Alexander Moszkowski
Das Geheimnis der Sprache
Alexander Moszkowski

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Berlinfranzösisch und Parisberlinisch

Eigentlich könnte dies ein erfreuliches Kapitel werden, und es wird ja auch allerhand Wohlgemutes darin zum Vorschein kommen; aus der Fülle der Frohlaune, welche der Dialekt so gern offenbart, sobald man ihm nur sein freies Wort gestattet. Wenn nur nicht über dem reizenden Blütenfeld die Wolke des Unmuts schwebte, aus der auch hier ein grämlicher Regen niederrieselt. Und die Wolkengötter mit ihren sauertöpfischen Ergüssen sind selbstverständlich wieder die nämlichen Häuptlinge der Sprachfürsorge, mit denen wir uns in diesem Buch so ausgiebig zu beschäftigen haben. Wo sich etwas regt, das nicht in die strenge Schulregel paßt, ob im Ernsten, ob im Heiteren, sind sie zur Stelle. Sie hocken in den Höhen, in den Niederungen, wie der böse Geist,

    in einer Dornenhecken
von Neid und Gram verzehrt, . . .
er lauert da und lauscht,
wie er das frohe Singen
zu Schaden könnte bringen . . .

Aus Wagners Meistersingern wissen wir, daß Beckmesser schließlich den Kürzeren zieht und mit seiner ganzen ledernen Tabulatur grimmig hineinfällt. Und wer Zeit hat, den Schluß abzuwarten, wird es auch erleben, daß die Beckmesser unserer Tage mit ihren Regeln von Leder und Strohpapier übel abschneiden. Aber vorläufig sind wir da noch im ersten Akt, wo Ritter Walther mit seinem frohen Singen in arge Bedrängnis gerät.

Zugegeben sei: Beckmesser von heute hat sich ein sehr wirksames Schlag- und Kampfwort zurechtgedrechselt: das »Berlin-Französisch«; und zugegeben sei ferner: sein Gegner gibt sich Blößen. Aber dieser Tatbestand, der keineswegs verschleiert, vielmehr ausführlich erörtert werden soll, hat eine sehr liebenswürdige Vorgeschichte; deren Held ist »Der richtige Berliner«, der mit Spree- und Pankewasser getaufte, in Ironie und Selbstverspottung schwelgende Sprecher, dem der deutsche Humor so viel zu verdanken hat.

Seine Schnoddrigkeit ist weltberühmt, und man hat sich sogar, um ihr den gebührenden Rang zu sichern, versucht gefühlt, ihr einen erlauchten Ahnen nachzuweisen: »Schnoddern« soll abstammen von Snotar, einer altnordischen Gottheit, der irgendwelche Beziehung zur Redekunst nachgesagt wird. Sicherer als diese Vermutung besteht der Umstand, daß das Hineinziehen französischer Brocken zur Berliner Schnoddrigkeit gehört und ihr besondere Reize verleiht:

»So'n bisken Französisch macht sich doch wunderschön, Très-ämabel, sagt schon Schnabel . . .«

Dieses Bekenntnis der altberliner Posse aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist noch heut unvergessen und genau so gültig wie zu Zeiten von David Kalisch, der die Brücke schlug zwischen jüdischem und berlinischem Humor. Und wenn Beckmesser unter Verwerfung des Zeugen Schnabel mit seinen Reinigungsrezepten anrückt, so wird seine Bußpredigt mit einem hohnlachenden

»nich in de la main!«

abgewehrt. Die dazu gehörige Handbewegung ist zwar sehr »lescher«, aber sie erfolgt doch »mit'n jewissen Aweck« (avec), sogar »mit avec dü fö« (du feu) und läßt keinen Zweifel darüber, daß der Spree-Athener sich von keinem Sprachheiligen aus der »Balanse« (balance) bringen läßt. Durchaus Au controleur! (au contraire); in der Verteidigung seines Idioms steht er seinen Mann, und geht es nicht »dusemang« (doucement), so fehlt es ihm auch nicht an »Kurasche«, seinem Gegner eins an den »Buljonkopp« (von brouillon) zu geben; »verstandez-vous?«

