schließlich einräumen, daß wir nicht in die Urkantone gereist sind, um bloß noch alles andere zu verrichten, als das Panorama zu genießen.

Sie. Aber ich muß doch endlich einmal meine Briefe schreiben. Man kann doch hier nicht völlig zum Botokuden werden! Wir stürmen jetzt schon eine halbe Woche im Hochgebirge umher, ohne daß unsere Lieben eine Zeile von uns bekommen haben. Das geht ja so schnell. Pack' mir wenigstens die Briefkartons aus. Schreibzeug steht da, in fünfzehn Minuten bin ich fertig.

(Nach dem Lunch. Nach dem Tagesschlaf. Nach fünfzehn Briefen:)

Sie. So, jetzt bloß noch eine Karte an Tante Aurelia, an Onkel Hugo, an Tante Clotilde, an Onkel Melchior, an Tante Laura – –

Er. Süße! Du kannst nun meinetwegen noch an zehn Dutzend andere Tanten und Onkels schreiben, das kommt auf eins 'raus. Denn vor allen Dingen regnet es jetzt mit Kannen . . .

Sie. Aber du sagtest doch, das Barometer . . .

Er. Das hat sich inzwischen anders besonnen. Ich habe soeben unten den Bericht der Züricher Wetterwarte gelesen: Tiefste Depression über dem ganzen Alpengebiet. Ein Wettersturz, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat.

Sie. Ach, und ich hatte mich so auf die Aussicht gefreut! Aber das hat mir schon dein Freund Willy gesagt, mit dir kann man hinreisen, wo man will, immer kommt man ins tollste Gepladder.

Er. Sage das nicht, Herzchen. Das Maximum lagert jetzt über Norddeutschland, und wenn wir mit dem Nachtzug abreisen, können wir morgen um 3 Uhr 50 Minuten in Berlin den schönsten Sonnenschein haben.

Sie. Weißt du, Viktor, das wollen wir machen. Was für ein Glück, daß wir den großen Koffer noch nicht ausgepackt haben!


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