Alexander Moszkowski
Das Geheimnis der Sprache
Alexander Moszkowski

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Der Weg ins Freie

Es ist gezeigt worden, daß der genügend gekennzeichnete Weg in eine Sackgasse führt. Die Voraussetzung war die Annahme, daß die neue Forderung versuchen würde, auf das längst vorhandene Schrifttum zurückzuwirken. Fügen wir eine neue Voraussetzung dazu, so ließe sich ein entfernter Ausblick auf einen Weg ins Freie wahrnehmen.

Diese neue Voraussetzung ließe sich kurz dahin bestimmen: es müßte möglich sein, überhaupt eine neue Literatur zu schaffen. Wird diese Möglichkeit zugegeben, und die Voraussetzung damit erfüllt, dann könnten die Forderer schließlich doch wohl Recht behalten. Es würde ihnen am Ende gelingen, am Gegengemäuer der Sackgasse einen Durchbruch zu erreichen.

Wir versetzen uns damit in eine denkbare Zukunft. Heute ist es eine immerhin beschränkte Anzahl von Kämpfern, die vor dem eigentlichen Literaturdeutsch, dem verseuchten Deutsch der humanistisch durchtränkten Schreiber, einen Ekel empfinden und diese Empfindung in Wort und Schrift klar bekennen. Griffe diese Empfindung in weiteste Kreise über, gewänne sie richtende Gewalt, so müßte sie die eben genannte Rückwirkung einmal zwingend äußern: in »gereinigten« Ausgaben der vorhandenen Schätze (wie man ehedem ad usum delphini noch ältere reinigte) und in Neuschaffung einer Literatur ohne Ekelsubstanzen.

Der Versuch, das Vorhandene neu aufzuarbeiten, führt, wie wir sahen, in die Sackgasse. In der Unendlichkeit der Schwierigkeiten bilden schon die Titelbezeichnungen für sich ein unübersteigliches Hindernis.

Die Gegner werden das leugnen; und wenn sie in der Geschichte der Umformungen sehr beschlagen sind, so werden sie mir sogar mit Gegenbeweisen entgegenrücken. Vielleicht fällt ihnen der folgende ein:

Es lebte einmal in Alexandrien ein großer Gelehrter namens Klaudius Ptolemäos, der ein grundlegendes Werk herausgab unter dem griechischen Titel: megale syntaxis tes astronomias, große Zusammenstellung der Astronomie. Als dieses Werk nach Jahrhunderten ins Arabische, aus dieser Sprache noch später ins Lateinische übersetzt wurde, erhielt es durch Verkuppelung des arabischen Artikels al mit dem griechischen Superlativ megistos (größter) den Bastardnamen »Almagest«, und unter dieser noch heute geltenden Bezeichnung ist das Werk eine Säule der Weltliteratur geworden.

Da hätten wir also den überzeugenden Beweis für die Wandelbarkeit eines Titels, der seinen Ewigkeitsruhm erst in einer dem Urheber Ptolemäos völlig fremden Fassung erreichte.

Und die Folge wäre, daß man sich durchaus nicht zu genieren brauchte, ein ähnliches Verfahren, sagen wir einmal auf Humboldt zu übertragen. Sein Werk, das er »Kosmos« nannte, braucht gar nicht so zu heißen, kann vielleicht – bei genügend übersetztem Text – unter anderem Namen noch weit berühmter werden.

Das wäre indes ein Trugschluß, der nur dadurch zustande kommt, daß das Wesentlichste übersehen wird. Wenn der ursprüngliche Titel als Al-magest im neunten Jahrhundert arabisch-griechisch wurde, so gewann er dadurch eine erweiterte Weltgeltung; setzen wir aber für Kosmos irgendwelches Deutschwort, so bewirken wir in demselben Sinne eine Verengung.

Ich behaupte sogar, daß ein Wort wie Kosmos vielen Deutschen – ich denke dabei an die Mittelschicht von bescheidenem Bildungsstand – ohne weiteres verständlicher klingt, als mancher Reindeutsch-Titel; verständlicher als »Götzendämmerung«, als die »Vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde«, als »Trutz-Nachtigall«, sogar als des alten Fischart »Affentheuerlich-naupengeheuerliche Geschichtklitterung«.

Indes, wir brauchen uns gar nicht auf den weiteren Verfolg dieser Betrachtung einzulassen. Jeder Versuch, die Namen oder gar die vorhandenen Texte einem Großreinemachen zu unterziehen, würde schon am Umfang des Unternehmens scheitern. Denn das vorhandene, so mangelhaft deutsche Schrifttum ist eben auch ein Kosmos, ein Makrokosmos, ein Almagest, und wenn es der neuzeitlichen Forderung nicht genügt, so bleibt eben nichts anderes übrig, als – eine neue Literatur zu schaffen.

Allen Ernstes wird in den Schriften der Forderer darauf hingewiesen, daß eine solche bereits im Entstehen sei. Man bekommt die Aufzählung einer Reihe neuer Deutschbücher aus verschiedenen Fächern, die sich bei vortrefflichem Inhalt durch vollkommene oder annähernde Sprachreinheit empfehlen. Gewiß ein höchst schätzbarer Zuwachs zum Vorhandenen. So wie das Gewicht der Erde durch den Anfall von Meteorsteinen zunimmt oder das Vermögen eines Milliardärs durch einen Treffer in der Lotterie. Der Treffer verschwindet selbst im besten Fall gegen seine Jahreszinsen. Unser Schriftschatz, der Kosmos der deutschen und in Deutschland heimischen Bücher, ist der Milliardär, und sein natürlicher Zinszuwachs setzt sich zusammen aus seiner fortzeugenden Wirkung in den Gehirnen und aus den neuen Werken, die in seinem Geiste und in seiner Sprache geschrieben werden. Wer das leugnet, der faßt den Begriff der Geistigkeit anders als ich, und wir werden uns nicht verständigen können, weil wir über verschiedene Dinge reden.

 


 


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