Ihm ist es ein »Pläsiervergnügen«, seine Sprache französisch zu sprenkeln. Seine »Poussade« sieht er gern in hübscher »Kleedage«, und er würde ihr sogar eine »Eklepage« gönnen. Reicht es dazu nicht, so poniert er ihr schräg-à-vis beim Kondex ein »Baiser«, einen »Bobóng«, im Restaurant ein »Omelett kommvorditür« (aux confitures), während er, wenn er solo ausbummelt, sich mit einem »Maison du Nord« (Nordhäuser) begnügt. Hat er Eile, so stürmt er »plängschass« (aus pleine chasse) dahin, um nicht etwa durch Verspätung in die »Brodullje« (bredouille) zu geraten. Flüchtige Begrüßung erledigt er durch »Comment vous Portugal?« (portez-vous), oder auch durch »Comment vous Portemonnaie-vous?« mit nachfolgendem »Au réservoir« (à revoir). Zur Betonung seiner Eigenperson ist ihm »Je!« und »Moi-je!« geläufig. Eine Wette bietet er mit »Paree?«, als Tanzkommando behagt ihm das »Schassee an de Wand« (chassez en avant). Sein durchdringendes Auge kennt den feinen Unterschied: »Dieselbe Farbe in anderer Kulör«; dem Jarssong oder Pikkolo befiehlt er »Haare apart, Bouletten apart«, denn bei unappetitlichen Gerichten wird ihm ganz »blümerant« (rätselhaft aus bleu mourant abgeleitet). Beim Geldwechseln läßt er sich »retour« geben, im Wortstreit spielt bei ihm die »Retourkutsche« eine große Rolle, im übrigen übt er gegen Anderssprechende die größte Toleranz, nach seinem Grundsatz chacun à son goût, was in seinem Munde die Form gewinnt: »Jeder nach seinem Chacun!«

Kaum erscheint es nötig, auf die französischen Splitter hinzuweisen, die sich jenseits des Berliner Platt in der weiteren niederdeutschen Mundart vorfinden. Friederizianische Nachklänge, Einflüsse der Emigrantenfamilien, naive Aufnahme schönklingender Fremdbrocken wirken zusammen, um der an sich schon so reichen Färbung der Mundart noch eine besondere, gar nicht zu übersehende Farbe aufzutragen. Drollig klingt's ja manchmal, was dabei in gewollter und ungewollter Verstümmelung herauskommt, aber nur einem Griesgram kann solche Drolligkeit beleidigend auf die Nerven fallen. Bodenständig genug drücken sich Entspekter Bräsig und die Personen seiner Umgebung aus; lockert es ihre Wurzelfestigkeit, wenn ihre Mundart in den Jargon überschlägt? Hätte es überhaupt einen Sinn, sie auf irgendwelches »Welsch« sprachamtlich festzunageln? Wie nach Marc Aurel der König, so trägt auch der Dialekt in sich sein lebendiges Gesetz, seine eigne Rechtfertigung; ein Dialekt kann nicht Unrecht tun.

Erinnern wir uns einiger Blüten aus Reuters Sprachgarten: wie prächtig hat sich dort, im Mecklenburgischen die »Schockelor«, die »Karnallje«, ja sogar die fremde Münze »Luggerdur« eingedeutscht! Die Berlin-französische Brodullje tritt lautähnlich genug als »Pardullje« auf, – das sausende »plängschaß« erscheint unverändert, das Wort »krepieren«, von crever, mildert sich rückbezüglich vom viehischsterben zum menschlich-sich-ärgern: »Darüber krepiere dich nicht, Lining!« Ein Malheur verwandelt sich in »Mallür«, was einen geniert, wird »schanierlich«, die höchste Wurstigkeit äußert sich in »ganz partie egal« (partout), und das gelegentlich anknüpfende à propos erklingt mundartlich derb, aber durchaus volksverständlich: »Apopoh!« Bis zu klassischer Höhe gedeiht diese Redeweise dort, wo Bräsig die große Menschheit »regardiert« und zu dem überwältigenden Schluß gelangt, daß die große Armut von der großen »Powerteh« herrührt. Der Spruch hat Rang und Würde erworben, wurde im Büchmann unter den Geflügelten bestätigt, und noch ist kein Nörgler aufgestanden, der ihm die Stellung zu bestreiten gewagt hätte. Dem Humor läßt sich eben schlecht Fehde ansagen, und man kann nicht gut Anti-Reuterianer sein.

Wohl aber Anti-Berliner. Das geht, und diejenigen, die gegen das Berlin-Französisch losgehen, schielen wenigstens mit einem bösen Seitenblick nach dem Richtigen Berliner, als dem Vorläufer der Sünder von heute.

Die sind nun zweifellos vorhanden, und manches, was ihnen in ihren Reden und Schriften unterläuft, soll auch hier als Getue und Geckerei preisgegeben werden. Ganze und halbe, richtige und verdächtige französische Sätze wimmeln mitten in deutscher Rede, ohne Bezug und Begründung, und man braucht nicht weit zu suchen, um solches Gesprenkel in den Romanen und halbwissenschaftlichen Schöngeistereien des vorigen Jahrhunderts reichlich zu finden. Manche erinnern an die französelnde Figur in der Holbergschen Komödie »Jean de France«, manche an Riccaut de la Marlinière, die meisten an die Gespreiztheiten des heute vergessenen Fürsten von Pückler-Muskau; und man kann ruhig zugestehen, daß diese Häufungen von . . . à la – comble – faute de mieux – à peu près – vogue la galère – sans rancune – à la bonheur! – cause célèbre – fin de siècle – tout Paris, tout Berlin bis zu tout Frankfurt an der Oder – (»e tutti quanti«) – heute als nicht mehr erträglich empfunden werden.

Aber das betrifft Wandlungen im Sprachganzen, und manche ursprünglich kerndeutsche Wendung, die im Zeitenlauf Schimmel und Rost angesetzt hat, mögen wir heute auch nicht mehr.

Vor allem darf man nicht verallgemeinern, nicht einen Nietzsche, Fontane, Grimm, ja nicht einmal einen Spielhagen der Französelei wegen in einen Topf werfen mit irgendwelchen kauderwelschenden Narren, die einmal in Wochenschriften ihre Pariser Fetzen herumschwenkten. Denn in denselben Topf gehörten dann Goethe-Schiller mit ihrem Briefwechsel, der ganze Jean Paul, der halbe Heine, der drittel Bismarck – wozu die Aufzählung, da man doch fragen könnte: wer von den Ganzgroßen gehört nicht in diesen Topf? Tatsächlich sind denn auch von den Sprachstockmeistern der Gegenwart nicht wenige entschlossen, hier kurzen Prozeß zu machen, den italienischen Futuristen vergleichbar, die lieber alle Museen anzünden, als einen Schmierer – wie z. B. Raffael – retten wollen. Dem Futuristenschreck Raffael entspricht im Sinne der Deutsch-Stockmeister der Schmierer Nietzsche, dessen Größe sie nicht begreifen, nicht einmal ahnen, an dessen gewaltige Sprachkunst sie gar nicht herankönnen, weil sie nicht imstande sind, ihren Gesichtskreis über das zunächst Auffällige zu spannen.

Die andere Verallgemeinerung betrifft die Fremdsplitter selbst in ihrer Verwendbarkeit für die redende und schreibende Gegenwart. Weil wir heut ohne tout Berlin, ohne fin de siècle, ohne à quatre épingles und ohne vieux jeu auskommen können, deshalb sollen wir uns zum Allgemeinverzicht bekennen, erzitternd vor dem Beckmesser, der allzeit sein Gemerk bereithält, um uns jede regelwidrige Silbe als Berlin-Französisch anzukreiden:

Sieben Fehler gibt er euch vor,
Die merkt er mit Kreide dort an;
Wer über sieben Fehler verlor,
    hat versungen und ganz vertan!

Diese Fehlervorgabe ist so zu verstehen: vermöge besonderer Nachsicht des Aufpassers darf man noch heute vom Park »Sanssouci« sprechen, ohne gerüffelt zu werden; Sanssouci, besser Ohnesorg oder Sorgenfrei, ist zwar ein Fehler, aber er fällt noch unter den Ablaß. Man darf auch, wenigstens in historischem Zusammenhange, das Schloß »Monbijou« nennen, was sehr Berlin-Französisch klingt, und beinahe noch welscher als der Gensdarmen-Markt und das Regiment Garde du corps.

Auch der Orden »Pour le mérite« gehört als geschichtliches Zeichen noch zur zugestandenen Fehlervorgabe und sonst noch verschiedenes, was sich durch eigene Altehrwürde gegen offenen Angriff – nicht geheimen Tadel – zu schützen vermag. Ob sich die Duldsamkeit des Merkers wirklich genau nach der heiligen Siebenzahl richtet, bleibe dahingestellt, ist auch in unserem Zusammenhange belanglos.

Jedenfalls setzt die Ankreiderei mit voller Schärfe ein, sobald die sogenannten entbehrlichen, die überflüssigen Worte und Satzteile sich hervorwagen, kurzum die Fehler, welche das Urteil bedingen »versungen und vertan«! Denn die pedantische Regel ist stets bereit, ihr letztes Wort auszusprechen, sobald die kurzgeschnittene Elle der Notwendigkeit einen Überfluß nachweist. Aber Voltaire hat den schönen Spruch gefunden:

»Le superflu, chose très-nécessaire«,

und wenn irgendwo, so gilt dieses Wort »Das Überflüssige, ein sehr notwendiges Ding!« in Angelegenheiten der Sprache. Hier nun besonders, wo es sich um Arabesken, um Andeutungen handelt, wollen wir uns zu dem scheinbar paradoxen Glaubenssatz von der Wichtigkeit des Entbehrlichen bekennen. Gewiß, Buch und Rede würde nicht gerade sterben, wenn wir gezwungen wären, etliche gallische Wendungen zu unterdrücken; nur wollen wir uns eben aus sehr guten Gründen hierzu nicht zwingen lassen.

»Embarras de richesse« ist als Ausdruck gewiß sehr überflüssig, denn wir können ja sagen: »Verlegenheit aus Überfülle«, oder »Verlegenheit wegen zu großer Auswahl«. Aber spürt ihr nicht, wie das humpelt und stottert, wie die Schlagkraft des Urwortes sich abstumpft? Dieses Urwort war einst der Titel eines Lustspiels (von 1726), das als Stück verschollen, eben nur in seinem Titel sich erhalten hat und uns in seinen drei Worten eine Komödie vor Augen hält. Auf diesen Durchklang des Schwankhaften mag verzichten, wer weiter nichts beabsichtigt, als den nackten Begriff hinzustellen. Wollen wir darüber hinaus, liegt uns daran, die Verlegenheit aus Überfülle wie ein Schauspiel für Lachlustige zu kennzeichnen, so brauchen wir jenen Durchklang; und der steckt nur im französischen Original, nicht in irgendwelcher Abschrift; ebensowenig wie in einem »ruhmredigen Kriegsmann« der »miles gloriosus« steckt. –

Gehört das Wort »Bravour« zu den Überflüssigkeiten? gewiß für den, dem es Tapferkeit, Heldentum bedeutet und nichts anderes. Aber das andere kann vorhanden sein, Wichtigkeit gewinnen, und dann wird aus dem superflu die chose très-nécessaire. Man kann nämlich ansetzen: Bravour verhält sich zu Tapferkeit wie Effekt zur Wirkung, oder wie Virtuosität zur Meisterschaft. Streng genommen zeigt jede Heldentat ihre besondere Tapferkeit, eine davon, die dramatisch zugespitzte, als Schaustellung eindringliche, ist die Bravour. Sie findet ihr Gegenstück beim ausübenden Musiker und ist auch bei ihm ein Notwendiges. Im Künstlerischen ist der Gleichungsansatz: »Bravour verhält sich zur Meisterschaft wie x zu y« nicht zu vollenden; die Bravour wird durch die Virtuosität bedingt, aber nicht erschöpft. Von zwei Spielern kann der eine die größere Virtuosität besitzen, während ihn der andere durch die Bravour übertrifft. Das Blendende steckt in beiden Begriffen, das Draufgängerische nur in einem. Der Wortübersetzer, der dieser Betrachtung gerecht werden will, stößt gegen eine Unmöglichkeit; und mit aller Tapferkeit seines Ansturms gegen das »überflüssige« Wort wird er nichts anderes beweisen, als dessen Notwendigkeit.

Der Bravour innerlich verwandt ist das »Prestige« als Begleiterscheinung einer Person, einer Macht. Das »Prestige« kommt dem Beckmesser als französelndes Getue vor, denn wir haben ja dafür die gleichwertigen Ausdrücke: Übergewicht, Ansehen, Machtstellung; wißt ihr aber, was diesen Ausdrücken zur Aufnahme des Wettbewerbes fehlt? eben das Prestige! Denn dieses hat obendrein etwas Theatralisches, von der Schaubühne, vom Märchen, es integriert eine Wirkungsvergangenheit zur unerklärlichen Zukunftswirkung. Der Zauberer, der das Wunder – »prestigium« – vor Staunenden ausführt, gibt dem Wort seine Eigenart. Von dem Manne, dem ich Prestige zumesse, behaupte ich nicht nur das Ansehen in der Gegenwart, sondern eine Summe vergangener Erfolge, die in seine weitere Geltung wie ein Wunder hinüberstrahlen. Also wiederum: für das Wort ist Ersatz möglich, und der Ersatz leistet etwas; er leistet nur nicht das, was wir gerade von ihm verlangen. –

Ist die Wendung »par impossible« überflüssig? Selbstverständlich! meint der Kreideschwinger, denn man kann ganz genau auf gut deutsch angeben, was damit gemeint ist. Nur daß der Zufall der Ausdrucksentwicklung im Französischen zu einem kurzen Stichwort zusammengedrängt hat, was bei uns einen ganzen Satzbau bedingt. Er bedeutet nämlich in aller Vollständigkeit: »wenn man (zum Zweck einer vorliegenden Ansage) etwas Unmögliches als möglich annimmt.« Seien wir der Hilfe dankbar, die uns eine solche Weitläufigkeit erspart und uns in der Form des Überflüssigen etwas sehr Notwendiges anbietet.

»Revanche«, »Chauvinist«, »Sabotage« gehören nach der Willensmeinung unserer Aufpasser – par ordre de moufti – auf den Index. Warum sage ich »Index!«? Weil mir dies einzige Wort eine ganze Geschichte umschließt mitsamt einem dogmatischen Hintergrund. Es gibt dazu keine Übersetzung, sondern nur eine ziemlich lange »Erläuterung«. Aber diese Erläuterung kann fortfallen, wenn das Wort selbst durch seinen Klang seine Stammesgeschichte bekannt gibt. Der Sprachmufti verordnet mir für Sabotage: Sachzerstörung; das genügt mir aber nicht im mindesten, denn ich vermisse darin den Hinweis darauf, daß sie in Frankreich aufgekommen ist als ein verwerfliches Mittel im sozialpolitischen oder kriegspolitischen Kampfe. Vom »Chauvinismus« hat schon Kaiser Friedrich gesagt: Gott sei Dank, daß wir dafür keinen deutschen Ausdruck besitzen; und in der Tat haben ihn alle Sprachmuftis zusammen noch nicht zu übersetzen vermocht; denn es steckt ein Eigenname darin, Nicolas Chauvin, napoleonischen Angedenkens, an den dieses Wort anklingen soll; fehlt dieser Anklang, so verschwindet im Begriff der geschichtliche Rückblick, auf den es durchaus ankommt. Und ebenso hat die Revanche einen andern geschichtlichen Hintergrund als die deutsche Rache oder als die italienische Vendetta. Ich kann es meinen Lesern überlassen, den Unterschieden nachzuspüren. Beim ersten Anlauf werden sie erkennen, daß hier wie in vielen Fällen ein organisches Gesetz obwaltet, und zwar das (biogenetische) Grundgesetz der Entwicklungslehre; das Wort wiederholt in kurzem Auszug seine ganze Stammesgeschichte. Es gibt also mehr als die oberflächliche Kennzeichnung des heut gültigen Begriffs, es erzählt dessen Entstehung, und hierin liegt sein Wert. Wer darauf verzichten will, der mag mit irgendwelchen Ersätzen und Behelfen auskommen. Er hat dann etwas »Überflüssiges« beseitigt, jenes superflu, das wir mit Voltaire als eine chose très-nécessaire anerkennen.

Nun kommen uns andere mit einem Einwand, der zuerst sehr bedrohlich aussieht. Sie sagen: wie kommt ihr dazu, als Deutsche französische Brocken einzuflicken, da es doch keinem Franzosen einfällt, deutsche Worte für seine Rede in Anspruch zu nehmen? Wie ein Grundsatz in der Mathematik reckt sich hier eine Behauptung auf, selbstverständlich und beweislos, weil keines Beweises bedürftig. Urplötzlich ward dem Welschen, dem Franzosen, ein Ruhmeskranz aufgestülpt, da er im Gegensatz zu uns deutschen Sprachschmutzern bei sich zu Hause unverbrüchlich auf Reinheit hält.

Zur Beantwortung jener Frage diene eine Wendung, die eher französisch als deutsch war: ça s'explique parce que ce n'est pas vrai – das erklärt sich dadurch, daß es nicht wahr ist; es ist sogar gründlich falsch!

Dem Franzosen fällt es nämlich gar nicht ein, auf Deutschworte zu verzichten, und unsere Sprachvögte müßten dies wissen, wenn ihre Belesenheit auch nur zum zehnten Teil so erheblich wäre, wie der Sicherheitstrotz ihrer Behauptungen.

Diesem Wissensmangel sei hier eine kleine Auslese aus französischer Rede und Schrift entgegengestellt, vornehmlich aus Zeitungen der Neuzeit; in Worten, die sich zum Teil festgesetzt und in den großen Nachschlagewerken ihre Stätte gefunden haben.

Der Franzose darf sagen und schreiben: le kaiser, le kaiserisme, kaiserlich, le kanzler, le reichstag, le reichstaler, le dom-chor, le landsturm, le landwehr in der Bedeutung von Landwehrmann, der in dieser Form z. B. in Romanschriften von Erckmann-Chatrian auftritt.

Bismarcker, als Zeitwort, heißt: überlisten, bismarckiser: nach Bismarcks Art regieren; un bismarck ist ein guter 1866er Wein, couleur bismarck bedeutet rotbraun, bismarck malade: hellbraun, bismarck en colère: kastanienbraun.

In Paris wie auch in Südfrankreich besucht der gemeine Mann, wenn er auf deutsches Bier Lust hat, une kneipe; und dort bestellt er zum Erstaunen unsres Herrn Säuberlich: un bock, un kummel, un bitter, un kirsch, des bretzels, un hareng saur, und un knickebein; bringt er es zu einiger Fertigkeit im Biervertilgen, so wird er un bockeur (seine Gefährtin une bockeuse), und für die Heimat de ce bockbier hat er allerhand Nebenbezeichnungen, wie Choucroutland; wie denn überhaupt das Sauerkraut in seinen Gedankenverbindungen eine Rolle spielt: tête de choucroute, choucroutard, selbst choucroutman treten im Gespräch auf und bedeuten, wie leicht zu erraten, keine Liebenswürdigkeiten. Er mag als Franzmann keinen Deutschen leiden, doch seine Biere trinkt er – il les trinque – gern. Er kennt la trinkhalle und le tringuelte, schon von Rousseau her, bei dem auch le havresac zu finden. Geläufig sind ihm le bourgmestre, le vaguemestre (Wagenmeister, oft genannt in »le Feu« von Barbusse); la brèche (Bresche, von brechen); blinder (von blenden), bloquer, la hase (Hasenweibchen). Er benützt auch seine Adjektive und bezeichnet in Gerichtsakten (seit 1919) einen Menschen ohne Ausweispapiere als »heimatlos«, so geschrieben und vermutlich »ämatloh« gesprochen.

Der Kindergarten ist auf Französisch nicht nur le jardin d'enfants, sondern, wenn auf die Fröbelsche Herkunft hingewiesen werden soll: le kindergarten. Ein Schuhflicker wird zum choufliqueur, mit dem Zeitwort choufliquer. Der Reiter wird le reitre, der Landsknecht le lansquenet, dort, wo sie Obdach finden, kommt das Zeitwort héberger, beherbergen vor, und befindet sich unter ihnen ein lustiger Geselle, so gilt er als ein »loustic«.

Wir finden ferner: le Wehrgeld, le wispel, le heimvé, jodler (jodeln), le feldmaréchal, le gemsbock, le Kursaal, le crach, le kopstick und le kopfestuck, le Rheingrave, le Kronprinz, le pompernickel, le lastgelt, le ohmgeld, la nagelfluhe, le gelberde (gelbe, ockerhaltige Erde), le lied, le schicksal; auf der Grenze von Eigen- und Sachnamen: le Baedeker, le Gilka, les taubes (die Flugzeuge), und wenn auch nicht dem Sprachdeutschen, so doch dem Berufsdeutschen entnommen: le privatdozentisme.

Während wir im Pariser Stadtbild das Marsfeld, das Gehölz und den Eintrachtsplatz (Champ de Mars, Bois de Boulogne, Place de la Concorde) nennen, gilt dem Franzosen als der berühmteste Berg der Schweiz nicht la Vierge, sondern la Joungfrau, er kennt la heimvéflouh, und vom Oberland bildet er das Adjektiv oberlandais. Interessieren ihn auf einer Wanderung die Minerale, so treten sie erlaubterweise in der Form auf: le kalkspath, le klebschiefer, le kupferkies, le schlamm. Auf Franko-allemand heißt es: le klingstein, le klinker, le korallen-erz; unter den Eßwaren kommen vor: le kougelhof (Gugelhupf), la erbswurts (mit ts geschrieben, für Erbswurst), sogar le boutterbrödchen und l'ersatz.

Notieren wir weiterhin: le chenapan (Schnapphahn), le choumaquer, le backfisch, le willkomm, le groschen, le schtosse (Stoß), le springbock, le balast, l'Alpenstock (zuerst bei Daudet), le talweg, le hinterland, le vasistas (was ist das? – Guckfenster), le stoppeur (Kunststopfer), le stand (Scheibenstand), le kuchenreiter (Waffenschmied, auch Schießwaffe), schlitter (schlittenfahren), knouter (knuten), le Wertherisme und le Schopenhauerisme (als Zustände der Empfindung und Anschauung). Und fügen wir noch ein ganz abenteuerliches Kuriosum hinzu: Wir sollen uns doch bekanntlich die Eau de Cologne zugunsten von Kölnischem Wasser abgewöhnen; was aber begibt sich in Pariser Geschäften? dort haben die Verkäufer auf den Flaschen der Firma Johann Maria Farina den Vermerk gelesen: Gegenüber dem Jülichplatz, und hieraus ist zur Bezeichnung der echten Eau de Cologne die Marke entstanden: le veritable »Gegenüber«, ausgesprochen Scheeschanübähr!

Und mit dieser Liste, die wir beliebig verlängern könnten, vergleiche man nun die Ansage unserer Herrn Säuberliche, die uns erklären: »Nur der Deutsche«, nur der sprachkranke, mit Berlin-Französisch verseuchte Deutsche flickt Fremdbrocken in seine Rede! keinem Franzosen fiele es ein, zu ähnlichem Zweck irgendwelche Splitter von uns zu erborgen! Er borgt sie wirklich, wo er sie nur erwischen kann, und man darf ohne Übertreibung sagen, daß er zur Ausübung dieser Selbstverständlichkeit keinen Tag ungenützt verstreichen läßt. Freilich, auch er hat seine Beckmesser, seine Sprachvögte, und diese sitzen sogar in der französischen Akademie; sogar? nein mit Fug und Recht, denn wo sonst sollten sie sitzen, als in dem privilegierten Hort aller Rückständigkeiten?

Im Zuge unserer Betrachtung müssen wir uns aber auch des weiteren daran erinnern, daß überaus viele Französischworte, die bei uns umlaufen, gar nichts anderes sind, als Überläufer, Rückläufer, eigentlich Gutdeutschworte, die einst hinüber- und mit veränderter Frisur zu uns zurückwanderten. Hier abermals eine ganz kleine, aber wie ich denke, recht belehrsame Auslese:

Der Balkon ist nichts anderes, als der ehrliche deutsche Balken, der Fauteuil ein noch deutlich erkennbarer Faltstuhl, das Bivouak entstand aus der Beiwache, Beiwacht, die gute deutsche Laube versuchte in der Fremde ihr Heil, zeigte zur Heimat wiederkehrend ihre verfeinerte Gestalt und – fertig war die »Loge«.

Boulevard kommt her von Bollwerk, die Drogue ist ursprünglich nicht französisch, überhaupt nicht romanisch, sondern Lübeckisch; die niederdeutsche Grundform lautet (nach G. Baist) Droge-Fate, trockne Fässer, Güter in Packfässern, die nach Begriff und Inhalt ungefähr Droguen darstellten.

Die Agraffe stammt aus dem althochdeutschen Krapfo = Haken, das sich als »Krapfen« in einem hakenförmigen Gebäck erhalten hat.

Das Billard geht über bille, Kugel, vermutlich auf das mitteldeutsche bickel = Murmel zurück.

Lorgner entstand aus »lauern«; die Lorgnette ist mithin ein Belauerungswerkzeug, das sich allerdings stark verkleidet hat, um seine germanische Herkunft zu verbergen.

Auch die Garderobe legt es darauf an, uns irrezuführen, und man muß sich schon ein wenig anstrengen, um ihr auf die Schliche zu kommen: die Garde – ganz allgemein und auch im militärischen Sinne des Wortes – ist unsere »Warte«, die Robe stammt aus dem mittel- und althochdeutschen roup, roub = Raub, Beute; der Bedeutungswandel machte den Umweg über die geraubte Rüstung, das erbeutete Kleid, wobei der Begriff der gewaltsamen Aneignung allmählich verschwand und nur noch die Sache selbst, das Kleid, übrig blieb. Die Garderobe ist also eigentlich eine Raubwarte, die Garderobière eine Raubwärterin; ein Zusammenhang, der sich satirisch weiter ausfolgern läßt, der aber nichts an der Tatsache ändert, daß wir auf jenes vielbemäkelte Fremdwort einen gesicherten Anspruch aus deutschem Sprachrecht erheben dürfen.

In der Nachbarschaft der Robe und als Zubehör der Bekleidungskunst finden wir die Ausdrücke Mannequin und chic, die wir ohne weiteres anfordern, da sie sich deutlich genug als Männchen und Schick zu erkennen geben.

Die Marquise, das leinene Sonnenzelt, zuerst über dem Zelt vornehmer Offiziere, hängt mit Marquis, margrave = Markgraf zusammen.

Der Friseur ist kein welscher Fremdling, sondern ein Sprachbürger aus Friesland. Sein Name geht auf Fries, krauses Tuch, zurück, – Verzweigung mit dem friesischen friesle = Haarlocke.

Das Bankett, von Bank abgeleitet, bedeutet ein Bankgelage, wie es z. B. im Nibelungenlied als banc bei Beschreibung einer höfischen Festlichkeit vorkommt; das anspruchsvollste Souper kann seine Herkunft von der deutschbürgerlichen Suppe nicht verleugnen. Das Bouquet stammt aus dem Busch, wie man an der Donau noch heute einen Blumenstrauß einen Buschen nennt.

Will man der Etikette, dem Etikett die Sprachbeichte abnehmen, so trennt man den Anlaut E . . . vom Wort und findet in -tikett das niederdeutsche »sticke« = Stiftchen, kleiner Stecken, spitzes Hölzchen zum Anheften eines Zettels, der den Inhalt bezeichnet.

Engagieren, Gage, stammen – über die Zwischenstufe vadium – von Pfand, Unterpfand; Fourage von Futter. Die Patrouille kann als wesentlich deutsch angesehen werden; der Hauptbestandteil des Wortes gilt dem Bewegungsorgan der Streifwache, der patte, die ihre Abkunft von Pfote, Patsche herleitet. Der Trumeau kommt her von »Trumm«, dem Singular von Trümmer; dieser bedeutet Stück, massiges Einzelstück unter gemauerter Wand, hier Fensterpfeiler.

Ins Unabsehbare würden wir geraten, wollten wir gar noch derjenigen Französischworte gedenken, die überhaupt aufs Germanische zurückgehen, ohne den Heimweg ins Vaterland gefunden zu haben. Zu vielen Hunderten wären sie anzumerken, wie jardin von Garten, auberge von Herberge, bloquer (und Blockade) von Block, espion von spähen, filtre von Filz, attraper von trapo (Schlinge), Ballon und ballotter von Ball, arquebuse von Hakenbüchse, beffroi (Sturmglocke) von Belfried, bière (Sarg) von Bahre, blafard aus bleich und farbig, estafette von Staffel, blason von blasen, Garantie von weren, gewähren, escroc von Schurke, harpe von Harfe, espiègle von Eulenspiegel, épingle von Spange, blesser von bletzen, verletzen, éblouir vom altdeutschen blodi, blöde, plaque von Platte – genug davon! Die Auslese wird hinreichen, um jene verallgemeinernden Behauptungen mit dem Anfang: – . . . Nur der Deutsche . . .! ins rechte Licht zu setzen. Nein, in dem großen deutsch-französischen Kontobuche stehen durchaus nicht alle Belastungen auf unserer Seite. Wir haben höchst ansehnliche Forderungen dagegen aufzurechnen, und die Herrn Vögte brauchen uns nicht ihre Dienste aufzudrängen, um uns aus dem Schuldverhältnis zu erlösen. Und ebensowenig steht es ihnen zu, sich über einseitiges Französeln lustig zu machen, da sie sich noch gar nicht die Mühe gegeben haben, zu untersuchen, wie sehr es da drüben auf der Gegenseite »deutschelt«.

Selbstverständlich liegt es nicht im Sinne dieser Erörterungen, die glücklich verstorbene Pücklerei, das französisch-deutsche Gemengsel der Pückler-Muskau und Genossen etwa wieder aufleben zu lassen. Unsere Absicht erstreckte sich vielmehr auf eine abwägende Betrachtung, auf Sprachtatsachen, die man kennen muß, wenn man mitreden will, wenn man gar mit richtender Wage oder beckmessernder Kreide Urteilssprüche zu fällen sich herausnimmt.

Seien wir also streng diesen Richtern gegenüber und verfahren wir duldsam mit den Worten. Viele von ihnen verdienen eine Gaststätte an unserem Herde, den Menschen vergleichbar, die uns willkommen waren, obschon ihre Namen französisch klangen. Der edle Dichter und hervorragende Naturforscher Chamisso brauchte sich nicht umzutaufen, um uns lieb zu werden, der große Physiologe du Bois-Reymond brauchte sein keltisches Blut nicht zu verleugnen, um uns als eine Zierde unserer Lehrkanzel zu erscheinen. Der erste preußische General, der beim Sturm auf die Spicherer Höhen fiel, hieß von François, sein Sohn Kurt von François hat deutsche Kulturarbeit in Afrika geleistet. Lejeune-Dirichlet, in Deutschland geboren, in Frankreich gebildet, wurde Gauß' Nachfolger in Göttingen und wie dieser ein princeps mathematicorum zum Ruhme deutscher Wissenschaft. Die Namen der Savigny, de la Motte Fouqué, Roquette, Moritz Carrière, Thibaut, Hans v. Marées, Tuaillon, Douzette, Credé, R. H. Francé, Salingré, Fontane, Reuleaux, Eugen d'Albert, sind uns keine Fremdworte. Wohl aber müßten sie als welsch gewissen Völkischen auf die überempfindlichen Nerven fallen. Wie wäre es, wenn sie versuchten, einige dieser Namen auf dem Wege der Übersetzung einzudeutschen und auszufranzen? Als Musterbeispiel könnte man ihnen den berühmten preußischen Feldmarschall Guillaume René Baron de l'Homme de Courbière empfehlen. Dieser Heerführer ist fast durchweg gut verdeutschbar, und man muß sich eigentlich darüber wundern, daß die Cour bière-Straße im völkischen Wörterbuch nicht schon längst zu der heimatlichen »Hof-Bräu«-Straße geworden ist. Ganz ernstlich: man kann darin weit groteskere Dinge finden!

 


 


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